Beschluss vom 23.05.2017 -
BVerwG 2 B 51.16ECLI:DE:BVerwG:2017:230517B2B51.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.05.2017 - 2 B 51.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:230517B2B51.16.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 51.16

  • VG Düsseldorf - 07.07.2014 - AZ: VG 35 K 7942/11.O
  • OVG Münster - 26.04.2016 - AZ: OVG 3d A 1785/14.O

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Mai 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und
Dr. Hartung
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. April 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

Gründe

1 1. Der im Jahr 1968 geborene Beklagte stand seit Oktober 1989, zuletzt im Rang eines Polizeioberkommissars, im Dienst des klagenden Landes, bis er mit Ablauf des 31. Oktober 2010 wegen Polizei- und allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde.

2 Mit rechtskräftig gewordenem amtsgerichtlichen Urteil vom 9. Juli 2009 wurden der Beklagte und sein mitangeklagter Kollege N. wegen jeweils gemeinschaftlich mit dem anderweitig verfolgten Kollegen G. begangener Untreue in zwölf Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von je 11 Monaten und 2 Wochen verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Grundlage der Verurteilung war, dass die beiden Angeklagten nach ihren geständigen Einlassungen von Verkehrsteilnehmern wegen Geschwindigkeitsübertretungen Verwarnungsgelder in Höhe von insgesamt 275 € in bar entgegengenommen, das Geld nicht an den Dienstherrn abgeführt, sondern für sich behalten und verwendet sowie Anlagen zu den gefertigten Messprotokollen inhaltlich unzutreffend mit Hinweisen auf Fehlmessungen oder mündlich erteilte Verwarnungen ausgefüllt hatten.

3 Auf die dieselben Tatvorwürfe betreffende Disziplinarklage hin hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Gegen das ihm am 18. August 2014 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am selben Tag beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt und am 1. September 2014 unmittelbar beim Oberverwaltungsgericht eine Begründung der Berufung eingereicht. Mit dem angegriffenen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen und im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Die unmittelbar beim Berufungsgericht eingereichte Begründung wahre diese Frist nicht. Unabhängig davon wäre die Berufung auch unbegründet. Der Beklagte habe ein schwerwiegendes einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen begangen, indem er die von den Verkehrsteilnehmern in bar bezahlten Verwarnungsgelder für sich behalten habe, daran mitgewirkt habe, dass sein Kollege G. in bar bezahlte Verwarnungsgelder für sich behalten habe, und unzutreffende Angaben in den polizeilichen Aufzeichnungen dazu gemacht habe. Dabei ist das Oberverwaltungsgericht von den tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Strafurteils ausgegangen. Hinsichtlich einer vom Beklagten geltend gemachten eingeschränkten Schuldfähigkeit greife die Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Urteils zwar nicht; doch fehlten hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte im Tatzeitraum an einer seelischen Beeinträchtigung gelitten habe, die zu einer erheblichen Minderung seiner Schuldfähigkeit geführt habe.

4 2. Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Sie genügt in mehrfacher Hinsicht nicht den Darlegungsanforderungen für die Geltendmachung eines Revisionszulassungsgrundes (§ 67 Satz 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

5 a) Eine solche Darlegung setzt im Hinblick auf den Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>, stRspr). Eine solche Klärungsbedürftigkeit liegt nicht vor, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage eindeutig bereits anhand des Gesetzes in Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden aufgrund der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet werden kann.

6 Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann i.S.v. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen divergenzfähigen Gerichts aufgestellten und diese Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26. S. 14).

7 Bei einem Berufungsurteil, das auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt ist, kommt als weitere Voraussetzung hinzu, dass eine Zulassung der Revision nur dann möglich ist, wenn die Beschwerde hinsichtlich jeder der selbstständig tragenden Begründungen einen durchgreifenden Revisionszulassungsgrund vorträgt (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 15. Juni 1990 - 1 B 92.90 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 20 S. 11 f. und vom 2. März 2016 - 2 B 66.15 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 62 Rn. 6).

8 b) Dem genügt das Beschwerdevorbringen nicht.

9 Ohne Erfolg sieht die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darin, dass das Berufungsgericht im Streitfall die Berufungsbegründungsfrist als nicht gewahrt angesehen und deshalb die Berufung für unzulässig gehalten hat.

10 aa) Der Beschwerdebegründung, die selbst - entgegen den vorbezeichneten Anforderungen - keine Rechtsfrage formuliert, kann bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung entnommen werden, dass sie mit Blick auf § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig hält,
ob in einem durch Disziplinarklage eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren die Berufungsbegründung fristwahrend auch beim Berufungsgericht eingereicht werden kann.

11 Die Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts im Sinne des Berufungsurteils zu beantworten ist.

12 Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW (wortgleich mit § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG) ist die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage bei dem Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Berufung unzulässig (§ 64 Abs. 1 Satz 5 LDG NRW/BDG). Der Wortlaut des Gesetzes ("einzulegen und zu begründen") ist insoweit eindeutig, als er sowohl die Einlegung als auch die Begründung der Berufung einer Disziplinarklage hinsichtlich Frist und Ort denselben Anforderungen unterwirft, nämlich der Einreichung beim Verwaltungsgericht. Lediglich für die Fallkonstellation eines rechtzeitig gestellten Fristverlängerungsantrags gemäß § 64 Abs. 1 Satz 3 LDG NRW/BDG hat die Rechtsprechung eine Ausnahme von dem Erfordernis des Satzes 2 entwickelt (dazu sogleich unter bb). Die von der Beschwerde geforderte (generelle) Möglichkeit einer fristwahrenden Einlegung der Berufungsbegründung auch beim Berufungsgericht sieht das Gesetz lediglich in den von § 64 Abs. 2 LDG NRW/BDG erfassten anderen ("im Übrigen") disziplinargerichtlichen Verfahren vor, etwa bei der Klage gegen eine Disziplinarverfügung, in denen die Berufung der Zulassung entweder durch das Verwaltungsgericht oder durch das Oberverwaltungsgericht bedarf und in denen durch die in Bezug genommenen Vorschriften des § 124a Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 5 VwGO die fristwahrende Einreichung der Berufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht möglich ist. Dass die Beschwerde eine Einreichung der Berufungsbegründung beim Verwaltungsgericht offenbar für "unsinnig" oder "unzweckmäßig" hält, weil dem Verwaltungsgericht eine inhaltliche Befassung mit der Berufung (oder gar Abhilfe) verwehrt ist, führt nicht dazu, dass das Rechtsmittelgericht diese gesetzliche Zulässigkeitsanforderung missachten dürfte.

13 bb) Eine Zulassung der Revision aus Gründen der Divergenz scheidet insoweit ebenfalls aus. Abgesehen davon, dass die Beschwerde weder einen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts noch einen diesem widersprechenden abstrakten Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts bezeichnet, liegt eine solche Abweichung auch in der Sache nicht vor. Die in der Beschwerdebegründung angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betraf die Fallkonstellation des § 64 Abs. 1 Satz 3 LDG NRW/BDG, in der die Berufungsbegründungsfrist aufgrund eines vor ihrem Ablauf gestellten Antrags vom Vorsitzenden des Disziplinarsenats des Oberverwaltungsgerichts verlängert worden war; in dieser Situation wird die Berufungsbegründungsfrist (auch) durch Einreichung beim Berufungsgericht gewahrt (BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 2010 - 2 B 66.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 15 Rn. 7 ff.). Diese Fallkonstellation liegt hier aber nicht vor; eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wurde weder beantragt noch bewilligt.

14 cc) Soweit die Beschwerde es für "unzutreffend" und "verfahrensrechtlich fehlerhaft" hält, dass das Oberverwaltungsgericht wegen der Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Strafurteils eine (schon vom Verwaltungsgericht abgelehnte) Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der Schuldfähigkeit des Beklagten für nicht möglich gehalten habe, vermag dies einen Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht zu begründen, weil dieser Vorwurf an der Begründung des Berufungsurteils vorbei geht.

15 Das Oberverwaltungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Strafurteil lediglich Bindungswirkung hinsichtlich der Frage entfaltet, ob der Betreffende schuldfähig oder schuldunfähig i.S.v. § 20 StGB ist, dass es aber Sache des Disziplinargerichts bleibt und dessen Aufgabe ist, für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme festzustellen, ob bei Vorliegen einer der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB ein Fall verminderter Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB gegeben ist. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - und Beschluss vom 9. Februar 2016 - 2 B 84.14 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 41 Rn. 20). Dementsprechend hat sich das Oberverwaltungsgericht im Streitfall (UA S. 28 oben) - in ausdrücklicher Abgrenzung zu der von der Beschwerde kritisierten Formulierung im Strafurteil des Amtsgerichts, wonach Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich seien - nicht an der Prüfung gehindert gesehen, ob im Tatzeitraum hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Eingangsmerkmals i.S.v. § 20 StGB beim Beklagten gegeben waren. Das Oberverwaltungsgericht hat aber sodann unter Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel das Vorliegen von Anknüpfungstatsachen, die Anlass zu einer weitergehenden Sachaufklärung böten, verneint (UA S. 28 Mitte bis S. 30 unten). Diese Würdigung liegt im tatrichterlichen Wertungsrahmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2016 - 2 B 84.14 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 41 Rn. 23 f.). Hiergegen trägt die Beschwerde nichts Substanziiertes vor.

16 dd) Schließlich scheitert die Beschwerde auch daran, dass das Berufungsurteil selbstständig tragend sowohl auf die Unzulässigkeit der Berufung als auch darauf gestützt ist, dass die Berufung auch in der Sache unbegründet gewesen wäre. Daher hätte die Beschwerde nur dann eine Zulassung der Revision erreichen können, wenn sie gegen jede dieser tragenden Begründungen einen durchgreifenden Revisionszulassungsgrund vorgetragen hätte. Dies ist ihr - nach dem Vorstehenden - indes hinsichtlich keiner der beiden Begründungen gelungen.

17 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes bedarf es nicht, weil die Höhe der Gerichtsgebühren streitwertunabhängig bestimmt werden (§ 75 Satz 1 LDG NRW i.V.m. Nr. 11 und 62 des Gerichtsgebührenverzeichnisses zu § 75 LDG NRW).