Urteil vom 11.07.2002 -
BVerwG 2 WD 3.02ECLI:DE:BVerwG:2002:110702U2WD3.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 11.07.2002 - 2 WD 3.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:110702U2WD3.02.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 3.02

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 11. Juli 2002, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schwandt als Vorsitzender,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Vetter,
Hauptmann Lilienthal
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Sandbaumhüter
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ...,
als Verteidiger,
Angestellte Kairies
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 9. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Soldaten auferlegt.

Gründe

I

Der 43 Jahre alte Soldat verließ das ...-Gymnasium in B. im ersten Halbjahr der Jahrgangsstufe 13 mit dem Abschlusszeugnis der 12. Klasse vom 31. Januar 1979 und war anschließend sieben Monate als Volontär bei einem Raumausstatter tätig.

Zum 2. Januar 1980 wurde er als Wehrpflichtiger zur Nachschubkompanie ... nach B. M. einberufen und aufgrund seiner Bewerbung und Verpflichtung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr mit Wirkung vom 16. Juni 1980 als Schütze in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit übernommen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf zwei Jahre und nach einer Verlängerung schließlich auf elf Jahre festgesetzt. Mit Wirkung vom 2. Juli 1982 wurde er als Anwärter für die Laufbahn der Truppenoffiziere übernommen. Am 6. Juni 1989 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen.

Nach regelmäßigen Zwischenbeförderungen wurde der Soldat mit Wirkung vom 1. Oktober 1989 zum Hauptmann befördert.

Nach seiner Grundausbildung bei der Nachschubkompanie ... in B. M. und ab 28. März 1980 bei der Nachschubkompanie ... in H. wurde der Soldat als Transportunteroffizier und Gruppenführer verwendet und nahm an den Unteroffizierlehrgängen Teile 1 und 2 teil. Am 25. September 1981 bestand er den Reserveoffizierlehrgang mit der Abschlussnote „befriedigend“ und absolvierte im Anschluss im Rahmen seiner Kommandierung vom 21. April bis 30. September 1983 zur Offizierschule des Heeres in H. den Offizierlehrgang A mit der Abschlussnote „ausreichend“. Zum 1. Oktober 1983 wurde er als Nachschub- und Zugführeroffizier zur .../Nachschubbataillon ... und zum 1. April 1984 als Nachschub- und S 2-Offizier zur .../Nachschubbataillon ... jeweils in K. versetzt. Im Rahmen seiner Kommandierung vom 28. März bis 11. Juli 1985 zur Schule Technische Truppe ... in B. wiederholte er den Offizierlehrgang B 1, den er mit der Abschlussnote „befriedigend“ bestand. Unter vorausgehender Kommandierung seit dem 3. Februar 1986 wurde der Soldat sodann zum 1. April 1986 als Nachschuboffizier zum Gerätedepot O., zum 1. Oktober 1989 als Nachschuboffizier und Hörsaalleiter zur .../Schule Technische Truppe ... in B., zum 1. April 1990 als Nachschuboffizier zur .../Nachschubbataillon ... nach V. und zum 1. Oktober 1991 als Nachschuboffizier und Kommandant zum Munitionsdepot S. versetzt. Im Rahmen einer Kommandierung vom 26. November 1991 bis 22. Mai 1992 an die Technische Schule des Heeres und Fachschule des Heeres für Technik in A. erwarb er den Fachkundenachweis Nachschuboffizier Munition. Wegen eines laufenden disziplinargerichtlichen Verfahrens wurde er unter vorausgehender Kommandierung seit dem 29. November 1993 zum 1. April 1994 auf eine Stelle zbV. zum Stab Nachschubtransportregiment ... und zum 1. Januar 1995 zur .../Transportbataillon ..., jeweils in U., versetzt, wo er als S 1- und S 3-Offizier Fachdienst verwendet wurde. Nach einer Auslandsverwendung beim ... Einsatzunterstützungsbataillon ... in P./Kroatien vom 19. April bis zum 31. August 1996 leistet er seit dem 1. Oktober 1996 beim Stab Logistikregiment ... in D. als S 4- und Umweltschutz-Offizier Dienst. Vom 3. März bis 31. August 1998, vom 24. Februar bis 20. März 1999 und vom 21. März bis 31. Juli 1999 nahm der Soldat erneut an Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen der internationalen Friedenstruppe im ehemaligen Jugoslawien in R./Bosnien-Herzegowina-H., S./Mazedonien und T./Mazedonien teil.

