Beschluss vom 02.09.2004 -
BVerwG 5 B 30.04ECLI:DE:BVerwG:2004:020904B5B30.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.09.2004 - 5 B 30.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:020904B5B30.04.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 30.04

  • VGH Baden-Württemberg - 03.02.2004 - AZ: VGH 7 S 267/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. R o t h k e g e l und
Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs
  2. Baden-Württemberg vom 3. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
  3. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr vom Beklagten beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Der Beklagte hat folgende Fragen aufgeworfen, die er für revisionsgerichtlich klärungsbedürftig hält:
"(1) In welchem Maße wird das Ermessen des Sozialhilfeträgers betreffend die Form der Leistungsgewährung gemäß §§ 4 Abs. 2 und 8 Abs. 1 BSHG durch §§ 1 Abs. 2 Satz 1 und 3 Abs. 2 BSHG reduziert?
(2) Sind im Rahmen der Abwägung zwischen den angemessenen Wünschen des Hilfeempfängers und etwaigen unverhältnismäßigen Mehrkosten nach § 3 Abs. 2 BSHG ähnliche Grundsätze zur Zumutbarkeit zugrunde zu legen, wie dies im Rahmen der Auslegung des § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG (Menschenwürde) der Fall ist?
(3) Welche Umstände oder Voraussetzungen müssen vorliegen, damit das Ermessen des Sozialhilfeträgers gemäß §§ 4 Abs. 2 und 8 Abs. 1 BSHG im Hinblick auf die einmaligen Bekleidungshilfen nach § 21 Abs. 1a Nr. 1 BSHG zugunsten einer Sachleistung statt Geldleistung ausgeübt werden darf?
(4) Hat der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 03.11.2003 die Grenzen der richterlichen Überprüfung des eingeräumten Ermessens überschritten und unzulässig sein eigenes Ermessen an die Stelle des Behördenermessens gesetzt?"
Diese Fragen (die teilweise auf ein in einer Parallelsache ergangenes Urteil des Verwaltungsgerichtshofs bezogen sind, der Sache nach allerdings in gleichem Sinne das vorliegende Verfahren betreffen) sind jedoch nicht von grundsätzlicher Bedeutung; denn sie betreffen im Rahmen einer einzelfallbezogenen Rechtsanwendung zu beantwortende Fragen, die einer fallübergreifenden, rechtsgrundsätzlichen Klärung weder zugänglich sind noch bedürfen. Letztlich wären sie aber ausgehend von den für das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO verbindlichen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz in einem Revisionsverfahren im Hinblick auf die Regelung des § 144 Abs. 4 VwGO ohnehin nicht zu entscheiden. Danach muss die angegriffene Berufungsentscheidung selbst dann Bestand haben, wenn seine Gründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts ergeben, die Entscheidung sich aber aus anderen Gründen als richtig darstellt. So liegen die Dinge hier:
Der Verwaltungsgerichtshof hat in den Gründen seines Beschlusses auf sein in einem Parallelverfahren ergangenes Urteil vom 3. November 2003 - 7 S 1162/01 - verwiesen; dort ist er im Zusammenhang mit seinen Erwägungen zu entstehenden Mehrkosten (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG) "nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und des vom Verwaltungsgericht (in der vorliegenden Sache) durchgeführten Augenscheins" zu der Feststellung gelangt, dass "eine durchgängige Versorgung mit 'Amtspreisartikeln' nicht sichergestellt" und "der objektive Bekleidungsbedarf der Hilfeempfänger - insgesamt gesehen - durch das Verfahren des Beklagten nicht gedeckt werden" kann (S. 16 des Berufungsurteils in der Sache 7 S 1162/01). Ist dies der Fall, besteht aber weder ein Auswahlermessen des Beklagten nach § 4 Abs. 2 BSHG, die Deckung einmaligen Bekleidungsbedarfs pauschal auf die hier in Rede stehende Weise zu decken, noch ist dann für die Anwendung von § 3 Abs. 2 BSHG Raum, der ein Wahl- und Wunschrecht des Hilfesuchenden zwischen verschiedenen, zur Deckung des Hilfebedarfs gleichermaßen geeigneten Alternativen voraussetzt (vgl. BVerwGE 94, 127 <133 f.>; 101, 194 <201>). Dies gilt auch für den Mehrkostenvorbehalt aus § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG: Die Höhe von Mehrkosten der von ihm gewünschten Leistung muss der Hilfesuchende sich nur im Vergleich zu Alternativen entgegenhalten lassen, durch die ihm gegenwärtig und tatsächlich geholfen, sein Hilfebedarf im sozialhilferechtlich anzuerkennenden und gebotenen Umfang vollständig gedeckt wird. Das Wahl- und Wunschrecht des Hilfesuchenden wie das Auswahlermessen des Sozialhilfeträgers sind daher nur auf solche Hilfealternativen bezogen, bei denen kein sozialhilferechtlicher Bedarf offen bleibt. Treffen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zu, ist eine volle bzw. zumindest teilweise Geldleistung aber die zur Deckung des sozialhilferechtlich anzuerkennenden Bekleidungsbedarfs einzige geeignete - also alternativlose - Hilfemaßnahme.
