Beschluss vom 02.04.2009 -
BVerwG 2 WD 11.08ECLI:DE:BVerwG:2009:020409B2WD11.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.04.2009 - 2 WD 11.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:020409B2WD11.08.0]

Beschluss

BVerwG 2 WD 11.08

  • Truppendienstgericht Nord 7. Kammer - 11.03.2008 - AZ: TDG N 7 VL 26/07

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
am 2. April 2009 beschlossen:

  1. Auf die Berufungen des Soldaten und der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 11. März 2008 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Nord zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der 29 Jahre alte ledige Soldat trat am 1. Juli 1999 als Grundwehrdienstleistender in die Bundeswehr ein und wurde aufgrund seiner Verpflichtungserklärung mit Urkunde vom 25. Oktober 1999, ausgehändigt am 16. November 1999, in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zuletzt auf zwölf Jahre festgesetzt, sodass sie voraussichtlich mit Ablauf des 30. Juni 2011 enden wird. Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 1. Juli 2005 zum Oberleutnant. Ausweislich des Auszugs aus dem Disziplinarbuch vom 8. April 2008 ist er mit sechs einfachen Disziplinarmaßnahmen vorbelastet.

II

2 1. Der Kommandeur der ... Panzergrenadierdivision „...“ hat gegen den Soldaten mit Verfügung vom 9. Oktober 2006, zugestellt am 30. Oktober 2006, das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Anhörung des Soldaten fand am 6. September 2006 statt; die Vertrauensperson war nicht angehört worden, da der Soldat einer Anhörung widersprochen hatte. Das Schlussgehör (§ 97 Abs. 3 WDO) wurde ihm am 6. März 2007 gewährt.

3 2. Mit Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der ... Panzergrenadierdivision vom 30. Juli 2007, zugestellt am 17. August 2007, sowie mit Nachtragsanschuldigungsschrift vom 29. Februar 2008, zugestellt am selben Tag, werden dem Soldaten folgende schuldhafte Verletzungen seiner Dienstpflichten zur Last gelegt:
„1a. Der Soldat spielte am 03. März 2006 gegen 03.00 Uhr in seiner militärischen Unterkunft in der Universität der Bundeswehr ..., Gebäude ..., Apartment ..., ... das Lied ‚Kreuzberger Nächte’ der Gruppe ‚Zillertaler Türkenjäger’ mit seinem Computer ‚Tower HP Pavillon’ ab, obwohl der Text des genannten Liedes zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert und es gemäß ZDv 10/5 Nr. 311 untersagt ist, Tonträger mit diesem Inhalt auch nur vorübergehend in den Unterkunftsbereich bzw. den Bereich der militärischen Dienststelle einzubringen, was er jeweils erkannte, zumindest hätte erkennen können und müssen.
1b. hilfsweise nachträgliche Anschuldigung
Der Soldat duldete, dass der Robert W. am 03. März 2006 gegen 03.00 Uhr in seiner militärischen Unterkunft in der Universität der Bundeswehr in ..., Gebäude ..., Apartment ..., ... das Lied ‚Kreuzberger Nächte’ der Gruppe ‚Zillertaler Türkenjäger’ zunächst auf seinem Computer ‚Tower HP Pavillon’ abspeicherte und anschließend mindestens einmal abspielte, anstatt dies pflichtgemäß zu verhindern, da der Text des genannten Liedes zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert und es gemäß ZDv 10/5 Nr. 311 untersagt ist, Tonträger mit diesem Inhalt auch nur vorübergehend in den Unterkunftsbereich bzw. den Bereich der militärischen Dienststelle einzubringen, was er jeweils erkannte, zumindest hätte erkennen können und müssen.
2. Der Soldat besaß am 03. März 2006 in seiner militärischen Unterkunft der Universität der Bundeswehr ..., Gebäude ..., Apartment ..., ... das Lied ‚Die braune Kompanie’ von der CD ‚Das III. Reich 1, SA marschiert’ der Gruppe ‚Reichsmusikkammer’ als MP3-Datei auf seinem Notebook Toshiba T 8100, obwohl der Text des genannten Liedes Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen darstellt und enthält und es gemäß ZDv 10/5 Nr. 311 untersagt ist, Tonträger mit diesem Inhalt auch nur vorübergehend in den Unterkunftsbereich bzw. den Bereich der militärischen Dienststellen einzubringen, was er jeweils erkannte, zumindest hätte erkennen können und müssen.
Durch sein Verhalten hat der Soldat die ihm obliegenden Dienstpflichten verletzt,
 der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen,
 die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten,
 seinen Vorgesetzten zu gehorchen und ihre Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen und
 in seinem Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert,
wobei er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben hat.
Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 Soldatengesetz (SG) in Verbindung mit §§ 7, 8, 11 Abs. 1 und 17 Abs. 2 Satz 1 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG.“

4 3. Die 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat durch Urteil vom 11. März 2008 gegen den Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von 24 Monaten verhängt und ihm drei Fünftel der Verfahrenskosten auferlegt. Von den Vorwürfen im Anschuldigungspunkt 1a sowie im Anschuldigungspunkt 1b (1. Alternative) - soweit der Soldat geduldet haben solle, dass der Zeuge W. das Lied „Kreuzberger Nächte“ auf seinem, des Soldaten, Computer abgespeichert habe - hat es den Soldaten aus tatsächlichen Gründen freigestellt. Im Übrigen hat die Truppendienstkammer die Vorwürfe als erwiesen angesehen und - ohne nähere Begründung - als vorsätzliche Verstöße gegen seine Dienstpflichten gemäß § 7 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG gewertet. Das Dienstvergehen mache im Hinblick auf die disziplinarische Vorbelastung des Soldaten eine nachhaltige Pflichtenmahnung in Form eines zweijährigen Beförderungsverbotes erforderlich; eine zusätzliche Kürzung der Dienstbezüge müsse nicht ausgesprochen werden.

