Urteil vom 14.03.2007 -
BVerwG 2 WD 3.06ECLI:DE:BVerwG:2007:140307U2WD3.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 14.03.2007 - 2 WD 3.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:140307U2WD3.06.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 3.06

  • Truppendienstgericht Süd 4. Kammer - 16.11.2005 - AZ: S 4 VL 13/05

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der nichtöffentlichen Hauptverhandlung vom 28. Februar und 14. März 2007, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Major Jahnke,
Oberfeldwebel Mühlhan
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Breitwieser
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 14. März 2007 für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 16. November 2005 aufgehoben.
  2. Der Soldat wird freigesprochen.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der 41 Jahre alte Soldat besuchte bis 1981 die Hauptschule, die er mit Erfolg abschloss. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker, die er im Jahr 1984 mit der Gesellenprüfung erfolgreich beendete. Entsprechend seiner Bewerbung als freiwillig dienender Soldat trat er am 1. Oktober 1984 seinen Dienst bei der N...kompanie ... in H. an. Aufgrund seiner Verpflichtungserklärung wurde er am 3. Oktober 1984 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Nach mehreren Weiterverpflichtungen wurde ihm aufgrund seines Antrags auf Übernahme als Berufssoldat vom 28. Oktober 1991 am 15. Juli 1992 die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen. Seine Dienstzeit endet voraussichtlich am 30. September 2018.

2 Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 31. Oktober 1996 zum Hauptfeldwebel. Nach seiner Grundausbildung wurde der Soldat zunächst bei der N...kompanie ... in K., ab dem 1. Dezember 1989 bei der F...gruppe K. als Militärkraftfahrlehrer-Unteroffizier, danach bei den K...Zentren L., M. und K. als Lehrfeldwebel und Mitprüferfeldwebel eingesetzt. Seit dem 1. Januar 2003 gehört er dem K...Zentrum L. als Lehrfeldwebel an.

3 Der Soldat wurde zuletzt am 28. Januar 2005 im Dienstgrad Hauptfeldwebel durch den Leiter K...Zentrum L. beurteilt. In der gebundenen Beschreibung erhielt er viermal die Wertung „5“ und zwölfmal die Wertung „6“. Im Abschnitt „Eignung und Befähigung“ wurde jeweils die Wertung „D“ vergeben. Im Abschnitt „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde über den Soldaten Folgendes ausgeführt:
„HptFw A. verfügt über einen gefestigten Charakter und eine gesunde Lebensauffassung, die von Optimismus und Selbstbewusstsein geprägt ist. Durch sein besonnenes und überlegtes Auftreten strahlt er Ruhe und Gelassenheit aus, die sich auf andere überträgt.
In der Gemeinschaft des Unteroffiziers-Korps im K..Zentrum, aber auch im vorgesetzten Bataillon, hat er einen mit hohem Ansehen verbundenen Platz und ist ein gesuchter Gesprächspartner und Ratgeber. Hilfe für Kameraden ist für ihn eine absolute Selbstverständlichkeit.
Körperlich durchtrainiert erfüllt er alle geforderten militärischen Normen.
HptFw A. hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert. Dies spiegelt sich auch in der Zuerkennung einer Leistungsprämie durch den Kommandeur FmBtl 283 im Jahre 2003 und einer Förmlichen Anerkennung durch den Leiter K...Zentrum im Jahre 2004 wider.
Für die Zukunft gibt er berechtigten Anlass, sein Leistungsbild noch weiter steigern zu können.“

4 Der nächsthöhere Vorgesetzte des Soldaten nahm zu der Beurteilung wie folgt Stellung:
„Mit der guten Beurteilung durch den Leiter K...Zentrum bin ich ohne Einschränkungen einverstanden. HptFw A. ist ein verlässlicher und leistungswilliger Portepeeunteroffizier, der vor allem durch Gewissenhaftigkeit und Pflichtbewusstsein überzeugt. Seinen überdurchschnittlichen Erfahrungsschatz und seine soliden fachlichen Kenntnisse kann A. gewinnbringend in die tägliche Arbeit einbringen. Er scheut sich nicht, auch zusätzliche Aufgaben zu übernehmen und diese erfolgreich zu meistern. Dabei bietet er sich aktiv an, um seinen Verantwortungsbereich zu vergrößern. So ist er neben der Ausbildung der Fahrschüler auch verantwortlich für die Einsatzbereitschaft und das Management des Fuhrparks im K...Zentrum. Seine Leistungen konnte A. kontinuierlich steigern. Sein Potenzial in Eignung, Leistung und Befähigung ist noch nicht erschöpft und lässt zukünftig eine weitere Leistungssteigerung erwarten. Physisch und psychisch robust wird HptFw A. auch weiterhin seinen Mann stehen.“

