Verfahrensinformation

Nachzug von Eltern zum bei Antragstellung minderjährigen Kind


Der am 1. Dezember 1992 geborene Sohn der Klägerin, ein irakischer Staatsangehöriger yezidischen Glaubens, reiste im Mai 2008 nach Deutschland ein und wurde als Flüchtling anerkannt. Er erhielt eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Seine Eltern beantragten für sich und ihre weiteren fünf Kinder im November 2009 bei der Deutschen Botschaft in Damaskus Visa zur Familienzusammenführung. Da die Botschaft nur zur Erteilung eines Visums an einen Elternteil bereit war, entschieden die Eheleute, dass der Vater nach Deutschland einreisen solle. Dieser erhielt im Februar 2010 das beantragte Visum und nach Einreise auch eine bis zum 3. März 2011 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 1 AufenthG. Die Visumanträge der Mutter und ihrer fünf weiteren Kinder wurden von der Botschaft hingegen abgelehnt. Der Vater reiste nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis nach Syrien aus, um seine dort lebende Familie bei ihrer Rückkehr in den irakischen Herkunftsort zu begleiten. Die auf Erteilung des begehrten Visums gerichtete Verpflichtungsklage der Mutter hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg, nicht hingegen die Klagen ihrer fünf Kinder. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. Dezember 2011 auch die Klage der Mutter abgewiesen. Es hat seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass sich zum Zeitpunkt, als der Sohn am 1. Dezember 2010 volljährig wurde, ein personensorgeberechtigter Elternteil, nämlich der Vater, in Deutschland aufhielt.


Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen der Frage zugelassen, ob ein Visum auch dann wegen der Anwesenheit eines Elternteils in Deutschland versagt werden darf, wenn bei Antragstellung beide Elternteile einen Nachzugsanspruch hatten und deshalb beide Visa hätten erhalten müssen.


Pressemitteilung Nr. 23/2013 vom 18.04.2013

Nachzugsanspruch der Eltern eines minderjährigen Flüchtlings besteht bis zur Volljährigkeit des Kindes

Die Eltern eines minderjährigen Flüchtlings, der sich ohne Begleitung in Deutschland aufhält, haben grundsätzlich beide einen Anspruch auf Nachzug zu ihrem Kind. Dieser Anspruch besteht jedoch nur bis zur Volljährigkeit des Kindes. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Der Entscheidung lag das Begehren einer irakischen Staatsangehörigen auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrem im Alter von 16 Jahren nach Deutschland eingereisten Sohn zugrunde. Diesem war als unbegleitetem Minderjährigen mit Hilfe eines Schleusers die Flucht aus dem Irak gelungen. Er wurde im Juni 2009 in Deutschland wegen seiner yezidischen Glaubenszugehörigkeit als Flüchtling anerkannt und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis. Daraufhin beantragten seine Eltern für sich und ihre weiteren fünf Kinder im November 2009 bei der Deutschen Botschaft Visa zur Familienzusammenführung. Da die Botschaft nur zur Erteilung eines Visums an einen Elternteil bereit war, entschieden die Eheleute, dass der Vater nach Deutschland reisen solle. Dieser erhielt im Februar 2010 das beantragte Visum und nach Einreise eine bis März 2011 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Visumanträge der Mutter und ihrer weiteren Kinder wurden hingegen abgelehnt. Der Vater reiste nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis in sein Heimatland zurück. Die auf Erteilung des Visums gerichtete Verpflichtungsklage der Mutter hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg, wurde vom Oberverwaltungsgericht aber abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass sich zum Zeitpunkt, als der Sohn volljährig wurde, ein personensorgeberechtigter Elternteil, nämlich der Vater, in Deutschland aufgehalten habe. Der Sohn sei damit kein unbegleiteter Minderjähriger mehr gewesen, wie das § 36 Abs. 1 AufenthG voraussetze.


Der 10. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Ergebnis bestätigt. Er hat allerdings - anders als das für die Visaerteilung zuständige Auswärtige Amt - einen Nachzugsanspruch der Klägerin als ursprünglich begründet angesehen. Denn das Nachzugsrecht zum unbegleiteten minderjährigen Flüchtling steht nach § 36 Abs. 1 AufenthG beiden Eltern zu und darf für einen Elternteil nicht dadurch vereitelt werden, dass die Botschaft nur einem von beiden das gleichzeitig beantragte Visum erteilt und dem anderen dann entgegenhält, das Kind sei jetzt nicht mehr ohne elterlichen Beistand. Der Nachzugsanspruch besteht allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind volljährig wird, hier also bis zum 1. Dezember 2010. Anders als beim Kindernachzug nach § 32 AufenthG reicht eine Antragstellung vor Erreichen der Volljährigkeit nicht aus, um den Anspruch zu erhalten. Zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht im Dezember 2011, auf den es für die Entscheidung des Nachzugsbegehrens ankommt, war hier der Anspruch der Klägerin schon entfallen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil zugleich aufgezeigt, dass Eltern die Möglichkeit haben müssen, ihren Visumanspruch mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO rechtzeitig vor Erreichen der Volljährigkeit des Kindes effektiv durchzusetzen, weil andernfalls ihr Nachzugsbegehren vereitelt würde.


