Urteil vom 21.09.2004 -
BVerwG 2 WD 11.04ECLI:DE:BVerwG:2004:210904U2WD11.04.0

Urteil

BVerwG 2 WD 11.04

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 21. September 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Kalmring,
Oberleutnant Rössler
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 10. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 28. November 2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Ausspruch über den Ausschluss der Gewährung eines Unterhaltsbeitrages entfällt.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden je zur Hälfte dem Soldaten und dem Bund auferlegt, der auch die Hälfte der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

Gründe

I

Der 28 Jahre alte Soldat schloss seine Schulbildung im Juni 1996 mit der allgemeinen Hochschulreife ab.

Aufgrund seiner Bewerbung und Verpflichtung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr trat er als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere (OA) des Truppendienstes am 1. Juli 1996 seinen Dienst bei der 5./L...regiment 3 in B. an und wurde am 4. Juli 1996 unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Flieger OA ernannt.

Seine Dienstzeit wurde zunächst auf vier Jahre und zuletzt - nach abgeschlossenem Studium an der Universität der Bundeswehr - auf 13 Jahre bis zum 30. Juni 2009 festgesetzt.

Mit Ausnahme einer krankheitsbedingt verschobenen Ernennung zum Obergefreiten OA wurde der Soldat regelmäßig befördert, zuletzt mit Wirkung vom 1. Juli 2000 zum Leutnant.

Nach der Grundausbildung bei der 5./L...regiment 3 in B. wurde er zum 30. August 1996 zur Teilnahme am Offizierlehrgang OA Truppendienst Luftwaffe zur 4./...schule versetzt. Aufgrund einer truppenärztlichen Feststellung der Lehrgangsuntauglichkeit für zwölf Monate stellte der Soldat einen von seinem Vorgesetzten befürworteten Antrag auf Entlassung nach § 55 Abs. 3 SG wegen besonderer Härte. Nach Feststellung der wieder vorhandenen Lehrgangstauglichkeit am 4. März 1997 widerrief der Soldat seinen Antrag am selben Tag. Wegen erheblicher Versäumnis des Ausbildungsstoffes wurde er mit Verfügung des Personalstammamtes der Bundeswehr vom 24. März 1997 aus dem Ausbildungs- und Beförderungsgang herausgelöst und der OA-Crew VII/97 zugeordnet. Zum 29. August 1997 wurde er zur 5./...schule zur Teilnahme am 78. Offizierlehrgang OA Truppendienst Luftwaffe versetzt, den er mit Lehrgangszeugnis vom 30. Juni 1998 mit der Abschlussnote „befriedigend“ bestand. Zum 1. Juli 1998 wurde er zur L...werft 13 in E. als Schüler und zum 28. September 1998 zur Aufnahme des Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik an die Universität der Bundeswehr, Studentenfachbereich A, versetzt. Am 30. September 2002 legte er die Diplomprüfung im universitären Studiengang Luft- und Raumfahrttechnik entsprechend der an der Universität der Bundeswehr geltenden Diplomprüfungsordnung mit dem Gesamturteil „befriedigend bestanden“ ab. Mit Diplomurkunde der Universität der Bundeswehr vom 16. Oktober 2002 wurde ihm der akademische Grad „Diplom-Ingenieur Univ“ verliehen. Zum 11. November 2002 wurde er zur T... Schule in K. als Schüler versetzt. Dort leistete er in der Lehrgruppe Ausbildung Dienst auf einem zbV-Dienstposten. In der Zeit vom 12. November 2002 bis 31. März 2003 wurde er zur 2./T... Schule in K. zur Dienstleistung kommandiert. Ein vom 23. September 2002 datierter und am 30. September 2002 (Tag des Bestehens der Diplomprüfung) eingereichter Antrag des Soldaten auf Entlassung zum 8. Oktober 2002 wegen besonderer Härte nach § 55 Abs. 3 SG wurde durch Bescheid des Amtschefs des Personalamtes der Bundeswehr vom 2. April 2003 zurückgewiesen. Zum 1. August 2003 wurde der Soldat zum W...kommando in E. als Schüler versetzt.

Der Soldat wurde bislang nur einmal planmäßig beurteilt, und zwar zum Abschluss des 78. Offizierlehrgangs OA Truppendienst Luftwaffe am 19. Juni 1998. Er erhielt in der gebundenen Beschreibung zweimal die Wertung „4“, elfmal die Wertung „3“ und einmal die Wertung „2“. In den Abschnitten der freien Beschreibung wurde ein Ausprägungsgrad nicht erteilt. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, berufliches Selbstverständnis und ergänzende Aussagen“ wird über den Soldaten u.a. ausgeführt:

„Der HptGefr OA H. hat keine Probleme, sich mit seinem Berufsbild zu identifizieren, was er in Diskussionen unter Beweis stellt.

Mit mehr Erfahrung und Hilfestellung wird er die angesprochenen Schwächen sicherlich kompensieren.

Er ist in guter körperlicher Verfassung, was er beim Lehrgang ‚Überleben Land’ bewies!“

Der nächsthöhere Vorgesetzte führte in seiner Stellungnahme aus:

„Mit der vorliegenden Beurteilung bin ich einverstanden. HptGefr OA H. ist ein gefestigter Offizieranwärter, der eigenständig für den Offizierberuf einsteht. Er geht offen auf Vorgesetzte zu und bietet eine vertrauensvolle Basis zur Zusammenarbeit, mit zusätzlicher Erfahrung wird er zu einer Leistungssteigerung kommen.“

Vor dem Truppendienstgericht sagte Hauptmann der Reserve K., früherer Disziplinarvorgesetzter des Soldaten an der Universität der Bundeswehr, aus, bis Ende September 2001 habe es keine Probleme mit dem Soldaten gegeben. Oberstleutnant I., Dezernatsleiter Controlling im W...kommando in E., sagte als Beauftragter des Disziplinarvorgesetzten vor dem Truppendienstgericht aus, der Soldat sei bei der Einrichtung von Lesegeräten eingesetzt worden, habe gute Ansätze bei seiner Arbeit gezeigt, sei jedoch häufig krank und seit Mitte Oktober 2003 nicht mehr im Dienst gewesen.

In der Sonderbeurteilung vom 12. Mai 2004 bewertete Oberst i.G. T. die Leistungen des Soldaten in den Einzelmerkmalen achtmal mit „4“, zweimal mit „5“ und zweimal mit „6“. In der Eignungs- und Befähigungsbeurteilung vergab er für „Verantwortungsbewusstsein“, „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ jeweils die Wertung „B“ sowie für „Geistige Befähigung“ die Wertung „C“. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wird ausgeführt:

„Lt H. ist ein grundsätzlich leistungsbereiter und auch williger Soldat, der jedoch in seiner Persönlichkeitsstruktur noch nicht hinreichend gefestigt erscheint und auch in seiner Gemütslage deutlich erkennbaren Schwankungen unterworfen ist.

Als junger Mensch, der Führungsverantwortung übernehmen will und soll, fehlt ihm noch die erforderliche Selbstsicherheit und Konsequenz im Handeln, wie auch das erforderliche Maß an Selbstdisziplin.

Er bedarf noch der beständigen Anleitung und Kontrolle, um zielgerichtet vorgegebene Wege zu beschreiten und Aufträge selbstständig und eigenverantwortlich zu erledigen.

In kameradschaftlicher Hinsicht ist er weder negativ noch positiv in Erscheinung getreten, hat jedoch auch keinen Kontakt zu Kameraden gesucht.

Zu seinem beruflichen Selbstverständnis ist festzustellen, dass sein Hauptaugenmerk bei der Bundeswehr vorrangig auf der Absolvierung eines anspruchsvollen Studienganges unter optimalen Studienbedingungen gerichtet war.

Er trat seinen Dienst in Erfurt bereits mit der Vorgabe an, während der nächsten Zeit entlassen zu werden und sich seiner Firma widmen zu können.

Seine dienstlichen Arbeitsleistungen hat er daher als zweitrangig gegenüber seinem Engagement für seine Firma gesehen und diese Prioritätensetzung nachhaltig verteidigt.

Auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen (ab 09.10.2003 heimkrank, anschließend stationärer Aufenthalt im Krankenhaus auf Grund eines Unfalls, den er sich während seiner kzH-Zeit zugezogen hatte) stand er ab 09.10.2003 zur Dienstausübung nicht mehr zur Verfügung.

Er erscheint trotz seines abgeschlossenen, anspruchsvollen Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik als eine noch unausgereifte Persönlichkeit, die sich über die Folgen ihres Handelns eindeutig nicht im klaren ist und anscheinend auch nicht bereit und willens ist, für persönlich getroffene Entscheidungen, sowohl im militärischen als auch im zivilen und privaten Bereich, die Verantwortung zu übernehmen.

Er erweckt den Eindruck, Probleme lösen zu können, indem er sie negiert oder ignoriert. Dies wurde besonders deutlich durch seine sehr schlechte briefliche und telefonische Erreichbarkeit in Vorbereitung seiner Verhandlung beim Truppendienstgericht am 27.11.2003.

Eine Identifikation, wenn auch nur in geringem Umfange, mit seinem noch aktuellen Beruf als Offizier ist nicht zu erkennen gewesen.“

In der Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten heißt es:

„Lt H. ist mir persönlich nur nach ‚Aktenlage’ bekannt.

In Kenntnis des beurteilenden Vorgesetzten und nach Rücksprache mit diesem, schließe ich mich den Aussagen und Wertungen der Beurteilung an.

Ein insgesamt intelligenter Soldat, der seine Schwerpunkte nicht in der militärischen Auftragserfüllung sieht, sondern im privaten Umfeld.“

Der Soldat ist berechtigt, seit 25. Juni 1998 das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Gold zu tragen.

Sowohl der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 26. Mai 2004 als auch die Auskunft aus dem Zentralregister vom 31. März 2004 enthalten lediglich den zu Punkt 1 der Anschuldigungsschrift sachgleichen Strafbefehl des Amtsgerichts Freising vom 5. Juni 2002.

Der Soldat ist verheiratet und hat eine Tochter im Alter von vier Jahren. Nach seinen Angaben ist in Kürze die Geburt einer zweiten Tochter zu erwarten. Seine Ehefrau ist nicht berufstätig. Er erhält Dienstbezüge aus der Dienstaltersstufe 4 der Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes in Höhe von 2.301,77 € brutto und 2.304,74 € netto einschließlich Kindergeld in Höhe von 154 €. Nach Abzug von festen monatlichen Ausgaben verbleiben ihm noch ca. 1.450 € monatlich für Lebenshaltungskosten. Die Schulden aus seinem Unternehmen belaufen sich auf ca. 200.000 €.

Er hat sich Übergangsgebührnisse in Höhe von 75 % der Dienstbezüge des letzten Monats für die Dauer von zwölf Monaten und eine einmalige Übergangsbeihilfe in Höhe des vierfachen der Dienstbezüge des letzten Monats erdient.

II

III