Beschluss vom 04.07.2011 -
BVerwG 7 B 26.11ECLI:DE:BVerwG:2011:040711B7B26.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.07.2011 - 7 B 26.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:040711B7B26.11.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 26.11

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 07.12.2010 - AZ: OVG 4 LB 8/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Juli 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Guttenberger und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin, ein Unternehmen der privaten Abfallentsorgung, wandte sich gegen eine abfallrechtliche Untersagungsverfügung der Beklagten, mit der ihr die Erfassung, Entsorgung und Verwertung von Altpapier aus privaten Haushaltungen im Stadtgebiet der Beklagten untersagt wurde. Das Verwaltungsgericht wies die hiergegen erhobene Klage ab. Die Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Bescheides. Überwiegende öffentliche Interessen i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG stünden der Sammeltätigkeit der Klägerin nicht entgegen. Die Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgung werde nicht gefährdet. Auf die Revision der Beklagten hob das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18. Juni 2009 - BVerwG 7 C 16.08) die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts unter Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung auf.

2 Mit Urteil vom 7. Dezember 2010 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin überwiegend zurückgewiesen und die Untersagungsverfügung lediglich in dem Umfang aufgehoben, als mit dieser auch Tätigkeiten über das Einsammeln von Altpapier aus privaten Haushaltungen in Altpapiertonnen sowie über regelmäßige grundstücksnahe Straßenbündelsammlungen hinaus verboten wurden. Für Abfälle der PPK-Fraktion aus privaten Haushaltungen bestehe die gesetzliche Überlassungspflicht an die Beklagte. Dies schließe das Aufstellen und das Leeren von Altpapiersammelbehältern im Wege des Holsystems bei privaten Haushaltungen aus. Doch sei die Erfassung der PPK-Fraktion über Sammelcontainer auf zentralen Plätzen oder auf Parkplätzen von Supermärkten als tradierte gewerbliche Sammlung im Sinne des Gesetzes zu verstehen und könne daher nicht untersagt werden. Überwiegende öffentliche Interessen stünden dieser Sammeltätigkeit nicht entgegen. Dasselbe gelte für grundstücksferne Straßenbündelsammlungen von Altpapier.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zu gelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

4 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

5 1. Die Revision ist nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

6 a) Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage,
ob nach den Vorgaben der Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine gewerbliche Sammlung i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG nur bei kumulativem Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Abfallerzeuger und Entsorgungsunternehmen sowie einer dauerhaft und in fester Struktur erfolgenden Sammeltätigkeit ausscheide oder ob bei Fehlen eines dieser beiden Aspekte im Wege der Gesamtwürdigung zu entscheiden sei, ob eine gewerbliche Sammlung vorliege,
ist nicht weiter klärungsbedürftig; sie beruht auf einer Fehlinterpretation des Urteils des erkennenden Senats vom 18. Juni 2009 - BVerwG 7 C 16.08 - (BVerwGE 134, 154 = Buchholz 451.221 § 13 KrW-/AbfG Nr. 14). In diesem wird zuerst unter der von der Beschwerde in Bezug genommenen Randnummer 31 der Urteilsgründe die gewerbliche Sammlung i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG abgegrenzt von der Entsorgungstätigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und der von diesen nach § 16 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG beauftragten gewerblichen Entsorgungsunternehmen. Der Senat hat für die dem Tatsachengericht obliegende Würdigung, ob eine konkrete Entsorgungstätigkeit als „Sammlung“ i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG anzusehen ist, die Orientierung an dem Vergleich mit dem (tradierten) Bild des Entsorgungsträgers vorgegeben. Er hat dafür die „Einbeziehung der genannten Kriterien“ - also die die Entsorgungsträger-Tätigkeit im Unterschied zu der tradierten gewerblichen Sammlung typischerweise kennzeichnenden vertraglichen Grundlagen und regelmäßig dauerhaften Strukturen - gefordert. Daraus wird unmissverständlich deutlich, dass die streitige Abgrenzung stets eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts verlangt und die erwähnten beiden Kriterien - wie es das Oberverwaltungsgericht zutreffend umschrieben hat - dabei besonders „ins Gewicht fallende Aspekte“ darstellen. Einer weiteren rechtsgrundsätzlichen und verallgemeinerungsfähigen Klärung ist die aufgeworfene Frage nicht zugänglich.

7 b) Die weitere als rechtgrundsätzlich erachtete Frage,
ob auch regelmäßige, z.B. monatlich wiederkehrende, haushaltsnahe Straßenbündelsammlungen von Altpapier als gewerbliche Sammlung i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG zu verstehen sind,
beantwortet sich nach den obigen, in der Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bereits aufgezeigten Kriterien. Auch hier ist im Wege einer Gesamtwürdigung darüber zu befinden, ob wegen der Dauerhaftigkeit einer solchermaßen in festen Strukturen erfolgenden Sammeltätigkeit und der Annäherung an das tradierte Bild des Entsorgungsträgers von einer gewerblichen Sammlung im Sinne des Gesetzes nicht mehr ausgegangen werden kann. Auf der Grundlage des von ihm festgestellten Sachverhalts ist das Oberverwaltungsgericht zu diesem Ergebnis gekommen (vgl. UA S. 23).