BVerwG 10 C 9.12 - Urteil vom 18. April 2013

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 3 B 22.10 - Urteil vom 13. Dezember 2011 -

VG Berlin, 15 K 153.10 V - Urteil vom 11. November 2010 -


Beschluss vom 02.06.2010 -
BVerwG 3 B 22.10ECLI:DE:BVerwG:2010:020610B3B22.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.06.2010 - 3 B 22.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:020610B3B22.10.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 22.10

  • VG Berlin - 17.12.2009 - AZ: VG 30 A 268.06

In den Verwaltungsstreitsachen hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und Dr. Wysk
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Dezember 2009 werden zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.

Gründe

1 Die Klägerin beansprucht die Zuordnung mehrerer Flurstücke, die aus seinerzeit in der Gemarkung E. gelegenen Flurstücken hervorgegangen sind. Diese Flurstücke wurden spätestens 1961 in Volkseigentum überführt; sie waren zuvor Gemeindeland der Gemeinde E. Aufgrund eines Beschlusses des Bezirkstags Rostock aus dem Jahr 1978 wurde das betreffende Gebiet der Stadt Rostock eingegliedert; die betroffenen Flurstücke wurden im Jahr 1981 in die zu dieser gehörende Gemarkung L.-K. umgeschrieben. Als Rechtsträger blieb im Grundbuch der Rat der Gemeinde E. eingetragen.

2 In den Jahren 1995 und 1997 wurden die Flurstücke der Beigeladenen zurückübertragen.

3 Auf entsprechende Klagen der Klägerin hin hat das Verwaltungsgericht diese Rückübertragungsbescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Flurstücke der Klägerin zurückzuübertragen; soweit ein Teil der Grundstücke bereits veräußert worden war, ist die Beklagte verpflichtet worden festzustellen, dass die Klägerin restitutionsberechtigt gewesen ist.

4 Die Beschwerden der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in diesen Urteilen haben keinen Erfolg. Die Rechtssachen weisen weder die nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf (1.), noch ist die nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erkennbar (2.).

5 1. a) Die Beigeladene hält für klärungsbedürftig, ob die begehrte Zuordnung eines Vermögensgegenstandes dadurch ausgeschlossen wird, dass er bereits anderweitig zugeordnet worden ist. Da mit den angegriffenen Urteilen die bisherige, nicht bestandskräftige Zuordnung der Grundstücke auf den Rechtsbehelf der Klägerin hin aufgehoben worden ist, würde sich die aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren von vornherein nicht stellen, so dass sie schon deswegen nicht geeignet ist, den Rechtssachen grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu verleihen. Abgesehen davon liegt es auf der Hand, dass eine anderweitige Zuordnung eines bereits zugeordneten Vermögenswerts die Beseitigung der früheren Zuordnungsentscheidung voraussetzt - sei es im Wege der Rücknahme oder des Widerrufs durch die Behörde, sei es im Wege der Aufhebung durch das Gericht.

6 b) Die weitere Frage der Beigeladenen,
„ob die Rücknahme eines Zuordnungsbescheides gem. § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - gegenüber dem Restitutionsberechtigten entgegen der gesetzgeberischen Intention aus § 2 Abs. 5 des Vermögenszuordnungsgesetzes - VZOG - auch nach dem Ablauf von zwei Jahren möglich ist, selbst wenn die betroffene Zuordnungsentscheidung nicht gegenüber allen im Verfahren nach § 48 VwVfG betroffenen Zuordnungsprätendenten bestandskräftig geworden ist“,
wäre in einem Revisionsverfahren ebenfalls nicht zu beantworten, weil die zugunsten der Beigeladenen ergangenen Zuordnungsbescheide nicht durch die Behörde zurückgenommen oder widerrufen, sondern durch das Verwaltungsgericht aufgehoben worden sind. Die verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten durch die Behörde finden daher von vornherein keine Anwendung; das gilt auch für den vom Verwaltungsgericht irrtümlich für einschlägig gehaltenen § 50 VwVfG, der ebenfalls nur behördliche Maßnahmen während eines Rechtsbehelfsverfahrens erfasst.

7 2. Zur Zulassung der Revision können schließlich auch nicht die von der Beigeladenen erhobenen Divergenzrügen führen.

8 Die Beigeladene beanstandet Abweichungen von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 1974 - BVerwG 4 C 2.72 - (BVerwGE 44, 294 <299 ff.>). Dort sei entschieden worden, dass der Nachbar, dem eine Baugenehmigung nicht bekannt gegeben worden sei, sich nicht nur dann nach Treu und Glauben so behandeln lassen müsse, als sei sie ihm amtlich bekannt gemacht worden, wenn er auf andere Weise Kenntnis von ihr erlangt habe, sondern auch dann, wenn er diese Kenntnis hätte haben müssen. Von diesem Rechtssatz weiche das Verwaltungsgericht ab, wenn es eine Verwirkung des Klagerechts der Klägerin mangels Vorliegen des Umstandsmoments ablehne; denn auf der Grundlage dieser Rechtsprechung komme es auf die konkrete Kenntnis der Klägerin von der Restitutionsentscheidung zugunsten der Beigeladenen gar nicht an.

9 Eine entscheidungstragende Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO scheidet - von allem anderen abgesehen - schon deswegen aus, weil das Verwaltungsgericht nicht nur die Kenntnis der Klägerin von der Zuordnung verneint, sondern darüber hinaus in Abrede gestellt hat, dass die Klägerin Kenntnis von der erfolgten Zuordnung hätte haben müssen. Ob diese Bewertung und die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen zutreffend sind, ist kein zulässiger Gegenstand der erhobenen Divergenzrügen.

10 Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben. Wegen der Gegenstandswerte wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.