5 In der Sonderbeurteilung vom 20. Januar 2006 wurden die Leistungen des Soldaten in den Einzelmerkmalen einmal mit „7“, 13-mal mit „6“ und zweimal mit „5“ bewertet. Bei der Beurteilung seiner „Eignung und Befähigung“ wurde ihm jeweils die Wertung „D“ zuerkannt. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde ausgeführt:
„HptFw A. verfügt über einen gefestigten Charakter und eine gesunde Lebensauffassung, die von Optimismus und Selbstbewusstsein geprägt ist. Durch sein besonnenes und überlegtes Auftreten strahlt er Ruhe und Gelassenheit aus, die sich auch auf andere überträgt.
Natürliche Umgangsformen, mitmenschliche Aufgeschlossenheit und Kontaktvermögen, sowie seine vorbildliche Hilfsbereitschaft, seine fachliche Anerkennung und seine Persönlichkeit, machen ihn zu einem wichtigen und gefragten Ansprechpartner im Unteroffizier-Korps des Kraftfahrausbildungszentrums.
Körperlich durchtrainiert erfüllt er alle geforderten militärischen Normen.
HptFw A. hat sein Leistungsbild, seit er mir 2001 unterstellt ist, kontinuierlich gesteigert. Auch im Gesamtbild der jetzt erstellten Beurteilung, die letzte planmäßige Beurteilung liegt ja noch nicht lange zurück, zeigt sich eine weitere Leistungssteigerung. Auch für die Zukunft gibt er weiter berechtigten Anlass sein Leistungsbild noch weiter steigern zu können.
Bedauerlicherweise hat er sich außerhalb des Dienstes in den vergangenen Jahren mehrfach zu Fehlverhalten verleiten lassen. Genauso klar muss man aber auch feststellen, dass seine dienstlichen Leistungen in der Vergangenheit stets weit überdurchschnittlich und vorbildlich waren.“

6 Der nächsthöhere Vorgesetzte nahm hierzu wie folgt Stellung:
„Die gute Beurteilung durch den Leiter K...Zentrum teile ich ohne Einschränkungen. HptFw A. ist ein verlässlicher und überaus leistungswilliger Portepeeunteroffizier, der vor allem durch ein Höchstmaß an Einsatzbereitschaft, aber auch überdurchschnittliches Pflichtbewusstsein und Gewissenhaftigkeit überzeugt. Seinen überdurchschnittlichen Erfahrungsschatz und seine soliden fachlichen Kenntnisse bringt A. gewinnbringend in die tägliche Arbeit ein. Er scheut sich nicht, auch zusätzliche Aufgaben zu übernehmen und diese dann auch zum Erfolg zu führen. Dies konnte er als Disponent und Schirrmeister des sehr umfangreichen Fuhrparks des K...Zentrum eindrucksvoll unter Beweis stellen. Seine Leistungen konnte HptFw A. nochmals deutlich spürbar steigern. Sein Potenzial ist aber noch nicht erschöpft, eine weitere Leistungssteigerung ist zu erwarten. Im Gesamtbild von Eignung, Leistung und Befähigung liegt A. im Mittelfeld vergleichbarer Kameraden.“

7 Der Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Hauptmann G., hat als Zeuge vor dem Truppendienstgericht bekundet, dass der Soldat zu den besten Mitarbeitern des K...Zentrum gehört. Auf ihn sei stets Verlass. Der Soldat habe sich in seinen Leistungen fortlaufend gesteigert.

8 Der Soldat ist berechtigt, das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst der Stufe II zu tragen. Am 20. August 2003 wurde ihm eine Leistungsprämie in Höhe von 1 500 € bewilligt.

9 Der Disziplinarbuchauszug des Soldaten weist drei Förmliche Anerkennungen aus, die der Kompaniechef 1./P...bataillon ... am 18. Juli 1991, der Leiter K...Zentrum M. am 9. Juli 1997 und der Leiter K...Zentrum L. am 10. November 2004 jeweils wegen vorbildlicher Pflichterfüllung ausgesprochen haben. Darüber hinaus weist der Disziplinarbuchauszug als Disziplinarmaßnahme ein Beförderungsverbot von drei Jahren in Verbindung mit einer Gehaltskürzung von einem Zwanzigstel für die Dauer von sechs Monaten aus, welche das Truppendienstgericht Süd, 3. Kammer, am 5. April 2000 gegen den Soldaten wegen Trunkenheit im Straßenverkehr und Diebstahls verhängt hat. Der Auszug aus dem Zentralregister weist die zum Vorwurf dieses gerichtlichen Disziplinarverfahrens sachgleiche strafgerichtliche Verurteilung durch das Amtsgericht K. wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung aus.

10 Der Soldat ist verheiratet, wird nach der Besoldungsgruppe A 8, 8. Dienstaltersstufe mit Amtszulage, besoldet und erhält monatliche Dienstbezüge in Höhe von 2 383,17 € brutto und 2 235,51 € netto, die ihm auch tatsächlich ungekürzt ausbezahlt werden. Aufgrund der Abzahlung für ein Eigenheim, die der Soldat in monatlicher Höhe von ca. 650 € wegen der Arbeitslosigkeit seiner Ehefrau allein leisten muss, sind seine finanziellen Verhältnisse nach seinen Angaben angespannt.

