Beschluss vom 04.06.2009 -
BVerwG 2 WD 7.09ECLI:DE:BVerwG:2009:040609B2WD7.09.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.06.2009 - 2 WD 7.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:040609B2WD7.09.0]

Beschluss

BVerwG 2 WD 7.09

  • Truppendienstgericht Süd 5. Kammer - 09.12.2008 - AZ: TDG S 5 VL 31/08

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 4. Juni 2009 beschlossen:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 9. Dezember 2008 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens und die Erstattung der dem Soldaten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der heute 25 Jahre alte Soldat trat am 3. Januar 2005 in die Bundeswehr ein und wurde mit Wirkung vom 3. Mai 2005 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde stufenweise zuletzt auf zwölf Jahre, das Dienstzeitende auf den 2. Januar 2017 festgesetzt. Mit Wirkung vom 23. Juni 2006 wurde er zum Feldwebel befördert. Seit 2006 ist er als Elektromechanikerfeldwebel im ...bataillon ..., seit dem 1. Januar 2007 in deren ... Kompanie eingesetzt.

II

2 In dem mit Verfügung des Befehlshabers des Wehrbereichskommandos ... vom 11. Juli 2008 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten mit der ihm am 11. November 2008 zugestellten Anschuldigungsschrift vom 17. Oktober 2008 folgenden Sachverhalt zur Last gelegt und vorgeworfen, dadurch die Dienstpflichten nach § 23 Abs. 1 i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 2 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG schuldhaft verletzt zu haben:
„Der Soldat beschädigte am 19.01.2007 gegen 20:30 Uhr in W. auf der ... Straße mit seinem Pkw ... beim Zurücksetzen an den Fahrbahnrand den dort geparkten Pkw ..., W..., am rechten Außenspiegel und am hinteren rechten Kotflügel. Der Soldat verließ nach dem Unfall, den er bemerkt hatte oder hätte bemerken müssen, ohne zu warten oder die Polizei zu verständigen, den Unfallort.“

3 Mit Urteil vom 9. Dezember 2008 hat die 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd gegen den Soldaten wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 15 Monaten verhängt. Gegen das ihm am 15. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat der Soldat am 22. Dezember 2008 Berufung eingelegt und beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils gegen ihn ein Beförderungsverbot von höchstens 8 Monaten zu verhängen.

4 Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, die Truppendienstkammer habe die vorliegenden Beweise fehlerhaft gewürdigt. Zu Unrecht habe sie seine, des Soldaten, Einlassung, er habe den Unfall nicht bemerkt, als Schutzbehauptung gewertet. Er habe zwar einen Anstoß am Spiegel bemerkt. Bei einer unmittelbar nachfolgenden Untersuchung habe er jedoch am Spiegel des anderen Fahrzeuges entweder überhaupt keinen Schaden oder aber nur einen belanglosen Schaden feststellen können. Ein belangloser Schaden schließe bereits den Tatbestand des § 142 StGB aus. Weitere Schäden seien von ihm nicht festgestellt worden und seien von ihm auch nicht zu erwarten gewesen, da er Kollisionsgeräusche schon aufgrund des vorbeifahrenden Sondereinsatzfahrzeuges nicht habe wahrnehmen können. Ihm könne deshalb nur zum Vorwurf gemacht werden, dass er es fahrlässig unterlassen habe, das fremde Fahrzeug umfassend zu untersuchen bzw. die Unfallstelle auszuleuchten und nach etwaigen Schäden zu suchen. Dies habe das Amtsgericht W. dazu veranlasst, entgegen seiner sonstigen Übung bei vergleichbaren Fällen das Strafverfahren einzustellen. Angesichts dessen sei die verhängte gerichtliche Disziplinarmaßnahme deutlich übersetzt, zumal er, der Soldat, bereits vor der Verurteilung wegen des laufenden Verfahrens einem Beförderungsstopp unterlegen habe. Seine Beförderung zum Oberfeldwebel habe etwa seit März 2008 angestanden.

5 Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat in seinem Vorlageschreiben vom 10. März 2009 geltend gemacht, das angefochtene Urteil beruhe auf Verfahrensmängeln im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO. Er hat angeregt, das Urteil deshalb aufzuheben und die Sache an eine andere Truppendienstkammer zurückzuverweisen.

III

6 Das vom Soldaten eingelegte, nach § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO zulässige Rechtsmittel der unbeschränkten Berufung hat insoweit Erfolg, als das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird, weil ein schwerer Mangel des Verfahrens vorliegt und weitere Aufklärungen erforderlich sind (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO). Die Entscheidung ergeht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 WDO).