5 4. Gegen das ihm am 7. April 2008 zugestellte Urteil hat der Soldat durch seine Verteidiger am 30. April 2008 in vollem Umfang Berufung eingelegt mit dem Antrag, ihn freizusprechen.

6 Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der ... Panzergrenadierdivision hat gegen das ihr am 2. April 2008 zugestellte Urteil am 30. April 2008 ebenfalls in vollem Umfang Berufung eingelegt - allerdings zuungunsten des Soldaten - mit dem Antrag, ihn in den Dienstgrad eines Leutnants herabzusetzen.

7 Mit beiden Rechtsmitteln wird die erstinstanzliche Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht angegriffen, im Wesentlichen aber die Würdigung der von der Truppendienstkammer erhobenen Beweise gerügt.

III

8 Die nach § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 2 WDO zulässigen Rechtsmittel der unbeschränkten Berufung haben insoweit Erfolg, als das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Nord zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist, weil ein schwerer, aber behebbarer Mangel des Verfahrens vorliegt und weitere Aufklärungen erforderlich sind (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO). Die Entscheidung ergeht durch Beschluss außerhalb der Hauptverhandlung und in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 WDO).

9 1. Weitere Aufklärungen sind im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO erforderlich, wenn es in dem angefochtenen Urteil des Truppendienstgerichts ganz oder teilweise an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt, die für die Entscheidung erheblich sind. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn eine unbeschränkte Berufung eingelegt worden ist und der Wehrdienstsenat damit an sich die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen selbst treffen könnte (vgl. dazu Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - Rn. 15; Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 120 Rn. 5 m.w.N.). Ein schwerer Mangel des Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Ein schwerwiegender Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt. Als schwerwiegender Mangel des Verfahrens im dargelegten Sinne ist in der Rechtsprechung u.a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage anerkannt (vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. Februar 1966 - BDH 3 D 53/65 - BDHE 7, 37, vom 11. Mai 1978 - BVerwG 2 WD 36.78 - BVerwGE 63, 72 <74> = NZWehrr 1979, 32 und vom 7. November 2007 - BVerwG 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12 <19> = Buchholz 450.2 § 120 WDO 2002 Nr. 2; Dau, a.a.O. § 120 Rn. 7).

10 Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen (§ 106 Abs. 1 WDO) und nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften feststellen sowie diesen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen darlegen. Nach der im Wehrdisziplinarrecht gem. § 91 Abs. 1 WDO entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 261 StPO setzt die freie, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung des Tatrichters in subjektiver Hinsicht die für die Überführung des Angeschuldigten erforderliche volle persönliche Gewissheit des Tatrichters voraus. Dies schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufes nicht aus; denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden tatsächlichen Umstände ist der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Nach der gesetzlichen Regelung ist es allein Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln und nur nach seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche (volle) persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gestützte Zweifel nicht mehr aufkommen lässt (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117, 371 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214, vom 3. Juli 2003 - BVerwG 1 WD 3.03 - Buchholz 235.01 § 91 WDO Nr. 1 = NZWehrr 2004, 166 und vom 19. Juli 2006 - BVerwG 2 WD 13.05 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 2; BGH, Urteil vom 8. Januar 1988 - 2 StR 551/87 - NStZ 1988, 236 <237>; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 261 Rn. 2 m.w.N.).

11 Zur Überführung eines Angeschuldigten ist dabei keine „mathematische“ Gewissheit erforderlich. Die subjektive Überzeugung des Tatrichters muss aber auf einer objektiv tragfähigen Tatsachenbasis beruhen. Der Beweis muss mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Allein damit wird die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) widerlegt (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003 a.a.O. und vom 3. Juli 2003 a.a.O., Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - Rn. 17).

12 Die Beweiswürdigung muss auf eine verstandesmäßig einsichtige Tatsachengrundlage gestützt und muss erschöpfend sein. § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 261 StPO verpflichtet, alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu würdigen und dem Urteil zugrunde zu legen, sofern nicht im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zugunsten oder zuungunsten des Angeschuldigten zu beeinflussen. Auch die Äußerungen des Angeschuldigten sind zu würdigen. Steht Aussage gegen Aussage und hängt die Entscheidung allein davon ab, welchen Angaben das Gericht folgt, sind besonders strenge Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 261 Rn. 11a m.w.N.). In einem solchen Fall müssen, damit es nicht zu einer Verurteilung aufgrund einer subjektiven Fehlbeurteilung der Zeugenaussagen kommt, alle Umstände, denen eine indizielle Bedeutung für die Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten zukommen kann, in die Beweiswürdigung eingestellt und in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. dazu u.a. BGH, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92 - StV 1994, 526 m.w.N. und Beschluss vom 6. März 2002 - 5 StR 501/01 - NStZ-RR 2002, 174 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O. und Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - Rn. 18 m.w.N.). Selbst wenn einzelne Indizien jeweils für sich genommen noch keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit einer den Angeschuldigten belastenden Aussage aufkommen lassen, so kann jedoch eine Häufung solcher Indizien bei einer Gesamtbetrachtung zu solchen Zweifeln führen (vgl. Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O. m.w.N.).

13 In der Begründung des Urteils müssen die für erwiesen erachteten äußeren und inneren Tatsachen als das Ergebnis der Beweiswürdigung nachvollziehbar dargelegt werden (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO). Die Einlassung des Angeschuldigten muss mitgeteilt und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eingehend gewürdigt werden. Die bloße Wiedergabe der Aussagen des Angeschuldigten und der Zeugen genügt dabei nicht. Eine bestreitende Einlassung des Angeschuldigten und ihre Widerlegung bestimmen Umfang und Inhalt der Darlegung im Urteil (vgl. dazu u.a. Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - Rn. 19, Meyer-Goßner, a.a.O. § 267 Rn. 12 m.w.N.). Um die Beweiswürdigung nachvollziehbar zu machen, muss dargelegt werden, in welchem Umfang und aus welchem Grund nach der Überzeugung des Gerichts die Aussage des Zeugen und nicht die Einlassung des Angeschuldigten glaubhaft ist und warum das Gericht die Glaubwürdigkeit des Zeugen bejaht, diejenige des Angeschuldigten aber verneint. Hat der Angeschuldigte mit Tatsachen belegte, nicht eindeutig unerhebliche Bedenken gegen einen Beweis oder den Wert eines Beweismittels vorgebracht, so muss sich das Gericht auch damit auseinandersetzen.

