Beschluss vom 12.09.2017 -
BVerwG 20 F 8.16ECLI:DE:BVerwG:2017:120917B20F8.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.09.2017 - 20 F 8.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:120917B20F8.16.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 8.16

  • OVG Lüneburg - 13.04.2016 - AZ: OVG 14 PS 5/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 12. September 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es die Beschwerde des Beklagten betrifft.
  2. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. April 2016 geändert. Die Sperrerklärung des Beklagten vom 18. Februar 2016 ist auch rechtswidrig, soweit sie sich auf Blatt 8, 16, 18, 40 und 42 der Beiakte 3 (..., Verwaltungsakte) sowie auf Blatt 35, 46, 324, 326, 329, 332, 335, 358 und 374 der Beiakte 4 (..., Sachakte) bezieht.
  3. Die weitergehende Beschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.
  4. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger vier Fünftel und der Beklagte ein Fünftel.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren Auskunft über die bei der Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde zu seiner Person gespeicherten personenbezogenen Daten.

2 Nach Aufforderung durch das Verwaltungsgericht legte der Beklagte lediglich einen Teil der bei ihm zur Person des Klägers geführten Unterlagen, und diese wiederum teils mit Schwärzungen, vor. Die Vorlage der vollständigen und ungeschwärzten Unterlagen lehnte der Beklagte mit Sperrerklärung vom 18. Februar 2016 ab. Zur Begründung verwies er darauf, durch die Bekanntgabe des Inhalts der nicht vorgelegten Aktenbestandteile würde die künftige Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschwert. Der Schutz verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung gebiete es, die fraglichen Dokumente geheim zu halten. Des Weiteren berief sich der Beklagte auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter.

3 Auf Antrag des Klägers legte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. März 2016 das Verfahren dem Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung vor. Es führte hierzu aus, der Beklagte habe dem Begehren des Klägers auf vollständige Auskunft materiell-rechtliche Weigerungsgründe im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 NVerfSchG in der Fassung vom 6. Mai 2009 (a.F.) entgegengehalten, deren Berechtigung für das Gericht nur in Kenntnis des Akteninhalts feststellbar sei.

4 Mit Beschluss vom 13. April 2016 hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage im Einzelnen bezeichneter Unterlagen rechtswidrig sei. Im Übrigen sei die Weigerung des Beklagten rechtmäßig, weil insoweit die mit der Sperrerklärung geltend gemachten Geheimhaltungsgründe vorlägen und die darauf bezogene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden sei. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers. Der Beklagte hat seine Beschwerde mit Schriftsatz vom 9. Juni 2016 zurückgenommen.

II

5 1. Nach der Rücknahme der Beschwerde des Beklagten ist das Beschwerdeverfahren insoweit in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

6 2. Die Beschwerde des Klägers ist nur zu einem geringen Teil begründet. Über die Feststellung des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts hinaus ist die Sperrerklärung auch rechtswidrig, soweit sie sich auf die im Entscheidungsausspruch bezeichneten Unterlagen bezieht. Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet. Insoweit hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zutreffend entschieden, dass die Weigerung des Beklagten, die angeforderten Unterlagen vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, rechtmäßig und der Antrag des Klägers demnach abzulehnen ist.

7 a) Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat auf den zulässigen Antrag des Klägers nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO das Vorliegen der mit der Sperrerklärung vom 18. Februar 2016 differenzierend für die einzelnen Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung der zutreffenden rechtlichen Maßstäbe geprüft. Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 18 f. und vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 4 m.w.N.). Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO. Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht. Im Fall des Informantenschutzes tritt neben das grundrechtlich abgesicherte Interesse des Betroffenen, seine persönlichen Daten geheim zu halten, das öffentliche Interesse, die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben sicherzustellen. Sind Behörden - wie dies namentlich auf die Verfassungsschutzämter zutrifft - bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 18. Februar 2014 - 20 F 10.13 - juris Rn. 5 und vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 10 f. m.w.N.).

