Beschluss vom 04.03.2004 -
BVerwG 1 B 122.03ECLI:DE:BVerwG:2004:040304B1B122.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.03.2004 - 1 B 122.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:040304B1B122.03.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 122.03

  • VGH Baden-Württemberg - 13.11.2002 - AZ: VGH A 6 S 973/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. März 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und H u n d
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. November 2002 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.
Die hinsichtlich der Ablehnung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG durch das Berufungsgericht gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) des Klägers ist nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerde macht zunächst geltend (Beschwerdebegründung S. 1 ff., 6 ff.), das Berufungsgericht habe das rechtliche Gehör "zur Hunger- und Elendssituation" verletzt, weil es eine extreme Gefahrenlage in Kinshasa verneine, obwohl sich aus den (auszugsweise zitierten) "Berichten von Oxfam, des AA und des IFA" ergebe, "dass die Grundversorgung in Kinshasa nicht gewährleistet" sei und es außerdem "den zitierten kumulativen Risiken kein Gehör" schenke. Damit greift die Beschwerde in Wahrheit im Gewande der Gehörsrüge lediglich die dem Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung das Sachverhalts sowie seine Gefahrenprognose an, ohne einen Gehörsverstoß schlüssig dazulegen. Ähnlich verhält es sich mit der weiteren Gehörsrüge dazu, dass dem Berufungsgericht bereits mit Schriftsatz vom 20. November 2001 die "gesundheitliche Rückkehrgefährdung" betreffende Erkenntnisquellen (u.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5. Mai 2001) zur Würdigung übersandt worden seien (Beschwerdebegründung S. 4 ff., 8 ff.). Aus diesen ergebe sich u.a., dass der Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo zu einem unbeschreiblichen Ausmaß an Hunger, Krankheit, Tod und zahllosen Menschenrechtsverletzungen geführt habe. Malaria sei weiter die größte Krankheits- und Todesursache im ganzen Land. Für 18,5 Millionen Personen gebe es überhaupt keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Die Arbeitslosenquote liege bei über 90 %. Die schon zu Beginn des Jahres 2001 angespannte Versorgungslage habe sich aufgrund der Inflation und des katastrophalen Zustands der Transportwege verschlechtert.
Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht "den zitierten kumulativen Risiken kein Gehör geschenkt" hat. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann nur festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Berufungsgericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Solche Umstände zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie setzt sich nicht hinreichend damit auseinander, dass das Berufungsgericht aufgrund der Auswertung von Erkenntnissen u.a. des Auswärtigen Amtes und des UNHCR sowie des Gutachtens von Dr. J. im Einzelnen dargelegt hat, es fehle jede Grundlage für die Prognose, gerade der Kläger werde mit hoher Wahrscheinlichkeit mangels jeglicher Lebensgrundlage bald nach der Rückkehr an Hunger sterben oder im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Rückkehr erkranken und infolgedessen den Tod oder schwerste Verletzungen erleiden (UA S. 25 ff.).
Die Beschwerde macht weiter als Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers geltend, "zur gesundheitlichen Rückkehrsituation" lägen - im Einzelnen bezeichnete - "Erkenntnisse vor, wobei der kursiv geschriebene Teil vom Verwaltungsgerichtshof weder wahrgenommen noch gewürdigt" worden sei (Beschwerdebegründung S. 8 ff.). Danach sei das Gesundheitswesen in katastrophalem Zustand. Staatliche Krankenhäuser entsprächen nicht dem europäischen Standard. Ein Großteil der Bevölkerung könne nicht medizinisch versorgt werden. Gefahren seien besonders für Personen anzunehmen, die nicht im Land geboren worden seien oder sich dort über Jahre nicht mehr aufgehalten hätten. Darüber hinaus nimmt die Beschwerde u.a. Bezug auf die ausführlichen Darlegungen der Sachverständigen Dr. J. und Dr. O. insbesondere zum Risiko einer Malariaerkrankung.
