Beschluss vom 02.11.2015 -
BVerwG 8 B 70.14ECLI:DE:BVerwG:2015:021115B8B70.14.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.11.2015 - 8 B 70.14 - [ECLI:DE:BVerwG:2015:021115B8B70.14.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 70.14

  • VG Dresden - 04.06.2014 - AZ: VG 6 K 368/12

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. November 2015
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 4. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Kläger sind Erben des vormaligen Inhabers der Maschinenfabrik H. in D. Das Unternehmen war aufgrund des Befehls Nr. 124 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militär-Administration in Deutschland (SMAD) zunächst beschlagnahmt und auf der Liste "C" geführt worden. Im Jahre 1947 wurde das unter russischer Zwangsverwaltung stehende Unternehmen durch SMAS-Befehl Nr. 86 vom 31. März 1947 in eine Liste "B" aufgenommen. In dem Befehl wurde angeordnet, dass die in der Liste aufgeführten Unternehmen der Landesregierung Sachsen zur Rückgabe an die Inhaber zu übergeben sind. Ferner wurde in dem Befehl festgelegt, dass die Landesregierung Sachsen das Recht hat, nach dem üblichen Verfahren einen Antrag auf Enteignung dieser Unternehmen zugunsten des Volkes anzustrengen, falls Beweise vorliegen, nach denen der Unternehmensinhaber ein Kriegsverbrecher ist.

2 Der Antrag der Kläger auf Rückübertragung des Unternehmens wurde mit Bescheid vom 19. April 1993 bestandskräftig abgelehnt. Ihren weiteren Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen neuer Beweismittel (u.a. Verzeichnis der Unternehmen, die in der dem Befehl Nr. 86 beigefügten Liste "B" aufgeführt waren) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Februar 2012 ab. Das Verwaltungsgericht Dresden hat die auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Feststellung der Berechtigteneigenschaft der Kläger gerichtete Klage mit dem angefochtenen Urteil als unbegründet abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen.

3 Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

4 1. Das Verwaltungsgericht hat das angegriffene Urteil auf die Annahme gestützt, die Enteignung der Maschinenfabrik H. in D. trage besatzungshoheitlichen Charakter, weil sie nicht entgegen einem sowjetischen Enteignungsverbot erfolgt sei. Die gegen diese Erwägung gerichteten Zulassungsrügen bleiben ohne Erfolg.

5 a) Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO),
"ob durch die zwischenzeitliche Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BVerwG zu sog. 'sowjetischen Enteignungsverboten' insbesondere bei Fällen der Nennung später enteigneter Unternehmen auf zuvor durch sowjetische Befehle bestätigten Listen B (Rückgabe) nach dem vom Verwaltungsgericht insbesondere seiner Entscheidung zugrunde gelegten älteren Urteil des BVerwG vom 28.09.1999 - BVerwG 7 C 44.98 - (das im Übrigen auf mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbaren Feststellungen der dortigen Ausgangsinstanz zum Gegenstand dieses Befehls respektive seiner Beziehung zur anhängenden Liste B beruhte) nicht nunmehr Anlass besteht, davon auszugehen, dass ein auf einer durch SMAS-Befehl Nr. 86 betätigten Liste B geführtes Unternehmen solange als nicht besatzungshoheitlich enteignet wegen Verstoß gegen ein sowjetisches Enteignungsverbot anzusehen ist, als nicht der Beweis geführt wird, dass die sowjetische Seite durch einen späteren sowjetischen actus contrarius die in dieser B-Listen-Aufführung zunächst enthaltene sowjetische Willensbekundung später wieder widerrufen hat, das fragliche Unternehmen sollte zurückgegeben werden?"
rechtfertigt mangels Klärungsbedarf nicht die Zulassung der Revision. In dem von der Beschwerde selbst angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 1999 (- 7 C 44.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 7) wird ausgeführt, dass dem SMAS-Befehl Nr. 86 kein ausdrückliches und eindeutiges Verbot der Enteignung bestimmter Unternehmen der Liste "C" entnommen werden kann. In der Entscheidung wird darauf verwiesen, dass der Befehl Nr. 86 in seiner dort einschlägigen Nr. 3 eine Überprüfung der im Zuge des Volksentscheids in die Liste "C" aufgenommenen Unternehmen angeordnet hat mit der Maßgabe, die sequestrierten Unternehmen der politisch zweifellos unbelasteten Betriebsinhaber zurückzugeben und bei den Unternehmen, deren Inhaber nachgewiesenermaßen in die Kategorie der Kriegsverbrecher fielen, die Enteignung "in der üblichen Form" einzuleiten. Die Besatzungsmacht habe sich hierbei keine nachträgliche Kontrolle vorbehalten und somit die deutschen Stellen ermächtigt, in eigener Zuständigkeit und aufgrund eigenständiger Beurteilung über die politische Belastung und infolgedessen über die Freigabe oder die Einleitung der Enteignung der betroffenen Betriebe zu befinden. Eine Missachtung oder fehlerhafte Anwendung der Anordnung habe darum allenfalls einen Enteignungsexzess begründen können, der angesichts der fortbestehenden Oberhoheit der Besatzungsmacht die besatzungshoheitliche Grundlage der Enteignung nicht habe entfallen lassen.

6 Weder legt die Beschwerde hinreichend dar noch ist sonst ersichtlich, dass diese Rechtsprechung mit Blick auf die hier vorliegende Fallkonstellation oder neue Erkenntnisse einer Fortentwicklung oder Änderung bedarf. Zwar sind die Sachverhalte nicht identisch. Die Maschinenfabrik H. war im Unterschied zu dem Fall, der dem Urteil von 1999 zugrunde lag, nicht nur in der Liste "C" aufgeführt, sondern auch in der dem Befehl Nr. 86 als Beilage Nr. 2 angefügten Liste "B". Daher war hier auch nicht die Nr. 3 des Befehls Nr. 86 einschlägig, sondern die Anordnung Nr. 2. Nach dieser Anordnung waren die in der Liste "B" aufgeführten 178 Unternehmen der Landesregierung Sachsen zu übergeben, "damit die Regierung diese Betriebe den Inhabern entsprechend dem ursprünglichen Beschluß der Kommission der Blockparteien zurückerstattet." Allerdings sieht auch die Nr. 2 des Befehls Nr. 86 eine Überprüfung der Kriegsverbrechereigenschaft der Unternehmensinhaber vor. Die Landesregierung Sachsen hatte das Recht, "nach dem üblichen Verfahren einen Antrag auf Enteignung solcher Unternehmen zu Gunsten des Volkes anzustrengen", "falls nach dem Volksentscheid vom 30.11.46 Unterlagen erhalten wären mit Beweisen darüber, daß der Inhaber des Unternehmens ein Kriegsverbrecher ist". Auch insoweit hat sich die Besatzungsmacht keine nachträgliche Kontrolle vorbehalten und damit die Entscheidung über die Rückgabe in gleicher Weise aus der Hand gegeben wie bei der Anordnung Nr. 3. Dass der SMAS-Befehl Nr. 86 von der Landesregierung Sachsen auch tatsächlich entsprechend umgesetzt wurde, macht die von der Beschwerde nicht angegriffene Feststellung des Verwaltungsgerichts deutlich, wonach von den durch diesen Befehl "freigegebenen" 28 Betrieben aus dem Stadtgebiet D. tatsächlich 17 über die durch SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigte Liste A enteignet wurden.

7 Die Beschwerde macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe im Urteil vom 28. September 1999 - 7 C 44.98 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 7) angenommen, dass die Besatzungsmacht jedenfalls für solche Unternehmen ein Enteignungsverbot ausgesprochen habe, die auf einer von ihr ausdrücklich bestätigten Liste "B" aufgeführt gewesen seien. Eine solche Bestätigung der Besatzungsmacht liege hier vor, weil die Liste "B", die unter anderem die Maschinenfabrik H. in D. bezeichnet habe, Gegenstand des SMAS-Befehls Nr. 86 gewesen sei. Diese Rüge kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Die Beschwerde legt schon nicht hinreichend dar, unter welchen Aspekten die von ihr genannte Rechtsprechung zur Frage eines sowjetischen Enteignungsverbots hinsichtlich von Unternehmen, die auf einer von der Besatzungsmacht bestätigten Liste "B" aufgeführt sind, einer Fortentwicklung bedarf. Abgesehen davon übersieht die Beschwerde, dass sich die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 28. September 1999 nicht auf die dem SMAS-Befehl Nr. 86 vom 31. März 1947 beigefügte Liste "B" bezieht, sondern auf eine von der Landesregierung Sachsen am 2. März 1948 - und damit im Anschluss an den Befehl Nr. 86 mit seinem Prüfauftrag an die Landesregierung - beschlossene (und im konkreten Fall von der Besatzungsmacht nicht bestätigte) Rückgabeliste "B". Demgegenüber steht die Rückgabe der Unternehmen, die in der dem SMAS-Befehl Nr. 86 beigefügten Liste "B" genannt sind, noch unter dem Vorbehalt der eigenverantwortlichen Prüfung der Kriegsverbrechereigenschaft der Inhaber durch die sächsische Landesregierung.

