Beschluss vom 06.09.2004 -
BVerwG 4 B 62.04ECLI:DE:BVerwG:2004:060904B4B62.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.09.2004 - 4 B 62.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:060904B4B62.04.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 62.04

  • Bayerischer VGH München - 25.05.2004 - AZ: VGH 20 B 01.2294

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 225,84 € festgesetzt.

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beilegt.
Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass durch das angefochtene Bauvorhaben Geruchsbelästigungen hervorgerufen werden. Es stellt jedoch in Abrede, dass diese Beeinträchtigungen als schädliche Umwelteinwirkungen i.S. des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu qualifizieren sind. Der Kläger zeigt keinen Klärungsbedarf auf, der geeignet ist, die Durchführung eines Revisionsverfahrens zu rechtfertigen. Er räumt selbst ein, dass normativ nicht festgelegt ist, wo bei Geruchsbeeinträchtigungen die auch für das Baurecht maßgebliche Erheblichkeitsschwelle i.S. des § 3 Abs. 1 BImSchG verläuft. Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Beurteilung an der VDI-Richtlinie 3471 sowie an der im Gutachten des Bayerischen Landesamts für Umweltschutz herangezogenen Geruchsimmissions-Richtlinie orientiert und überdies darauf abgestellt, dass sich durch das Vorhaben des Beigeladenen die vorgegebene Immissionssituation nicht verschlechtert, sondern eher verbessert.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass es in den Bereichen, in denen normative Vorgaben fehlen, der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten ist, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der Schutzwürdigkeit der nachteilig betroffenen baulichen Nutzung die Erheblichkeitsgrenze zu bestimmen. Dies gilt insbesondere für Geruchs- und für Abgasbelastungen, für die weder auf der Gesetzes- noch auf der untergesetzlichen Ebene verbindliche Grenzwertregelungen existieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. April 1991 - BVerwG 7 C 12.90 - BVerwGE 88, 143; Beschlüsse vom 27. Januar 1994 - BVerwG 4 B 16.94 - NVwZ-RR 1995, 6 und vom 17. Juli 2003 - BVerwG 4 B 55.03 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 166). Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass technische Regelwerke wie die TA-Luft oder die VDI-Richtlinie 3471 bei der Beurteilung der Zumutbarkeit als Entscheidungshilfe brauchbare Anhaltspunkte liefern (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Januar 1989 - BVerwG 7 C 77.87 - BVerwGE 81, 197, vom 14. Januar 1993 - BVerwG 4 C 19.90 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 155 und vom 28. Februar 2002 - BVerwG 4 CN 5.01 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 25; Beschluss vom 18. Dezember 1990 - BVerwG 4 N 6.88 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 50). Ebenfalls geklärt ist, dass faktische Vorbelastungen schutzmindernd wirken und dazu führen können, dass Beeinträchtigungen in weitergehendem Maße zumutbar sind, als sie sonst hinzunehmen wären (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1975 - BVerwG 4 C 71.73 - BVerwGE 50, 49 und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235; Beschluss vom 28. September 1993 - BVerwG 4 B 151.93 - NVwZ-RR 1994, 139). Eine äußerste Grenze bildet die Schwelle der Gesundheitsgefährdung. Gesunde Wohnverhältnisse i.S. des § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB müssen gewahrt, ein Wohnen ohne Gesundheitsgefahren muss möglich bleiben (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Mai 1991 - BVerwG 7 C 19.90 - BVerwGE 88, 210 und vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314; Beschluss vom 29. Oktober 2002 - BVerwG 4 B 60.02 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 165).
Der Kläger hält dem Berufungsgericht vor, zu einseitig auf die VDI-Richtlinie 3471 mit ihren Abstandsmaßen und die Geruchsimmissions-Richtlinie mit ihren Häufigkeitskriterien abgestellt zu haben, anstatt sich schwergewichtig an der TA-Luft auszurichten. Ob das eine oder das andere technische Regelwerk dem Anspruch, eine taugliche Grundlage für die Beurteilung der Erheblichkeit von Geruchsbeeinträchtigungen zu bilden, besser gerecht wird, ist indes keine Rechtsfrage, die sich unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls abstrakt in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt.
2. Die Divergenzrüge greift ebenfalls nicht durch.
Sie ist unzulässig, soweit sich der Kläger auf eine Abweichung vom Beschluss des Bayerischen VGH vom 22. Januar 1994 (NVwZ-RR 1995, 430) beruft. Eine Revisionszulassung auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kommt nur in Betracht, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht.
Die geltend gemachte Abweichung von dem Senatsbeschluss vom 28. September 1993 - BVerwG 4 B 151.93 - (NVwZ-RR 1994, 139) liegt nicht vor. Selbst wenn sich dieser Entscheidung der Rechtssatz entnehmen lassen sollte, dass Richtlinien "nicht schematisch angewendet werden dürfen, wenn Umstände des Einzelfalles eine besondere Beurteilung erfordern", bietet das Beschwerdevorbringen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorinstanz eine Rechtsauffassung vertritt, die hierzu in Widerspruch steht. Das Berufungsgericht würdigt die Geruchsimmissionssituation nicht bloß unter Heranziehung der TA-Luft und der VDI-Richtlinie 3471 anhand der räumlichen Gegebenheiten, sondern zusätzlich unter Berücksichtigung der auf der Grundlage der Geruchsimmissions-Richtlinie erstellten Häufigkeitsprognose. Dass es in diesem Zusammenhang bestimmten Umständen nicht die Bedeutung beimisst, die ihnen nach Ansicht des Klägers vor dem Hintergrund der Senatsrechtsprechung gebührt, lässt sich nicht als Beleg für eine Divergenz i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO werten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 72 Nr. 1 GKG n.F. i.V.m. § 14 Abs. 1 und 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.