Beschluss vom 01.02.2002 -
BVerwG 7 B 2.02ECLI:DE:BVerwG:2002:010202B7B2.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.02.2002 - 7 B 2.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:010202B7B2.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 2.02

  • VG Berlin - 31.07.2001 - AZ: VG 31 A 5.99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Februar 2002
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Dr. F r a n ß e n und die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht G ö d e l und K l e y
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 511 291,88 € (entspricht 1 Million DM) festgesetzt.

Die Klägerin begehrt die Rückübertragung eines Grundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen - VermG -. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil die beanspruchte Fläche als Grünanlage bereits vor In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes dem Gemeingebrauch gewidmet gewesen sei und mit einem "Wegfall des Widmungszwecks" auf absehbare Zeit nicht zu rechnen sei; demgemäß sei die Rückübertragung nach § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG ausgeschlossen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Es liegen weder die geltend gemachten Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor (1), noch weicht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab (2). Schließlich lässt sich der Beschwerde auch keine klärungsbedürftige Frage entnehmen, welche die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnte (3).
1. a) Die Klägerin sieht eine Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 VwGO sowie eine Missachtung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs darin, dass das Verwaltungsgericht ihren Antrag, den Architekten und Stadtplaner V. als Zeugen dafür zu hören, "dass seit der Planungsbesprechung vom 13. Dezember 2000 eine B-Plan-Aufstellung mit der Bebaubarkeit für das streitbefangene Grundstück beabsichtigt wird", abgelehnt habe. Diesen Antrag hatte sie nach einer ersten Ablehnung dahin konkretisiert, dass bei dem Bezirksamt Mitte eine solche Planung vorbereitet werde, und der genannte Zeuge sich sinngemäß dahin geäußert habe, dass "in diesem Gremium ein starkes Meinungsbild mit der Tendenz bestehe, auf der streitigen Fläche wieder zu bebauen; Hauptbefürworter in diesem Gremium sei der frühere Stadtrat Dr. F. gewesen". Den so konkretisierten Antrag hat das Verwaltungsgericht erneut abgelehnt, weil die zu beweisende Behauptung als wahr unterstellt werden könne. Die Klägerin meint, dass das Verwaltungsgericht bei unterstellter Richtigkeit der Tatsache von einer geplanten Bebauung des Grundstücks hätte ausgehen müssen.
Der gerügte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Wahrunterstellung, die das Verwaltungsgericht in den Gründen des angegriffenen Urteils wiederholt hat, beschränkt sich auf die nach der Substantiierung des Beweisantrages ausdrücklich in das Wissen des Zeugen gestellten Umstände. Aus diesen hat das Verwaltungsgericht beanstandungsfrei und ohne die Wahrunterstellung zu unterlaufen gefolgert, es sei nicht behauptet worden, dass es sich bei dem erwähnten und auch auf Nachfrage nicht genauer bezeichneten Gremium um eine im Hinblick auf die künftige Nutzung des Grundstücks entscheidende Stelle handele; es gebe daher keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, dass die amtliche Erklärung der Bezirksstadträtin, nach der eine Bebauung nicht geplant sei, unzutreffend sei.
b) Ebenso wenig kann die daran anschließende Rüge durchgreifen, bereits die erste Ablehnung des Beweisantrages, die zu seiner Konkretisierung geführt hatte, sei unzulässig gewesen; denn aufgrund dieser Konkretisierung, die zur erneuten Entscheidung über den Beweisantrag geführt hat, ist es ausgeschlossen, dass das angegriffene Urteil auf dem vermeintlichen Verfahrensfehler beruhen kann.
c) Zu Unrecht rügt die Klägerin in diesem Zusammenhang auch, dass das Gericht die schriftliche Erklärung der Bezirksstadträtin verwertet habe, anstatt diese als Zeugin zu vernehmen. Soweit die Klägerin dadurch die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweisaufnahme verletzt sieht, verkennt sie, dass es sich bei dieser - ausweislich der Sitzungsniederschrift in die Verhandlung eingeführten - Erklärung der Bezirksstadträtin nicht um eine Zeugenaussage, sondern um eine amtliche Auskunft im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt. Sie ist zwar nicht vom Verwaltungsgericht selbst, sondern von der das beklagte Land vertretenden Behörde eingeholt und vorgelegt worden; das ändert jedoch nichts daran, dass sie im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden kann.