14 Erfüllt ein Urteil nach seinen Entscheidungsgründen diese Anforderungen nicht (vgl. Urteil vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 34.02 - BVerwGE 118, 262 = Buchholz 235.01 § 108 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2004, 36), liegt ein Aufklärungsmangel und zugleich ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens vor.

15 2. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Truppendienstkammer ist den genannten Anforderungen an eine umfassende, objektivierbare und logisch nachvollziehbare Beweiswürdigung nicht gerecht geworden und hat die den Tatvorwürfen zugrunde liegenden entscheidungserheblichen Sachverhalte nicht im erforderlichen Umfang aufgeklärt.

16 a) Das Truppendienstgericht hat zu Anschuldigungspunkt 1a und b zunächst folgende Sachverhaltsfeststellungen getroffen (UA S. 7 bis 10):
„In der Nacht vom 02. auf den 03. März 2006 wurde der Zeuge OLt P. zwischen 02:30 und 03:30 Uhr in seiner Unterkunftsstube auf dem Areal der Universität der Bundeswehr ... durch laute Musik aus dem darunterliegenden Quartier des Soldaten, Gebäude ..., Appartment ..., gestört. Er stand auf, klopfte an die Stubentür seines Kameraden und bat den Zeugen OLt O., der ihm geöffnet hatte, die Musik leiser zu stellen, was auch geschah. Etwa 15 bis 20 Minuten später hörte der Zeuge P. erneut laute Musik aus der darunterliegenden Unterkunft, und zwar von der Band ‚Zillertaler Türkenjäger’ den Titel ‚Kreuzberger Nächte’. Dieses Lied war dem Zeugen aus einer Unterrichtung durch Angehörige des MAD an der Offizierschule des Heeres in D. als gem. ZDv 10/5 Nr. 311 indiziert bekannt. Etwa 5 bis 10 Minuten später wurde dieses Lied erneut abgespielt und der Refrain von mindestens einer Person lautstark mitgesungen. Dies ging dem Zeugen als Angehörigem der Feldjägertruppe (‚Militärpolizei’) zu weit. Er stand auf und versuchte, in der nächstgelegenen Stube den Zeugen OLt L. zu wecken, um einen weiteren Zeugen zu gewinnen. Dieser war aufgrund eines grippalen Infekts nicht richtig wach zu bekommen, weshalb der Zeuge einen MP3-Player mit Diktierfunktion holte und auf dem Flur vor der Stube des Soldaten das dort noch laufende oder erneut abgespielte Lied der ‚Zillertaler Türkenjäger’ aufnahm. Die Aufzeichnung war naturgemäß von schlechter Qualität, der ermittelnde nächste Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, der Zeuge KptLt N., konnte den Musiktitel jedoch erkennen. Die fragliche MP3-Datei löschte der Zeuge P. nach Rückgabe seines Gerätes durch die Polizei, dieses hatte er den Ermittlungsbehörden zuvor überlassen, weil ihn der Soldat wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes angezeigt hatte.
Aufgrund der Meldung des Zeugen P. erwirkte der Zeuge KptLt N. beim Vorsitzenden der 10. Kammer des Truppendienstgerichts Süd eine Durchsuchungsanordnung, durchsuchte die Stube des Soldaten und übergab dem MAD PC-Turm und Laptop des Soldaten, welche er sichergestellt hatte, zur Auswertung der Festplatte. Diese ergab, dass auf der Festplatte des Turms die Musikdatei ‚Landser - Kreuzberger Nächte.mp3’ am 03. März 2006 mit der Zeitangabe 02:39:05 Uhr abgespeichert und um 03:00:54 Uhr letztmalig auf diese Datei zugegriffen worden ist.
Der Text dieses Liedes der Band ‚Zillertaler-Türkenjäger’ lautet: ...
Die Spieldauer des durch die BPjM gem. Bundesanzeiger Nr. 140 vom 31. Juli 1997 indizierten Liedes beträgt 3 Minuten und 28 Sekunden. Gegen den Titel liegen allgemeine Beschlagnahme- und Einziehungsbeschlüsse mehrerer Gerichte vor.
Der Soldat hat sich eingelassen, an jenem Abend habe er mit den Zeugen OLt O. und Robert W. zunächst das ...bräuhaus in ... und sodann Discotheken im ‚Kunstpark ...’ besucht, wobei sie einige Biere und Mixgetränke zu sich genommen hätten. Sie wären deshalb angetrunken, aber nicht betrunken gewesen, am ehesten treffe die Formulierung ‚angeheitert’ zu. Nach Rückkehr in die Unterkunft sei man auf seine Stube gegangen, habe den Fernseher angemacht, sich unterhalten, noch ein bisschen getrunken, jeweils ein bis zwei Bier, und sei zu Bett gegangen. Er habe zwar auch seinen Rechner eingeschaltet, um Hintergrundmusik zu haben, die fragliche Musikdatei habe er aber weder heruntergeladen noch abgespielt, oder mitbekommen, wie diese abgespielt worden sei. Das Lied habe er nicht mitgesungen und nichts davon bemerkt, dass einer seiner Gäste den Titel mitgesungen habe. Er habe keine Ahnung, wer in jener Nacht das Lied aus dem Intranet gezogen habe, es sei entweder O. oder W. gewesen. Er sei mehrmals kurz draußen gewesen, um Bier aus dem Keller zu holen oder auf die Toilette zu gehen. Zudem habe man sich gut unterhalten, vielleicht sei das Lied deshalb untergegangen und von ihm nicht bemerkt worden.
Der Zeuge OLt O. hat die Angaben des Soldaten zu Vorlauf sowie Alkoholisierungsgrad bestätigt und bekundet, nach dem Discothekenbesuch, in der Stube, habe der Soldat an seinem Rechner gesessen und für Musik gesorgt. Weder er noch ein Bekannter des Soldaten namens Robert seien am PC-Turm gewesen, dies könne er beschwören. Auf die Nachfrage, ob er sich nach so langer Zeit insoweit absolut sicher sei, erklärte der Zeuge:
‚Jedenfalls kann ich sagen: Meiner Erinnerung nach war nur B. am Turm.’
Auf weitere Nachfrage gab er an, man sei fast durchgängig gemeinsam in dem Raum gewesen, es könne höchstens sein, dass der Soldat mal kurz auf Toilette war oder in den Keller gelaufen sei, um Bier zu holen; längere Abwesenheiten habe es nicht gegeben. Das in Rede stehende Lied sei allerdings nicht gespielt worden, er habe nichts, gar nichts davon bemerkt. Auf den Vorhalt der Aussage des Zeugen OLt P. blieb der Zeuge O. bei seiner Schilderung, ihm sei insoweit nichts aufgefallen, er könne diesen Widerspruch nicht auflösen.
Der Zeuge W. hat erklärt, er sei seit rund drei Jahren mit dem Soldaten befreundet. Er habe diesen Anfang 2006 gefragt, ob dieser ihn für einige Tage aufnehmen könne, da er sich auf eine Lehrstelle als zahnmedizinischer Fachangestellter in M. beworben habe und zu einem Probearbeitstag eingeladen worden sei. In M. sei man an einem Abend nach Hofbräuhaus und Discos gut ‚gefüllt’ gewesen, sprich angetrunken. O. habe deutlich schlechter als er ausgesehen und sei schon sehr angetrunken, ja betrunken gewesen, während der Soldat ‚einen Tick mehr als angeheitert’ gewesen sei.
Nach Rückkehr nach N. seien sie zunächst in den Keller - um Bier zu holen - und dann auf die Stube des Soldaten gegangen. O., B. und er hätten sich dort unterhalten und Musik gehört. B. habe dazu den Fernseher und seinen Computer eingeschaltet. Später habe es wegen der Lautstärke an die Tür geklopft, und O. sei hingegangen, weil B. draußen gewesen sei, um ‚Kippen’ zu holen oder so. Irgendwann sei O. eingeschlafen und, da B. erneut draußen gewesen sei, sei ihm langweilig geworden, weshalb er, W., an den PC gegangen sei. Dort habe er Musik aus dem Intranet gezogen, und zwar die ‚Kreuzberger Nächte’ von den ‚Zillertalern’ runtergeladen. Die seien dann ein- oder zweimal, vielleicht auch dreimal durchgelaufen. Er glaube nicht, dass mitgesungen worden sei, vielleicht habe er mitgesungen, er mache so etwas manchmal, jedenfalls könne er dies nicht ausschließen. Genauer könne er dies nicht mehr sagen, das Ganze sei lange her und er sei zudem angetrunken gewesen. Sicher sei allerdings, dass B. da jeweils draußen gewesen sei. Auf Befragen erklärte der Zeuge wörtlich: ‚Zu dem Zeitpunkt, wo die drei Lieder runtergezogen wurden, war B. nicht im Zimmer! Auch beim Abspielen dieser Lieder war B. nicht im Zimmer. Wo er war, ob auf Toilette, Bier holen oder Kippen holen, weiß ich nicht mehr.’“

