Beschluss vom 02.04.2003 -
BVerwG 7 B 5.03ECLI:DE:BVerwG:2003:020403B7B5.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.04.2003 - 7 B 5.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:020403B7B5.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 5.03

  • VG Leipzig - 10.10.2002 - AZ: VG 3 K 1579/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. April 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l , K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 10. Oktober 2002 wird verworfen, soweit sie vom Kläger zu 2 erhoben worden ist, und im Übrigen zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 sind nicht erstattungsfähig.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 325 000 € festgesetzt.

Die Kläger beanspruchen die teilweise Rückübertragung eines Grundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen - VermG -. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage als unzulässig abgewiesen, weil sie verspätet erhoben worden sei.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Soweit die Beschwerde für den Kläger zu 2 erhoben worden ist, ist sie unzulässig; denn in der Beschwerdebegründung wird nicht dargelegt, warum die Beurteilung der Klage als verspätet insoweit verfahrensfehlerhaft sein soll. Die Angriffe der Beschwerde richten sich vielmehr ausschließlich gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zu 1 sei der Widerspruchsbescheid bereits am 24. Juli 1999 zugestellt worden mit der Folge, dass dessen Klage verfristet sei. Insoweit ist die Beschwerde jedoch unbegründet; denn die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmängel sind nicht erkennbar.
1. Der Kläger zu 1 (im Folgenden nur noch: der Kläger) rügt zu Unrecht, dass die Würdigung der Zeugenaussage der Rechtsanwältin S. durch das Verwaltungsgericht nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße richterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 VwGO gerecht werde.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass ein Empfangsbekenntnis als öffentliche Urkunde nach § 418 ZPO den vollen Beweis für das darin angegebene Datum der Zustellung begründet, der nur durch den Beweis des Gegenteils entkräftet werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 1996 - BVerwG 4 B 181.96 - Buchholz 340 § 3 VwZG Nr. 17 m.w.N.; Beschluss vom 5. März 1997 - BVerwG 6 B 98.96 - Buchholz a.a.O. Nr. 18 m.w.N.). Ausgehend davon ist das Gericht beanstandungsfrei zu der Erkenntnis gelangt, dass der notwendige Gegenbeweis durch die genannte Zeugenaussage nicht geführt worden ist; insbesondere ist der vom Kläger gerügte Verstoß gegen die Denkgesetze nicht erkennbar.
Ein solcher Denkfehler soll der Feststellung des Verwaltungsgerichts zugrunde liegen, nach der die schriftliche Äußerung der Zeugin, sie habe sich an den Wochenenden nie in ihrem Leipziger Büro aufgehalten, sowie ihre mündliche Bekundung, in der betreffenden Zeit ohnehin in Frankfurt/Main gewesen zu sein, nicht geeignet seien, den Eingang des Bescheides am 24. Juli 1999 auszuschließen. Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts können nicht dahin verstanden werden, dass die
Bekundungen der Zeugin unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt zum Gegenbeweis nicht tauglich sind. Vielmehr zeigt der Zusammenhang, in den das Gericht die Bewertung der Aussagen stellt, dass das Verwaltungsgericht die Bekundungen nicht für hinreichend glaubhaft hält, um den Urkundsbeweis über das Zustellungsdatum zu widerlegen. Das verdeutlichen die Ausführungen des Gerichts dazu, dass
"- die Zeugin nicht versucht habe, den angekündigten Nachweis ihrer Abwesenheit durch Vorlage des Terminkalenders zu erbringen,
- die Annahme eines Versehens beim Ausfüllen des Empfangsbekenntnisses im Hinblick auf das Datum der Unterzeichnung dieses Schriftstücks sowie im Hinblick auf das Schreiben an den Kläger vom 3. August 1999 wenig überzeugend sei,
- die Aussage der Zeugin von ihrer vorausgehenden schriftlichen Darstellung abweiche und sie sich in Mutmaßungen über den Zugang des Bescheides ergehe,
- die Äußerung der Zeugin, sie habe das Empfangsbekenntnis mit der Ortsangabe Leipzig unterzeichnet, weil es sich um ein Verfahren des ehemaligen Leipziger Büros gehandelt habe, wenig überzeugend sei,
- die Zeugin nicht den Versuch unternommen habe, den Nachweis des Eingangs des Widerspruchsbescheides durch Vorlage des Fristenkalenders oder eines Posteingangsbuchs zu erbringen, sondern vorgetragen habe, nach Ausscheiden ihrer Büroangestellten solche Unterlagen nicht mehr geführt habe."
