Beschluss vom 28.08.2017 -
BVerwG 1 B 124.17ECLI:DE:BVerwG:2017:280817B1B124.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.08.2017 - 1 B 124.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:280817B1B124.17.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 124.17

  • VG Koblenz - 19.09.2016 - AZ: VG 3 K 143/16
  • OVG Koblenz - 23.05.2017 - AZ: OVG 7 A 11445/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. August 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Mai 2017 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 VwGO).

3 1.1 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist nicht - wie nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlich - dargelegt.

4 1.2 Die Beschwerde hält sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob § 53 AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung eine generalpräventive Ausweisung ausschließt,
und beruft sich insoweit auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, das diese Frage bejaht (VGH Mannheim, Urteil vom 19. April 2017 - 11 S 1967/16). Die Ausführungen zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit beschränken sich darauf, "dass das Gericht auf Seite 17 der Urteilsbegründung auf generalpräventive Gründe für die Ausweisung hat durchgreifen lassen." Dies vernachlässigt bereits, dass das Berufungsgericht der Entscheidung einen Leitsatz beigefügt hat, der zwar die grundsätzliche Zulässigkeit einer generalpräventiven Ausweisung betont, dann aber ausführt, dass sie "vorliegend jedoch nicht erforderlich" sei, "weil zu Lasten des Klägers eine Wiederholungsgefahr für die das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse begründende Straftat anzunehmen ist und die Ausweisung deshalb bereits aus spezialpräventiven Gründen erfolgen konnte". Dieser Leitsatz wird von den Urteilsgründen getragen, die eingehend begründen, dass und aus welchen Gründen "eine Wiederholungsgefahr bezogen auf die das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse begründende Straftat anzunehmen" ist (UA S. 20 bis 24).

5 1.3 Die Beschwerde hält weiterhin als klärungsbedürftig die Frage,
"ob ein Schreiben des Betroffenen, welches ca. 6 Wochen nach dem Ablauf der Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde eingegangen ist, als Verlängerungsantrag zu sehen ist, der eine Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auslösen kann".

6 Die Beschwerde setzt sich hier schon nicht mit der vom Berufungsgericht herangezogenen Rechtsprechung eines anderen Obergerichts auseinander (VGH München, Beschluss vom 13. März 2006 - 24 ZB 05.3191 ), behauptet auch sonst die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage, ohne sie in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung darzulegen, setzt sich nicht mit der umstrittenen Folgefrage auseinander, ob eine - als gegeben unterstellte - Fiktion dem "Besitz" einer Aufenthaltserlaubnis gleichgestellt werden kann, und vernachlässigt zudem, dass das Berufungsgericht - wegen der im Zeitpunkt der Antragstellung bereits rechtskräftigen Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe - zu Recht zudem davon ausgegangen ist, dass der Kläger auch die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt hat und es daher einer atypischen Konstellation bedurft hätte, um ihm abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

7 1.4 Die Revision ist auch nicht wegen der Frage zuzulassen,
"ob ein entsprechendes Verlöbnis und Hinderungsgründe zur Eheschließung, die nicht im Verantwortungsbereich des Betroffenen liegen, zu einem schwerwiegenden Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG führen können".

8 Die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage wird auch nicht durch den Hinweis auf eine "analoge Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG" dargelegt, an die zu denken sei, "damit dem Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in ausreichender Weise Rechnung getragen wird".

9 2. Auch ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist mit dem Vorbringen nicht dargelegt, dass dem Berufungsurteil "eine nichtausreichende Würdigung von Artikel 8 EMRK der Prüfung des § 53 Abs. 2 AufenthG zugrunde liegt".

10 Mit dieser Rüge und dem sie ausfüllenden Vorbringen insbesondere zum "Untertauchen" des Klägers, seiner wirtschaftlichen Integration, der Zumutbarkeit des Erwerbs der arabischen Sprache sowie der Sicherung des Existenzminimums nach unterstellter Abschiebung wendet sich die Beschwerde in der Sache gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Damit vermag sie eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht zu erreichen, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen sind. Ein Verfahrensfehler kann zwar ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (BVerwG, Beschluss vom 23. September 2011 - 1 B 19.11 - juris Rn. 4 m.w.N.). Ein Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt aber nur dann vor, wenn sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der konkreten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat. Einen solchen qualifizierten Mangel der Beweiswürdigung zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie kritisiert lediglich allgemein die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung und setzt dieser abweichende Tatsachenbehauptungen sowie ihre eigene Würdigung entgegen, ohne einen Verstoß gegen Denkgesetze aufzuzeigen. Mit Blick auf die Begründung des Berufungsurteils liegt auch eine nicht einmal ansatzweise dargelegte Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör fern.

11 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.