Beschluss vom 02.03.2004 -
BVerwG 7 B 35.03ECLI:DE:BVerwG:2004:020304B7B35.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.03.2004 - 7 B 35.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:020304B7B35.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 35.03

  • VG Berlin - 21.01.2003 - AZ: VG 25 A 320.02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. März 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Die Klägerin beantragt die Rückübertragung des Eigentums an einem in Berlin-Hohenschönhausen gelegenen Grundstück nach dem Vermögensgesetz (VermG). Das Verwaltungsgericht hat - nach Aufhebung des ersten in dieser Sache ergangenen Urteils vom 22. Januar 2002 durch den Beschluss des Senats vom 13. November 2002 (BVerwG 7 B 71.02 ) - die Klage erneut abgewiesen, weil kein Schädigungstatbestand i.S. des § 1 VermG gegeben sei; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Weder kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu (1.) noch liegen die gerügten Verfahrensmängel vor (2.).
1. Die Klägerin möchte als rechtsgrundsätzlich die Frage geklärt wissen, "ob nicht bei einer etliche Jahre vorher gänzlich eigenmächtig erfolgten großen Bebauung ohne Enteignung und ohne Beteiligung des Eigentümers, also ohne Gestattung oder ... privatrechtlichen Vertrag, nicht zunächst bis zur Widerlegung des Gegenteils von einem Machtmissbrauch auszugehen ist". Diese Frage lässt sich anhand der bisherigen Rechtsprechung beantworten, ohne dass es zu ihrer Klärung der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Enteignung eines Grundstücks erst nach der Durchführung der Baumaßnahmen allein noch keinen Machtmissbrauch darstellt, wenn eine Enteignung zur Durchführung der Baumaßnahmen zum damaligen Zeitpunkt nach DDR-Recht zulässig gewesen wäre. Es handelt sich insoweit um eine nachträgliche Fehlerkorrektur, die eine entstandene "formelle" Gesetzeswidrigkeit beseitigen soll (Urteil vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 25.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 113 S. 348 f.; Beschluss vom 28. März 2000 - BVerwG 7 B 19.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 12). Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Enteignung zum Zeitpunkt der Durchführung der Baumaßnahmen auf der Grundlage des damaligen DDR-Rechts nicht zu verwirklichen war. Unter dieser Voraussetzung beruht die nachträgliche Inanspruchnahme des Grundstücks zu dem Zweck, in der Vergangenheit aus staatlichen Mitteln getätigte Investitionen das Grundstück zu sichern, in der Regel auf unlauteren Machenschaften i.S. des § 1 Abs. 3 VermG (Urteil vom 26. Juni 1997 a.a.O.; Beschluss vom 23. Juli 2002 - BVerwG 7 B 12.02 -). Nach der Feststellung des Verwaltungsgerichts war die Errichtung der Verteilerstelle (Vermittlungsstelle) zum Zeitpunkt der Baumaßnahme eine nach der in Berlin geltenden Aufbauverordnung zulässige Maßnahme; demgemäß hätte die Inanspruchnahme des Grundstücks für diesen Zweck ordnungsgemäß vor der Durchführung des Bauvorhabens erfolgen können.
2. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht gegeben:
a) Die Klägerin rügt, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen habe, die Genehmigungsunterlagen beizuziehen, die die Errichtung der "Verteilerstelle" betrafen. Hätte das Verwaltungsgericht, wozu auch eine Anfrage bei den entsprechenden Behörden ausgereicht hätte, festgestellt, dass die erforderliche Genehmigung gefehlt habe, hätten sich daraus nach Auffassung der Klägerin die Willkürlichkeit des Vorhabens und der Machtmissbrauch ergeben. Die Rüge ist nicht begründet. Die Beiziehung weiterer "Genehmigungsunterlagen" zur Errichtung der Vermittlungsstelle musste sich dem Gericht - ohne einen entsprechenden Antrag oder eine Anregung der anwaltlich vertretenen Klägerin in der mündlichen Verhandlung - nicht aufdrängen. Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben ohne Genehmigung errichtet worden war, hat die Klägerin nicht dargetan. Sie ergeben sich auch nicht aus den Akten.