d) Die weitere Rüge der Klägerin, die vielen objektiven Hinweise darauf, dass mit einer späteren Bebauung des Grundstücks zu rechnen sei, hätten das Verwaltungsgericht veranlassen müssen, von sich aus den Sachverhalt weiter aufzuklären, geht an der Tatsachenfeststellung und -würdigung des Verwaltungsgerichts vorbei. Dieses hat gerade keine konkreten Anhaltspunkte dafür erkennen können, dass die amtliche Erklärung der Bezirksstadträtin, nach der eine Bebauung in absehbarer Zukunft nicht beabsichtigt sei, unzutreffend sei. Bedenken bestehen hiergegen nicht. Weder aus dem Inhalt der Akten noch aus dem Vorbringen der Klägerin ergab sich für das Verwaltungsgericht das Erfordernis weiterer Tatsachenermittlung. So lässt sich aus der Bebauung anderer Grünflächen in der unmittelbaren Umgebung oder der ursprünglichen städteplanerischen Konzeption des Gebiets nicht der Schluss ziehen, dass das betroffene Grundstück in absehbarer Zeit bebaut wird. Von einem bloßen "Zwischencharakter" der Nutzung als Grünfläche, auf den die Klägerin abstellt, kann nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht ausgegangen werden. Zur Bereichsentwicklungsplanung aus dem Jahr 1997 hat die Bezirksstadträtin in ihrem Schreiben vom Juli 2001 Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass keine Absicht bestehe, die gegenwärtige Nutzung des Grundstücks aufzugeben.
e) Das Verwaltungsgericht war auch nicht von Amts wegen verpflichtet zu ermitteln, welche von der Klägerin nicht näher bezeichnete Personengruppe beim Bezirksamt Mitte mit der Vorbereitung der Aufstellung eines Bebauungsplans befasst gewesen ist, solange nicht behauptet worden ist, dass es sich um ein insoweit zur Entscheidung berufenes Gremium gehandelt hat; denn nur so hätte sich der Wahrheitsgehalt der amtlichen Erklärung der Bezirksstadträtin ernstlich in Frage stellen lassen.
f) Soweit die Klägerin schließlich rügt, dass "das Gericht zu dem zentralen Problem der Widmung und den materiellen Anforderungen an eine solche Widmung viel stärker hätte ermitteln müssen", genügt ihr Vorbringen nicht den Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge. Es fehlt jeder nachvollziehbare Hinweis darauf, welchen konkreten Tatsachen das Gericht näher hätte nachgehen sollen, es sei denn, die Klägerin will in Wahrheit - worauf die Ausführungen in dem folgenden Abschnitt der Beschwerdeschrift hindeuten - die rechtliche Würdigung der festgestellten Tatsachen im Sinne einer Widmung zum Gemeingebrauch in Frage stellen. Dies kann aber nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge sein.
g) Mit seiner Annahme, die umstrittene Fläche sei dem Gemeingebrauch gewidmet, hat das Verwaltungsgericht auch nicht seine Erörterungspflicht nach § 104 Abs. 1 VwGO verletzt und damit eine Überraschungsentscheidung getroffen. Die Frage, ob die Voraussetzungen einer solchen Widmung im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG vorliegen, war neben der Frage, ob die bestehende Nutzung künftig aufrechterhalten würde, Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren. Aus dem Umstand, dass der Schwerpunkt der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auf der künftigen Nutzung des Grundstücks lag, konnte die Klägerin nicht schließen, dass das Gericht ihren Standpunkt, die Voraussetzungen für eine Widmung zum Gemeingebrauch lägen nicht vor, akzeptiert hatte, im Gegenteil: Die Frage, ob die bisherige Nutzung künftig fortgeführt würde, konnte nur von Bedeutung sein, wenn sie unter den Restitutionsausschlusstatbestand fiel.