Der Soldat wurde mehrfach beurteilt, wobei seine dienstlichen Leistungen seit rund sieben Jahren im Allgemeinen und in den Auslandseinsätzen im Besonderen deutlich steigende Tendenz zeigen. Seine private Überschuldung, die auch dienstliche Auswirkungen, u.a. seine Versetzung und die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, hatte, führte in seiner planmäßigen Beurteilung vom 14. September 1994 dazu, dass ihm in der freien Beschreibung für das Merkmal „Verantwortungsbewusstsein“ der Ausprägungsgrad „U“ zuerkannt wurde. In den nachfolgenden Beurteilungen konnte sich der Soldat diesbezüglich jedoch normalisieren. In der planmäßigen Beurteilung vom 26. Januar 1998 erhielt er in der gebundenen Beschreibung zweimal die Wertung „1“, elfmal die Wertung „2“ und einmal die Wertung „3“. In der freien Beschreibung wurde ihm für die Merkmale „Fähigkeit zur Einsatzführung/Betriebsführung“ und „Durchsetzungs-vermögen“ der Ausprägungsgrad „B“ zuerkannt. In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 13. Januar 2000 wurden seine dienstlichen Leistungen in der gebundenen Beschreibung siebenmal mit „6“ und achtmal mit „5“ bewertet. In der freien Beschreibung erhielt er für das Merkmal „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ die Wertung „d“, im Übrigen die Wertung „c“, wobei deutliche Unterschiede zwischen seinen Leistungen bzw. seiner Motivation im Auslandseinsatz und im Friedensstandort hervorgehoben wurden. Unter dem Kriterium „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen" wird er wie folgt charakterisiert:

„Hptm ... zeigt ein gutes berufliches Selbstverständnis, verfügt über sehr ansprechende Grundkenntnisse der Einsatzgrundsätze und Verfahren der Truppengattung und ist aufgrund seines Erfahrungshorizontes breit einsetzbar. In seiner Funktion als S 4-Offz ist er jederzeit bereit - wenn dazu aufgefordert - zusätzliche Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen, die er dann mit hohem Engagement und zur vollsten Zufriedenheit bewältigt.

Im Einsatz - besonders jedoch im Auslandseinsatz - bedarf es keines Anstoßes. Hier ist er im positiven Sinne der ruhelose militärische Führer, der sich mit hohem Engagement, sehr selbständig und fachlich qualifiziert einbringt. Dem unterstellten Bereich ist er ein sehr fürsorglicher Vorgesetzter, jederzeit ansprechbar und schafft - auch Dank seiner humorvollen Art und Aufgeschlossenheit - ein angenehmes Arbeitsklima.

Den dienstlichen Anforderungen ist Hptm ... physisch und psychisch voll gewachsen.“

In einem Beurteilungsbeitrag vom 25. Januar 2001 erhielt der seinerzeitige Regimentskommandeur Oberst D. diese Beurteilung grundsätzlich aufrecht, schränkte sie jedoch Folgendermaßen ein:

„...Jedoch hat sein Leistungsniveau abgenommen. Durch viele Auslands-einsätze ist er mittlerweile einseitig ‚einsatzgeprägt‘. Trotz guter Leistun-gen dort sind Leistungen auf dem Friedensdienstposten in den Feldern

- F I 01 ‚Einsatzbereitschaft‘ Tendenz zu ‚5‘

- F I 14 ‚Dienstaufsicht‘ Tendenz zu ‚4‘

zu bewerten.

