Beschluss vom 01.06.2006 -
BVerwG 7 B 31.06ECLI:DE:BVerwG:2006:010606B7B31.06.0

Beschluss

BVerwG 7 B 31.06

  • VG Berlin - 20.10.2005 - AZ: VG 22 A 216.00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Juni 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert, Krauß und
Guttenberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerinnen beanspruchen die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung ihrer Berechtigung an einem Grundstück, das ihrer Rechtsvorgängerin jüdischer Herkunft zur Hälfte gehört hatte, 1942 durch die Gestapo entzogen und 1969 auf der Grundlage des Aufbaugesetzes zur Errichtung des Wohnungsbauvorhabens „Fischerinsel“ enteignet wurde. Im Zuge der Bebauung wurde flurstücksübergreifend eine nach ihrer Gestalt als „Ahornblatt“ bezeichnete Gaststätte errichtet, die Ende 1995 in die Denkmalliste eingetragen und nach einer Ende 1997 erfolgten investiven Veräußerung des Grundstücks Ende 1999 abgebrochen wurde. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen lehnte mit einem 1995 bestandskräftig gewordenen Bescheid die Rückübertragung des Grundstücks ab und stellte die Entschädigungsberechtigung der Klägerinnen fest. Ein Ende 1997 von den Klägerinnen gestellter Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens führte zu einem die Aufhebung des bestandskräftigen Bescheids ablehnenden Zweitbescheid. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, weil bei Eintritt der Bestandskraft des Erstbescheids die Rückübertragung des Grundstücks wegen seiner flurstücksübergreifenden Bebauung von der Natur der Sache her nicht möglich gewesen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 VermG) und das Grundstück teils mit erheblichem baulichen Aufwand in seiner Nutzungsart verändert (§ 5 Abs. 1 Buchst. a VermG), teils dem Gemeingebrauch gewidmet worden sei (§ 5 Abs. 1 Buchst. b VermG). Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerinnen hat keinen Erfolg.

2 Die Revision ist nicht wegen der behaupteten Abweichung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat mit seiner Annahme, der Restitutionsausschlussgrund entfalle nur dann, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt „bereits absehbar gewesen wäre, dass die bisherige Nutzung nicht beibehalten würde“, keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der einem in den Divergenzentscheidungen aufgestellten ebensolchen Rechtssatz widerspricht. Die Annahme des Verwaltungsgerichts steht in Einklang mit der Erwägung im Urteil vom 28. Februar 2001 (BVerwG 8 C 32.99 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 27), dass der Restitutionsausschluss nicht gerechtfertigt ist, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt „die Schließung der Einrichtung absehbar“ ist. Der dem Beschluss vom 16. Oktober 1996 (BVerwG 7 B 226.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 91) von der Beschwerde zugeschriebene Rechtssatz, dass eine Ungewissheit über das öffentliche Interesse an einer Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Nutzung zu Lasten dessen geht, der sich auf den Ausschlusstatbestand beruft, war für das angegriffene Urteil ohne Belang, da nach Ansicht des Verwaltungsgerichts der Fortbestand des „Ahornblatts“ im maßgeblichen Zeitpunkt als gesichert angesehen werden durfte; angesichts dessen war für die von der Beschwerde herangezogene Beweislastentscheidung kein Raum. Der Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass Ende 1995 nicht vorhersehbar gewesen sei, wie sich das Schicksal des „Ahornblatts“ weiter entwickeln würde, misst die Beschwerde einen Sinn bei, der das, was das Verwaltungsgericht damit ausdrücken wollte und bei richtigem Verständnis der Erwägung in ihrem Zusammenhang auch unmissverständlich ausgedrückt hat, ins Gegenteil verkehrt.

3 Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Soweit die Beschwerde für rechtsgrundsätzlich hält, ob es bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des ablehnenden Erstbescheids auf die Vornahme einer Prognoseentscheidung und allein darauf ankommt, dass im maßgeblichen Zeitpunkt nur eine stattgebende Restitutionsentscheidung gerechtfertigt gewesen wäre, würden sich die aufgeworfenen Fragen in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Verwaltungsgericht hat den Erstbescheid für rechtmäßig gehalten, weil bei einer auf den maßgeblichen Zeitpunkt bezogenen Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Abbruch des „Ahornblatts“ nicht absehbar gewesen sei. Da diese nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffene Feststellung in einem Revisionsverfahren zugrunde zu legen wäre, würde nicht darüber zu entscheiden sein, ob die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts im Übrigen der revisionsgerichtlichen Prüfung standhält. Auch die weitere Frage der Beschwerde, ob „§ 48 Abs. 1 VwVfG auch dann Anwendung findet, wenn bisher angenommene Tatsachen, aufgrund derer der Verwaltungsakt erlassen wurde, sich nachträglich aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel als unzutreffend erweisen“, wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts kann keine Rede davon sein, dass sich die dem Erstbescheid zugrunde liegenden Tatsachen nachträglich als unzutreffend erwiesen haben. Die gegenteilige Annahme der Beschwerde beruht auf einer abweichenden Auffassung zum maßgeblichen Zeitpunkt. Mangels Entscheidungserheblichkeit fehlt es auch an dem in diesem Zusammenhang hilfsweise geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz.

4 Ebenso wenig ist die Revision zur Klärung der Frage zuzulassen, ob § 5 Abs. 3 Satz 1 VermG auf den Restitutionsausschlusstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG anzuwenden ist. Das Verwaltungsgericht hat die Frage offen gelassen und entscheidungstragend den Standpunkt vertreten, dass daneben auch der Ausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG erfüllt sei. Daher würde sich die aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen.

5 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 4 GKG.