7 Weitere Aufklärungen sind im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO erforderlich, wenn es in dem angefochtenen Urteil des Truppendienstgerichts ganz oder teilweise an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn volle Berufung eingelegt worden ist und der Wehrdienstsenat damit an sich die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen seinerseits noch treffen könnte (vgl. dazu Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - juris Rn. 15 <zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen> und vom 2. April 2009 - BVerwG 2 WD 11.08 - juris Rn. 9; Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 120 Rn. 5 m.w.N.). Ein schwerer Mangel des Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Ein schwerwiegender Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt. Als schwerwiegender Mangel des Verfahrens im dargelegten Sinne ist in der Rechtsprechung unter anderem das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage anerkannt (vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. Februar 1966 - BDH 3 D 53/65 - BDHE 7, 37, vom 11. Mai 1978 - BVerwG 2 WD 36.78 - BVerwGE 63, 72 <74> = NZWehrr 1979, 32, vom 7. November 2007 - BVerwG 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12 <19> = Buchholz 450.2 § 120 WDO 2002 Nr. 2, vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - a.a.O. und vom 2. April 2009 - BVerwG 2 WD 11.08 - a.a.O.; Dau, a.a.O. § 121 Rn. 5 i.V.m. § 120 Rn. 7).

8 Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen (§ 106 Abs. 1 WDO) und nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften feststellen sowie diesen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen darlegen. Nach der im Wehrdisziplinarrecht gem. § 91 Abs. 1 WDO entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 261 StPO setzt die freie, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung des Tatrichters in subjektiver Hinsicht die für die Überführung des Angeschuldigten erforderliche volle persönliche Gewissheit des Tatrichters voraus. Dies schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufes nicht aus; denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden tatsächlichen Umstände ist der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Nach der gesetzlichen Regelung ist es allein Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln und nur nach seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche (volle) persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gestützte Zweifel nicht mehr aufkommen lässt (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117, 371 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214 und vom 3. Juli 2003 - BVerwG 1 WD 3.03 - Buchholz 235.01 § 91 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 166; BGH, Urteil vom 8. Januar 1988 - 2 StR 551/87 - NStZ 1988, 236 <237>; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 261 Rn. 2 m.w.N.).

9 Die subjektive Überzeugung des Tatsachengerichts/Tatrichters muss in objektiver Hinsicht auf einer objektiv tragfähigen Tatsachenbasis beruhen. Der Beweis muss mit lückenlosen und nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Das erfordert, dass die Beweiswürdigung auf eine verstandesmäßig einsichtige Tatsachengrundlage gestützt ist und alle in Betracht kommenden und zur Verfügung stehenden zulässigen Beweismittel ausschöpft. § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 261 StPO verpflichtet den Tatrichter dazu, alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu würdigen und dem Urteil zugrunde zu legen, sofern nicht im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zugunsten oder zuungunsten des Angeschuldigten zu beeinflussen. Steht Aussage gegen Aussage und hängt die Entscheidung allein davon ab, welchen Angaben das Gericht folgt, sind besonders strenge Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 261 Rn. 11a m.w.N.). In einem solchen Fall müssen, damit es nicht zu einer Verurteilung aufgrund einer subjektiven Fehlbeurteilung der Zeugenaussagen und sonstigen Beweismittel kommt, alle Umstände, denen eine indizielle Bedeutung für die Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten zukommen kann, in die Beweiswürdigung eingestellt und in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. dazu u.a. BGH, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92 - StV 1994, 526 m.w.N. und Beschluss vom 6. März 2002 - 5 StR 501/01 - NStZ-RR 2002, 174 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O.). Nur dann wird die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) widerlegt, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren Anwendung findet (vgl. für das Beamtendisziplinarrecht Urteil vom 24. November 1999 - BVerwG 1 D 68.98 - BVerwGE 111, 43, 44 f.; für das Wehrdisziplinarrecht vgl. u.a. Urteil vom 3. Juli 2003 - BVerwG 1 WD 3.03 - a.a.O. und Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - juris Rn. 17) und den Angeschuldigten vor Nachteilen schützt, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches und prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. März 1987 - 2 BvR 589/79 u.a. - BVerfGE 74, 358 <371> und vom 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88 - BVerfGE 82, 106 <114 f.>).

