Beschluss vom 28.09.2004 -
BVerwG 7 B 87.04ECLI:DE:BVerwG:2004:280904B7B87.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.09.2004 - 7 B 87.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:280904B7B87.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 87.04

  • Niedersächsisches OVG - 21.01.2004 - AZ: OVG 7 LB 54/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Der Kläger wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Änderung der so genannten Neuen Gießerei der Beigeladenen, die der Herstellung von Aluminiumgussteilen für die Automobilproduktion dient. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen, weil die angefochtene Genehmigung ihn nicht in seinen Rechten verletze.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
1. Der Kläger hält zunächst für klärungsbedürftig,
ob die im Durchführungsplan Nr. 45 der Landeshauptstadt Hannover getroffene Festsetzung "Wohngebiet" der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets oder der eines reinen Wohngebiets im Sinne der heutigen Baunutzungsverordnung entspricht.
Diese Frage rechtfertigt schon deswegen nicht zu Zulassung der Revision, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht beantwortet werden könnte; denn sie betrifft der Sache nach ein revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO. Der genannte Durchführungsplan gehört ebenso wie die Bauordnung der Hauptstadt Hannover, auf die der Erläuterungsbericht zu diesem Plan verweist und die das im Plan festgesetzte "Wohngebiet" definiert, dem nicht revisiblen Landesrecht an. Da die Antwort auf die Frage nach der Vergleichbarkeit dieses Gebiets mit den in der Baunutzungsverordnung aufgeführten Gebieten maßgeblich davon abhängt, welche Nutzungsmöglichkeiten die Bauordnung der Hauptstadt Hannover für solche Gebiete eröffnet und wie sich etwaige weitere, ebenfalls Wohnnutzungen erfassende Gebietstypen dieser Bauordnung bei einer vergleichenden Betrachtung in die Systematik der Baunutzungsverordnung einordnen lassen, kann sie vom Revisionsgericht nicht gegeben werden. Der Senat könnte allenfalls prüfen, ob bei der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen vergleichenden Betrachtung die Normen der Baunutzungsverordnung zutreffend ausgelegt worden sind. Insoweit zeigt der Kläger jedoch keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf; ihm geht es ausschließlich um das richtige Verständnis und die richtige Einordnung der Satzungsbestimmungen des übergeleiteten Bebauungsplans.
2. a) Die weiteren Fragen,
- ob und unter welchen Voraussetzungen ein zum Wohnen dienendes Gebiet, an welches ein durch einen Industriebetrieb genutztes Gebiet angrenzt, einen Anspruch darauf hat, dass auch bei Änderungen dieses Betriebes die durch eine früher erteilte Genehmigung zum Schutze des Wohngebietes festgesetzten Immissionsrichtwerte eingehalten werden,
- ob und unter welchen Voraussetzungen in einem derartigen Fall die für das Wohngebiet geltenden Werte gemäß 6.7 TA Lärm erhöht werden können,
- ob und in welchem Umfang in einem derartigen Fall eine Bindung an früher für den Industriebetrieb erteilte Genehmigungen und Anordnungen besteht und
- ob und unter welchen Voraussetzungen in einem derartigen Fall für den Industriebetrieb der Immissionsrichtwert nach Nr. 6.1 a TA Lärm in Ansatz zu bringen ist,
führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Soweit diese Fragen, ausgehend von ihrer umfassenden Formulierung, einer generellen Beantwortung zugänglich sind, findet sich dieser in der maßgeblichen Bestimmung der TA Lärm (Nr. 6.7), mit der die bis dahin ergangene Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zu solchen Gemengelagen zusammengefasst worden ist. Soweit es dem Kläger um die weitere Konkretisierung dieser ohnehin normkonkretisierenden Bestimmung geht, ist diese von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig. Insoweit ist der Einwand der Beigeladenen berechtigt, dass der Kläger mit seinen Fragen trotz seiner abstrahierenden Formulierungen im Wesentlichen auf die tatrichterliche Würdigung des Einzelfalls zielt, die der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen ist.
