Beschluss vom 23.05.2019 -
BVerwG 1 WB 7.19ECLI:DE:BVerwG:2019:230519B1WB7.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.05.2019 - 1 WB 7.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:230519B1WB7.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 7.19

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den ehrenamtlichen Richter Oberst Jeske und
den ehrenamtlichen Richter Hauptmann Pfab
am 23. Mai 2019 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der Antrag betrifft den gegen einen Vorgesetzten gerichteten Vorwurf, eine Beschwerde unterdrückt zu haben.

2 Der ... geborene Antragsteller ist Zeitsoldat. Er war für den Zeitraum 26. Juli 2017 bis zum 30. November 2017 als ... zum ... kommandiert worden. Dort wurde er als ... des ... eingesetzt. Nachdem es im August und September 2017 zu Auseinandersetzungen zwischen dem Antragsteller und Kameraden gekommen war, der Kommandant ..., Oberstleutnant A., dem ..., Oberst i.G. B., hierüber Meldung gemacht hatte und Oberst i.G. B. einen Antrag auf vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des Antragstellers prüfte, bat der Antragsteller am 14. September 2017 beim Adjutanten von Brigadegeneral C. um einen Gesprächstermin. Nach eigenen Angaben bat er gleichzeitig um einen Termin, in dem er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegenüber Oberst i.G. B. zur Niederschrift abgeben könne.

3 Am 20. September 2017 erfolgte ein Treffen des Antragstellers mit Brigadegeneral C. . Der Antragsteller erhielt - nach seiner Darstellung - einige Minuten Gelegenheit, seine Ansicht darzulegen und ihm wurde die Entscheidung über die vorzeitige Beendigung seiner besonderen Auslandsverwendung eröffnet. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde wurde nicht protokolliert.

4 Unter dem 27. Dezember 2017 machte der Antragsteller in einer am 1. Juni 2018 beim Bundesministerium der Verteidigung eingegangenen Beschwerde gegen einen Beurteilungsbeitrag geltend, dass er keine Gelegenheit zur Abgabe der Dienstaufsichtsbeschwerde zur Niederschrift erhalten habe.

5 Daraufhin bat das Bundesministerium der Verteidigung den Antragsteller unter dem 27. Juni 2018 um Konkretisierung seines Vortrages zu möglichen Dienstpflichtverletzungen von Brigadegeneral C. . Am 28. Juni 2018 übersandte der Antragsteller unter Beifügung zahlreicher Anlagen eine Schilderung der Abläufe im Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung seiner besonderen Auslandsverwendung in ... . Darin ist unter anderem ausgeführt, er habe am 14. September 2017 beim Adjutanten von Brigadegeneral C. einen Termin für eine Beschwerde zur Niederschrift gegen Oberst i.G. B. beantragt. Der schriftliche Antrag auf Beschwerde zur Niederschrift sei unterdrückt worden.

6 Mit Schreiben vom 16. Juli 2018, beim Bundesministerium der Verteidigung am 20. Juli 2018 eingegangen, legte der Antragsteller "Untätigkeitsbeschwerde gem. § 1 Abs. 2 WBO bzw. weitere Beschwerde gem. § 16 WBO" ein. Darin rügte er die Untätigkeit in Bezug auf die Anzeige eines möglichen Fehlverhaltens durch Brigadegeneral C. .

7 Unter dem 14. September 2018 teilte das Bundesministerium der Verteidigung dem Antragsteller mit, die Ermittlungen hätten auch unter Berücksichtigung der vom Antragsteller zur Verfügung gestellten Unterlagen den von ihm angeführten Sachverhalt nicht bestätigt. Ein disziplinar relevantes Fehlverhalten sei nicht feststellbar.

8 Durch Bescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom 4. Dezember 2018, dem Antragsteller ausgehändigt am 10. Dezember 2018, ist dessen Beschwerde vom 27. Dezember 2017 zurückgewiesen worden, soweit sie das persönliche Verhalten von Brigadegeneral C. betrifft. Das beanstandete Verhalten von Brigadegeneral C. sei dem Antragsteller am 20. September 2017 bekannt geworden. Daher hätte er bis zum 22. Oktober 2017 Beschwerde erheben müssen. Die Beschwerde vom 27. Dezember 2017 sei daher verfristet. Im Wege der Dienstaufsicht sei der Sache gleichwohl nachgegangen worden. Deren Ergebnisse seien dem Antragsteller bereits mitgeteilt worden.

9 Gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2018 hat der Antragsteller mit am 11. Januar 2019 beim Bundesministerium der Verteidigung eingegangenen Schreiben vom 9. Januar 2019 die gerichtliche Entscheidung beantragt. Diese hat das Bundesministerium der Verteidigung mit seiner Stellungnahme vom 21. Februar 2019 dem Senat vorgelegt.

