Urteil vom 01.10.2003 -
BVerwG 1 D 7.03ECLI:DE:BVerwG:2003:011003U1D7.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 01.10.2003 - 1 D 7.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:011003U1D7.03.0]

Urteil

BVerwG 1 D 7.03

  • BDiG, Kammer VIII - ... -, - 04.12.2002 - AZ: BDiG VIII VL 7/02 -

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 1. Oktober 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Technischer Regierungshauptsekretär Manfred A n d r e s e n
und Postbetriebsassistent Gerhard B l a n k
als ehrenamtliche Richter
sowie
Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
und
Justizangestellte ... ,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Die Berufung des Posthauptschaffners ... gegen das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer VIII - ... -, vom 4. Dezember 2002 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

I


1. In dem ordnungsgemäß eingeleiteten Disziplinarverfahren hat der Bundesdisziplinaranwalt den ... Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
1. im Zeitraum von 1999 bis November 2000 in mindestens 14 Fällen die von Kunden kassierten Nachnahmebeträge und Überweisungsentgelte in einer Gesamthöhe von 5 859,89 DM nicht an die Deutsche Post AG abgeliefert, sondern für sich behalten und verbraucht hat und
2. im selben Zeitraum insgesamt 92 unzustellbare Postsendungen nicht ordnungsgemäß nach- bzw. zurückgesandt, sondern diese Sendungen dem Postverkehr entzogen hat, indem er sie in seine Wohnung gebracht und dort dauerhaft liegengelassen hat.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat den Beamten durch Urteil vom 4. Dezember 2002 aus dem Dienst entfernt und ihm einen Unterhaltsbeitrag i.H.v. 75 von Hundert seines erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von 6 Monaten bewilligt. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Zu Anschuldigungspunkt 1:
In seiner Eigenschaft als Zusteller der Deutschen Post AG unterließ es der Beamte von einem nicht genau festgestellten Zeitpunkt im Jahre 1999 an bis zum November 2000 in 14 Fällen, die von ihm bei den Empfängern von Nachnahmesendungen einkassierten Nachnahmebeträge und Entgelte pflichtgemäß an seine zuständige Post-
kasse abzuliefern; er behielt die Geldbeträge vielmehr ein und verbrauchte sie für private Zwecke. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Sendungen und Beträge:
Lfd. Nr. Absender Empfänger Nachnahme-
betrag
1. ..., Fa. A. GmbH, 98,81 DM
... ...
2. Fa. H. Fr. ..., 100,90 DM
...
3. Fa. C. GmbH, R.,
... ... 122,03 DM
4. Fa. ... B., K., 125,25 DM
... ...
5. ... B., ... Sch., 158,00 DM
... ...
6. L. GmbH & Co, M. 159,40 DM
...
7. ... Bi., M. L., 191,00 DM
... ...
8. D. ... AG Dr. K., 199,00 DM
...
9. ... Sc., ... L., 264,10 DM
... ...
10. Fa. W. ..., C., 310,28 DM
... ...
11. Fa. E. ... ..., 603,75 DM
...
12. ... Ma. ... He., 974,37 DM
...
13. Fa. F. ..., ... H. 1 033,00 DM
... ...
14. ... B., Fa. Wo., 1 520,00 DM
... ...
Die Zahlscheine zu den unter den laufenden Nummern 1 bis 13 aufgeführten Fällen hatte der Beamte aufbewahrt und bei einer Befragung am 7. Februar 2001 einem Mitarbeiter des Postermittlungsdienstes übergeben.
Vor dem Bundesdisziplinargericht hat der Beamte den Einbehalt der Nachnahmebeträge mit finanziellen Schwierigkeiten begründet. Es sei ihm und seiner Familie teilweise so schlecht gegangen, dass kein Geld mehr zum Einkaufen vorhanden gewesen sei. Teilweise hätten sie nichts mehr zum Essen gehabt; auch hätten sie für ihre Tochter Windeln und andere Kindersachen benötigt. Dafür habe er das einbehaltene Geld ausgegeben. Er habe stets vorgehabt, die einbehaltenen Beträge mit dem nächsten Gehalt auszugleichen. Dies sei ihm aber nie gelungen. Immer wieder seien Rechnungen gekommen, die er nicht einkalkuliert gehabt habe. Irgendwann habe er dann die offenen Beträge verdrängt, da er sowieso keinen Ausweg mehr gewusst habe. Der Gedanke, zur Verbesserung der damaligen finanziellen Lage