II

11 Der Soldat wurde durch das Amtsgericht - Schöffengericht - K. (Az.: 2010 Js 7073/03 - 27 Ls 189/04) am 23. Dezember 2004, rechtskräftig seit demselben Tage, wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, § 25 Abs. 2, § 56 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde gegen Zahlung einer Geldbuße von 2 500 € auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Dem Protokoll der Hauptverhandlung des Amtsgerichts K. vom 23. Dezember 2004 ist zu entnehmen, dass der Verteidiger des Soldaten erklärt hat, der Soldat räume den Tatvorwurf ein und der Soldat in der Hauptverhandlung ausgeführt hat, er schließe sich seinem Verteidiger an.

12 In dem mit Verfügung des Befehlshabers im Wehrbereich II vom 16. März 2005 durch Aushändigung am 22. März 2005 ordnungsgemäß eingeleiteten sachgleichen gerichtlichen Disziplinarverfahren legte die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Wehrbereichskommandos II dem Soldaten in der am 5. Oktober 2005 zugestellten Anschuldigungsschrift vom 21. September 2005 folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen zur Last:
„Im April 2002 versuchte ein Herr H. einen gewissen Herrn V. zur Zahlung von 3.000,- € zu erpressen, indem er vorgab, er sei im Besitz von Fotos, die ihn, V., bei der Vornahme sexueller Handlungen mit einer Frau Ve. zeigten.
Sollte V. nicht zahlen, wolle er diese Fotos dem Arbeitgeber des V. sowie dessen Ehefrau zugänglich machen. V. teilte dem Soldaten dies neben drei anderen bei einer von regelmäßigen Zusammenkünften in der Stammkneipe in W. mit. Der Soldat bot seine Mithilfe bei der Abwehr dieses Erpressungsversuchs an.
Man kam überein, zum Schein auf die Zahlung des geforderten Gelds einzugehen. Der Soldat sagte neben drei anderen zu, den V. zum Übergabeort verdeckt zu begleiten, um dem H. eine ‚Abreibung’ zu verpassen.
Am Abend des 19. September 2002 fuhr der Soldat von der Kneipe in W. mit zwei anderen zum Übergabeort, dem Parkplatz des REWE-Marktes in K., wo der Soldat kurz vor 21.30 Uhr eintraf und sich versteckt hielt.
Als V. den Briefumschlag mit Spielgeld auf den Parkplatz legte, verließ H. sein Fahrzeug. Daraufhin verließ der Soldat mit drei anderen die Verstecke, sie stürzten auf H. ein und schlugen ihn zusammen. Auch als dieser bereits am Boden lag, schlugen sie weiterhin gemeinsam auf ihn ein, darunter ein gewisser E. auch mit einem Tischbein. H. erlitt erhebliche Verletzungen: einen doppelten Bruch der linken Hand, Bruch des linkes Fußes sowie des Nasenbeins.“

13 Die 2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd setzte den Soldaten durch Urteil vom 16. November 2005 wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels herab.

14 Sie legte ihrer Entscheidung die nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO für sie bindenden Feststellungen des sachgleichen rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichts K. vom 23. Dezember 2004 zugrunde. Sie sah keinen Anlass, sich gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO hiervon zu lösen. Sie hielt die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Lösungsbeschluss deshalb nicht für gegeben, weil Widersprüche im Strafurteil selbst bzw. in Verbindung mit dem Protokoll der Hauptverhandlung nicht ersichtlich seien.

15 Die Kammer würdigte das Verhalten des Soldaten als vorsätzlichen Verstoß gegen seine dienstliche Pflicht, sich außer Dienst außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG), mithin als Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG.

16 Im Hinblick auf die Ausführungen der Kammer zur Maßnahmebemessung wird auf Seite 8 bis 10 des Urteils des Truppendienstgerichts verwiesen.

17 Gegen dieses dem Soldaten am 30. November 2005 zugestellte Urteil hat sein Verteidiger mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2005, bei der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd eingegangen am 27. Dezember 2005, Berufung in vollem Umfang eingelegt.

