Beschluss vom 16.03.2006 -
BVerwG 4 BN 38.05ECLI:DE:BVerwG:2006:160306B4BN38.05.0

Beschluss

BVerwG 4 BN 38.05

  • VGH Baden-Württemberg - 09.06.2005 - AZ: VGH 3 S 1545/04

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. März 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 9. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

2 Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, wo-rin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr).

3 1. Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob die Bestimmung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 Landesplanungsgesetz Baden-Württemberg (LplG) mit den formellen und materiellen Vorgaben der Art. 75 Abs. 3 GG sowie Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG zu vereinbaren ist. Damit wird jedoch keine Frage benannt, die in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Unvereinbarkeit von Landesrecht mit Regelungen des Bundesrechts einschließlich des Bundesverfassungsrechts geltend gemacht, ist näher darzulegen, inwiefern die gegenüber dem Landesrecht als höherrangig angeführte bundesrechtliche Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr).

4 Auch die daran angeschlossene Frage, welche Maßstäbe von Verfassungs wegen für die Beantwortung der von den Gerichten nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 Nr. 3 LplG BW zu entscheidenden Frage gelten, ob und wann die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, insbesondere der Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 12 Abs. 3 LplG BW, deshalb für die Rechtswirksamkeit eines Regionalplans unerheblich ist, weil sie ohne Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen ist, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn auch insoweit wird keine Frage des Bundes(verfassungs)rechts aufgeworfen, die ihrerseits - auch vor dem Hintergrund der umfangreichen Rechtsprechung zu verschiedenen Regelungen der Planerhaltung - weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung bedürfte. Daran ändert auch der ergänzende Hinweis in der Beschwerde auf die Entschlossenheit der Regionalversammlung im konkreten Einzelfall nichts, den Regionalplan in der Form, in der er verabschiedet wurde, zu beschließen. Im Übrigen stützt das Normenkontrollgericht seine Entscheidung nicht nur darauf, dass die Verbandsversammlung zur (weiteren) Reduktion von Standorten entschlossen war, sondern auch darauf, dass die nach dem baden-württembergischen Recht nunmehr vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung, die bei der 2. und 3. Anhörung erfolgt ist, auch bei der 4. Anhörung nicht völlig unterlassen wurde. Vielmehr sind die betroffenen Kommunen und Planungsträger sowie die Betreiberfirma p. angehört worden. Ferner sei nicht erkennbar, was seitens der Öffentlichkeit noch zusätzlich hätte beigetragen werden können (UA S. 20).

5 2. Auch die Frage, ob es mit der durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Planungshoheit der Gemeinden und der Regionalverbände vereinbar ist, ausschließlich bei der Festlegung der Standorte von Windkraftanlagen entsprechend § 11 Abs. 7 Satz 1, 2. Halbs. LplG BW eine Beschränkung auf Vorrang- und Ausschlussgebiete vorzunehmen, die Festlegung von Vorbehaltsgebieten jedoch von vornherein auszuschließen, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Denn auch insoweit wird nicht dargelegt, warum die angeführte Norm des Bundes(verfassungs)rechts, nämlich Art. 28 Abs. 2 GG, ungeklärte Fragen aufwirft, die einer Klärung im vorliegenden Verfahren bedürften. Im Übrigen stützt sich das Normenkontrollgericht ausdrücklich auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats insbesondere im Urteil vom 15. Mai 2003 - BVerwG 4 CN 9.01 - (BVerwGE 118, 181 - Landesmesse Stuttgart). Danach können in einem Regionalplan auch gebietsscharfe Standortausweisungen mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar sein (a.a.O. S. 185). Verpflichtet der Landesgesetzgeber die Regionalplanung unter bestimmten Voraussetzungen zu Eingriffen in die kommunale Planungshoheit, ist der allgemeine verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und eine Güterabwägung vorzunehmen. Vorliegend legt das Normenkontrollgericht unter Auswertung der Beratungen im Landtag näher dar, durch die Verpflichtung zur kombinierten Festlegung von Vorrang- und Ausschlussgebieten könnten die Regionalverbände einer ungeordneten oder ausschließlich durch örtliche Interessen bestimmten Nutzung der Windenergie entgegenwirken. Die Erwägungen des Gesetzgebers rechtfertigten die Beschränkung der gemeindlichen Planungshoheit. Die Belange der Gemeinden würden dadurch hinreichend gewahrt, dass das Landesplanungsgesetz vor der gebietsscharfen Ausweisung eines Standorts für ein regionalbedeutsames Vorhaben zu einer umfassenden Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange verpflichte. Ferner sehe das Gesetz eine Beteiligung der Gemeinden und der übrigen Planungsträger vor, so dass sie ihre eigenen Planungsvorstellungen zur Geltung bringen könnten. Dadurch scheide auch eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus. Vor diesem Hintergrund zeigt die Beschwerde keinen über die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinausgehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf auf.

6 3. Auch die Frage,
ob von der Erforderlichkeit der Festlegung von Vorranggebieten für die Windkraftnutzung auch dann noch ausgegangen werden kann, wenn sich die Zahl der Vorranggebiete auf einige wenige (hier: 4) beschränkt und sich ihr Anteil an der Gesamtfläche des Plan- bzw. Satzungsgebers im untersten (hier: Promille) Bereich bewegt, gleichzeitig aber die Hälfte der Vorranggebiete im Eigentum von Kommunen steht, die dort erklärtermaßen keine Windkraftanlagen zulassen wollen, und die Festlegung der anderen Hälfte der Vorranggebiete auf die entschiedene Ablehnung der Gemarkungsgemeinde stößt,
ergibt nicht die grundsätzliche Bedeutung der Sache.