17 aa) Aufgrund dieser - beeidigten - Angaben des Zeugen W. hat die Truppendienstkammer den Soldaten vom Vorwurf im Anschuldigungspunkt 1a unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ freigestellt. Zwar sprächen einige Gesichtspunkte gegen die Richtigkeit der Aussagen des Zeugen W.. Aber auch der Zeuge O. sei „nicht die Glaubwürdigkeit in Person“. Letztlich sei ein plausibles Motiv für einen - massiv mit Kriminalstrafe bedrohten - Meineid, wie eine ganz besondere Nähebeziehung zum Soldaten, für die Truppendienstkammer hinsichtlich des Zeugen auch nicht ansatzweise erkennbar geworden, weshalb das Gericht, trotz verbleibender großer Zweifel, den Angaben des Zeugen W. gefolgt sei (UA S. 11).

18 Insoweit mangelt es - was auch die Wehrdisziplinaranwaltschaft mit ihrer Berufung eingehend rügt - an einer umfassenden, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Würdigung der Beweismittel durch die Truppendienstkammer. Obwohl sie zutreffend erkannt hatte, dass der Nachweis einer „Täterschaft“ des Soldaten - angeschuldigt ist im Anschuldigungspunkt 1a ausschließlich das Abspielen des Liedes - nicht durch den Zeugen P., der das Lied nur gehört hatte, sondern allein durch die Aussagen der in der Stube anwesend gewesenen Zeugen O. und W. in Verbindung mit der Einlassung des Soldaten geführt werden konnte, hat sich die Kammer mit den Einlassungen und Zeugenaussagen nur oberflächlich auseinandergesetzt. Das Ergebnis der Beweiswürdigung, den Angaben des Zeugen W. - „trotz verbleibender großer Zweifel“ hinsichtlich ihrer Richtigkeit - müsse letztlich deshalb gefolgt werden, da dieser vereidigt worden sei und kein Motiv für einen Meineid gehabt habe, ist insgesamt fehlerhaft zustande gekommen.