18 Zur Begründung hat der Verteidiger im Wesentlichen vorgetragen:
Die Entscheidung des Truppendienstgerichts beruhe auf den bindenden Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts K. vom 23. Dezember 2004. Zu Unrecht sei das Truppendienstgericht dem Antrag des Verteidigers auf Lösung von den bindenden Feststellungen nicht gefolgt. Er, der Verteidiger, habe vor dem Truppendienstgericht die Lösung von den bindenden Feststellungen beantragt, weil das Strafurteil den Voraussetzungen, die der Bundesgerichtshof für eine rechtsstaatlichen Gesichtspunkten entsprechende Absprache im Strafprozess aufgestellt habe, nicht gerecht werde. In seinem Antrag auf Lösung von den bindenden Feststellungen habe er ausgeführt, dass der Soldat als Angeklagter an der Absprache zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht nicht beteiligt gewesen sei. Dem Soldaten sei lediglich das Ergebnis dieser Absprache durch seinen damaligen Verteidiger übermittelt worden. Die Absprache sei auch nicht im Hauptverhandlungsprotokoll protokolliert worden. Der Soldat habe als Angeklagter in dem damaligen Strafverfahren auf die Absprache seines Verteidigers hin lediglich die Vorwürfe im Anklagesatz der Anklageschrift eingeräumt. Dies habe er, der Verteidiger vor dem Truppendienstgericht, durch Vernehmung des damaligen Verteidigers des Soldaten unter Beweis gestellt. Das Truppendienstgericht hätte zumindest diesem Beweisantrag nachgehen müssen. Es hätte Ermittlungen dahingehend aufnehmen müssen, ob und in welcher Art und Weise eine Absprache in dem damaligen Strafverfahren getroffen worden sei. Hierzu hätten gegebenenfalls auch weitere Verteidiger aus diesem Verfahren gehört werden müssen. Das Truppendienstgericht habe jedoch darauf abgestellt, dass auch andere Beschuldigte in dem damaligen Verfahren den Soldaten belastet hätten. Dabei habe das Truppendienstgericht allerdings übersehen, dass diese pauschale Belastung auch des Soldaten Gegenstand einer ebenso rechtswidrigen Absprache der übrigen Angeklagten gewesen sei.

19 Dies stelle er, der Verteidiger, nochmals unter Beweis durch Vernehmung des Rechtsanwalts Volkhart Sc., sowie des Rechtsanwalts Jürgen Sch., der einen der Mitangeklagten vertreten habe. Der Soldat habe von der Abrede anderer Beteiligter, mit Gewalt gegebenenfalls gegen das spätere Opfer vorzugehen, nichts gewusst. Er sei daran auch nicht beteiligt gewesen. Dies würden die damaligen Mitangeklagten auch bestätigen.

20 Darüber hinaus sei auch die rechtliche Würdigung durch das Truppendienstgericht nicht zutreffend. Das Truppendienstgericht werte es als erschwerenden Umstand, dass der Soldat nach den bindenden Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils eine gefährliche Körperverletzung begangen habe. Als weiteren Erschwernisgrund führe das Truppendienstgericht an, dass er dies gemeinschaftlich mit anderen Personen handelnd getan habe. Selbst nach den Feststellungen, die das Amtsgericht zugrunde gelegt habe, sei es jedoch so gewesen, dass nicht der Soldat, sondern ein anderer Täter seinerzeit dem H. die Schläge verabreicht habe. Eine Bestrafung des Soldaten durch das Amtsgericht sei jedoch nur wegen der Mittäterschaft erfolgt. Von daher sei es unzulässig, diesen Umstand im Disziplinarverfahren doppelt zu werten. Ein Merkmal, das die Strafbarkeit überhaupt erst herbeiführe, dürfe nicht strafschärfend bei der Maßnahmebemessung berücksichtigt werden. Das Truppendienstgericht habe zum Nachteil des Soldaten auch nicht berücksichtigen dürfen, dass gegen ihn wegen einer Trunkenheitsfahrt bereits eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme verhängt worden sei. Die Trunkenheitsfahrt sei einem gänzlich anderen Pflichtenkreis zuzuordnen als das jetzt in Rede stehende Dienstvergehen. Das Truppendienstgericht hätte daher die vorangegangene disziplinarische Würdigung des Soldaten nicht zu seinem Nachteil in diesem Verfahren werten dürfen.

III

21 1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).

22 2. Da das Rechtsmittel des Soldaten nach dem wesentlichen Inhalt seiner Begründung in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO).

23 3. Die Berufung des Soldaten hat Erfolg.