10 Der Antragsteller hat keinen formellen Antrag gestellt, macht aber geltend, Brigadegeneral C. habe durch die Unterdrückung seiner Beschwerde gegen Oberst i.G. B. eine Wehrstraftat begangen. Der seinen Vortrag belegende Sachverhalt könne ermittelt werden. Verfahrensfehlerhaft habe den Beschwerdebescheid vom 4. Dezember 2018 nicht der Leiter des Referats R II 2 des Bundesministeriums der Verteidigung, sondern dessen Stellvertreter unterzeichnet. Die Anzeige eines Dienstvergehens bzw. einer Wehrstraftat sei zudem nicht sorgfältig untersucht worden.

11 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

12 Gegenstand der Verfahren sei allein die Brigadegeneral C. als Betroffenem gemäß § 4 Abs. 3 Satz 3 WBO persönlich zurechenbaren Handlungen oder Unterlassungen, nicht die im Wege des Organhandelns von ihm als ... in ... erfolgten Handlungen oder Unterlassungen. Da Brigadegeneral C. in das Bundesministerium der Verteidigung versetzt sei, sei die Bundesministerin gemäß § 9 Abs. 3 WBO zuständig, während für Handlungen oder Unterlassungen des ... der Befehlshaber ... der Bundeswehr zuständig sei. Die Rüge, die Entgegennahme einer Dienstaufsichtsbeschwerde zur Niederschrift unterlassen zu haben, betreffe das Handeln als Disziplinarvorgesetzter und nicht das persönliche Handeln von Brigadegeneral C. . Persönlich sei ihm Unterlassen hierbei nur zuzuordnen, soweit er damit Dienstpflichten verletzt oder Wehrstraftaten begangen habe. Soweit die Anträge vom 16. Juli 2018 und vom 9. Januar 2019 das persönliche Verhalten von Brigadegeneral C. beträfen, seien sie unbegründet. Die Beschwerdeentscheidung sei rechtmäßig. Die Beschwerdeentscheidung sei in das mit dem Antrag vom 16. Juli 2018 laufende Verfahren einzubeziehen. Der Antrag vom 9. Januar 2019 habe daher keine eigenständige prozessuale Bedeutung. Die Antragsfrist sei allerdings gewahrt, weil der Antragsteller darauf habe vertrauen dürfen, dass sein am 9. Januar 2019 als Einschreiben zur Post gegebener Antrag am Folgetag und damit fristgerecht beim Bundesministerium der Verteidigung eingehen würde. Die Beschwerde gegen das persönliche Verhalten von Brigadegeneral C. sei aber verfristet.

13 Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

14 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

15 1. Der Antragsteller hat den prozessualen Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gestellt, ohne einen konkreten Sachantrag zu formulieren. Sein Rechtsschutzbegehren ist daher im Lichte seines Sachvortrages dahin auszulegen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 86 Abs. 3 VwGO), dass er die Aufhebung des Bescheides vom 4. Dezember 2018 und die Feststellung begehrt, Brigadegeneral C. habe durch die mangelnde Protokollierung seiner Dienstaufsichtsbeschwerde sein soldatisches Beschwerderecht verletzt. Die Forderung des Antragstellers nach der Fortsetzung disziplinarer bzw. dienstaufsichtlicher Ermittlungen gegen Brigadegeneral C. wegen Unterdrückung einer Beschwerde ist Gegenstand des Parallelverfahrens (1 WB 8.19 ).

16 2. Der Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 21 Abs. 1 WBO) wurde zulässig als Untätigkeitsantrag formuliert, weil das Bundesministerium der Verteidigung über die bei ihm am 1. Juni 2018 eingegangene Beschwerde des Antragstellers vom 27. Dezember 2017 nicht innerhalb eines Monats entschieden hat (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO).

17 a) Der Beschwerdebescheid vom 4. Dezember 2018 ist in das anhängige Verfahren einzubeziehen, weil der Antragsteller durch Schriftsatz vom 9. Januar 2019 die Rechtswidrigkeit auch des Beschwerdebescheides rügt und sein Begehren weiter verfolgt. Nach den allgemeinen Regeln zur Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO), die gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO auch im Wehrbeschwerdeverfahren gelten, wenn - wie hier - die Eigenart des Wehrbeschwerdeverfahrens nicht entgegensteht, kann ein nach Erhebung der Untätigkeitsklage von der Behörde oder Dienststelle erlassener Ablehnungsbescheid in das Untätigkeitsklageverfahren einbezogen werden. Einer zusätzlichen Klage oder der Durchführung eines gesonderten Vorverfahrens gegen den ergangenen Ablehnungsbescheid bedarf es nicht (OVG Münster, Beschluss vom 4. August 2010 - 2 A 796/09 - juris Rn. 22, 25; vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1991 - 1 C 42.88 - BVerwGE 88, 254 <256>). Der Streitgegenstand des Untätigkeitsklageverfahrens umfasst den im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht ergangenen Ablehnungsbescheid; in dieser erweiterten Form wird das Klageverfahren fortgesetzt (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 75 Rn. 21 m.w.N.). Das gilt entsprechend für einen Ablehnungs- oder Beschwerdebescheid im Wehrbeschwerdeverfahren (BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 1 WB 42.17 und 43.17 - juris Rn. 29).