b) Ebenso wenig ist der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. Nach ihrer Auffassung sei nicht nachvollziehbar, woher das Verwaltungsgericht die Kenntnis habe, dass - wie im Tatbestand des Urteils (S. 3) festgestellt - "im mittleren Bereich des Geländes, auf einer Fläche von ca. 5 000 m², ... im Jahr 1974 mit der Errichtung einer Verteilerstelle der Post - zwecks Versorgung des neu errichteten Wohngebietes - begonnen" worden sei. Die Klägerin will damit der Sache nach geltend machen, dass es sich um eine für sie überraschende Feststellung handelt, zu der sie nicht habe Stellung nehmen können. Die Rüge der Klägerin steht ersichtlich im Zusammenhang mit ihrem Vorbringen, dass es sich um eine Abhörzentrale der Staatssicherheit gehandelt habe. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs scheidet bereits deshalb aus, weil das Verwaltungsgericht bereits in dem - aufgehobenen - Urteil vom 22. Januar 2002 diesen tatsächlichen Gesichtspunkt zugrunde gelegt hat, zu dem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2003 hätte Stellung nehmen können. In dem Urteil vom 22. Januar 2002 (S. 14) ist in den Entscheidungsgründen vom Verwaltungsgericht zur Begründung dafür, dass das nachträgliche Inanspruchnahmeverfahren nicht willkürlich gewesen sei, ausgeführt:
"Das insoweit verspätet bzw. nachträglich durchgeführte Inanspruchnahmeverfahren wurde nicht manipulativ eingesetzt, um sich den Zugriff auf die für die Errichtung einer Telefon-Verteilerstelle der Post benötigte Grundstücksfläche zu eröffnen ... Im Zeitpunkt der Inanspruchnahme war der dort befindliche - heute im Eigentum der Deutschen Telekom AG stehende - großflächige Gebäudekomplex bereits erstellt, wie die Darstellungen im Lageplan vom 16. November 1978 belegen. Dort wurde dieses Gebäude als vorhandene Bebauung und mit der Bezeichnung 'VST' für Verteilerstelle dargestellt."
c) Nach Auffassung der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die ihm gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es keine Auskünfte bei den entsprechenden Behörden, insbesondere aber bei der Deutschen Telekom AG, dazu eingeholt habe, ob es sich bei der "Verteilerstelle" um eine Abhörzentrale der Staatssicherheit gehandelt hat. Auch insoweit musste sich die Einholung der Auskünfte dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen. Nach den Darlegungen der Klägerin im Schriftsatz vom 10. Mai 2002 hat ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2000 darauf hingewiesen, "dass es sich bei dem Telekom-Gebäude wohl um eine Stasi-Abhörzentrale gehandelt" habe. Anhaltspunkte dafür hat er nicht genannt; auch aus den Akten ergeben sich solche Anhaltspunkte nicht. Vielmehr weisen die vorhandenen Unterlagen wie das Schreiben des Bezirksbauamts vom 12. August 1974 und die Städtebauliche Bestätigung des Magistrats vom 14. Oktober 1974 sowie der Umstand, dass der Plan des Bezirksbauamts vom 16. November 1978 nicht nur die Bebauung als "VST" (Vermittlungsstelle), sondern auch die angrenzende Fläche als "Flächenreserve Deutsche Post" ausweist, auf ein Vorhaben der Post hin.
d) Die weiteren Ausführungen der Klägerin zur Frage der nachträglichen Inanspruchnahme des Grundstücks beschränken sich in der Art einer Berufungsschrift im Wesentlichen auf Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann - was die Klägerin nicht verkennt - grundsätzlich ein Verfahrensfehler nicht begründet werden. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 15). Dies gilt in gleicher Weise für die Rüge der Klägerin, die Auslegung einer in den Akten befindlichen Notiz vom 29. Januar 1980 sei nicht vertretbar und belaste einseitig die Klägerin.
Ebenso wenig können ihre Darlegungen, das Verwaltungsgericht habe unzulässigerweise auf eine hypothetische Rechtmäßigkeit abgestellt, indem es geprüft habe, ob die Inanspruchnahme vor der Errichtung der "Verteilerstelle" hätte erfolgen können, zur Zulassung der Revision führen. Die Klägerin übersieht, dass das Verwaltungsgericht mit Blick auf die Entscheidung des Senats vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 25.96 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 113) lediglich geprüft hat, ob für eine Enteignung zum Zeitpunkt der Durchführung der Baumaßnahmen eine Rechtsgrundlage bestanden habe. Es hat mithin nicht auf eine hypothetische Kausalität abgestellt, sondern vielmehr untersucht, ob eine der Voraussetzungen, die nach dem genannten Senatsurteil für die Annahme des § 1 Abs. 3 VermG vorliegen müssen, gegeben war.