7 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Planung mit dem Gebot der Erforderlichkeit nicht vereinbar ist, wenn sie sich als nicht vollzugsfähig erweist, weil ihr auf unabsehbare Zeit unüberwindliche rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen. Denn dann verfehlt sie ihren gestaltenden Auftrag. Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit gilt nicht nur für den Anlass sondern auch für den Inhalt des Plans und damit für jede seiner Festsetzungen. Die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung sind hingegen nach den Maßstäben des Abwägungsgebots zu überprüfen. (BVerwG, Urteile vom 21. März 2002 - BVerwG 4 CN 14.00 - BVerwGE 116, 144 <147> und vom 18. März 2004 - BVerwG 4 CN 4.03 - BVerwGE 120, 239 <241 f.>). § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB setzt eine Darstellung voraus, bei der eine positive Standortzuweisung mit einer Ausschlusswirkung für das übrige Gemeindegebiet verknüpft wird. Das mit dieser Regelung verfolgte Ziel wird von vornherein verfehlt, wenn die Fläche, die für die vorgesehene Nutzung zur Verfügung stehen soll, für diesen Zweck schlechthin ungeeignet ist (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 <289>). Der Maßstab der Erforderlichkeit stellt jedoch auch in diesem Zusammenhang nur ein grobes Raster dar. Die Einzelheiten einer Auswahl der für die Windenergienutzung vorzusehenden Flächen sind daher nach den Maßstäben des Abwägungsgebots zu überprüfen. Das Normenkontrollgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und zu dem Ergebnis gelangt, dass auf den verbliebenen Flächen der vorgesehenen Nutzung weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse entgegenstehen (UA. S. 27). Dass eine Verwirklichung ausgeschlossen wäre, hat es nicht festgestellt. Auf die Bedeutung der gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse an den betroffenen Grundstücken ist es im Rahmen der Überprüfung der Abwägung eingegangen. Weiterführende Fragen zur Erforderlichkeit eines Regionalplans ergeben sich daraus nicht. Soweit die Beschwerde überdies den Sachverhalt aus ihrer Sicht würdigt, steht ihr Vortrag mit den Feststellungen des Normenkontrollgerichts, an die der Senat mangels Verfahrensrügen gebunden wäre, nicht im Einklang. Im Übrigen betreffen diese Ausführungen - wie auch ein Teil der Fragestellung selbst - die Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls.

8 4. Die zum Gesichtspunkt des großen zerschnittenen Raums formulierte Frage betrifft ebenfalls Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls und entzieht sich damit einer rechtsgrundsätzlichen Klärung.

9 5. Auch die Frage zu den Voraussetzungen und Randbedingungen für die Modifizierung eines schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts für eine Windvorrangplanung, die bereits mehrere Planungsstufen durchlaufen hat, bei der abschließenden Beschlussfassung durch den Satzungsgeber - insbesondere bei Belangen, die bereits Gegenstand vorheriger Beschlussfassung waren - verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Verbandsversammlung hat ihren Entscheidungsprozess und damit den Abwägungsvorgang in mehreren Schritten vorgenommen. Spezielle bundesrechtliche Vorgaben zu einer derartigen Vorgehensweise bestehen nicht.

10 6. Die zum Abwägungsergebnis aufgeworfene Frage
a) kann bei einer sich im untersten Promillebereich bewegenden Festlegung von Vorranggebieten überhaupt noch davon gesprochen werden, dass für die Windenergienutzung im Plangebiet "in substanzieller Weise Raum geschaffen" wird?
b) Gilt dies insbesondere dann, wenn sich bei der Detailbetrachtung ergibt, dass die Zahl der Vorrangstandorte noch einmal halbiert werden muss, weil aufgrund der Eigentumsverhältnisse vor Ort die Errichtung von Windenergieanlagen realistischerweise ausgeschlossen ist?
c) Gelten für den Fall einer flächen- und standortmäßig derartig reduzierten "Windvorrangplanung" jedenfalls ganz besondere Anforderungen an die Abwägung?
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass sich nicht abstrakt bestimmen lässt, wo die Grenze zur unzulässigen "Negativplanung" verläuft (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. März 2003 - BVerwG 4 C 4.02 - BVerwGE 118, 33 <47> und vom 27. Januar 2005 - BVerwG 4 C 5.04 - BVerwGE 122, 364 <375>). Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Planungsraum, Größenangaben sind, isoliert betrachtet, als Kriterium ungeeignet (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 <295>). Allerdings darf der Träger der Raumordnung das ihm an die Hand gegebene Instrumentarium nicht für eine Verhinderungsplanung missbrauchen. Zwar ist er nicht gehalten, die bestehenden Eigentumsverhältnisse an den betroffenen Grundstücken näher aufzuklären, wenn er in typisierender Betrachtung davon ausgehen kann, dass eine Nutzung für Windenergieanlagen in Betracht kommt. Andererseits darf er nicht die Augen davor verschließen, wenn von vornherein absehbar ist, dass die Errichtung von Windenergieanlagen vom Eigentümer, beispielsweise von einer Gemeinde, der die benötigten Grundstücke gehören, blockiert werden wird. Einen derartigen Sachverhalt hat der Verwaltungsgerichtshof indessen nicht festgestellt. Späteren Entwicklungen, die bei der Beschlussfassung über den Regionalplan noch nicht absehbar waren, ist - wie auch der Antragsgegner zu Recht hervorhebt - gegebenenfalls durch seine Änderung Rechnung zu tragen. Sie führen jedoch nicht zu einer Unwirksamkeit des Plans.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.