8 b) Hiernach hat die Sperrerklärung auch im Beschwerdeverfahren zum weit überwiegenden Teil Bestand. Über die - vom Beklagten nicht angegriffene - Feststellung des Oberverwaltungsgerichts hinaus erweist sich lediglich die Weigerung des Beklagten, Blatt 8, 16, 18, 40 und 42 der Beiakte 3 sowie Blatt 35, 46, 324, 326, 329, 332, 335, 358 und 374 der Beiakte 4 vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, als rechtswidrig. Für diese Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass die in der Sperrerklärung insoweit in Anspruch genommenen Weigerungsgründe ihre Vorlage vollständig ausschließen (aa). Im Übrigen ist die Sperrerklärung, soweit sie Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, rechtlich nicht zu beanstanden (bb).

9 aa) Die Unterlage Blatt 8 der Beiakte 3 betrifft die Bearbeitung des Auskunftsantrags des Klägers. Der Beklagte hat die Vorlageverweigerung damit begründet, eine Offenlegung dieser Aktenseite könne Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ermöglichen und so die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden erschweren. Gründe, die Unterlage vollständig geheim zu halten, sind jedoch nicht ersichtlich. Die Angabe, dass der Kläger ein Auskunftsersuchen gemäß § 13 NVerfSchG a.F. gestellt hat, ist nicht geheimhaltungsbedürftig. Das Gleiche gilt für die Information, es gebe kein früheres Auskunftsersuchen des Klägers. Auch wird in der Sperrerklärung der Umstand offengelegt, dass zu seiner Person Speicherungen in der Niedersächsischen Amtsdatei "ANI", im Registratursegment der Verfassungsschutzbehörde und im Nachrichtendienstlichen Informationssystem "NADIS" vorhanden sind (vgl. S. 29 der Sperrerklärung vom 18. Februar 2016 <zu Bl. 8-19>). Der Beklagte hätte deshalb prüfen müssen, ob berechtigten nachrichtendienstlichen Belangen durch eine Teilschwärzung der Unterlage Rechnung getragen werden kann.

10 Blatt 16 und 18 der Beiakte 3 sowie - damit inhaltlich weitgehend identisch - Blatt 40 und 42 der Beiakte 3 und Blatt 324 und 326 der Beiakte 4 betreffen unter anderem personenbezogene Daten des Klägers, wie etwa Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort/-land, Wohnsitz. Insoweit ist ein Geheimhaltungsgrund nicht erkennbar. Soweit die Unterlagen darüber hinausgehend schutzwürdige Inhalte enthalten, die entweder Akten- und Organisationszeichen und ähnliche Angaben betreffen oder sonst Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung der Sicherheitsbehörden erlauben, ist nicht ersichtlich, dass berechtigten Geheimhaltungsinteressen nicht durch eine Teilschwärzung genügt werden könnte.

11 Blatt 35 der Beiakte 4 bezieht sich auf eine ausdrücklich als "offen" bezeichnete und vom Beklagten offengelegte Erkenntnis über den Kläger, die auch in der Verbescheidung seines Auskunftsantrags Niederschlag gefunden hat. Es erschließt sich daher nicht, dass eine Schwärzung der auf dieser Unterlage darüber hinaus enthaltenen, insbesondere die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes betreffenden und damit geheimhaltungsbedürftigen Inhalte nicht ausreichend wäre. Jedenfalls hinsichtlich der Informationen in Satz 1 des ersten Abschnitts auf Blatt 35 ist kein Weigerungsgrund ersichtlich.

12 Die Unterlage Blatt 46 der Beiakte 4 enthält unter anderem allgemeine Angaben zur Person des Klägers (Name, Vorname, Geburtsdatum, -ort/-land, Anschrift), die nicht geheimhaltungsbedürftig sind. Der Beklagte hätte deshalb prüfen müssen, ob berechtigten nachrichtendienstlichen Belangen durch eine Teilschwärzung der Unterlage Rechnung getragen werden kann.