e) Die Klägerin rügt ferner, dass das Verwaltungsgericht nicht umfassend aufgeklärt habe, "ob nicht die staatlichen Stellen der DDR hinsichtlich der Enteignung des streitgegenständlichen Grundstücks eine diskriminierend niedrige Entschädigung" festgesetzt hätten. Sie habe die Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu beantragt, dass für dieses Grundstück selbst unter Berücksichtigung der offiziellen Grundstückspreise in der DDR bei einem Bürger der DDR ein Mehrfaches an Entschädigung festgesetzt worden wäre. Diese Rüge ist ebenfalls nicht begründet. Einen Beweisantrag hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2003 ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht gestellt. Davon abgesehen ist bei der Prüfung der Frage, ob dem Verwaltungsgericht eine Verletzung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht vorzuwerfen ist, von seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung auszugehen und zu fragen, ob die von der Klägerin vermisste Aufklärung von diesem rechtlichen Standpunkt aus geboten war (stRspr, z.B. Urteil vom 10. Oktober 1995 - BVerwG 8 C 12.94 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 100 S. 61). Dies ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats - seinem Urteil den rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, die Anwendung des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG habe zur Voraussetzung, dass in bewusster Abkehr von den ansonsten für Bürger der DDR geltenden einschlägigen Vorschriften generell Entschädigungsbestimmungen zur Anwendung kamen, die den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum erleichtern sollten. Es hat damit auf die Rechtsprechung des Senats Bezug genommen, dass sich für § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG die Annahme verbiete, der Gesetzgeber habe allein schon den Umstand einer geringeren als der in der DDR üblichen Entschädigung zum Anknüpfungspunkt für einen Anspruch auf Rückgabe des enteigneten Vermögenswertes machen wollen (Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 11.93 - BVerwGE 95, 289 <291 f.>). Von dieser materiellrechtlichen Auffassung aus war eine weitere Aufklärung dazu, ob die staatlichen Stellen der DDR in dem konkreten Einzelfall eine zu niedrige Entschädigung - etwa durch eine Bewertung des Grundstücks als Ackerland statt als Bauland - festgesetzt haben, nicht geboten.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang rügt, das Verwaltungsgericht habe nicht die Zeugen Zi., Sch. und Se. dazu vernommen, dass die Vorgaben des Politbürobeschlusses vom 10. Oktober 1972 (Klägerin: 10. Dezember 1972) hinsichtlich der Festsetzung der Entschädigung bei der Enteignung des betroffenen Grundstücks angewandt worden seien (vgl. auch Tatzkow/Henicke, ZOV 1998, 311 <312> zu dem Beschluss des Politbüros), führt das ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Nach den Darlegungen der Klägerin hat dieser Beschluss zum Inhalt, dass bei der Entschädigung alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, die Entschädigung der Westeigentümer gering zu halten. Die Anwendung des Beschlusses im konkreten Fall würde nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG erfüllen. Die Vorschrift will die Zugriffe auf das Grundstück erfassen, bei denen gegenüber den Betroffenen in bewusster Abkehr von den ansonsten für Bürger der DDR geltenden Vorschriften Entschädigungsbestimmungen zur Anwendung kamen, die den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum erleichtern sollten. Den typischen Fall einer solchen diskriminierenden staatlichen Praxis bilden Entschädigungsfestsetzungen, bei denen durch interne Anweisungen wie die Ministerratsbeschlüsse vom 23. Dezember 1976 und 28. Juli 1977 (abgedruckt in Schriftenreihe des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, Heft 1, Dok 1 und 3) generell die Pflicht zur Zahlung der in der DDR üblichen Entschädigung außer Anwendung gesetzt und zu Lasten der davon Betroffenen durch eine für sie ungünstigere Entschädigungsregelung ersetzt wurde (Urteil vom 24. Juli 2003 - BVerwG 7 C 1.03 - Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 18 S. 54). Eine solche generelle Entschädigungsregelung zu Lasten von Westeigentümern, die die für DDR-Bürger geltenden Entschädigungsbestimmungen außer Anwendung setzt, enthält der Beschluss vom 10. Oktober 1972 nicht. Vielmehr zielt er darauf, die bestehenden "Möglichkeiten" im Einzelfall auszuschöpfen, um den Wert des Grundstücks rechnerisch zu reduzieren. Ob eine solche Reduzierung der Entschädigung in dem konkreten Fall die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG erfüllt, bedarf keiner Klärung. Der von einer Maßnahme nach § 1 Abs. 3 VermG betroffene Vermögenswert wäre lediglich der Anspruch auf eine in der DDR übliche Entschädigung (vgl. Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 11.93 - BVerwGE 95, 289 <292>).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.