Soweit das hinter diesem Fragenkreis stehende Anliegen des Klägers mit der Beigeladenen im Kern dahin zu verstehen sein sollte, inwieweit bei solchen Gemengelagen früher erteilte Genehmigungen und die in ihnen enthaltenen Richtwerte Bindungswirkung für künftige Änderungen des genehmigten Vorhabens äußern, liegt es auf der Hand, dass eine solche Bindungswirkung in dem Umfang entfällt, wie die bisher bestehenden Genehmigungen durch die Änderungsgenehmigung ausdrücklich aufgehoben oder durch deren Regelungen inhaltlich überholt werden. Ebenso selbstverständlich ist aber auch - und darauf scheinen die Fragen des Klägers eher zu zielen -, dass bisher erteilte Genehmigungen und die in ihnen festgesetzten Richtwerte Bedeutung für die konkrete Schutzwürdigkeit der betreffenden Gebiete haben können und insoweit auch bei der Erteilung von Änderungsgenehmigungen zu beachten sind. Dies hat auch das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich anerkannt (S. 15 unten der Entscheidungsgründe); es hat allerdings zu Recht eine die Einzelfallprüfung ausschließende Bindung an in früheren Genehmigungen festgelegte Immissionsrichtwerte verneint und im konkreten Fall das Vertrauen in die Beibehaltung der bisherigen Lärmobergrenzen deswegen als entwertet angesehen, weil sie faktisch nicht eingehalten wurden und der Kläger dies - nach der Meinung des Berufungsgerichts - hingenommen hat.
b) Die anschließenden Fragen,
- ob sich die Ortsüblichkeit von Industriegeräuschen nach Nr. 6.7 TA Lärm nach den behördlich zugelassenen Lärmimmissionen bestimmt und
- ob der Aspekt der Ortsüblichkeit im Sinne der Nr. 6.7 eine Frage der Quantität oder der Qualität der Geräuschbelästigung ist,
verleihen der Rechtssache ebenso wenig grundsätzliche Bedeutung. Es ist offenkundig, dass die Ortsüblichkeit eines Geräusches seine Eigenart und seine dadurch bedingte Lästigkeit meint und nicht die Lautstärke als solche. Das schließt es selbstverständlich nicht aus, bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebiets in Rechnung zu stellen, welche Lärmimmissionen bislang zugelassen waren. Nur so können die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts auf S. 15 unten der Urteilsgründe verstanden werden, auf die bereits oben verwiesen wurde.
c) Die weitere Frage,
- ob und unter welchen Voraussetzungen sich in einer Gemengelage das zum Wohnen dienende Gebiet entgegenhalten lassen muss, in der Vergangenheit nicht die erforderlichen Rechtsmittel ausgeschöpft zu haben, um die von der Gemengelage ausgehende Immissionsbelastung zu reduzieren, insbesondere dann, wenn der Industriebetrieb sich nicht an behördliche Anlagen (gemeint ist offenbar: behördliche Auflagen) gehalten hat,
ist ebenfalls einer generellen Beantwortung nicht zugänglich. Die Begründung dieser vermeintlichen Grundsatzfrage durch den Kläger zeigt, dass er auch hier wie bei
vorangegangenen Fragen auf die Würdigung des Einzelfalls zielt, nämlich darauf, ob das Oberverwaltungsgericht in seinem Fall zutreffend angenommen hat, dass er zumutbare Rechtsmittel gegen die Überschreitung festgesetzter Immissionsgrenzwerte nicht wahrgenommen habe. Dabei handelt es sich jedoch um die tatrichterliche Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur auf entsprechende Verfahrensrügen hin zugänglich sind.
d) Schließlich rechtfertigt auch die abschließende Frage
ob in einem derartigen Fall bei der Bildung eines geeigneten Zwischenwertes gemäß Nr. 6.7 TA Lärm zugunsten der industriellen Nutzung von der Kenngröße von 70 dB (A) gemäß Nr. 6.1 a TA Lärm als oberer Ausgangswert auszugehen ist oder in einem derartigen Fall die faktischen, also tatsächlich vorhandenen Geräuschimmissionen, in Ansatz zu bringen sind
nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Einerseits liegt es auf der Hand, dass bei der Zwischenwertbildung von den Immissionsrichtwerten auszugehen ist, die nach Nr. 6.1 TA Lärm für die angrenzenden Gebiete jeweils vorgesehen sind. Damit ist andererseits - wie bereits ausgeführt - keineswegs ausgeschlossen, bei der für die Ermittlung des Zwischenwertes notwendigen Beurteilung der konkreten Schutzwürdigkeit der betroffenen Gebiete die tatsächlich vorhandenen Geräuschimmissionen zu berücksichtigen. Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt der Kläger mit dieser Frage nicht auf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG n.F.