etwa einen Bankkredit in Anspruch zu nehmen, sei ihm seinerzeit nicht gekommen. Zwar habe er bei der Postbank eine Erhöhung seines Dispo-Kredits auf 5 000 DM erwirkt, was jedoch nicht ausgereicht habe. Allerdings sei die Finanzierung des von ihm im Oktober 2000 erworbenen Gebrauchtwagens Mitsubishi Pajero über einen Bankkredit geregelt worden. Es habe sich um den noch laufenden Kredit für die Anschaffung des zuvor gekauften Autos gehandelt, der für den größeren Pajero entsprechend erhöht worden sei. Er habe den Pajero auch deshalb gekauft, weil er ihn bei der Landzustellung habe verwenden können. Hierfür sei der Wagen dienstlich anerkannt worden, so dass er dafür eine Nutzungsentschädigung erhalten habe. Den Gesamtschaden von 5 859,89 DM hat der Beamte wieder gutgemacht.
Zu Anschuldigungspunkt 2:
Am 7. Februar 2001 wurden in der Wohnung des Beamten 92 Postsendungen, darunter drei Anschriftenberichtigungskarten und zusätzlich eine Nachsendungsmerkkarte vorgefunden. Es handelte sich dabei um Sendungen überwiegend aus den Monaten Oktober 1998 und Oktober 2000, die im Zustellbezirk des Beamten nicht zustellbar waren und deshalb von ihm an die jeweiligen Empfänger hätten nachgesandt bzw. an die jeweiligen Absender zurückgesandt werden müssen. Entsprechende Bearbeitungsvermerke waren von dem Beamten auf einigen der Sendungen angebracht worden, die Weiterleitung in den Postgang jedoch unterblieben.
Der Beamte hat hierzu erklärt, er habe ebenso wie auch einige seiner Kollegen nach der Zustellung öfter unzustellbare Sendungen mit nach Hause genommen, um sie dort weiter zu bearbeiten. Dies hätte er nach der jeweiligen Zustellfahrt durchaus im Postamt erledigen können, zu Hause sei es aber bequemer gewesen. Er habe diese Sendungen dann zu Hause immer so hingelegt, dass er sie am nächsten Morgen gleich wieder zum Postamt habe mitnehmen können. Warum dies mit den hier in Rede stehenden Sendungen nicht so geschehen sei, könne er nicht sicher erklären. Es könne sein, dass seine Frau den Behälter mit den Sendungen weggeräumt und er dann nicht mehr daran gedacht habe.
Das Bundesdisziplinargericht hat die Handlungsweise des Beamten im Anschuldigungspunkt 1 als vorsätzlichen Verstoß gegen die ihm obliegenden Pflichten zur uneigennützigen Amtsführung sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 54 Sätze 2 und 3 BBG) gewertet. Im Anschuldigungspunkt 2 habe der Beamte 92 Postsendungen dem Postverkehr entzogen. Ein derartiges Verhalten erfülle den Tatbestand der Postunterdrückung, wodurch der Beamte ebenfalls seine Dienstpflicht zur gewissenhaften Amtsführung und zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten verletze. Der Beamte habe ein innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das wegen seines besonders schweren Gewichts im Anschuldigungspunkt 1 zur Entfernung des Beamten aus dem Dienst habe führen müssen. Von der Rechtsprechung anerkannte Milderungsgründe lägen nicht vor. Dies gelte insbesondere für den Milderungsgrund der unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage. Der Beamte sei gehalten gewesen, die Lebenshaltung für sich und seine Familie so einzurichten, dass er mit seinen Einkünften hätte auskommen können. Von größeren Anschaffungen, die er sich nicht habe leisten können, hätte er absehen müssen. Dies gelte auch für den Kauf eines größeren Autos.
3. Gegen dieses Urteil hat der Beamte rechtzeitig Berufung eingelegt und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils auf eine mildere Maßnahme zu erkennen. Bei der erstinstanzlich verhängten Disziplinarmaßnahme sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass er in der zurückliegenden Zeit erheblich über dem Durchschnitt liegende Leistungen erbracht und stets beanstandungsfrei gearbeitet habe. Trotz eines Zuverdienstes habe er sich in einer unverschuldeten finanziellen Notlage befunden, die durch seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis weiter verfestigt würde.