Deshalb sollte Hptm ... in absehbarer Zeit auf einen anderen Dienstposten versetzt werden, um wieder Schwung zu finden.“

In der Sonderbeurteilung vom 25. März 2002 erhielt der Soldat in den „Einzelmerkmalen“ dreimal die Wertung „7“, sechsmal die Wertung „6“ und siebenmal die Wertung „5“. Bei „Eignung und Befähigung“ wurde ihm für „Verantwortungsbewusstsein“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Wertung „D“ sowie für „Geistige Befähigung“ und „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ jeweils die Wertung „C“ zuerkannt. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde über ihn ausgeführt:

„Hptm ... ist ein solider, praxisorientierter Offizier mit einer hohen Sach- und Fachkompetenz. Im täglichen Dienstbetrieb zeigt er sich ausgesprochen hilfsbereit und sehr loyal seinen Vorgesetzten gegenüber, bietet sich für Arbeiten auch außerhalb seines Führungsgrundgebietes immer wieder an, übernimmt viele Aufgaben übergreifend als Projektoffizier, zeigt sich dabei besonders engagiert und kann gute Leistungen erreichen. Als S 4-Offizier verfügt er inzwischen über einen hohen Erfahrungsschatz im Bereich der Friedensversorgung, besonders aber auch aus den mehrfachen Erfahrungen im Einsatz. Mit diesen Kenntnissen und diesem Hintergrund bringt er sich immer wieder in das Tagesgeschehen ein, trägt hier sehr wesentlich zum Gelingen der Auftragserfüllung, besonders was die Eigenversorgung des Regimentes angeht, bei. Hptm ... ist ein sehr fürsorglicher Vorgesetzter, dem auch die persönlichen Belange eines jeden Soldaten am Herzen liegen. Hier hilft und unterstützt er jeden, der seiner Hilfe bedarf und das in einer vorbildlichen und bescheidenen Art, ohne dass diese Hilfestellung durch Vorgesetzte unmittelbar zu bemerken sind. Aufgeschlossen tritt er Neuerungen gegenüber, ist hier bereit, auch umzudenken und verfügt in seiner Abteilung über ein sehr angenehmes Arbeitsklima, was wiederum sich sehr positiv auf die Arbeitsergebnisse auswirkt. Seine besondere Bewährung im Einsatz konnte er mehrfach nachweisen und ist darüber hinaus persönlich in der Lage, immer wieder diese Erfahrungen einzubringen. In seiner Freizeit widmet er sich mit allen Kräften der Jugend, die sich dem Eishockey-Sport verschrieben hat. Hier ist er sehr anerkannt, leistet für die Gemeinschaft eine vorbildliche Arbeit und ist seit längerer Zeit der 1. Vorstand des Eissportclub U./N.-U.2000, ein reiner Jugendverein, der auch in der örtlichen Presse ein sehr positives Bild abgibt. Auch in dieser Funktion kommt Hptm ... sein frohes Gemüt, seine offene Art, mit Menschen umzugehen, und seine vom Charakter und Natur her gegebene eigene Auflage, anderen Menschen zu helfen und für andere Menschen dazusein, besonders zugute. Hptm ... ist im Stab Logistikregiment ... ein wertvoller Mitarbeiter und mir persönlich als Regimentskommandeur ein fachlich versierter, guter Berater.“

Der derzeitige Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, der Leumundszeuge Oberst K., dem der Soldat seit dem 25. Januar 2001 unterstellt ist, hat vor der Truppendienstkammer u.a. über ihn ausgesagt:

„.....Der Soldat ist ein sehr engagierter Soldat, der sich besonders im Einsatz hervortut. Er war einer der ersten S 4-Offiziere in Mazedonien. Er hat im Dienst dort seine Aufgaben voll erfüllt. Der Soldat ist da, wenn er gebraucht wird.....

Der Soldat liegt mit seinem ausgezahlten Gehalt an der untersten Grenze, und wenn er zum Major befördert werden sollte, bekommt er deswegen keinen Pfennig mehr ausbezahlt....

Er hadert gerade damit, ob er überhaupt auf den Stabsoffizierslehrgang gehen soll.....

Ich habe keinen Grund, mich über seine dienstlichen Leistungen zu beschweren. Er ist ein typischer Einsatzmann, dem die täglichen Aufgaben eines S 4-Offiziers zuweilen etwas langweilig sind. Daher wird er auch von mir gefordert.......“

Der Soldat ist berechtigt, das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Silber zu tragen. Am 12. August 1996, 30. April 1998, 23. Juni 1999 und 20. November 1999 wurde ihm jeweils die Einsatzmedaille der Bundeswehr für seine Teilnahme an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen von I., S., K. und K. verliehen. Außerdem erhielt er am 25. August 1996 und am 8. Juli 1998 jeweils die NATO-Medaille.