19 Eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 261 StPO) erfordert nicht nur die umfassende Ausschöpfung aller in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel, sondern bei der Bewertung von Zeugenaussagen auch eine Gesamtwürdigung aller für und gegen die Richtigkeit einer Aussage sprechenden Umstände (vgl. zu den für die Würdigung des Wahrheitsgehalts von Zeugenaussagen bedeutsamen Kriterien u.a. Urteil vom 19. Juli 2006 - BVerwG 2 WD 13.05 - <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 2 und NZWehrr 2007, 35>; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. 2007, S. 52 ff., 68 ff., 72 ff.). Dies gilt auch für den Fall, dass der Zeuge unter den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 WDO - hier mit Rücksicht auf die Bedeutung seiner Aussage - vereidigt worden ist. Denn ob der Eid tatsächlich in jedem Fall geeignet ist, den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu fördern, ist zweifelhaft; zumindest fehlen empirische Belege für diese Annahme (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 6. Aufl. 2008, Rn. 1133). Auch wenn der Eid des Zeugen ein „wertvolles Mittel zur Wahrheitserforschung“ darstellt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 7. Juni 1951 g.B. - 3 StR 299/51 - BGHSt 1, 360 <362>, Beschluss vom 9. Januar 1957 g.H. - 4 StR 523/56 - BGHSt 10, 65 <67> und Urteil vom 15. Februar 1957 g.M. u.a. - 1 StR 471/56 - BGHSt 10, 142 <143>), handelt es sich im Rahmen der Beweiswürdigung doch nur um ein - wenn auch nicht unwesentliches - Kriterium für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage bzw. der persönlichen Glaubwürdigkeit des Zeugen. Die Vereidigung eines Zeugen entbindet das Gericht deshalb nicht von der Verpflichtung, dessen Aussage inhaltlich auf ihre Glaubhaftigkeit zu überprüfen und nachvollziehbar zu würdigen. Der Richter braucht dem vereidigten Zeugen nicht zu glauben und ist umgekehrt nicht gehindert, der Aussage eines unvereidigt gebliebenen Zeugen Glauben zu schenken (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1957 a.a.O. <70>).

20 Es stellt deshalb einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung dar, wenn sich das Gericht bei der Bewertung einer Zeugenaussage im Ergebnis maßgeblich an den unzutreffenden Erfahrungssatz hält, einem vereidigten Zeugen sei grundsätzlich zu glauben, anstatt sich anhand aller Beweismittel einschließlich der Einlassungen des Soldaten selbst ein umfassendes Bild über den Wahrheitsgehalt der entscheidungserheblichen Äußerungen, insbesondere der Zeugen, zu machen. Ein solcher Fall ist hier - wie bereits dargelegt - gegeben. Gerade weil die Aussagen des Soldaten und der Zeugen O. und W. widersprüchlich sind und alle drei Personen ein Motiv haben könnten, die Unwahrheit zu sagen, hätte sich die Truppendienstkammer anhand der für die Aussagenanalyse maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu u.a. Urteil vom 19. Juli 2006 a.a.O.; Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 52 ff., 72 ff.), insbesondere auch näher mit der Persönlichkeit des Soldaten und der Zeugen sowie ihrer Motivation auseinandersetzen müssen, was unterblieben ist; hinsichtlich des Zeugen W. ist dies von der Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ausdrücklich gerügt worden. Erst nach Abschluss der Beweiswürdigung, wenn sich keine Überzeugung hat gewinnen lassen und weitere Beweismittel nicht mehr zur Verfügung stehen, können die verbliebenen Zweifel nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ unter Umständen zugunsten des Soldaten gewertet werden (vgl. dazu z.B. Urteil vom 3. Juli 2003 - BVerwG 1 WD 3.03 - Buchholz 235.01 § 91 WDO 2002 Nr. 1 m.w.N.).

21 bb) Im Anschuldigungspunkt 1b (Nachtragsanschuldigung) stützt die Truppendienstkammer hinsichtlich des zweiten Vorwurfs - vom ersten Vorwurf (Duldung der Abspeicherung des Liedes) war der Soldat ebenfalls freigestellt worden - ihren Schuldspruch auf die ihrer Meinung nach erwiesene Tatsache, dass der Soldat das wenigstens zweimal abgespielte Lied „Kreuzberger Nächte“ zumindest einmal gehört hat - was der Soldat substanziiert bestreitet -, ohne dagegen eingeschritten zu sein (UA S. 12 f.). Insoweit hat die Vorinstanz den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht im erforderlichen Umfang aufgeklärt.

22 Die Truppendienstkammer ist davon ausgegangen, der Soldat habe das Lied gehört, weil er sich in räumlicher Nähe zu seiner Stube entweder im Keller (bzw. auf dem Weg dorthin oder zurück) oder auf der Toilette seines Appartements befunden habe und auszuschließen sei, dass er innerhalb kurzer Zeit seine Stube zweimal zum Zigarettenholen verlassen habe. Auch wenn eine Verurteilung auf alternativer Grundlage im Disziplinarrecht grundsätzlich möglich ist (vgl. Urteil vom 21. Juli 1992 - BVerwG 1 D 27.91 - DokBer B 1993, 91), setzt dies voraus, dass die angeschuldigte Tat nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten nicht so eindeutig aufgeklärt werden kann, dass sich ein bestimmter Tatverlauf feststellen lässt, aber feststeht, dass der Soldat einen von mehreren möglichen Tatverläufen verwirklicht hat und andere, disziplinarisch irrelevante Handlungen ausgeschlossen sind (vgl. dazu Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 1 Rn. 19). Die in Betracht kommenden Tatalternativen (bei gleichartiger Wahlfeststellung) muss der Richter im Einzelnen feststellen (vgl. Fischer a.a.O. § 1 Rn. 25). Diesen Anforderungen ist die Kammer nicht gerecht geworden. Die im Urteil enthaltenen Ausführungen zu Alternativörtlichkeiten stellen lediglich Behauptungen dar. Weder ist versucht worden aufzuklären, wo sich der Soldat zum Anschuldigungszeitpunkt tatsächlich befand, noch, ob er von dort aus objektiv und subjektiv in der Lage war, den Liedtext - nicht nur die Melodie - zu hören und zu verstehen. Die nicht näher belegte Feststellung im Urteil, das vom Soldaten bewohnte Unterkunftsgebäude sei sehr hellhörig gewesen, reicht dafür nicht aus. Auch die Aussage des Zeugen P., er habe den Liedtext verstehen können und zum Teil mitgeschnitten, hat nur geringen Beweiswert. Soweit dieser den Liedtext in seiner Stube verstanden hatte, lässt dies keine Rückschlüsse auf andere Örtlichkeiten im Gebäude zu; soweit dieser das Lied vom Flur aus mit dem MP3-Player mitgeschnitten hat, bleibt offen, ob sich der Soldat tatsächlich an derselben Stelle oder zumindest in einer vergleichbaren Entfernung zu seinem Appartement befand. Eine Kopie des Mitschnitts, die über den Zeugen Nommensen in den Besitz des MAD gelangt sein soll, ist von der Kammer nicht beigezogen und ausgewertet worden.