24 a) Nach den Feststellungen des sachgleichen rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichts K. vom 23.  Dezember 2004 stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:
„Im März 2002 nahm der Angeklagte V. zunächst telefonisch Kontakt mit der Zeugin Ve. auf, mit der er sich insgesamt mindestens dreimal traf. Bei zweien dieser Treffen kam es zu sexuellen Handlungen, einmal davon im VW T 4 Bus der Zeugin Ve. im Bereich der Stadt A. Die Zeugin Ve. hatte darüber hinaus ab April 2002 eine Liebesbeziehung zu dem inzwischen verstorbenen Peter H., einem 1,96 m großen Kfz-Mechaniker aus B. aufgenommen. Dieser wandte sich per SMS an den Angeklagten V. und teilte ihm mit, er sei im Besitz von ihn inkriminierenden Fotos, die ihn, V., zusammen mit der Zeugin Ve. bei der Vornahme sexueller Handlungen darstellten. H. forderte von V. die Zahlung von 3.000,- Euro, andernfalls er diesen Vorgang dem Arbeitgeber und der Ehefrau des Angeklagten V. bekannt zu geben androhte.
Der Angeklagte V. teilte den Umstand der Erpressung bei den regelmäßigen Zusammenkünften in ihrer Stammkneipe in W. den übrigen vier Angeklagten mit. Diese boten ihm ihre Hilfe bei der Abwehr des Erpressungsversuchs durch H. an. Man war sich einig, dass der Angeklagte V. auf die Erpressungsversuche zum Schein eingehen sollte und zu einem noch zu vereinbarenden Übergabetermin und Übergabeort nur Scheingeld mitnehmen sollte. Darüber hinaus sagten die Angeklagten E., S., Ü. und A. dem Angeklagten V. zu, diesen ‚verdeckt’ zu dem Übergabeort zu begleiten, um H. dort eine Abreibung zu verpassen. Im Rahmen der Korrespondenz zwischen V. und H. nannte V. als Übergabeort die ARAL-Tankstelle in W., worauf H. nicht einging, sondern seinerseits den Parkplatz des REWE-Marktes in K. als Übergabeort und den 19.09.2002, 21.30 Uhr als Übergabezeit bezeichnete. Von der vorgenannten Stammkneipe in W. aus fuhren die Angeklagten V. und E. jeweils in getrennten Pkw’s zum Übergabeort. V. nahm bei dieser Gelegenheit den Angeklagten Ü. auf der Rückbank seines Pkw’s mit, mit der Absprache, dass dieser sich bei Annäherung an den Übergabeort flach hinlegen sollte um zu verhindern, dass H. erkannte, dass V. nicht allein kam. Der Angeklagte E. nahm aus der vorgenannten Gaststätte ein Tischbein mit, um es am Tatort als Schlagwerkzeug gegen H. einzusetzen. Als Peter H. am 19.09.2002 auf dem Parkplatz des REWE-Marktes auffuhr, wartete dort bereits der Angeklagte V., der den Angeklagten Ü. auf der Rückbank seines Pkw versteckt hatte. Die Angeklagten A., E. und S. hatten ihre Pkw teilweise auf dem Parkplatz, teilweise in der Umgebung geparkt. Als H. in seinem Auto sitzend den Angeklagten V. aufforderte, ihm das Geld auszuhändigen, legte dieser einen Briefumschlag, den er zuvor mit Spielgeld gefüllt hatte, auf den Boden des Parkplatzes, um H. so zum Aussteigen zu bewegen. Als dieser darauf erwartungsgemäß sein Fahrzeug verließ, kamen die übrigen Angeklagten A., E., S. und Ü. aus ihren Verstecken hervor und umzingelten H.. Der Angeklagte E. zertrümmerte mit einem mitgebrachten abgesägten Tischbein zunächst die Seitenscheibe des Pkw des H. und zerstach die Hinterreifen. Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan stürzten sich daraufhin die Angeklagten - ohne V., der zu seinem Auto zurück ging - auf H., entrissen ihm eine von diesem nunmehr zu seinem Schutz ergriffene Sportpistole und schlugen diesen zusammen. Als H. bereits zu Boden gegangen war, ließen die Angeklagten nicht von ihm ab. Sie prügelten - E. mit dem Tischbein - weiter auf ihn ein. Peter H. trug aus der Auseinandersetzung erhebliche Verletzungen davon. Er hatte einen doppelten Handbruch an der linken Hand, der linke Fuß sowie das Nasenbein waren gebrochen.“

25 Diese tatsächlichen Feststellungen waren für den Senat nicht bindend, da er deren Nachprüfung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO einstimmig beschlossen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117, 371 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214, vom 28. April 2005 - BVerwG 2 WD 25.04 - und vom 13. Juni 2006 - BVerwG 2 WD 1.06 -) ist die Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines sachgleichen rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteils auf Fälle beschränkt, in denen das Wehrdienstgericht sonst gezwungen wäre, auf der Grundlage offenkundig unzureichender oder inzwischen als unzutreffend erkannter Feststellungen zu entscheiden. Erhebliche und damit für einen Lösungsbeschluss ausreichende Zweifel an der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen liegen jedenfalls dann vor, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen in sich widersprüchlich oder sonst unschlüssig sind, im Widerspruch zu den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen - vergleichbar gewichtigen - Gründen offenkundig unzureichend sind. Offenkundig unzureichend in diesem Sinne sind strafgerichtliche Feststellungen dann, wenn sie in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind oder wenn entscheidungserhebliche neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht noch nicht zur Verfügung standen oder wenn die im strafgerichtlichen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung ausweislich der Urteilsgründe nicht nachvollziehbar ist (Urteil vom 12. Februar 2003 a.a.O.).