10 Außerdem müssen - in formeller Hinsicht - in der Begründung des Urteils die für erwiesen erachteten äußeren und inneren Tatsachen als das Ergebnis der Beweiswürdigung nachvollziehbar dargelegt werden (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO). Die Einlassung des Angeschuldigten muss mitgeteilt und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eingehend gewürdigt werden. Die bloße Wiedergabe der Aussagen des Angeschuldigten und der Zeugen genügt dabei nicht. Eine bestreitende Einlassung des Angeschuldigten und ihre Widerlegung bestimmen Umfang und Inhalt der Darlegung im Urteil (vgl. dazu u.a. Meyer-Goßner, a.a.O. § 267 Rn. 12 m.w.N.). Um die Beweiswürdigung nachvollziehbar zu machen, muss dargelegt werden, in welchem Umfang und aus welchem Grund nach der Überzeugung des Gerichts die Aussage des Zeugen und nicht die Einlassung der Angeschuldigten glaubhaft ist und warum das Gericht die Glaubwürdigkeit des Zeugen bejaht, diejenige des Angeschuldigten aber verneint. Hat der Angeschuldigte mit Tatsachen belegte, nicht eindeutig unerhebliche Bedenken gegen einen Beweis oder den Wert eines Beweismittels vorgebracht, so muss sich das Gericht auch damit auseinandersetzen. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist der Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen dabei anhand bzw. unter Berücksichtigung der für die Aussagenanalyse maßgeblichen Kriterien zu ermitteln (vgl. dazu u.a. Urteile vom 19. Juli 2006 - BVerwG 2 WD 13.05 - <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 2 und NZWehrr 2007, 35>, mit Anmerkung in jurisPR-BVerwG 2/2007 und vom 2. April 2009 - BVerwG 2 WD 11.08 - juris Rn. 19 f. m.w.N.; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. 2007, S. 52 ff., 68 ff., 72 ff.).

11 Erfüllt ein Urteil nach seinen Entscheidungsgründen diese Anforderungen nicht, liegt ein Aufklärungsmangel und zugleich ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens vor (vgl. dazu u.a. Urteil vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 34.02 - BVerwGE 118, 262 = Buchholz 235.01 § 108 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2004, 36 und Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - juris Rn. 20 und vom 2. April 2009 - BVerwG 2 WD 11.08 - juris Rn. 14).

12 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zu Recht hat der Bundeswehrdisziplinaranwalt in seinem Vorlageschreiben gerügt, dass sich der Urteilsbegründung nicht entnehmen lässt, wie die Truppendienstkammer zu ihren tatsächlichen Feststellungen gelangt ist. Die zur Urteilsfindung herangezogenen Beweismittel sind im Urteil nicht ausdrücklich aufgeführt und können allenfalls teilweise aus einzelnen Formulierungen der Urteilsbegründung erschlossen werden. Es ist damit auch nicht erkennbar, ob die Truppendienstkammer die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und erreichbaren Beweismittel erstreckt hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

13 Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Würdigung der Einlassungen des Soldaten in der Hauptverhandlung mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten erfolgt ist. Im Teil III des Urteils wird zunächst eine von dem Unfallzeugen A. gegenüber der Polizeiinspektion ... in W. abgegebene schriftliche Zeugenaussage vom 19. Januar 2007 (BA III Bl. 5 f) referiert, ohne dass erkennbar ist, aus welchem Grund die Truppendienstkammer trotz der den Tatvorwurf im Kern bestreitenden Einlassung des Soldaten diesen Zeugen nicht in der Hauptverhandlung vernommen hat, um seine Wahrnehmungen vom Unfallgeschehen zu ermitteln, auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und sich ein hinreichendes Bild von der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu machen. Dazu bestand Veranlassung, weil dieser Zeuge den Unfallhergang offenbar aus unmittelbarer Nähe beobachtet hatte und möglicherweise weitere Angaben dazu und zum Verhalten des Soldaten als Fahrer des Pkws hätte machen können. Anschließend wird in Teil III des angefochtenen Urteils die Einlassung des Soldaten in der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung referiert, ohne dass eine hinreichende Auseinandersetzung damit erfolgt. Ausweislich der Niederschrift vom 9. Dezember 2008 sind in der Hauptverhandlung u.a. der „Strafbefehlsantrag“ (offenbar gemeint: der Strafbefehl) des Amtsgerichts W. (BA III, 45 ff.), das Protokoll der Hauptverhandlung im sachgleichen Strafverfahren und das Schadensgutachten vom 25. Januar 2007 „auszugsweise“ verlesen (Seite 4 des Protokolls vom 9. Dezember 2008) worden, ohne dass - wie der Bundeswehrdisziplinaranwalt zu Recht gerügt hat - hinreichend erkennbar wird, auf welchen Anteilen der genannten Dokumente die Sachverhaltsfeststellung beruht. Darüber hinaus lässt sich weder dem Protokoll über diese Hauptverhandlung noch den Urteilsgründen entnehmen, ob dabei die in § 106 Abs. 2 und 4 WDO sowie § 91 WDO i.V.m. § 251 StPO zu beachtenden Anforderungen eingehalten worden sind.