8 c) Mit der weiteren als rechtsgrundsätzlich erachteten Frage nach der Vereinbarkeit einer engen Auslegung des gewerblichen Sammlungsbegriffs mit Unionsrecht wiederholt die Klägerin weitgehend ihr Vorbringen im ersten Revisionsverfahren. Der aufgeworfenen Frage kommt keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu, weil sie in dem beabsichtigten (zweiten) Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese enge Auslegung des § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG nämlich bereits in seinem Urteil vom 18. Juni 2009 als mit dem Unionsrecht in Einklang stehend erachtet und sich daher auch nicht veranlasst gesehen, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs herbeizuführen.

9 An diese die Entscheidung vom 18. Juni 2009 tragende rechtliche Beurteilung wäre das Bundesverwaltungsgericht in dem angestrebten neuen Revisionsverfahren in gleicher Weise gebunden wie das Oberverwaltungsgericht, an das die Sache zurückverwiesen worden ist (§ 144 Abs. 6 VwGO). Diese Selbstbindung entspricht - unabhängig davon, ob sie aus einer entsprechenden Anwendung des § 144 Abs. 6 VwGO oder aus einem ungeschriebenen Grundsatz des Rechtsmittelrechts als eine logische Folge der Bindung der Vorinstanz hergeleitet wird - der ganz herrschenden Auffassung (vgl. GmS-OGB, Beschluss vom 6. Februar 1973 - GmS-OGB 1/72 - BVerwGE 41, 363 <367> = Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 22; Eichberger, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 144 Rn. 127 f. m.w.N.; P. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 144 Rn. 17; im Grundsatz ebenso Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 144 Rn. 79 f.). Es liegt auch kein Sachverhalt vor, der diese Selbstbindung des Bundesverwaltungsgerichts entfallen ließe (vgl. hierzu Eichberger, a.a.O. Rn. 129): Weder hat sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage erheblich geändert noch ist eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwischenzeitlich eingetreten. Abgesehen davon, dass der Senat nicht beabsichtigt, seine unionsrechtliche Beurteilung zu ändern, wäre eine solche Absicht allein nicht geeignet, das Revisionsgericht von der erfolgten Selbstbindung durch das Urteil vom 18. Juni 2009 zu lösen (so mit zutreffender Begründung Eichberger, a.a.O. Rn. 130 unter Darstellung der vereinzelten Gegenansicht; vgl. auch Urteil vom 22. Juni 1977 - BVerwG 8 C 49.76 - BVerwGE 54, 116 <121 ff.> = Buchholz 310 § 130 VwGO Nr. 6; BFH, Urteil vom 24. Mai 1989 - V R 137/84 - BFHE 157, 28; a.A. Neumann, a.a.O. Rn. 80).

10 2. Das angefochtene Urteil weicht nicht von der genannten Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

11 Das Vorbringen der Beschwerde genügt insoweit nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn die Divergenzrüge setzt die Darlegung voraus, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungstragender abstrakter Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz der angegebenen höchstrichterlichen Entscheidung abweicht (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 17. Dezember 2010 - BVerwG 8 B 38.10 - ZOV 2011, 45 m.w.N., juris Rn. 15). Derartige voneinander abweichende Rechtssätze zeigt die Beschwerde nicht auf. Ob das angefochtene Urteil - was die Beschwerde in Zweifel zieht - vollumfänglich mit der Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Einklang steht, mag dahinstehen. Denn das bloße Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (stRspr, Beschluss vom 21. September 2006 - BVerwG 7 B 32.06 - juris Rn. 7 m.w.N.).

12 Wollte die Beschwerde mit ihrem Vorbringen allein einen Verstoß gegen § 144 Abs. 6 VwGO rügen, würde eine Divergenzrüge fehl gehen. Denn ein ausschließlich hierauf bezogener Mangel kann nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen (stRspr, vgl. Beschluss vom 17. März 1994 - BVerwG 3 B 24.93 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 57 m.w.N.), sondern ist unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu würdigen. Mit einer in diesem Sinne zu verstehenden Verfahrensrüge könnte die Beschwerde jedoch ebenfalls keinen Erfolg haben. Sie entspricht bereits nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, weil die Beschwerde - wie bereits dargelegt - von einem falschen Verständnis der Revisionsentscheidung ausgeht und daher das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Bindungswirkung bereits nicht ausreichend benannt hat.

13 Im Übrigen ist das Oberverwaltungsgericht der Forderung des zurückverweisenden Revisionsurteils, tatsächliche Feststellungen zu der Art der Entsorgungstätigkeit der Klägerin zu treffen, nachgekommen. Selbst wenn ihm dabei Fehler in der Sachverhaltswürdigung unterlaufen sein sollten, würde darin kein Verstoß gegen § 144 Abs. 6 VwGO liegen (Beschluss vom 17. März 1994 a.a.O.).

14 3. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler - nämlich der Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (S. 10 f. der Beschwerdebegründung) - im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Oberverwaltungsgericht war als Instanzgericht nicht verpflichtet, die Streitsache dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen (Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV). Ihm ist insoweit Ermessen eröffnet. Davon hat es in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht.

15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Ziff. 2.4.2 des Streitwertkatalogs).