23 Ferner ist nicht geklärt worden, ob es dem Soldaten, falls er den Liedtext - wie angeschuldigt - tatsächlich verstanden haben sollte, objektiv möglich war, das Abspielen der Musikdatei in seiner Stube durch den Zeugen W. (noch) zu verhindern. Wäre dem Soldaten dies nicht (mehr) möglich gewesen, weil zum Beispiel das Abspielen des Liedes beim Betreten der Stube bereits beendet war, so hätte kein pflichtwidriges Unterlassen des Einschreitens vorgelegen; der Soldat wäre vom Vorwurf freizustellen.

24 Außerdem ist die Truppendienstkammer in diesem Zusammenhang auch der Frage nicht nachgegangen, ob der Soldat, soweit er pflichtwidrig nicht eingeschritten ist, den Liedtext mit den von Nr. 311 ZDv 10/5 erfassten Inhalten in Verbindung gebracht hat oder zumindest hätte bringen müssen, ob er sich also eines vorsätzlichen oder nur fahrlässigen Fehlverhaltens schuldig gemacht hat. Zweifel an einem vorsätzlichen Verstoß gegen die Bestimmungen der Nr. 311 ZDv 10/5 könnten schon deshalb gegeben sein, weil die Aufnahmefähigkeit des Soldaten zur Tatzeit alkoholbedingt reduziert gewesen sein könnte und nicht geklärt worden ist, ob er hinsichtlich des Liedtextes über einen vergleichbaren Wissensstand verfügte wie der Zeuge P.. Dieser hat vor dem Truppendienstgericht ausgesagt, er habe das Lied vor allem deshalb dem Anwendungsbereich der Nr. 311 ZDv 10/5 zugeordnet, weil er während eines Lehrganges an der Offizierschule des Heeres seitens eines Vertreters des MAD das Lied als anschauliches Beispiel für rechtsradikale Musik kennengelernt habe. Schließlich ist die Kammer nach ihren Feststellungen ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass das Lied vom Intranet der Bundeswehr heruntergeladen worden war, ohne dann aber den Fragen nachzugehen, ob es sich insoweit überhaupt um einen „Ton- oder Datenträger“ im Sinne der Nr. 311 ZDv 10/5 oder ein von der Vorschrift erfasstes anderes Medium handelte. Ferner ist ungeklärt geblieben, ob sich die Lied-Datei in diesem Fall bereits im „Unterkunftsbereich bzw. im Bereich der militärischen Dienststelle“ befand, sodass ggf. ein „auch nur vorübergehendes Einbringen“ im Sinne der Nr. 311 ZDv 10/5 jedenfalls durch den Soldaten ausscheiden würde. Es wurde auch nicht ermittelt, ob die Möglichkeit bestand, die fragliche Lied-Datei aus dem Internet herunterzuladen und ob dies durch den Soldaten oder mit seiner Duldung geschehen ist, wovon die Wehrdisziplinaranwaltschaft ausgegangen ist. Auch in dieser Hinsicht besteht noch tatsächlicher und rechtlicher Klärungsbedarf.