Dem Soldaten wurden zwei förmliche Anerkennungen erteilt:

- am 19. August 1996, weil er ein sehr pflichtbewusster, von hoher Einsatzbereitschaft und Verlässlichkeit geprägter Offizier sei, der in der Abteilung Nachschubführung mit Ehrgeiz, Hartnäckigkeit und planerischem Geschick die Transportsteuerung des Einsatzunterstützungsverbandes 2 sowie die Passagiersteuerung für G. sehr erfolgreich durchgeführt habe. Besonders flexibel habe er im Vorfeld und während des Kontingentwechsels gearbeitet, bei dem er mit seinem fachlichen Rat und machbarer Kreativität alle Kompanien des Einsatzunterstützungsverbandes ... wirksam unterstützt habe. Hervorzuheben seien auch seine uneigennützige Hilfsbereitschaft und sein kameradschaftliches Verhalten. Auf Hauptmann ... könne man sich unbedingt verlassen. Er sei in Haltung und Pflichterfüllung ein Vorbild für seine Kameraden.

- am 8. Juli 1998, weil während seines Einsatzes als S 4-Offizier beim D/F Stabs-/Einsatzunterstützungsverband des ... Kontingents G. (L) im Feldlager R., Bosnien-Herzegowina, neben den klassischen S 4-Aufgaben in dieser Zeit nicht nur der gesamte Materialnachweis von DVU-UNO auf DVU-VTT Materialbewirtschaftung umzustellen gewesen, sondern ab Anfang Juni auch die Umgliederung des binationalen D/F Stabs-/Einsatz-unterstützungsverbandes in ein nationales Logistikbataillon mit aufzustellender Feldlagerbetriebskompanie materiell zu planen und durchzuführen gewesen sei. Hauptmann ... habe alle diese Aufgaben mit höchster Akribie, detailliertestem Fachwissen und größtem persönlichen Engagement erfüllt. Er habe mit vorbildlicher Eigenständigkeit und in hervorragender Weise Vorschriftenwissen auch bei komplexen Aufgabenstellungen in solide und pragmatische Lösungen umgesetzt. Dabei sei er ein loyaler Mitarbeiter gewesen, der in der Phase der Umgliederung des Verbandes zum unverzichtbaren Fachmann geworden sei. Er habe sich ferner mit großem Elan in die brigadespezifischen binationalen Versorgungsverfahren eingearbeitet und wesentlich zur guten deutsch-französischen Zusammenarbeit im Verband und im Feldlager beigetragen. Oberstleutnant H. habe sich keinen besseren S 4 wünschen können. Hauptmann ... habe in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel gegeben.

Der Auszug aus dem Zentralregister des Generalbundesanwalt enthält außer dem sachgleichen Strafbefehl durch das Amtsgericht N. keine Eintragung; das Disziplinarbuch weist die Verhängung eines Beförderungsverbots für die Dauer von drei Jahren am 21. April 1994 durch die ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd - ebenfalls wegen Betruges - aus.

Die Dienstbezüge des Soldaten berechnen sich aus der 9. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes und betragen monatlich 3.181,94 € brutto. Nach Abzug von Abtretungen und Pfändungen in Höhe von 1.132,57 €, die die monatlichen Mietzinsen umfassen, werden ihm einschließlich Kindergeld tatsächlich 1.933,37 € ausbezahlt. Hiervon sind Versicherungsprämien, u.a. die Kfz-Versicherung, zu begleichen.

Der Soldat ist seit 1981 verheiratet. Aus dieser Ehe sind eine neunzehnjährige Tochter sowie ein siebzehnjähriger und ein dreizehnjähriger Sohn hervorgegangen. Die Ehefrau des Soldaten ist nicht berufstätig. Der Soldat hat seit Jahren erhebliche Schulden, die sich auf mindestens ca. 115.000 € zuzüglich Zinsen belaufen. Sie resultieren zu größeren Teilen aus einer für seinen verstorbenen Vater eingegangenen Bürgschaft sowie der Anschaffung einer Wohnungseinrichtung und eines Autos.

II

III