26 Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils des Amtsgerichts K. vom 23. Dezember 2004 ergeben sich hier im Hinblick auf eine offenkundige Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften deshalb, weil der Soldat die Richtigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe ungeachtet der rechtskräftigen strafgerichtlichen Feststellungen dezidiert bestritten und geltend gemacht hat, dem strafgerichtlichen Urteil liege ein „Deal“ (Urteilsabsprache) zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und damaliger Verteidigung zugrunde, der den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Verfahrensabsprache, wie sie sich aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ergeben, nicht genüge. Konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieses Vorbringens ergeben sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht und aus dem Text des strafgerichtlichen Urteils.

27 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. u.a. Urteil des 4. Strafsenats vom 28. August 1997 - 4 StR 240/97 - BGHSt 43, 195) bestehen folgende Mindestbedingungen für die Zulässigkeit einer „Verständigung“ bzw. „Urteilsabsprache“ („Deal“) zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Angeklagtem in einem Strafverfahren:
(1) keine Absprache über den Schuldspruch;
(2) das Geständnis muss vom Gericht auf seine Glaubwürdigkeit überprüft werden;

28 (3) alle Verfahrensbeteiligten sind einzubeziehen; nicht zulässig ist insbesondere eine Absprache ohne Beteiligung des Angeklagten oder auch unter Ausschluss der Schöffen;
(4) das Ergebnis der Absprache ist, da es sich um einen wesentlichen Verfahrensvorgang handelt, im Protokoll über die Hauptverhandlung festzuhalten;
(5) bei Abweichungen von der Absprache müssen die gebotenen Grenzen eingehalten werden: nachträgliches Bekanntwerden neuer schwerwiegender Umstände zu Lasten des Angeklagten; Korrektur eines Rechts- oder Tatsachenirrtums; die beabsichtigte Abweichung ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen;
(6) die gemäß der Urteilsabsprache verhängte Strafe muss schuldangemessen sein;
(7) es ist unzulässig, im Rahmen einer Urteilsabsprache einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil in Aussicht zu stellen oder eine überhöhte Strafe anzudrohen, um den Angeklagten zum Geständnis zu drängen;
(8) die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts ist unzulässig.

29 Diese Grundsätze sind der Sache nach vom Großen Senat des Bundesgerichtshofes in Strafsachen in der Entscheidung vom 3. März 2005 - GSSt 1/04 - BGHSt 50, 40 ff. bestätigt, konkretisiert und ergänzt worden:
- Das Gericht darf „nicht vorschnell auf eine Urteilsabsprache ausweichen, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich anhand der Akten und insbesondere auch rechtlich überprüft zu haben“.
- Das bei einer Urteilsabsprache in der Regel abgelegte Geständnis muss vom Gericht auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden. Das Gericht muss von seiner Richtigkeit überzeugt sein. Dazu muss das selbstbelastende, keinen besonderen Zweifeln im Einzelfall unterliegende Geständnis wenigstens so konkret sein, dass geprüft werden kann, ob es derart im Einklang mit der Aktenlage steht, dass sich hiernach keine weitergehende Sachaufklärung aufdrängt. Ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis reicht hingegen nicht aus.
- Die Urteilsabsprache darf nicht unter dem Deckmantel der Unkontrollierbarkeit stattfinden, ihr Inhalt muss auch für das Revisionsgericht überprüfbar sein.
- Das Gericht darf sich nicht aktiv an Gesprächen beteiligen, soweit diese - über die Urteilsabsprache hinaus - auch einen etwaigen Rechtsmittelverzicht zum Gegenstand haben.
- Der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels, der nach einer unzulässig zustande gekommenen Urteilsabsprache erklärt wurde, ist unwirksam. Dieses Verdikt der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts entfällt dann, wenn dem Rechtsmittelberechtigten über die Freiheit, unbeschadet der Absprache Rechtsmittel einlegen zu können, eine von der eigentlichen Rechtsmittelbelehrung abgehobene, qualifizierte Belehrung erteilt worden ist.
- Bei jeder Urteilsabsprache - mit Gesprächen über den Rechtsmittelverzicht oder auch ohne diese, mit oder ohne Aufnahme in das Hauptverhandlungsprotokoll - ist dem Betroffenen, der nach § 35a Satz 1 StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist, über die hier unverzichtbare Rechtsmittelbelehrung hinaus stets auch eine qualifizierte Belehrung über seine fortbestehende Rechtsmittelbefugnis zu erteilen. Diese ist als wesentliche Förmlichkeit zu protokollieren (§ 273 Abs. 1 StPO) und nimmt an der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO teil.