18 b) Mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 17 Abs. 1 WBO i.V.m. § 21 Abs. 2 WBO kann zwar grundsätzlich geltend gemacht werden, dass ein Soldat rechtswidrig in seinem Beschwerderecht beeinträchtigt worden ist. Denn das Beschwerderecht nach § 34 SG gehört zu den im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes erwähnten Rechten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 1977 - 1 WB 128.76 - NZWehrr 1978, 28 <29>). Dabei unterliegt auch eine mögliche Beeinträchtigung des Beschwerderechts durch ein Unterlassen - hier durch die unterbliebene Protokollierung einer Beschwerde - der gerichtlichen Prüfung (§ 17 Abs. 3 i.V.m. § 21 Abs. 2 WBO). Dies ist jedenfalls dann denkbar, wenn das Gesetz zur Gewährleistung des Beschwerderechts ein Handeln vorschreibt. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 WBO ist über eine mündlich vorgetragene Beschwerde eine Niederschrift aufzunehmen. Da der nächste Disziplinarvorgesetzte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 WBO für die Einlegung einer Beschwerde zuständig ist, besteht grundsätzlich eine Verpflichtung des nächsten Disziplinarvorgesetzten, die notwendigen Vorkehrungen für eine Niederschrift zu treffen (Dau, WBO, 6. Aufl. 2013, § 6 Rn. 44 ff.). In gleicher Weise ist nach § 5 Abs. 1 Satz 2 WBO ein höherer Vorgesetzter verpflichtet, auf einen entsprechenden Wunsch eines Soldaten eine Protokollierung sicherzustellen, wenn er - wie hier - für die Entscheidung über die Beschwerde zuständig ist. Dies folgt daraus, dass auch bei der für die Entscheidung zuständigen Stelle Beschwerde eingelegt werden kann (§ 5 Abs. 1 Satz 2 WBO). Allerdings muss der höhere Vorgesetzte die Beschwerde nicht selbst protokollieren, sondern kann andere (z.B. Offiziere oder Rechtsberater) damit beauftragen (Dau, WBO, 6. Aufl. 2013, § 6 Rn. 47). Ob im vorliegenden Fall der Beschwerdeführer seinen Wunsch, eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu Protokoll zu geben, überhaupt in einer E-Mail vor dem Gespräch hinreichend deutlich ausgedrückt hat, und ob er im Gespräch mit Brigadegeneral C. sein möglicherweise übersehenes Protokollierungsersuchen in Erinnerung gerufen hat, kann offenbleiben.

19 3. Denn der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedenfalls deswegen unbegründet, weil der Antragsteller nicht fristgerecht Beschwerde gegen das von ihm beanstandete Verhalten des Vorgesetzten erhoben hat. Daher ist der seine Beschwerde als unzulässig zurückweisende Bescheid rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

20 Nach § 6 Abs. 1 WBO darf die Beschwerde frühestens nach Ablauf einer Nacht und muss innerhalb eines Monats eingelegt werden, nachdem der Beschwerdeführer von dem Beschwerdeanlass Kenntnis erhalten hat. Kenntnis vom Beschwerdeanlass hat ein Soldat, wenn ihm die Umstände bekannt sind, aus denen sich die von ihm empfundene Beeinträchtigung ergibt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. November 2014 - 1 WB 61.13 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 91 Rn. 32 m.w.N.). Nach eigenem Vortrag hatte der Antragsteller am 20. September 2017 Kenntnis von dem Verhalten des Betroffenen erlangt, in dem er eine Dienstpflichtverletzung bzw. eine Wehrstraftat sieht. Daher hätte fristwahrend bis Freitag, den 20. Oktober 2017, 24:00 Uhr, Beschwerde eingelegt werden müssen.

21 Seine Rechte sind auch nicht dadurch verletzt, dass den Bescheid nicht der Referatsleiter, sondern dessen Stellvertreter gezeichnet hat. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 WBO kann der Bundesminister der Verteidigung die Befugnis, die Beschwerdeentscheidung zu zeichnen, weiter übertragen. Hiervon hat der Bundesminister der Verteidigung durch Nr. 1 der Anordnung über die Übertragung der Zeichnungsbefugnis bei Beschwerden in truppendienstlichen Angelegenheiten vom 8. Mai 2013 Gebrauch gemacht und die Zeichnungsbefugnis auf die Referatsleitung R II 2 übertragen. Diese nimmt im Falle der Verhinderung des Referatsleiters dessen Stellvertreter wahr.