14 Die von der Truppendienstkammer zulasten des Soldaten vorgenommene Beweiswürdigung ist ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils auch nicht nachvollziehbar. Denn der Soldat hat geltend gemacht, er sei zum Tatzeitpunkt durch ein entgegenkommendes Fahrzeug und durch Musik abgelenkt gewesen und habe an dem Fremdfahrzeug situationsbedingt nicht mehr als einen belanglosen Schaden feststellen können. Die Truppendienstkammer hat die Einlassung des Soldaten als Schutzbehauptung gewertet, da er eingeräumt habe, „etwas“ bemerkt zu haben und da es auf die Kenntnis vom vollen Umfang des Schadens nicht ankomme. Zu Recht hat der Bundeswehrdisziplinaranwalt in seinem Vorlageschreiben gerügt, die Truppendienstkammer sei damit der entscheidungserheblichen Frage nicht nachgegangen, ob der Soldat hinsichtlich der Belanglosigkeit eines eingetretenen Schadens (vgl. dazu u.a. Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 142 Rn. 11 m.w.N.) gegebenenfalls einem Irrtum erlegen sein konnte (ebd., Rn. 39 m.W.N.). Selbst wenn ein solcher Irrtum nach den im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erstellten Lichtbildern (BA III Bl. 11 und 12) trotz der ungünstigen Lichtverhältnisse eher unwahrscheinlich gewesen sein mag, hätte dies im Urteil näher untersucht werden müssen. Sofern dem Soldaten nicht widerlegt werden könnte, sich über die Belanglosigkeit des Schadens geirrt zu haben, hätte er möglicherweise lediglich fahrlässig seiner Wartepflicht nach § 142 StGB nicht genügt. Dies wäre sowohl für die Strafbarkeit nach § 142 StGB als auch für das Vorliegen einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SG von Bedeutung gewesen.

15 Für eine mögliche disziplinare Ahndung der angeschuldigten Pflichtverletzung ist insoweit zudem zu beachten, dass der Senat in seiner neueren Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 - juris <zur Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz vorgesehen> m.w.N.) auf die Notwendigkeit einer eindeutigen Anschuldigung hinsichtlich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Begehungsweise der Pflichtverletzung ausdrücklich hingewiesen hat (ebd. Rn. 13). Ebenso wie im Strafverfahren die Mitteilung der von der Staatsanwaltschaft angenommenen Schuldform (Vorsatz, Fahrlässigkeit) als „gesetzliches Merkmal der Straftat“ in den Anklagesatz gehört (vgl. § 200 Abs. 1 StPO, dazu z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juni 1979 - 5 Ss 252/79 - 261/79 II - JMBl NW 1979, 259; Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2004, § 200 Rn. 17), sind auch im Disziplinarverfahren gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO die Umstände in die Anschuldigungsschrift aufzunehmen, die die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Dienstpflichtverletzung erfüllen (stRspr, z.B. Urteile vom 29. Juni 1978 - BVerwG 2 WD 18.78 - und vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <307> = Buchholz 236.1 § 11 SG Nr. 1). Dementsprechend muss die Anschuldigungsschrift u.a. erkennen lassen, ob eine vorsätzliche oder fahrlässige Begehungsweise angeschuldigt ist. Das bedeutet zwar nicht, dass einer der Begriffe ausdrücklich genannt werden muss. Es genügt, dass sich die angeschuldigte Handlungsweise bzw. „Schuldform“ (Vorsatz, Fahrlässigkeit) eindeutig aus der Fassung des Tatvorwurfs ergibt, z.B. auch aufgrund bindender Feststellungen eines sachgleichen Strafurteils (§ 84 Abs. 1 Satz 1 WDO). Eine solche Konkretisierung des Tatvorwurfs ist aus rechtsstaatlichen Gründen unerlässlich, weil sonst nicht ausreichend gewährleistet ist, dass sich der betreffende Soldat hinreichend verteidigen kann (Urteil vom 18. September 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 <79 f.> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 jeweils m.w.N.; Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 - juris Rn. 13).

