Pressemitteilung Nr. 98/2019 vom 23.12.2019

Keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Klagen gegen den Ausbau der Eisenbahnstrecke Oldenburg - Wilhelmshaven

Die aufschiebende Wirkung von Klagen, die die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm, die Stadt Oldenburg, mehrere Anwohner und ein kommunales Rechenzentrum gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 5. Juli 2019 zum Ausbau der Eisenbahnstrecke 1522 Oldenburg-Wilhelmshaven von Bahn-km 0,841 bis 9,722 erhoben haben, wird nicht angeordnet. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 19. Dezember 2019 in mehreren Eilverfahren entschieden.


Die im planfestgestellten Abschnitt vorhandene zweigleisige Eisenbahnstrecke soll u.a. elektrifiziert und mit Lärmschutzwänden versehen werden. Für das Vorhaben, das insbesondere der verbesserten Schienenanbindung des JadeWeserPort in Wilhelmshaven dient, hat der Gesetzgeber einen vordringlichen Bedarf festgestellt. Klagen gegen ein solches Vorhaben haben keine aufschiebende Wirkung.


Maßgeblich für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war zum einen, dass die geltend gemachten Einwände - insbesondere zum Lärmschutz - gegebenenfalls durch eine Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um Schutzauflagen bewältigt werden können. Dies kann im Klageverfahren geprüft werden, ohne dass Rechtsverluste drohen. Zum anderen ist bei der Gewichtung der einander gegenüberstehenden Interessen von maßgeblicher Bedeutung, dass der Gesetzgeber der beschleunigten Umsetzung eisenbahnrechtlicher Planungsentscheidungen erhebliches Gewicht beimisst. Ausgehend hiervon überwiegt vorliegend das Interesse an der sofortigen Umsetzung des Vorhabens das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Mit der Fortsetzung der Arbeiten werden keine irreparablen bzw. nicht rückgängig zu machenden Folgen eintreten. Sollten sich die bis zu einer Entscheidung des Senats in der Hauptsache durchgeführten bauvorbereitenden Maßnahmen bzw. Baumaßnahmen als rechtswidrig erweisen, ließen sich die eingetretenen Folgen im Wege des Rückbaues und der Wiederbepflanzung gerodeter Flächen beseitigen bzw. rückgängig machen.


BVerwG 7 VR 5.19 - Beschluss vom 19. Dezember 2019

BVerwG 7 VR 6.19 - Beschluss vom 19. Dezember 2019

BVerwG 7 VR 7.19 - Beschluss vom 19. Dezember 2019

BVerwG 7 VR 8.19 - Beschluss vom 19. Dezember 2019


Beschluss vom 19.12.2019 -
BVerwG 7 VR 7.19ECLI:DE:BVerwG:2019:191219B7VR7.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.12.2019 - 7 VR 7.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:191219B7VR7.19.0]

Beschluss

BVerwG 7 VR 7.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Dezember 2019
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Löffelbein
beschlossen:

  1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 5. Juli 2019 wird abgelehnt.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Antragstellerin, die Stadt Oldenburg, wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 5. Juli 2019 zum Ausbau der Eisenbahnstrecke 1522 Oldenburg-Wilhelmshaven von Bahn-km 0,841 bis 9,722 (PFA 1). Sie beantragt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage.

2 Mit ihrer Klage (BVerwG 7 A 10.19 ) begehrt die Antragstellerin die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, hilfsweise dessen Ergänzung um Schutzauflagen.

II

3 1. Der Antrag ist zulässig.

4 1.1. Das Bundesverwaltungsgericht ist als Gericht der Hauptsache nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. lfd. Nr. 7 der Anlage 1 zu § 18e Abs. 1 AEG für die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zuständig. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss ist nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Für das Vorhaben ist nach § 1 des Gesetzes über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetz - BSWAG) vom 15. November 1993 (BGBl. I S. 1874), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3221), in Verbindung mit Abschnitt 1 lfd. Nr. 28 der Anlage zu § 1 BSWAG der vordringliche Bedarf festgestellt.

5 1.2. Die Antragstellerin ist im Hinblick auf ihr gemeindliches Selbstverwaltungsrecht bzw. die ihr zukommende kommunale Planungshoheit antragsbefugt. Jedenfalls insoweit ist eine Verletzung der Antragstellerin in eigenen Rechten in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus ist auch Grundeigentum der Antragstellerin von dem planfestgestellten Vorhaben betroffen. Die Antragstellerin ist zwar als kommunale Gebietskörperschaft nicht Trägerin des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG, kann jedoch wie ein privater Grundstückseigentümer geltend machen, die Inanspruchnahme ihres einfachrechtlich geschützten Eigentums verletze das Gebot gerechter Abwägung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Oktober 2014 - 7 VR 2.14 u.a. - juris Rn. 8 m.w.N.).

6 2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

7 2.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss anordnen.