Auch mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen Gehörsverstoß nicht schlüssig auf. Sie greift auch insoweit in erster Linie die tatrichterliche Beweiswürdigung als fehlerhaft an; damit lässt sich indessen ein Verfahrensmangel regelmäßig - und so auch hier - nicht begründen (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = DVBl 1996, 108). Die Beschwerde macht auch nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist oder seine (verfahrensrechtliche) Pflicht zur Begründung seiner Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verletzt hat. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht - auch soweit bestimmte Erkenntnismittel im Berufungsurteil nicht ausdrücklich erwähnt werden - seiner Pflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt und seiner Entscheidung den festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde gelegt hat. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass dies hier nicht der Fall war. Sie macht auch insoweit nicht die Entscheidungserheblichkeit der nach ihrer Auffassung unberücksichtigt gebliebenen Teile der in Rede stehenden Erkenntnisse ersichtlich. Namentlich befasst sie sich nicht hinreichend mit den - den Schwerpunkt ihrer Rüge bildenden - Darlegungen des Berufungsgerichts zu der Frage, ob der Kläger gerade als Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, alsbald an Malaria zu sterben bzw. malariabedingt schwerste Verletzungen zu erleiden (UA S. 30 ff.). Soweit die Beschwerde stichwortartig bestimmte Umstände hervorhebt, auf die das Berufungsgericht "praktisch nicht eingegangen" sei (Beschwerdebegründung S. 17) und auf "infolge des Verlustes der Semi-Immunität ... nur kumulativ zu würdigende Kriterien und Tatsachen" (Beschwerdebegründung S. 18) verweist, fehlt es an der erforderlichen Bezeichnung, aus welchen Erkenntnissen sich diese Umstände und Kriterien ergeben sollen. Zu Unrecht macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe seine Prognose allein auf die allgemeine prozentuale Erhöhung auf der Grundlage der "Sub-Sahara-Daten" gestützt. Sie setzt sich u.a. nicht damit auseinander, dass dem Berufungsurteil (UA S. 32) zufolge das Malaria-Risiko nach den Ausführungen des Gerichtsgutachters entscheidend (etwa um die Hälfte) durch Verwendung eines imprägnierten Moskitonetzes gesenkt wird. Außerdem trifft es nicht zu, dass das Berufungsgericht das Risiko infolge von "Durchfallerkrankungen aufgrund verseuchten Wassers" nicht berücksichtigt haben soll (dazu Beschwerdebegründung S. 19; vgl. demgegenüber UA S. 31).
Ohne Erfolg rügt die Beschwerde ferner als Gehörsverletzung, das Berufungsgericht habe hinsichtlich der Rückkehrgefährdung nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK den Vortrag des Klägers ignoriert, dass er Vorstandsmitglied der UDPS in S. sei (Beschwerdebegründung S. 27). Sie zeigt insoweit weder besondere Umstände auf, aus denen sich ergibt, dass das Berufungsgericht diesen Umstand nicht zur Kenntnis genommen hat, noch macht sie die Erheblichkeit des angeblichen Gehörsverstoßes ersichtlich. Insoweit verkennt sie auch, dass der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab wegen Vorverfolgung nur im Asyl- und Flüchtlingsrecht, nicht aber bei § 53 AuslG heranzuziehen ist.
Darüber hinaus zeigt die Beschwerde auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht schlüssig auf (Beschwerdebegründung S. 1).
Die Beschwerde legt ferner die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in einer den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entsprechenden Weise dar (vgl. Beschwerdebegründung S. 1, 19 ff.). Sie wirft die Frage nach der Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes aus Art. 1 Abs. 1, Satz 2, Abs. 2 GG im Rahmen der verfassungskonformen Überwindung der Sperrwirkung aus § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auf. Diese Problematik ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich geklärt (vgl. z.B. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1, 9 m.w.N.). Einen erneuten oder weiteren Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Auch soweit sie die "Grundsatzfrage zur staatlichen Schutzpflicht gegenüber langjährig in der Bundesrepublik lebenden Ausländern aus Art. 1 Abs. (3) 1 Satz 2, Abs. 2 GG" aufwirft, macht die Beschwerde einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerde nicht verkennt, die Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet im Zusammenhang mit der Prüfung des Verlusts der Semi-Immunität berücksichtigt (UA S. 30). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass und inwiefern eine darüber hinausgehende Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer entscheidungserheblich wäre.
Soweit sich die Beschwerde ferner gegen den im Berufungsurteil herangezogenen Maßstab für die Rückkehrgefährdung wendet und ausführt, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts müsse insoweit eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreichen, wirft die Beschwerde keine in einem Revisionsverfahren zu klärende Frage auf. Selbst wenn man sie aber dahin versteht, dass sie die Frage aufwerfen will, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad einer drohenden Gefahr eine verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung aus § 53 Abs. 6 Satz 2 VwGO rechtfertigt, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich geklärt, dass insoweit ein erhöhter Wahrscheinlichkeitsmaßstab geboten ist. Die hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts der allgemeinen Gefahr für den jeweiligen Ausländer markiert die Grenze, ab der die Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - a.a.O. m.w.N.). Einen weiteren Klärungsbedarf macht die Beschwerde auch insoweit nicht ersichtlich.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.