16 Soweit ersichtlich, wird dem Soldaten im vorliegenden Falle in der Anschuldigungsschrift nicht ausdrücklich vorgeworfen, vorsätzlich gehandelt zu haben. Vielmehr wird der Vorwurf erhoben, er habe die angeführte Dienstpflicht des § 17 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 1 SG „schuldhaft“ verletzt. Allerdings ist im Anschuldigungssatz davon die Rede, der Soldat habe nach dem „Unfall, den er bemerkt hatte oder hätte bemerken müssen“, ohne zu warten oder die Polizei zu verständigen, den Unfallort verlassen. Das könnte dafür sprechen, dass dem Soldaten sowohl ein vorsätzliches als auch hilfsweise ein fahrlässiges Verhalten zum Vorwurf gemacht wird.

17 Die festgestellten schwerwiegenden Mängel des Verfahrens und Aufklärungsmängel haben zu weitgehend unzulänglichen Tat- und Schuldfeststellungen geführt und die Rechte des Soldaten wesentlich beeinträchtigt. Sie veranlassen den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils der Truppendienstkammer und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd.

18 Zwar steht die Entscheidung darüber, ob der Senat bei Vorliegen eines Aufklärungsmangels oder eines schweren Verfahrensmangels ungeachtet dessen in der Sache selbst entscheidet oder ob er das Urteil der Truppendienstkammer aufhebt und die Sache an eine andere Kammer desselben Truppendienstgerichts oder eines anderen Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweist, nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO in seinem gerichtlichen Ermessen. Bei der pflichtgemäßen Ausübung dieses Ermessens kommt dem Normzweck regelmäßig eine entscheidende Bedeutung zu.

19 Wurde eine Sachverhaltsaufklärung erstinstanzlich gar nicht erst begonnen (vgl. dazu Beschlüsse vom 28. April 1993 - BVerwG 2 WD 68.91 - und vom 16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 - BVerwGE 103, 386 = Buchholz 235.0 § 115 WDO Nr. 1 = NZWehrr 1997, 115) oder war sie - wie vorliegend - weitgehend unzulänglich (vgl. dazu u.a. Beschlüsse vom 14. September 1988 - BVerwG 2 WD 17.88 -, vom 15. April 1992 - BVerwG 2 WD 13.92 - und vom 25. März 1997 - BVerwG 2 WD 4.97 -), ist in aller Regel auch in Ansehung des Beschleunigungsgebotes des § 17 Abs. 1 WDO jedenfalls wegen Vorliegens eines schweren Mangels des Verfahrens eine Zurückverweisung durch das Berufungsgericht geboten (vgl. auch Beschluss vom 30. Oktober 2007 - BVerwG 2 WD 22.06 - Buchholz 450.2 § 120 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2008, 124). Es ist nach den Regelungen der Wehrdisziplinarordnung nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, anstelle der dazu berufenen Truppendienstkammer die notwendigen gerichtlichen Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt erstmals zu treffen. Ein angeschuldigter Soldat hat zudem Anspruch darauf, dass bereits im ersten Rechtszug nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften alle erforderlichen Maßnahmen zur hinreichenden Aufklärung der Sach- und Rechtslage ordnungsgemäß getroffen werden und die erhobenen Beweise nachvollziehbar gewürdigt werden und dass das Ergebnis der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen niedergelegt wird. Nur bei einer nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze ergehenden, die Instanz abschließenden Entscheidung der Truppendienstkammer wird der Angeschuldigte - ebenso wie die Wehrdisziplinaranwaltschaft - in die Lage versetzt, eine verantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, ob von dem Recht auf Einlegung einer Berufung Gebrauch gemacht und ein Berufungsverfahren eingeleitet und durchgeführt werden soll.

20 Angesichts dessen macht der Senat von dem ihm durch § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO eingeräumten Ermessen in der im Tenor des vorliegenden Beschlusses bestimmten Weise Gebrauch. Die nach § 120 Abs. 2 WDO erforderliche Gelegenheit zur Äußerung ist dem Bundeswehrdisziplinaranwalt gewährt worden. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat mit seinem Vorlageschreiben vom 10. März 2009 angesichts der gravierenden Mängel des angefochtenen Urteils die Aufhebung und Zurückverweisung selbst angeregt und im Einzelnen begründet. Die Verteidigung hat zwar mit Schriftsatz vom 2. April 2009 gegenüber dem Senat angeregt, „nach Möglichkeit in der Sache selbst zu entscheiden, damit das Verfahren kurzfristig abgeschlossen werden kann“. Dem vermag der Senat jedoch aus den zuvor dargelegten Gründen vorliegend nicht zu folgen.

21 Für eine Zurückverweisung an ein anderes Truppendienstgericht sieht der Senat keine Veranlassung.

22 Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen ist der Schlussentscheidung vorbehalten.