Verfahrensinformation

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und reiste 1976 im Alter von 12 Jahren nach Deutschland ein; zuletzt war er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Er ist wegen Vergewaltigung seiner Ehefrau zu einer Strafe von 1 Jahr und 2 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Wegen sexuellen Missbrauchs und Körperverletzung seiner Tochter verbüßt er derzeit eine Haftstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten.


Die Stadt Krefeld hat den Kläger am 2. Mai 2006 ausgewiesen. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das OVG Münster hat die Auffassung vertreten, dass im Falle des assoziationsberechtigten Klägers der erhöhte Ausweisungsschutz des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) keine Anwendung finde. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom OVG zugelassenen Revision.


Pressemitteilung Nr. 51/2009 vom 25.08.2009

Europäischer Gerichtshof soll klären, ob assoziationsberechtigte Türken den gleichen Ausweisungsschutz wie Unionsbürger genießen

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute in einem Rechtsstreit wegen der Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in Luxemburg angerufen. Die dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage* betrifft die Übertragbarkeit des in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Rates der Europäischen Union (Unionsbürgerrichtlinie) geregelten Ausweisungsschutzes von Unionsbürgern auf assoziationsberechtigte und damit privilegierte türkische Staatsangehörige.


Der Kläger des Ausgangsverfahrens, ein 1964 geborener Türke, zog mit 12 Jahren zu seinen Eltern in das Bundesgebiet und erhielt 1987 eine Aufenthaltsberechtigung. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Im November 2000 wurde er wegen Vergewaltigung seiner Ehefrau zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Seit Oktober 2005 verbüßt er eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs seiner älteren Tochter. Klage und Berufung gegen die von der Ausländerbehörde angeordnete Ausweisung hatten in den Vorinstanzen u.a. wegen der erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers keinen Erfolg.


Auf die Revision des Klägers ist das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Ausweisung nach bisher geltendem Recht nicht zu beanstanden ist. Zweifelhaft ist jedoch, ob nunmehr Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Unionsbürgerrichtlinie zu berücksichtigen ist. Danach dürfen Unionsbürger, die sich in den letzten zehn Jahren in einem Mitgliedstaat aufgehalten haben, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Zwingende Gründe können gem. § 6 Abs. 4 des nationalen Freizügigkeitsgesetzes/EU nur dann vorliegen, wenn der Betroffene u.a. wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH sollen die Grundsätze, die für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten gelten, soweit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen werden. Deshalb bedarf es der Klärung, ob er Kläger sich auf den in der nunmehr geltenden Unionsbürgerrichtlinie geregelten gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz berufen kann.


Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat das Bundesverwaltungsgericht das Revisionsverfahren ausgesetzt.


BVerwG 1 C 25.08 - Beschluss vom 25.08.2009


Beschluss vom 20.12.2011 -
BVerwG 1 C 25.08ECLI:DE:BVerwG:2011:201211B1C25.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2011 - 1 C 25.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:201211B1C25.08.0]

Beschluss

BVerwG 1 C 25.08

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 05.09.2008 - AZ: OVG 18 A 855/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2011
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Richter und
Prof. Dr. Kraft sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Der Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 25. August 2009 wird aufgehoben.
  2. Die Verwaltungsstreitsache wird unter dem Geschäftszeichen BVerwG 1 C 19.11 fortgesetzt.

Gründe

I

1 Der Senat hat mit Beschluss vom 25. August 2009 dem Gerichtshof der Europäischen Union (Gerichtshof) im Wege der Vorabentscheidung eine Frage zur Auslegung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgelegt. Diese Frage hat der Gerichtshof in einem anderen Verfahren mit Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - beantwortet. Der Gerichtshof hat in dem hier vorliegenden Verfahren angefragt, ob an der Vorlage festgehalten wird. Die Beteiligten haben zur Frage der Aufhebung des Vorlagebeschlusses Stellung genommen.

II

2 Der Vorlagebeschluss ist aufzuheben. Die im Wege des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 234 EG (nunmehr: Art. 267 AEUV) vorgelegte Frage, ob der Schutz vor Ausweisung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 gegenüber dem Mitgliedstaat besitzt, in dem er seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren gehabt hat, sich nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG richtet, hat der Gerichtshof nunmehr im negativen Sinne geklärt.

3 Weitere unionsrechtliche Zweifelsfragen zu dem durch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vermittelten Ausweisungsschutz, die sich in dem hier vorliegenden Verfahren stellen könnten, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers. Dieser macht im Wesentlichen geltend, ein Widerspruchsverfahren genüge nicht den sich aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG ergebenden verfahrensrechtlichen Anforderungen, die auch nach Aufhebung der Richtlinie auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden seien. Der Senat hat dazu bereits in seinem Vorlagebeschluss (a.a.O. Rn. 26) Stellung genommen und auf seine Rechtsprechung zu dieser Frage verwiesen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.>). Danach entspricht ein Vorverfahren nach § 68 ff. VwGO den in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantien. Unionsrechtlicher Klärungsbedarf ist insoweit nicht ersichtlich.