13 Blatt 329 der Beiakte 4 betrifft eine Anfrage des Beklagten an eine andere Sicherheitsbehörde, ob Bedenken bestünden, dem Kläger auf dessen Auskunftsersuchen Erkenntnisse mitzuteilen, die der Beklagte von dieser Behörde erhalten habe. Der Beklagte hat die Vorlage dieser Aktenseite mit der Begründung abgelehnt, eine Offenlegung würde die Kontakte und die Praxis der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden offenbaren, die für den behördlichen Informationsaustausch erforderliche Vertrauensbasis erschüttern und damit die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gefährden. Gründe, die Offenlegung der Unterlage vollständig zu verweigern, sind jedoch nicht erkennbar. Dass die Sicherheitsbehörden Erkenntnisse austauschen, entspricht deren Aufgabe und ist deshalb für sich genommen nicht geheimhaltungsbedürftig. Das Gleiche gilt für den Umstand, dass in Fällen von Auskunftsersuchen Betroffener bei der Stelle, die die Information ursprünglich gewonnen hat, nachgefragt wird, ob Bedenken gegen die Erteilung einer Auskunft bestehen (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 20). Auch hinsichtlich der in der Anfrage formulierten Bitte um eine zeitnahe Beantwortung lässt sich kein Geheimhaltungsinteresse feststellen. Soweit die Aktenseite darüber hinaus schutzwürdige Angaben enthält - wie insbesondere Akten- und Organisationszeichen, Kommunikationsdaten, Namen von Behördenmitarbeitern und den Inhalt der Erkenntnisse - erschließt sich nicht, dass berechtigten nachrichtendienstlichen Belangen nicht durch eine Teilschwärzung der Unterlage Genüge getan werden kann.

14 Entsprechendes gilt für die Unterlagen Blatt 332, 335 und 358 der Beiakte 4, bei denen es sich um vergleichbare Anfragen des Beklagten handelt.

15 Schließlich liegt auch in Bezug auf Blatt 374 der Beiakte 4 kein Weigerungsgrund vor, der ein gänzliches Zurückhalten der Unterlage rechtfertigt. Die Verbescheidung des Auskunftsersuchens des Klägers ist ebenso wenig geheimhaltungsbedürftig wie die Identität des Mitarbeiters, der die Verfassungsschutzbehörde bei der Bearbeitung des Auskunftsvorgangs nach außen vertritt, zumal die Identität an anderer Stelle offengelegt ist (vgl. etwa Bl. 30 der Beiakte 3). Soweit die Unterlage darüber hinaus schützenswerte Inhalte enthält, kann dem durch eine Teilschwärzung Rechnung getragen werden.

16 bb) Im Übrigen bestätigt die Durchsicht der dem beschließenden Fachsenat vollständig und ungeschwärzt vorliegenden Unterlagen, dass die in der Sperrerklärung geltend gemachten Weigerungsgründe gegeben sind. Der Fachsenat hat sich auch davon überzeugt, dass diese Geheimhaltungsgründe die Offenlegung der zurückgehaltenen Unterlagen in Gänze ausschließen bzw. die vorgenommenen Schwärzungen rechtfertigen. Nicht zu beanstanden ist, dass der Beklagte von Teilschwärzungen abgesehen hat, die nur zu einem inhaltsleeren und nichtssagenden Restbestand führen würden (BVerwG, Beschlüsse vom 2. November 2015 - 20 F 9.14 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​021115B20F9.14.0] - juris Rn. 20 und vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 18).

17 Unschädlich ist, dass in der Sperrerklärung - wohl versehentlich - auf Schwärzungen verwiesen wird, ohne dass insoweit teilgeschwärzte Unterlagen vorgelegt worden sind (vgl. S. 24 der Sperrerklärung <zu Bl. 295-297, 302-304 - letzter Absatz der Beiakte 4>). Die Durchsicht der Originalunterlagen bestätigt, dass Geheimhaltungsgründe vorliegen, die ein vollständiges Zurückhalten dieser Aktenseiten rechtfertigen.

18 Soweit danach die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Vorlageverweigerung erfüllt sind, erweist sich auch die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Ermessensausübung als rechtmäßig. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat zutreffend ausgeführt, dass der Beklagte in seiner Sperrerklärung eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Prozess beruhende Ermessensentscheidung getroffen hat, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. dazu etwa BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m.w.N.) genügt.

19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO.