Verfahrensinformation



Die Beteiligten streiten über die Frage, ob das Arbeitszeitgesetz auch auf Erzieherinnen und Erzieher Anwendung findet, die in Wohngruppen mit alternierender Rund-um-die-Uhr-Betreuung mehrtägige Dienste verrichten.


Die Klägerin betreibt als anerkannte freie Trägerin der Kinder- und Jugendhilfe Wohngruppen mit alternierender Betreuung. Für jede Gruppe sind drei Beschäftigte zuständig, die alternierend etwa sechs Kinder und Jugendliche durchgehend in der Wohngruppe betreuen. Während ein Beschäftigter in der Regel drei bis fünf Tage in Folge in der Wohngruppe wohnt, ist der Zweite im Tagesdienst tätig; der Dritte befindet sich währenddessen in einer Freiphase. Ziel des Modells ist es, eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung in einer familienähnlichen Gruppe mit hoher Betreuungsintensität und gleichzeitiger Kontinuität der Beziehungen zu gewährleisten. Das beklagte Land ist der Auffassung, dieses Modell verstoße gegen das Arbeitszeitgesetz. Es forderte die Klägerin daher auf, die Dienstpläne ihrer Beschäftigten insbesondere so zu gestalten, dass die tägliche Arbeitszeit von höchstens zehn Stunden nicht überschritten wird und die gesetzlichen Ruhezeiten eingehalten werden.


Die hiergegen gerichtete Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die behördliche Anordnung für rechtmäßig gehalten. Das Arbeitszeitgesetz sei auf das von der Klägerin praktizierte Arbeitszeitmodell anwendbar. Auf eine Ausnahme von der Anwendung des Arbeitszeitgesetzes könne sich die Klägerin nicht berufen, da eine solche Ausnahme mit den Vorgaben der EU-Arbeitszeitrichtlinie nicht vereinbar sei.


Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.


Pressemitteilung Nr. 33/2019 vom 08.05.2019

Arbeitszeitgesetz auf Erzieher in Wohngruppen mit alternierender Betreuung anwendbar

Das Arbeitszeitgesetz ist auf Erzieher anwendbar, die im Rahmen der sogenannten alternierenden Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen tätig sind. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die klagende GmbH betreibt als Trägerin der Kinder- und Jugendhilfe unter anderem Wohngruppen, in denen regelmäßig jeweils sechs Kinder und Jugendliche von drei Erziehern betreut werden. Im Rahmen der hierbei praktizierten alternierenden Betreuung (WaB-Modell) wohnt jeweils einer der Erzieher für zwei bis sieben Tage durchgehend in der Wohngruppe. Der zweite Erzieher hat tagsüber Dienst; der dritte Erzieher hat frei. Mit dem angefochtenen Bescheid gab das beklagte Land der Klägerin auf, die Dienstpläne der Erzieher im Einklang mit den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) auszugestalten. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos.


Das Bundesverwaltungsgericht hat auch die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes auf die in den WaB-Gruppen beschäftigten Erzieher ist nicht nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG ausgeschlossen. Diese Ausnahmevorschrift setzt unter anderem voraus, dass die betroffenen Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben. Dazu ist ein gemeinsames Wohnen und Wirtschaften auf längere Zeit erforderlich, das auf personelle Kontinuität sowie nahezu permanente Verfügbarkeit des Arbeitnehmers angelegt und davon geprägt ist, dass sich Arbeits- und Ruhezeiten nicht voneinander trennen lassen. Dieses Verständnis des § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG steht im Einklang mit dem Unionsrecht, namentlich der Richtlinie 2003/88/EG. Gemessen daran stellt das von der Klägerin praktizierte Modell kein Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft dar.


Der angefochtene, auf § 17 Abs. 2 ArbZG gestützte Bescheid ist auch im Übrigen rechtmäßig. Insbesondere hat der Beklagte sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil allerdings nur im Ergebnis als richtig, denn der von § 17 Abs. 2 ArbZG eröffnete Ermessensspielraum ist - anders als von den Vorinstanzen angenommen - nicht im Sinne eines „intendierten Ermessens“ dahingehend eingeschränkt, dass die zuständige Behörde bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen regelmäßig einzuschreiten hat.


BVerwG 8 C 3.18 - Urteil vom 08. Mai 2019

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 1 B 19.15 - Urteil vom 29. November 2017 -

VG Berlin, 14 K 184.14 - Urteil vom 24. März 2015 -


Beschluss vom 13.04.2015 -
BVerwG 1 B 19.15ECLI:DE:BVerwG:2015:130415B1B19.15.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.04.2015 - 1 B 19.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2015:130415B1B19.15.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 19.15

  • VG Würzburg - 14.02.2011 - AZ: VG W 7 K 10.30277
  • VGH München - 07.01.2015 - AZ: VGH 11 B 12.30471

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Weder die geltend gemachte Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) noch der gerügte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen vor.

2 1. Die Beschwerde macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof sei von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 12. Juli 1983 ‌- 9 B 10542.83 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 10 = InfAuslR 1983, 257) abgewichen. Dort habe das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass wenn für einen Asylbewerber mehrere mögliche (nicht auszuschließende) politische Verfolgungsgründe bestünden, diese nicht - nur - isoliert voneinander im Hinblick darauf beurteilt werden dürften, ob jeder einzelne von ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung führen werde. Notwendig sei vielmehr eine Gesamtschau des jeweiligen Lebenssachverhalts einschließlich der politischen Situation im Herkunftsland, wobei die Häufung möglicher politischer Verfolgungsgründe für eine erhöhte Verfolgungswahrscheinlichkeit und damit für die Begründetheit einer darauf beruhenden Verfolgungsfurcht des Betroffenen sprechen könne. Hiervon sei der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall erkennbar abgewichen, denn er habe nacheinander die vom Kläger vorgebrachten Verfolgungsgründe abgehandelt und dahingehend bewertet, ob bei jedem der vorgebrachten Verfolgungsgründe dieser einzelne Grund mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer politischen Verfolgung führen werde.

3 Dahinstehen kann, ob dieses Vorbringen den Anforderungen an die Darlegung einer Abweichung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Denn jedenfalls ist das Berufungsgericht von der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht abgewichen. Bereits der Obersatz zum Begriff der "Verfolgung" gem. § 3a Abs. 1 AsylVfG in Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung, der die Möglichkeit einer Kumulierung gemäß Nr. 2 der Vorschrift explizit miteinbezieht, macht deutlich, dass das Berufungsgericht rechtlich von der Notwendigkeit einer Gesamtschau der verfolgungsbegründenden Umstände ausgeht. Die sich daran anschließende sukzessive Abarbeitung der vom Kläger im Einzelnen vorgetragenen Verfolgungsgründe in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils lässt - entgegen der Annahme der Beschwerde - nicht den Schluss zu, der Verwaltungsgerichtshof habe sich der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles bei der Rechtsanwendung verschlossen oder gar in Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen Rechtssatz dahin gebildet, dass es keiner Gesamtschau bedürfe. Eine etwa fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall, die der Sache nach geltend gemacht wird, könnte nicht zum Erfolg der Divergenzrüge führen.

4 2. Mit der Gehörsrüge macht die Beschwerde unter Anknüpfung an ihr bisheriges Vorbringen geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe das Vorbringen des Klägers nicht vollständig zur Kenntnis genommen und sei dem auch nicht weiter nachgegangen. In Wahrheit wendet sich die Beschwerde mit diesem Vorbringen im Gewande der Verfahrensrüge lediglich gegen die nach ihrer Auffassung unzutreffende tatrichterliche Beweiswürdigung als Grundlage der Verfolgungsprognose des Berufungsgerichts. Damit vermag sie eine Gehörsverletzung des Klägers nicht erfolgreich darzutun.

5 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.