30 Im vorliegenden Fall ergeben sich Anhaltspunkte für eine vor dem Amtsgericht K. erfolgte „Urteilsabsprache“ („Deal“), die diesen Anforderungen nicht genügte, nicht nur aus dem Vorbringen des Verteidigers, sondern auch aus dem aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ersichtlichen Verfahrensablauf: keine Vernehmung des Soldaten (damals Angeklagter zu 5.) zur Sache, lediglich pauschale (Formal-)„Geständnisse“ sämtlicher Angeklagten durch ihre Verteidiger, übereinstimmende Anträge der Staatsanwaltschaft, pauschalierende Begründung im Urteil. Diese „Verfahrensabsprache“ („Deal“) zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, auf der das strafgerichtliche Urteil tatsächlich beruht, ist nicht in das Protokoll der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht K. aufgenommen worden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Wahrheitsgehalt des Formalgeständnisses des Soldaten und der anderen Angeklagten vom Gericht hinreichend überprüft wurde. Angesichts der sich daraus ergebenden Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils des Amtsgerichts K. hat der Senat daher einen Lösungsbeschluss nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO gefasst.

31 b) Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr hat gefolgt werden können, der gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und Schriftstücke sowie der in der Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen Ralf Eduard S., Andreas V., Emin Ü., Guido Peter E. und der Zeugin Heike E. hat der Senat folgenden Sachverhalt festgestellt:

32 Dem Soldaten war bekannt, dass der Zeuge V. durch - den zwischenzeitlich verstorbenen - Herrn H. erpresst wurde. Den Zeugen V. kannte der Soldat nur flüchtig. Der Zeuge S. hat den Soldaten am frühen Abend des 19. September 2002 vom Zug aus angerufen, als er auf der Rückfahrt von Hannover nach W. war. Bei dem Telefongespräch ging es um die Geldübergabe durch den Zeugen V. an Herrn H.. Der Soldat wusste zuvor lediglich, dass irgendwann eine Geldübergabe vorgesehen war. Der Soldat und der Zeuge S. fuhren im Pkw des Soldaten zum Parkplatz des REWE-Marktes in K., wo die Geldübergabe durch den Zeugen V. stattfinden sollte. Der Soldat wusste nicht, dass der Zeuge V. Spielgeld übergeben wollte, auch war ihm nicht bekannt, dass der Zeuge E. ein abgesägtes Stuhlbein mit sich führte. Der Soldat parkte gegen 21.00 Uhr am Rande des REWE-Parkplatzes. Er und der Zeuge S. stellten fest, dass sie zunächst noch die einzigen Personen waren, die sich auf diesem Parkplatz aufhielten. Nach kurzer Zeit trafen dann die Zeugen V., Ü. und E. sowie Herr H. ein. Nunmehr verließ auch der Zeuge S. das Fahrzeug, um ebenfalls zum Parkplatz zu laufen, während der Soldat im Auto sitzenblieb. Als der Zeuge S. später zum Auto zurückkam, teilte er dem Soldaten mit, Herr H. habe eine Waffe mit sich geführt und geschossen, anschließend sei es zu einem Handgemenge gekommen, um Herrn H. die Waffe abzunehmen. Der Zeuge V. sei nach Abgabe des Schusses durch Herrn H. zu seinem Auto gelaufen. An dem Handgemenge seien die Zeugen S., E. und Ü. beteiligt gewesen. Gemeinsam habe man Herrn H. über eine Hecke zu Boden geworfen.

33 Der Soldat hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, er sei nicht, wie angeschuldigt, an einer körperlichen Auseinandersetzung mit Herrn H. beteiligt gewesen und habe nicht auf ihn eingeschlagen. Er habe nie den Plan gehabt, Herrn H. oder irgendeiner anderen Person Gewalt anzutun, auch habe es keinen zwischen ihm und den Zeugen V., E., Ü. und S. abgesprochenen Tatplan bezüglich der Geldübergabe gegeben. Diese Einlassung konnte ihm nicht widerlegt werden.

34 Die Zeugen S., V., E. und Ü. haben vor dem Senat die Einlassung des Soldaten bestätigt und insbesondere übereinstimmend ausgesagt, dass der Soldat weder an Vorabsprachen über die Geldübergabe noch an der körperlichen Auseinandersetzung mit Herrn H. auf dem Parkplatz des REWE-Marktes beteiligt gewesen sei. Mit dem Soldaten habe es keinen gemeinsamen Tatplan gegeben, in welchem ihm eine Rolle bei der Geldübergabe zugedacht gewesen sei. An der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen zu zweifeln besteht kein Anlass. Die Aussagen der Zeugen waren präzise und im Kern völlig deckungsgleich. Die Aussagen der Zeugen waren bei ihren Einlassungen bestimmt und wirkten auch auf eindringliches Befragen des Senats zum Inhalt ihrer Aussagen hin sehr sicher. Widersprüche zwischen ihren Bekundungen sind nicht erkennbar geworden. Ihre Angaben waren unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Abstandes zu den Geschehnissen detailliert und enthielten keine Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken oder ein Absprechen ihrer Aussagen. Auch ist kein Grund ersichtlich geworden, weshalb die Zeugen den Soldaten mit unwahren Bekundungen hätten entlasten und sich damit der Gefahr eigener Strafverfolgung aussetzen sollen.

35 Auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme und der vorgenommenen Gesamtwürdigung der Beweismittel hat der Senat nicht die erforderliche Gewissheit gewinnen können, dass dem Soldaten das ihm in der Anschuldigungsschrift zur Last gelegte Verhalten nachzuweisen war.

36 Dabei kann nach Durchführung der Beweisaufnahme offenbleiben, ob Herr H. nach dem Vortrag der Beteiligten ursprünglich nur bedroht, aber nicht angegriffen werden sollte, so die Aussage der Zeugen V., E. und Ü., des weiteren ob eine körperliche Auseinandersetzung - nach Aussage der Zeugen V., E., S. - erst nach der Schussabgabe durch Herrn H. stattfand, um ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen, ferner ob Herr H. lediglich ohne Gewaltanwendung zur „Brust genommen“ werden sollte, wie die Zeugen V. und E. ausgesagt haben, weiterhin, ob Herr H. - nach Aussage des Zeugen S. - durch die Anwesenheit mehrerer Personen „eingeschüchtert“ und ihm eine „Lektion“ erteilt werden sollte, um ihn durch eine entsprechende „Drohkulisse“ von weiteren Erpressungsversuchen abzuhalten und ob den Zeugen V., wie er bekundet hat, nach der Schussabgabe durch Herrn H. Panik ergriffen hat und ob er mit seinem Auto weggefahren ist und an der weiteren Auseinandersetzung nicht mehr beteiligt war. Denn all diese Umstände sind vorliegend nicht entscheidungserheblich. Sie betreffen nicht den Gegenstand der Anschuldigung des Soldaten.

37 Die Anschuldigung, die die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichts K. vom 23. Dezember 2004 zugrunde legte, hatte, wie sich auch aus dem Ermittlungsergebnis der Anschuldigungsschrift ergibt, dem Soldaten vorgeworfen, als Mittäter der an Herrn H. begangenen gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung beteiligt gewesen zu sein und im Vorfeld der Tat „neben drei anderen zugesagt zu haben, den V. zum Übergabeort verdeckt zu begleiten, um dem H. eine ‚Abreibung’ zu verpassen“; ferner war dem Soldaten zum Tatvorwurf gemacht worden, „mit drei anderen“ die Verstecke verlassen zu haben und dann „auf H.“ eingestürzt zu sein und ihn zusammengeschlagen zu haben.

38 Eine solche Tatbeteiligung im Sinne der Anschuldigung war dem Soldaten nicht nachzuweisen.

39 Entgegen dem Vorbringen des Vertreters des Bundeswehrdisziplinaranwalts kann in dem Verhalten des Soldaten bei der Geldübergabe - nachzuweisen war lediglich das Sitzenbleiben im Auto am Rande des Parkplatzes - auch keine sonstige dienstrechtlich relevante Pflichtwidrigkeit gesehen werden. Soweit in diesem Zusammenhang auf eine psychische Unterstützung der erfolgten Körperverletzung oder auf eine entsprechende Beeinflussung der Täter abgestellt worden ist, wäre diese schon deshalb nicht als Dienstpflichtverletzung zu werten, weil ein gemeinschaftlicher Tatentschluss bzw. ein „Wollen“ in Bezug auf eine „geplante Tat“ dem Soldaten nicht nachzuweisen war. Soweit der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts auf eine „Teilnahme des Soldaten an der Verabredung zur Geldübergabe“ abgestellt und hervorgehoben hat, der Soldat habe bereits damit einen „gewissen Beitrag zum Gesamtgeschehen“ geleistet, ist dies, selbst wenn ein solches - nicht hinreichend bestimmtes - Verhalten mitangeschuldigt wäre, keine Dienstpflichtverletzung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SG. Denn eine Dienstpflicht, außerhalb des Dienstes an keiner „Geldübergabe“ teilzunehmen, ergibt sich daraus nicht. Die Ableitung einer solchen „Dienstpflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 2 SG“ wäre im Übrigen mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot, das auch im Wehrdisziplinarrecht zu beachten ist (vgl. Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - Buchholz 236.1 § 11 SG Nr. 1 = EuGRZ 2005, 636 <641> m.w.N.), nicht vereinbar.

40 Der Soldat ist daher von dem in der Anschuldigungsschrift gegen ihn erhobenen Vorwurf freizustellen. Er ist freizusprechen, da ihm ein schuldhaftes Fehlverhalten gemäß § 23 Abs. 1 SG nicht nachzuweisen ist.

41 4. Da die Berufung des Soldaten vollen Erfolg hat, sind die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 3 und 4 WDO und die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen gemäß § 140 Abs. 1 WDO dem Bund aufzuerlegen.