8 In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es - wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung oder wegen der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen - nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 7 VR 6.14 - NVwZ-RR 2015, 250 Rn. 8 m.w.N.).

9 Bei der Gewichtung der einander gegenüberstehenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist von maßgeblicher Bedeutung, dass der Gesetzgeber ausweislich des § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG dem Vollzugsinteresse - und damit der beschleunigten Umsetzung eisenbahnrechtlicher Planungsentscheidungen - erhebliches Gewicht beimisst (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 2005 - 4 VR 1005.04 - BVerwGE 123, 241 <244>, vom 6. März 2014 - 9 VR 1.14 - juris Rn. 7 und vom 5. Juli 2018 - 9 VR 1.18 - NVwZ 2018, 1653 Rn. 10). Eine längere Dauer des vorangegangenen Planfeststellungsverfahrens schmälert das Gewicht dieses Vollzugsinteresses nicht.

10 Vorliegend sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten. Zum einen verträgt die Entscheidung über den Antrag keinen Aufschub. Zum anderen werden von der Antragstellerin Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.

11 Die Entscheidung über den Antrag ist dringlich. Neben dem Beschleunigungsgebot, dass aus der gesetzgeberischen Grundentscheidung nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit - und damit zugunsten der unverzüglichen Umsetzung - von Planfeststellungsbeschlüssen für den Bau oder die Änderung von Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, für die - wie hier - nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz ein vordringlicher Bedarf festgestellt ist, folgt, ergibt sich diese Dringlichkeit vorliegend auch daraus, dass eine weitere Unterbrechung der bereits begonnenen Rodungsarbeiten, die aus naturschutzrechtlichen Gründen nur bis Ende Februar durchgeführt werden können, den weiteren Bauablauf nach den nachvollziehbaren Angaben der Beigeladenen um mindestens ein Jahr verzögern würde.

12 Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses stellen sich zudem Sach- und Rechtsfragen, die erst im Zuge der Durchführung des Hauptsacheverfahrens geklärt werden können. Dies betrifft namentlich gerügte Verfahrensfehler, etwaige Defizite der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegten Verkehrsprognose und insbesondere Abwägungsfehler der fachplanerischen Alternativenprüfung.

13 2.2. Das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen überwiegen das Suspensivinteresse der Antragstellerin. Ausgehend von der gesetzgeberischen Grundentscheidung nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit ist hierfür maßgeblich, dass mit einer Fortsetzung der von der Beigeladenen begonnenen Arbeiten keine irreparablen bzw. nicht rückgängig zu machenden Folgen zulasten Drittbetroffener eintreten. Vollendete Tatsachen werden nicht geschaffen. Sollten sich die bis zu einer Entscheidung des Senats in der Hauptsache durchgeführten bauvorbereitenden Maßnahmen bzw. Baumaßnahmen als rechtswidrig erweisen, ließen sich die eingetretenen Folgen im Wege des Rückbaues und der Wiederbepflanzung gerodeter Flächen beseitigen bzw. rückgängig machen. Dass hierdurch Kosten entstünden, liegt in der Natur der Sache. Die daraus folgende finanzielle Belastung des Vorhabenträgers ist unvermeidliche Konsequenz der Inanspruchnahme der vom Gesetzgeber gebotenen Möglichkeit, Planfeststellungsbeschlüsse für Schienenausbauvorhaben des vordringlichen Bedarfs unverzüglich umzusetzen.

14 Der Rückgängigmachung steht auch nicht entgegen, dass nach einer Wiederbepflanzung gerodeter Flächen vor dem Erreichen des ursprünglichen Zustands Neuanpflanzungen zunächst noch eine Anwachsphase durchlaufen müssen (im Ergebnis wie hier auch BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2017 - 9 VR 2.16 - juris Rn. 33). Der Gesetzgeber setzt Ausgleich und Ersatz für Eingriffe in Natur und Landschaft (vgl. § 15 Abs. 2 BNatSchG) nicht mit einer Naturalrestitution im naturwissenschaftlichen Sinne gleich. Vielmehr nimmt er im Rahmen der Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft eine vorübergehende Verschlechterung des ökologischen Zustands hin, weil es auf der Hand liegt, dass etwa ein ausgewachsener Baum erst Jahre später gleichwertig substituiert werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 2012 - 9 A 17.11 - juris Rn. 149 m.w.N.; insoweit in BVerwGE 145, 40 nicht abgedruckt). Für eine Rückgängigmachung von Eingriffen in Natur und Landschaft kann nichts anderes gelten.

15 Die Entscheidung des Senats in der Hauptsache soll zudem voraussichtlich im Jahr 2020 und mithin während der laufenden Ausbaumaßnahmen erfolgen, so dass dem planfestgestellten Ausbau zuzurechnende betriebsbedingte Beeinträchtigungen vor der Entscheidung über die erhobene Klage nicht zu erwarten sind.

16 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.