8 Soweit die Beschwerde darauf verweist, die Landesregierung Sachsen habe die Enteignung nicht auf den Vorwurf gestützt, der Inhaber der Maschinenfabrik H. habe Kriegsverbrechen begangen, fehlt es bereits an einer entsprechenden Feststellung des Verwaltungsgerichts. Im Übrigen würde nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Missachtung oder fehlerhafte Anwendung der Anordnungen Nr. 2 und 3 des Befehls Nr. 86 nichts am besatzungshoheitlichen Charakter der Enteignung ändern.

9 Dass der vorliegende Fall Anlass für eine Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Frage der Besatzungshoheitlichkeit von Enteignungen ohne vorausgehendes Enteignungsverbot der Besatzungsmacht geben könnte, macht die Beschwerde nicht geltend. Sie weist im Gegenteil selbst zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Fällen einer "gewöhnlichen Enteignung" in der Besatzungszeit ohne vorheriges sowjetisches Enteignungsverbot in der Regel von einem besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang auszugehen ist, und zwar selbst dann, wenn das Unternehmen - anders als hier - nicht in einer Liste "A" aufgeführt war.

10 b) Die Beschwerde rügt ferner, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), soweit es einen Verstoß gegen ein sowjetisches Enteignungsverbot bei einer Enteignung von auf der Liste "B" des SMAS-Befehls Nr. 86 aufgeführten Unternehmen auch für die Fälle verneine, in denen entgegen der Anordnung Nr. 2 des Befehls Nr. 86 eine Kriegsverbrechereigenschaft des Inhabers nicht habe bewiesen werden können und auch kein erneuter Enteignungsantrag gestellt worden sei. Diese Rüge muss erfolglos bleiben. Sie geht von einem Sachverhalt aus, den das Verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht auch keinen Rechtssatz mit genau diesem Inhalt aufgestellt. Unabhängig davon stünde eine Aussage des Verwaltungsgerichts, dass eine Missachtung der Anordnung des Befehls Nr. 86 durch die sächsische Landesregierung den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang nicht entfallen lässt, in Einklang mit dem Urteil vom 28. September 1999 - 7 C 44.98 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 7). Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Der Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. März 2007 - 8 C 28.05 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 36) geht fehl. Der von der Beschwerde bezeichnete Rechtssatz in dieser Entscheidung, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll, betrifft den Fall einer Enteignung nach vorausgegangenem sowjetischen Enteignungsverbot. Ein solches Verbot hat das Verwaltungsgericht mit der von der Beschwerde angegriffenen Erwägung aber gerade verneint.

11 c) Auch die Gehörsrüge (Art. 103 Abs. 1 GG, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) vermag nicht durchzugreifen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht nicht, in den Entscheidungsgründen auf sämtliches Vorbringen der Beteiligten einzugehen. Er ist nur dann verletzt, wenn der wesentliche Kern des Vorbringens eines Beteiligten, der nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist, in den Gründen der Entscheidung nicht behandelt wird (BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2015 - 8 B 67.14 - juris Rn. 16 m.w.N.). Dafür kann der Beschwerdebegründung nichts entnommen werden. Die von der Beschwerde genannten Ausführungen auf Seite 6 des Schriftsatzes des Herrn Ha. (GA Bl. 130 und 220) betreffen nicht unmittelbar den SMAS-Befehl Nr. 86. Es wird auch nicht aufgezeigt, dass und weshalb diese Ausführungen dem Verwaltungsgericht hätten Anlass geben können, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehende Eigenverantwortlichkeit der von der sächsischen Landesregierung vorzunehmenden Prüfung der Kriegsverbrechereigenschaft von Unternehmensinhabern nach den Anordnungen des Befehls Nr. 86 in Frage zu stellen. Das Verwaltungsgericht musste sich auch nicht mit den Ausführungen des Herrn Ha. zu einer fehlenden sowjetischen Bestätigung der Enteignungsliste "A" auseinander setzen, weil es hierauf nach seiner maßgeblichen Rechtsauffassung nicht ankam.

12 2. Das weitere auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz bezogene umfangreiche Vorbringen der Beschwerde ist nicht entscheidungserheblich. Es bezieht sich auf die Hilfserwägung des Verwaltungsgerichts, die Besatzungshoheitlichkeit der Enteignung sei selbst in dem unterstellten Fall gegeben, dass in der Aufnahme der Maschinenfabrik H. in die dem SMAS-Befehl Nr. 86 beigefügte Liste "B" ein sowjetisches Enteignungsverbot zu sehen sei. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere Erwägungen gestützt, die den Entscheidungsausspruch jeweils selbständig tragen, ist die Revision nur zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder einzelnen Erwägung ein Zulassungsgrund vorliegt (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 2014 - 8 B 88.13 - juris Rn. 6). Das ist nicht der Fall. Wie ausgeführt, fehlt es hinsichtlich der selbständig tragenden Annahme eines fehlenden sowjetischen Enteignungsverbots an einem Zulassungsgrund.

13 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.