Beschluss vom 05.09.2018 -
BVerwG 1 B 60.18ECLI:DE:BVerwG:2018:050918B1B60.18.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.09.2018 - 1 B 60.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:050918B1B60.18.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 60.18

  • VG Köln - 02.05.2017 - AZ: VG 7 K 8636/16
  • OVG Münster - 30.05.2018 - AZ: OVG 11 A 1375/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. September 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, mit der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.

2 1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris Rn. 3).

3 Gemessen daran rechtfertigt die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob ein Schulleiter einer Schule in der ehemaligen UdSSR immer nach § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG ein Funktionsinhaber im Sinne des Aufrechterhaltens für das kommunistische Herrschaftssystem war,
keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Unter den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) in der Fassung vom 10. August 2007 (BGBl. I S. 1902) fallen Personen, die in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt haben, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles war. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Vorschrift an ein fehlendes Kriegsfolgenschicksal anknüpft und dies nicht an dem Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen wirtschaftlichen Privilegierung in der Gesellschaft des Herkunftslandes festmacht. Damit billigt das Gesetz deutschen Volkszugehörigen und ihren Familienangehörigen nach wie vor zu, nach ihren Kräften und Fähigkeiten auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in der früheren Sowjetunion, geht allerdings davon aus, dass bei Ausübung einer Funktion, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, die für Volksdeutsche sonst bestehende Gefahrenlage nicht fortbestand. Welche Funktionen gewöhnlich als bedeutsam galten, richtet sich nach den zur Zeit des kommunistischen Herrschaftssystems herrschenden politischen und rechtlichen Auffassungen im Aussiedlungsgebiet. Diese waren in der früheren Sowjetunion geprägt durch die führende Rolle, die der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) in Staat und Gesellschaft zukam. Zu deren Durchsetzung hatte sich die Partei einen mit hauptamtlich tätigen Funktionären besetzten Apparat geschaffen, der zusammen mit den Parteiorganen das Herzstück des kommunistischen Herrschaftssystems bildete. Hauptamtlich tätige Parteifunktionäre der KPdSU haben daher eine Funktion ausgeübt, die in der ehemaligen Sowjetunion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt. Hierunter können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber auch Funktionen mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz in staatlichen, wirtschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen zählen, insbesondere soweit sie gelenkt von der KPdSU ausgeübt wurden (BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 15.00 - Buchholz 412.3 § 5 BVFG Nr. 3). Soweit das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ausführt, dass dies nicht für jede Funktion auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene einer staatlichen Einrichtung gilt, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung diente, und ungeachtet des Umstandes, dass die Partei auf staatliche, wirtschaftliche und andere Einrichtungen Einfluss habe nehmen können und genommen habe, grundsätzlich alle diejenigen Funktionen, die auch in anderen, nichtkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam geltend angesehen werden können, lässt dies hinreichend Raum für die im Einzelfall gebotene tatrichterliche Würdigung der konkret ausgeübten Funktion.

4 In Anwendung dieser Maßstäbe ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Vater der Klägerin von 1969 bis 1982 als Direktor einer Mittelschule eine Funktion ausgeübt habe, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam gegolten habe. Begründet hat es dies damit, dass nach dem beigezogenen Gutachten des Prof. Dr. ... ... vom 23. September 2004 der Direktor einer Mittelschule nach Art. 43 des Statuts der Allgemeinbildenden Mittelschule von 1970 für das Einhalten der Parteilinie der KPdSU durch Lehrer und Schüler gehaftet habe. Zum Zwecke dieser Indoktrination seien an einen Mittelschuldirektor entsprechende Anforderungen wie unter anderem eine untadelige ideologische Haltung und Parteilichkeit gestellt worden. Der Direktor sei demnach die Schlüsselfigur der parteilichen Einflussnahme innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers gewesen. Es habe für ihn die Notwendigkeit bestanden, mit der Parteiorganisation innerhalb der Schule eng zusammenzuarbeiten. Er sei fest in die Vertikale von Macht und Kontrolle eingebunden gewesen, habe weitreichende Kompetenzen gegenüber seinen Untergebenen gehabt, sei aber zugleich auch in erheblicher Weise von den übergeordneten Instanzen abhängig gewesen. Da die Stelle eines Schuldirektors - wie bereits die Position eines stellvertretenden Schulleiters - zum sogenannten Nomenklatura-System gehört habe, habe sich das Parteikomitee die Personalentscheidung vorbehalten und damit die Stelleninhaber persönlich an sich gebunden (BA S. 3 ff.).

5 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob unter den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG auch Schulleiter fallen, führt nicht auf eine Fragestellung, die einer revisionsgerichtlichen Klärung zugänglich wäre. Vielmehr erwartet die Beschwerde von einem Revisionsverfahren insoweit die Herausarbeitung einer Kasuistik von Sachverhalten, deren Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG eine Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles voraussetzt und die deshalb nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2004 - 5 B 96.03 - juris Rn. 3).

6 2. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Insoweit macht die Beschwerde lediglich geltend, dem Berufungsgericht hätte sich zumindest die Vernehmung des als Zeugen benannten Bruders der Klägerin aufdrängen müssen, insbesondere zu der Behauptung, dass es an der Schule einen weiteren Direktor für kasachische Schüler gegeben habe. Mit diesem Vorbringen wird ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör nicht schlüssig dargelegt. Das Berufungsgericht hat im Einzelnen ausgeführt, warum sich ihm insoweit keine Beweisaufnahme aufgedrängt hat (widersprüchliches bzw. angepasstes Vorbringen der Klägerin; Angaben des Zeugen gegenüber dem Bundesverwaltungsamt; Eintragungen im Arbeitsbuch des Vaters der Klägerin; Ausführungen im Gutachten zu den Führungspositionen in einer Mittelschule; Zeuge hat die Schule verlassen, bevor der Vater dort Direktor wurde). Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander, insbesondere legt sie nicht dar, welche eigenen Wahrnehmungen der Zeuge in Bezug auf die vom Vater in der Schule ausgeübte Funktion im hier in Rede stehenden Zeitraum hätte machen können und inwiefern diese geeignet gewesen wären, eine für die Klägerin günstigere Entscheidung zu tragen.

7 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren gründet auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.