25 b) Zu Anschuldigungspunkt 2 hat das Truppendienstgericht folgende Sachverhaltsfeststellungen getroffen und diese wie folgt gewürdigt (UA S. 13 bis 15):
„Auf der Festplatte des Laptops des Soldaten, den er in seine Unterkunftsstube eingebracht hatte, befand sich am 03. März 2006 die Musikdatei ‚German - Die Braune Kompanie (mp3provbr60).mp3’ von der CD ‚Das III. Reich, SA marschiert’ der Band ‚Reichsmusikkammer’. Der Titel ist gem. Bundesanzeiger Nr. 64 vom 30. März 1996 durch die BPjM indiziert worden, ein allgemeiner Beschlagnahmebeschluss ist seitens des Amtsgerichts B. 1995 erlassen worden. Der Text der zweiten Strophe lautet: ...
Der Soldat hat sich eingelassen, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass diese Musikdatei auf seinem Laptop abgespeichert gewesen sei. Er habe den Laptop an seinen Kameraden Sch. für vier bis fünf Monate ausgeliehen gehabt, weil dessen Rechner defekt gewesen sei und ihm selbst sein PC-Turm zur Verfügung gestanden habe. Sch. habe ein PC-Spiel installiert, zu dem dieser Titel als Hintergrundmusik gehöre. Sch. habe ihm den Laptop dann ca. im Dezember 2005 zurückgegeben, worauf er diesen gleich ‚eingemottet’ unter dem Bett verstaut und bis zur Durchsuchung nicht mehr in Betrieb genommen habe.
Diese Sachdarstellung des Soldaten ist durch die Aussage des glaubwürdigen Zeugen Leutnant Sch. und dem Auswertebericht des MAD widerlegt. Der Soldat hat sehr wohl von dem Vorhandensein der fraglichen Musikdatei auf seinem Laptop gewusst.
Der Zeuge Leutnant Sch. hat ruhig, besonnen, sehr glaubhaft ausgesagt und erklärt, der Soldat habe zwei schrottreife Geräte gehabt, die er - der Zeuge - für ihn zu einem funktionierenden Laptop zusammengesetzt und diesen ihm im Februar 2005 übergeben habe. Als dann sein eigener Rechner Mitte/Ende April 2005 kaputtgegangen sei, habe er sich vom Soldaten für die Dauer der Reparatur von etwa sieben Wochen, dessen Laptop wieder ausgeliehen. Die Rückgabe sei Anfang Juni 2005 erfolgt, da sei er sich sicher. Es sei allerdings richtig, dass er in dieser Phase das PC-Spiel ‚Hearts of Iron’ installiert habe und dazu aus dem Internet noch einige ‚Patches’ von der ‚Hersteller-Site’ heruntergeladen habe. Da ihn die Hintergrundmusik beim Spielen störe, schalte er diese aber immer aus, weshalb er auch nicht wisse, ob insoweit ‚braun Angehauchtes’ dabei gewesen sei.
Der Auswertebericht des MAD enthält folgenden Auszug aus dem Ordner ‚C:\Programme\Paradox Entertainment\ Hearts of Iron\music\’ des Laptops:
German - Unser Rommel (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 01/03/06 15:00:07
File Created 03/06/05 11:37:38
German - Badenweiler Marsch (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 13/12/05 11:41:01
File Created 03/06/05 11:38:11
German - Die Braune Kompanie (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 14/12/05 11:32:40
File Created 03/06/05 11:38:14
German - Erika (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 01/03/06 15:22:10
File Created 03/06/05 11:38:17
German - Koenigraetzer Marsch (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 01/03/06 15:16:05
File Created 03/06/05 11:38:23
German - Panzerlied (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 22/12/05 22:45:41
File Created 03/06/05 11:38:26’
Dieser Bericht bestätigt somit die Angaben des Zeugen Sch. insoweit, als die MP3-Dateien für die Hintergrundmusik des Spiels am 03. Juli (richtig: Juni) 2005 installiert worden sind (‚File created“). Darüber hinaus belegt diese Aufstellung aus dem Unterverzeichnis ‚\music\’ dass der Soldat entgegen seiner Darstellung, am 13., 14. und 22. Dezember 2005 sowie am 01. März 2006 entweder bei der Nutzung des Spieles oder separat via ‚Mediaplayer’ o.ä. diese MP3-Dateien aufgerufen hat.
Auf den Vorhalt des Auswerteberichts nach der Aussage des Zeugen Lt Sch. reagierte der Soldat ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wie folgt:
‚... Der Vorsitzende hielt dem Soldaten den Auswertebericht des MAD zum Laptop des Soldaten hinsichtlich der Zugriffsdateien auf ‚Die braune Kompanie’ und die Angaben des Zeugen zum Rückgabedatum vor. Ob er seine Einlassung korrigieren wolle?
Der Soldat stotternd: ‚Es kann doch sein, dass ich meinen Laptop, nachdem ich ihn von Sch. zurückbekommen hatte, noch mal benutzt habe, um die Diplomarbeit zu schreiben.
Dabei hatte ich aber keine Kenntnis von der darauf befindlichen indizierten Datei ‚Die braune Kompanie’. Der Vorsitzende ordnete die wortwörtliche Protokollierung der Antwort des Soldaten an. So geschehen, v.u.g.
Der Vorsitzende fasste nach: Haben Sie den Laptop aus der Einmottung hervorgeholt oder nicht, Sie hatten doch Ihren PC-Turm? Haben sie die MP3-Datei mit ‚Die braune Kompanie’ aufgerufen oder nicht? Der Soldat schwieg kurz, worauf der Verteidiger um eine Pause bat.
Die Hauptverhandlung wurde um 14:40 Uhr unterbrochen und um 14.50 Uhr in gleicher Besetzung fortgesetzt.
Der Verteidiger erklärte sodann für den Soldaten, dass keine Erklärung abgegeben wird. Er fragte den Soldaten, ob er - der Soldat - Kenntnis von ‚braunem’ Liedgut auf seinem Laptop gehabt habe. Der Soldat verneinte dies ...’
Der Soldat hat zwar im Hauptverhandlungstermin nicht behauptet, auch er habe, so wie Sch., die Hintergrundmusik stumm geschaltet, der Vollständigkeit halber ist jedoch anzumerken, dass bei der Wahl dieser Option des Spielprogramms die Musikdateien gar nicht aufgerufen worden wären.“

26 Auch hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 fehlt es an einer ausreichenden Sachaufklärung und einer umfassenden, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Beweiswürdigung durch die Truppendienstkammer.

27 Zunächst ist nicht ausdrücklich festgestellt worden, ob der Liedtext, insbesondere die zweite Strophe (vgl. Anschuldigungsschrift vom 30. Juli 2007, S. 7), überhaupt auf dem Notebook gespeichert war oder nur ein Instrumentaltitel (ohne Text). Der Zeuge Sch., dem das Truppendienstgericht hinsichtlich seiner sonstigen Aussagen gefolgt ist, hat in der Hauptverhandlung u.a. ausgesagt:
„Ich habe mal ein Spiel mit Hintergrundmusik aufgespielt, und das war ‚Hearts of Iron’. Das Spiel ist ganz normal im Handel erhältlich. Die zugehörige Musik bestand aus rein instrumentalen Marschliedern. Zu dem Spiel habe ich Patches installiert von der Herstellerseite. Das Spielen von ‚Hearts of Iron’ ist auch ohne Hintergrundmusik möglich. Ich schalte die Hintergrundmusik immer aus, weil sie mich beim Spielen am Computer stört. Deshalb weiß ich auch nicht, ob da was ‚Braunes’ dabei war oder nicht.“

28 Diese Aussage ist im Urteil teilweise zitiert, allerdings ohne den Hinweis des Zeugen auf die Instrumentalversion. Handelte es sich in Wahrheit um eine solche, hätte der Soldat keine Kenntnis vom Text des Musikstückes nehmen können. Das Truppendienstgericht ist dem nicht weiter nachgegangen. Gegebenenfalls hätte ein Vertreter des MAD in der Hauptverhandlung dazu gehört werden müssen.

29 Unterstellt man, der Liedtext wäre gespeichert gewesen, könnte zwar nach der Auswertung des Notebooks durch den MAD davon ausgegangen werden, dass der letzte Zugriff auf die Musikdatei am 14. Dezember 2005 um 11:32:40 Uhr erfolgt war (Abspielzeitpunkt). Damit wäre aber noch nicht erwiesen, dass der Soldat auch Kenntnis vom Liedtext nahm und vorsätzlich handelte. Die zeitlich späteren Zugriffe auf den Computer, bei denen die hier in Rede stehende Datei nachweislich nicht aufgerufen wurde, belegen ebenfalls nur, dass der Soldat das Notebook bediente, aber gerade nicht, dass er dabei den Inhalt der Datei „Die braune Kompanie“ zur Kenntnis nahm. Die Kammer hat, trotz vorliegender Anhaltspunkte, weder aufgeklärt, ob das Spiel „Hearts of Iron“ stets automatisch auf die Tondateien im Unterordner „music“ zugreift - dies wird im Urteil lediglich behauptet -, oder ob dies manueller Einstellung bedarf, noch ob das Notebook beim Abspielen über eingeschaltete und ausreichend laut eingestellte Lautsprecher verfügte und ob die Abspieldauer des Liedes ausreichte, um vom Text der zweiten Liedstrophe - sofern er überhaupt in der Datei gespeichert war - Kenntnis nehmen zu können. Eine Begründung dafür, warum die Kammer davon ausgegangen ist, dass der Soldat die Datei auch über den Mediaplayer abgespielt haben könnte, fehlt ebenfalls und verbleibt daher im spekulativen Bereich. Ein Schuldspruch im Anschuldigungspunkt 2 setzt voraus, dass zuvor der Sachverhalt auch in technischer Hinsicht - einschließlich der Benutzungsmöglichkeiten des Notebooks - vollständig aufgeklärt worden ist. Auch daran mangelt es hier.

30 3. Diese schwerwiegenden Mängel der Beweiswürdigung und damit der Sachverhaltsaufklärung führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Nord.

31 Zwar steht die Entscheidung darüber, ob der Senat bei Vorliegen eines Aufklärungsmangels oder eines schweren Verfahrensmangels ungeachtet dessen in der Sache selbst entscheidet oder ob er das Urteil der Truppendienstkammer aufhebt und die Sache an eine andere Kammer desselben Truppendienstgerichts oder eines anderen Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweist, nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO in seinem gerichtlichen Ermessen. Bei der pflichtgemäßen Ausübung dieses Ermessens kommt jedoch dem Normzweck regelmäßig eine entscheidende Bedeutung zu.

32 Wurde eine Sachverhaltsaufklärung erstinstanzlich gar nicht erst begonnen (vgl. dazu Beschlüsse vom 28. April 1993 - BVerwG 2 WD 68.91 - und vom 16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 -) oder war sie weitgehend unzulänglich (vgl. dazu u.a. Beschlüsse vom 14. September 1988 - BVerwG 2 WD 17.88 -, vom 15. April 1992 - BVerwG 2 WD 13.92 - und vom 25. März 1997 - BVerwG 2 WD 4.97 -), ist in der Regel wegen Vorliegens eines schweren Mangels des Verfahrens eine Zurückverweisung durch das Berufungsgericht geboten (vgl. auch Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 -). Es ist nach den Regelungen der Wehrdisziplinarordnung nicht Aufgabe des Rechtsmittelgerichts, anstelle der dazu berufenen Truppendienstkammer notwendige gerichtliche Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt erstmals zu treffen. Sowohl der angeschuldigte Soldat wie auch die Wehrdisziplinaranwaltschaft haben zudem Anspruch darauf, dass bereits im ersten Rechtszug nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften alle erforderlichen Maßnahmen zur hinreichenden Aufklärung der Sach- und Rechtslage ordnungsgemäß getroffen werden und die erhobenen Beweise nachvollziehbar gewürdigt werden und dass das Ergebnis der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen niedergelegt wird. Denn nur bei einer auf dieser Grundlage ergehenden, die Instanz abschließenden Entscheidung der Truppendienstkammer werden der Soldat und die Wehrdisziplinaranwaltschaft in die Lage versetzt, verantwortlich darüber zu befinden, ob Berufung eingelegt werden soll oder nicht.

33 Angesichts dessen macht der Senat von seinem Ermessen gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO Gebrauch und verweist die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Nord zurück. Das Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) steht einer Zurückverweisung schon deshalb nicht entgegen, weil diese zur Sicherstellung des Anspruchs auf ein faires rechtsstaatliches Disziplinarverfahren (speziell zum gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahren BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni 2000 - 2 BvR 993/94 - ZBR 2001, 208) unvermeidbar ist; immerhin verfolgt die Wehrdisziplinaranwaltschaft mit ihrer Berufung das Ziel einer Degradierung des Soldaten. Zudem hat dieser im Rahmen der gemäß § 120 Abs. 2 WDO erfolgten Anhörung einer Zurückverweisung zugestimmt; der Bundeswehrdisziplinaranwalt ist einer solchen Verfahrensweise ausdrücklich „nicht entgegengetreten“.

34 Aus gegebenem Anlass weist der Senat darauf hin, dass es für eine ordnungsgemäße Begründung nicht ausreicht, wenn im Urteil einzelne Dienstpflichten bezeichnet werden. Vielmehr bedarf es einer näheren Darlegung der konkreten Erfüllung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen anhand der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Auch der subjektive Dienstvergehenstatbestand - insbesondere Vorsatz oder Fahrlässigkeit, je nach Anschuldigungsvorwurf (vgl. dazu Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 -) - ist näher dazulegen.

35 Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der endgültigen Entscheidung in dieser Sache vorbehalten (§ 141 Abs. 1 und 2 WDO).