2. Eine Divergenz zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, mit der die Klägerin die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erstrebt, ist ebenfalls nicht erkennbar. Es ist schon fraglich, ob das Vorbringen der Klägerin den Anforderungen an die Begründung einer solchen Rüge genügt; denn diese setzt voraus, dass die einander widersprechenden Rechtssätze herausgearbeitet werden.
a) Die Klägerin verweist zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 32.99 - (VIZ 2001, 367 <370>) sowie in vorausgehenden Entscheidungen, nach der die Annahme eines Restitutionsausschlusses nach § 5 Abs. 1 VermG eine gesicherte Prognose verlange, dass die rückgabeausschließende Nutzung des Grundstücks nicht in absehbarer Zeit aufgegeben werde; demgegenüber habe sich das Verwaltungsgericht trotz zahlreicher objektiver Hinweise auf eine künftige Nutzungsänderung allein auf die schriftliche Äußerung der Bezirksstadträtin für seine Annahme gestützt, dass eine Nutzungsänderung in nächster Zeit nicht zu erwarten sei. Eine Divergenz wird damit nicht dargetan. Vielmehr ist die Klägerin offenbar der Auffassung, dass das Verwaltungsgericht, das zur Notwendigkeit einer Berücksichtigung absehbarer Nutzungsänderungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich folgt (vgl. S. 4, Abs. 3 der Urteilsgründe), die maßgeblichen Tatsachen unzulänglich ermittelt und bewertet habe. Solche vermeintlichen Fehler bei der Tatsachenfeststellung und -würdigung erfasst § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO jedoch nicht.
b) Ebenso wenig arbeitet die Klägerin eine Divergenz zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts heraus, soweit sie beanstandet, dass das Verwaltungsgericht nicht geprüft habe, ob eine Teilrestitution des Grundstücks möglich sei. Eine solche Abweichung würde einen dem angegriffenen Urteil zugrunde liegenden Rechtssatz voraussetzen, nach dem eine auf - nicht vom Rückgabeausschluss erfasste - Teile eines Grundstücks beschränkte Rückgabe nicht zulässig ist. Allein dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht die Möglichkeit einer Teilrestitution nicht geprüft hat, lässt sich ein solcher Rechtssatz nicht entnehmen.
c) Eine Abweichung von der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgericht ist schließlich auch nicht erkennbar, soweit das Verwaltungsgericht eine faktische oder konkludente Widmung des Grundstücks zum Gemeingebrauch angenommen hat. In diesem Zusammenhang beschränkt sich die Klägerin darauf zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht an die Widmung "keine weiteren materiellen Anforderungen" gestellt habe; denn das Bundesverwaltungsgericht habe mit seinem Urteil vom 30. November 1995 - BVerwG 7 C 55.94 - (BVerwGE 100, 70 ff.) klargestellt, dass nicht irgendeine widmungsfremde oder provisorische Nutzung zu den mit der Widmung verbundenen Rechtsfolgen führen könne. Diese Ausführungen verdeutlichen, dass die Klägerin auch hier keine voneinander abweichenden Rechtssätze, sondern vermeintliche Subsumtionsfehler rügt.
3. Auch die von der Klägerin als klärungsbedürftig bezeichneten Fragen können nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen.
a) Die Frage, ob die öffentliche Hand durch bloße Absichtserklärung eine abgeschwächte Gemeingebrauchsnutzung belegen könne, auch wenn objektive Hinweise es nahe legten, mittelfristig von einer Änderung der Nutzung auszugehen, wäre in einem Revisionsverfahren nicht zu beantworten; denn sie legt Tatsachen zugrunde, die das Verwaltungsgericht so gerade nicht festgestellt hat.
b) Dasselbe gilt für die weitere mit der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob für die Annahme einer faktischen Widmung zum Gemeingebrauch im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG irgend- eine Form des - auch nur provisorischen - Gemeingebrauchs ausreiche oder ob eine faktische Widmung voraussetze, dass zumindest Hinweise dafür vorhanden seien, ein solcher Gemeingebrauch sei nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer eingerichtet worden; denn das Verwaltungsgericht ist keineswegs von einer nur vorübergehenden Nutzung des Grundstücks als Grünanlage ausgegangen. Es hat vielmehr festgestellt, dass diese Nutzung bereits vor Jahrzehnten aufgenommen worden ist und - soweit absehbar - auch in Zukunft fortbestehen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.