II


Die Berufung hat keinen Erfolg.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat ist deshalb an die Tat- und Schuldfeststellungen des Bundesdisziplinargerichts sowie an die vorgenommene disziplinarrechtliche Würdigung der festgestellten Pflichtverletzung als innerdienstliches Dienstvergehen gebunden. Er hat nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
Die von der Vorinstanz bereits wegen des disziplinaren Vorwurfs im Anschuldigungspunkt 1 verhängte Höchstmaßnahme ist nicht zu beanstanden. Das Bundesdisziplinargericht hat zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Senats hingewiesen, wonach ein Beamter, der sich an ihm anvertrauten oder dienstlich zugänglichen Gütern oder Geldern vergreift, grundsätzlich nicht im Beamtenverhältnis belassen werden kann und es nur bei besonderen, von der Rechtsprechung ausdrücklich anerkannten Fallgestaltungen gerechtfertigt sein kann, von einer Entfernung aus dem Dienst abzusehen. Die Vorinstanz hat mit ebenso zutreffenden Gründen derartige Milderungsgründe verneint. Dies gilt insbesondere für den Milderungsgrund der ausweglosen unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, deren Voraussetzungen aus mehreren Gründen nicht gegeben sind.
Es ist bereits zweifelhaft, ob sich der Beamte mit Blick auf sein geregeltes Einkommen objektiv in einer wirtschaftlichen Notlage, die sich am Maßstab der einschlägigen Regelsätze zur Sozialhilfe orientiert, befand. Ursächlich hierfür kann jedenfalls nicht gewesen sein, dass der Beamte, wie er in der Hauptverhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, in der Mitte des Jahres 1998 für einen Monat keine Bezüge erhalten hat. Die einbehaltenen Bezüge sind ihm im nächsten Monat wieder ausgezahlt
worden und können keine Auswirkungen für den streitgegenständlichen Zeitraum gehabt haben.
Selbst wenn sich der Beamte objektiv in einer wirtschaftlichen Notlage befunden hätte, wäre diese nicht unverschuldet und nicht ausweglos gewesen. Der Beamte hat, wie er in der Hauptverhandlung auch eingestanden hat, offensichtlich über seine Verhältnisse gelebt. Auf keinen Fall hätte er bei einer bereits bestehenden Schuldenlage im September 2000 einen neuen Pkw kaufen und hierfür einen Bruttokredit in Höhe von 35 467 DM aufnehmen dürfen, der mit monatlich 493 DM zu bedienen war. Wie er inzwischen erkannt hat, war seine frühere Meinung, dass sich der neue Wagen wegen der Anerkennung für den dienstlichen Einsatz entsprechend rechnen würde, eine Fehlkalkulation. Der Beamte hätte zur Beseitigung einer wirtschaftlichen Notlage auch versuchen müssen, von Verwandtenseite Geldmittel zu erlangen. Wenn er dies aus Scham unterlassen hat, so geht dies zu seinen Lasten. Darüber hinaus hat der Beamte die veruntreuten Gelder nicht ausschließlich zur Beseitigung existenzieller Bedürfnisse verwendet, sondern mit dem Geld auch Schulden bezahlt, was der Anerkennung des Milderungsgrundes entgegensteht.
Schließlich kann sich der Beamte auch deshalb nicht mit Erfolg auf den Milderungsgrund berufen, weil er nicht - zeitlich begrenzt - in einer für ihn ausweglosen Konfliktsituation, auf die der Milderungsgrund zugeschnitten ist, unangemessen gehandelt hat. Die mildere Bewertung des Fehlverhaltens hat ihren Grund darin, dass der durch die Notlage verunsicherte Beamte in dieser zugespitzten Konfliktsituation vorübergehend die Orientierung verloren hat, so dass er keinen anderen Ausweg als den Zugriff auf dienstlich anvertrautes Geld oder Gut gesehen hat, um den notwendigen Lebensbedarf für sich und/oder seine Familie zu sichern. Eine solche Konfliktsituation kann nur dann als Ursache des Fehlverhaltens anerkannt werden und zu einer Milderung führen, wenn es sich um ein vorübergehendes, zeitlich und zahlenmäßig eng begrenztes Fehlverhalten gehandelt hat. Wiederholte Zugriffshandlungen über einen längeren Zeitraum, erfüllen diese Voraussetzungen nicht, wenn und soweit erwartet werden kann, dass der Beamte zur Besinnung kommt und erkennt, dass die Notlage so nicht zu beheben ist und auch nicht behoben werden darf. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Beamte hat über ein Jahr lang in 14 Fällen auf dienstliche Gelder in einer Gesamthöhe von etwa 3 000 € zugegriffen. Bei dieser Sachlage war Ursache seines Fehlverhaltens nicht mehr eine aus existenzieller Not geborene vorübergehende Konfliktsituation, mit der der Beamte nicht fertig geworden ist. Vielmehr hat er sich durch seine Unterschlagungen weitere "Einkünfte" neben seinem sonstigen Einkommen verschafft, das zur Befriedigung seiner finanziellen Bedürfnisse offensichtlich nicht ausgereicht hat. Das Sich-Abfinden mit immer neuem Unrecht durch eine rechtswidrige Dauerlösung darf sich nicht maßnahmemildernd auswirken (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 23. Oktober 2002 - BVerwG 1 D 5.02 -).
Mit guten dienstlichen Leistungen und beanstandungsfreier Arbeit kann der Beamte sein Fehlverhalten nicht aufrechnen. Solche Umstände können bei Kernpflichtverletzungen der vorliegenden Art den eingetretenen Verlust der Vertrauenswürdigkeit nicht rückgängig machen (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 23. Mai 2001 - BVerwG 1 D 12.00 - m.w.N.).
Mit dem vom Bundesdisziplinargericht bewilligten Unterhaltsbeitrag hat es sein Bewenden. Der Beamte wird darauf hingewiesen, dass er sich für den Fall einer Weiterbewilligung von Unterhaltszahlungen, wenn also seine intensiven und nachzuweisenden Bemühungen um eine neue Erwerbsquelle ohne Erfolg gewesen sein sollten, an das nach Auflösung des Bundesdisziplinargerichts zum 31. Dezember 2003 dann für seinen Wohnsitz zuständige Verwaltungsgericht ... wenden muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.