Soweit der Kläger einwendet, das Verwaltungsgericht habe die Zeugin gemäß § 378 ZPO i.V.m. § 98 VwGO belehren müssen, schriftliche Unterlagen zum Beleg ihrer Aussagen mitzubringen, verkennt er zum einen, dass Maßnahmen nach § 390 ZPO, die eine vorherige Anordnung oder entsprechende Belehrung erfordern, nicht in Rede stehen. Zum anderen übersieht er, dass für die Zeugin als die seinerzeit verantwortliche Verfahrensbevollmächtigte die Notwendigkeit, schriftliche Belege - soweit vorhanden - zum Nachweis der Richtigkeit ihrer Aussage beizubringen, auf der Hand liegen musste. Dies gilt umso mehr, als sie selbst die zu widerlegende öffentliche Urkunde hergestellt hatte und darüber hinaus eine ihre bisherige schriftliche Darstellung ergänzende und zumindest in einem Punkt modifizierende Sachverhaltsschilderung geben wollte. In diesem Zusammenhang ist es verfehlt, wenn der Kläger dem Verwaltungsgericht vorwirft, es habe zu Unrecht einen Widerspruch zwischen der schriftlichen Erklärung und den mündlichen Bekundungen der Zeugin gesehen. Zwar trifft es zu, dass die Zeugin nach dem Inhalt beider Äußerungen nicht in der Lage gewesen wäre, das Schriftstück am 24. Juli 1999 im Leipziger Büro in Empfang zu nehmen. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie ihre ursprünglichen Angaben dahin konkretisiert, aber auch korrigiert hat, zu der betreffenden Zeit gar nicht mehr in Leipzig gewesen, sondern schon nach Frankfurt umgezogen zu sein. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht aus diesem Korrekturbedarf und den weiteren in den Entscheidungsgründen seines Urteils genannten Umständen auf ein unvollkommenes Erinnungsvermögen der Zeugin schließt. Jedenfalls trifft es nicht zu, dass das Verwaltungsgericht, wie der Kläger rügt, ausschließlich aus den voneinander abweichenden Aussagen geschlossen hat, der Widerspruchsbescheid könne der Zeugin am 24. Juli 1999 in Leipzig zugegangen sein. Das Gericht hat das Vorbringen der Zeugin insgesamt dahin bewertet, dass es nicht geeignet sei, den durch das Empfangsbekenntnis geführten Beweis des Zugangszeitpunkts zu widerlegen; dies lässt keinen Denkfehler erkennen.
2. Ein Fehler in der Tatsachen- und Beweiswürdigung ist auch nicht feststellbar, soweit das Verwaltungsgericht die Schlussfolgerung der Zeugin, es sei aufgrund des seinerzeit gestellten Nachsendeantrages ausgeschlossen, dass der Bescheid bereits am 24. Juli 1999 in Frankfurt eingetroffen sei, als bloße, nicht zum Gegenbeweis taugliche Mutmaßung bewertet. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass ein Gegenbeweis den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs verlang (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 1996, a.a.O. m.w.N.). Dieser Nachweis konnte in der Tat nicht durch den bloßen Hinweis auf die Postlaufzeiten bei Nachsendeanträgen erbracht werden. Der Kläger rügt daher auch zu Unrecht einen Verstoß gegen die Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO, weil das Gericht den Umständen der Briefpostzustellung bei einem Nachsendeantrag nicht weiter nachgegangen sei; denn ein solcher Aufklärungsbedarf hätte die Überzeugung vorausgesetzt, dass das Schriftstück tatsächlich in Frankfurt im Wege der Nachsendung zugestellt worden ist. Diese Überzeugung hat das Verwaltungsgericht jedoch gerade nicht gewonnen, zumal sich weitere Zweifel daraus ergaben, dass das Empfangsbekenntnis mit der Ortsangabe Leipzig unterzeichnet worden war.
3. Schließlich ist dem Verwaltungsgericht auch kein Verstoß gegen die Denkgesetze unterlaufen, soweit es sich nicht davon hat überzeugen lassen, die Angabe des Zustellungsdatums in dem Empfangsbekenntnis beruhe auf einem Versehen. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers liegt die Erwägung des Verwaltungsgerichts, die Rechtsanwältin habe, weil sie das Empfangsbekenntnis erst am 28. Juli 1999 unterzeichnet habe, besondere Veranlassung gehabt, den genauen Zeitpunkt des Eingangs des Widerspruchsbescheides zu prüfen, keineswegs fern. Noch näher liegend ist die Erwägung des Gerichts, dass der Verfahrensbevollmächtigten jedenfalls bei der mehr als einer Woche später vorgenommenen Mitteilung der Klagefrist an ihren Mandanten, die mit der Übersendung einer Kopie des Empfangsbekenntnisses verbunden war, ein versehentlich vermerktes Datum hätte auffallen müssen. Der Umstand, dass sie anscheinend in Ansehung dieses nach ihren Bekundungen nur auf dem Empfangsbekenntnis vermerkten Datums den 26. August 1999 als letzten Tag der Frist genannt hat, könnte darauf hindeuten, dass sie rechtsirrig davon ausging, die Frist beginne bei einer Zustellung an einem Sonnabend erst am darauf folgenden Montag. Das mag jedoch hier auf sich beruhen. Jedenfalls erscheint die Vorstellung, die Zeugin habe irrtümlich im Empfangsbekenntnis den 24. Juli 1999 vermerkt, um dann - mehr als eine Woche später - allein ihrer Erinnerung folgend die Frist unter Annahme einer Zustellung am 26. Juli 1999 zu berechnen, ohne nochmals einen Blick auf das in Kopie vorhandene Empfangsbekenntnis zu werfen, zumindest lebensfremd.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.