2. Allerdings sind die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zu Qualität und Umfang der vom Beklagten unter Beauftragung der Lebenshilfe H. in G. organisierten Leistungserbringung mit der Beschwerde angegriffen: Der Verwaltungsgerichtshof habe gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verstoßen, indem er zwei Gutachten eines anerkannten Textilsachverständigen "übergangen" und "(keiner) Beweiswürdigung unterzogen", sondern seine hiervon "abweichende Bewertung ... aufgrund (eines vom Verwaltungsgericht in einem Parallelverfahren eingenommenen) Augenscheins" vorgenommen habe (S. 4 Mitte der Beschwerdebegründung). Mit dieser Verfahrensrüge macht die Beschwerde einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und eine Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO geltend. Die Rüge greift jedoch nicht durch, so dass die Revision auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden kann.
Dass das Berufungsgericht die ihm in dem Verfahren 7 S 1162/01 vorgelegten Untersuchungsberichte des Ingenieurbüros für Textilprüfungen vom 9. November 1998 und 25. Mai 1999 (auch) in dem vorliegenden Verfahren keiner Beweiswürdigung unterzogen hat, lässt nicht darauf schließen, dass das Gericht diese Berichte entgegen dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung erwogen hat. Im Tatbestand des Berufungsurteils jenes Verfahrens (S. 6 Mitte des Urteils vom 3. November 2003 - 7 S 1162/01 -) sind diese Erkenntnismittel ausdrücklich erwähnt. Über die Berufung in der vorliegenden Sache ist am 3. Februar 2004 entschieden worden, nachdem das Oberverwaltungsgericht der gleichlautend wie hier begründeten Nichtzulassungsbeschwerde unter dem 29. Januar 2004 nicht abgeholfen hatte. Auch deswegen ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht zur Kenntnis genommen und erwogen hat, dass der Beklagte sich auf jene Untersuchungsberichte stützt. Eine Verletzung von Beweiswürdigungsgrundsätzen ist im Fehlen einer - ausdrücklichen - Würdigung in den Entscheidungsgründen sei es jenes Urteils, sei es des vorliegend angegriffenen Beschlusses schon deshalb nicht zu erblicken, weil die Untersuchungsberichte keine Sachverständigengutachten im Sinne eines zum Gegenstand einer Beweisaufnahme gemachten Beweismittels sind, sondern für den Beklagten als Partei erstellt waren und von ihm in den Parallelprozess eingeführt wurden. Der Beklagte hat weder dort noch im vorliegenden Verfahren versucht, sie durch Stellung eines förmlichen Beweisantrags (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO) zum Gegenstand einer Beweisaufnahme zu machen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass letzteres sich dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die angegriffene Berufungsentscheidung auf sein Urteil vom 3. November 2003 gestützt, dem tatsächliche Feststellungen unter Bezugnahme auf die vom Verwaltungsgericht in der vorliegenden Sache vorgenommene Augenscheinseinnahme zugrunde liegen, deren protokolliertes Ergebnis in das Berufungsverfahren 7 S 1162/01 durch Verlesung einzuführen das Berufungsgericht aufgrund entsprechenden Verzichts der Beteiligten (s. S. 2 Mitte der Sitzungsniederschrift über die Berufungsverhandlung vom 3. November 2003) unterlassen durfte. Das Berufungsurteil vom 3. November 2003 ist dem Beklagten am 28. November 2003 zugestellt worden. Er musste seitdem damit rechnen, dass das Berufungsgericht seine dort wiedergegebenen Erkenntnisse auch im vorliegenden Verfahren verwerten würde. Dem hätte der Beklagte durch sein Verhalten im Prozess Rechnung tragen können und müssen, indem er darauf hingewirkt hätte, dass das vom Verwaltungsgerichtshof übernommene Ergebnis des vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren genommenen Augenscheins den aus Stichproben in dem Kleidershop gewonnenen Erkenntnissen des Sachverständigen gegenüber gestellt würden. Stattdessen hat der Beklagte in Kenntnis des Urteils vom 3. November 2003 seinen unter dem 27. November 2003 "im Hinblick auf die mündliche Verhandlung (in dem Verfahren 7 S 1162/01) am 3. November 2003" erklärten Verzicht auf mündliche Verhandlung in vorliegender Sache aufrechterhalten.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist darum zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.