Beschluss vom 04.07.2016 -
BVerwG 8 B 32.15ECLI:DE:BVerwG:2016:040716B8B32.15.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.07.2016 - 8 B 32.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:040716B8B32.15.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 32.15

  • VG Potsdam - 25.06.2015 - AZ: VG 1 K 966/13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Juli 2016
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 25. Juni 2015 wird verworfen, soweit Ansprüche der Erbengemeinschaft nach W. F. betroffen sind, und im Übrigen zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger begehrt die Feststellung vermögensrechtlicher Ansprüche der Erbengemeinschaften nach E. C. und nach W. F. hinsichtlich eines Bruchteilseigentumsanteils am früheren Unternehmen "S. GmbH" in Fa. in Höhe von 25 % je Erbengemeinschaft. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 13. Februar 2013 eine vermögensrechtliche Berechtigung bezüglich eines Anteils in Höhe von jeweils 12,5 % festgestellt und den Restitutionsantrag im Übrigen abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.

2 Soweit das Verwaltungsgericht die Klage hinsichtlich der Ansprüche der Erbengemeinschaft nach W. F. als unzulässig abgewiesen hat, weil der Kläger nicht deren Mitglied sei, macht die uneingeschränkt erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision keine Zulassungsgründe geltend. Sie ist daher insoweit mangels Darlegung im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zu verwerfen.

3 Im Übrigen liegt der in der Beschwerdebegründung allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht vor.

4 a) Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner tatrichterlichen Bewertung, dass der Miteigentumsanteil von E. C. an der S. GmbH zum Schädigungszeitpunkt 1936 (Zwangsverkauf von Geschäftsanteilen) nach Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nach A. F. lediglich 12,5 % betrug, neben anderen Unterlagen auch auf Urkunden des Notariatsregisters für 1924 des Notars N. gestützt. Die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe insoweit gegen das Verbot einer selektiven rechtlichen Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhalts verstoßen, greift nicht durch.

5 Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei muss es sich seine Überzeugung auf der Grundlage des vollständigen Prozessstoffes bilden und darf nicht einzelne Umstände und Elemente, sofern sie für die zu treffende Entscheidung von rechtlicher Relevanz sind, vollkommen außer Acht lassen. Gegen das Verbot einer solchen Selektion von Prozessstoff verstößt ein Gericht, wenn es offenbar gewordene entscheidungserhebliche Umstände oder Erkenntnisquellen gar nicht oder nur teilweise heranzieht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 8 B 70.12 - ZOV 2013, 131 Rn. 9).

6 Das Verwaltungsgericht hat hier keine Umstände ausgeblendet, die gegen die Richtigkeit der Urkunden des Notars N. sprachen. Entgegen den Ausführungen der Beschwerde musste das Verwaltungsgericht nicht davon ausgehen, dass ursprünglich auch die Witwe von A. F., J. F., hinsichtlich der Unternehmensanteile an der S. GmbH Mitglied der Erbengemeinschaft nach A. F. war und dass sich deshalb Zweifel an der Richtigkeit der Urkunden sowie der Mitteilung des Notars N. aus dem Jahr 1924, in denen als Mitglieder der Erbengemeinschaft nach A. F. lediglich dessen Kinder W. F. und E. C., geb. F., aufgeführt waren, aufdrängen mussten. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass dem Verwaltungsgericht Erkenntnisse darüber vorlagen, dass auch J. F. Unternehmensanteile geerbt hatte. Sie bezieht sich insoweit ausschließlich auf die allgemeinen Ausführungen des Gerichts zur Erbfolge nach A. F., die nicht nach einzelnen Vermögenswerten differenzieren (UA S. 2). Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht geltend gemacht, dass auch J. F. in den Urkunden des Notars aus dem Jahr 1924 als Anteilseignerin hätte berücksichtigt werden müssen. Die von ihm eingereichten Erklärungen von E. C. und W. F. gingen auch für den Zeitraum vor dem Tod von J. F. 1932 von einem Anteilseigentum lediglich der beiden Kinder, E. C. und W. F., an dem Unternehmen aus.

7 b) Auf die vom Kläger in der Beschwerdebegründung thematisierte Frage, ob die Erklärungen von E. C., W. F. und K. C. im Entschädigungsverfahren sowie der Einheitswertbescheid für das Jahr 1935 unterzeichnet waren, hat das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung nicht abgestellt. Vielmehr hat es diese Dokumente einer inhaltlichen Würdigung unterzogen, die revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen ist.

8 c) Der Kläger legt auch keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz dar, soweit er sich gegen die Bewertung des Verwaltungsgerichts wendet, dass sich aus dem an W. F. gerichteten Einheitswertbescheid vom 5. Juni 1936 für ein Fabrikgrundstück in Fa. kein höherer Unternehmensanteil als 12,5 % ableiten lasse. Mit Angriffen gegen die dem sachlichen Recht zuzuordnende Beweiswürdigung kann ein Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes regelmäßig nicht begründet werden. Lediglich ausnahmsweise kann als Verfahrensmangel eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der Tatsachenwürdigung der Vorinstanz in Betracht gezogen werden, wenn diese einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss gezogen hat. Es reicht für einen Verfahrensmangel nicht aus, wenn das Gericht aus dem Tatsachenmaterial einen objektiv nicht überzeugenden oder sogar unwahrscheinlichen oder ein nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtigen oder fern liegenden Schluss gezogen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2003 - 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627 <628>).

9 Es verstößt nicht gegen Gesetze der Logik und des Denkens, wenn das Verwaltungsgericht darauf hinweist, dass der Einheitswertbescheid nur ein Grundstück und nicht das Unternehmen betrifft. Unabhängig davon, welchem der beiden in Betracht kommenden Unternehmen das Grundstück zuzuordnen war, musste und konnte das Gericht von einem Anteil am Grundstückseigentum nicht auf einen Unternehmensanteil schließen. Ebenso wenig verletzt es Denkgesetze, dass das Gericht es wegen der erst im März 1936 erfolgten Auseinandersetzung der F.’schen Erbengemeinschaft für möglich gehalten hat, dass mit der Zurechnung eines Grundstückseigentumsanteils von einem Viertel an W. F. in dem Bescheid auch der Anteil der Erbengemeinschaft gemeint sein könne. Der Einheitswertbescheid stellt, auch wenn er nach der Erbauseinandersetzung erlassen wurde, den Wert des Grundstücks ausdrücklich "auf den 1. Januar 1935" fest.

10 d) Zu Unrecht rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe die Angaben von E. C. und W. F. über die Aufteilung der Pachteinnahmen von der Z. in Na. zwischen dem Kaufmann Fr. H. und beiden Geschwistern im Verhältnis 50 % - 25 % - 25 % unter Verstoß gegen das Gebot vollständiger Sachverhaltsberücksichtigung als Beleg für einen lediglich jeweils 12,5%igen Geschäftsanteil der Geschwister angesehen. Nach der tatrichterlichen Würdigung des Verwaltungsgerichts ließ sich die Darstellung in den Erklärungen der Geschwister C./F. mit der vom Gericht angenommenen Höhe des Geschäftsanteils in Übereinstimmung bringen, wenn in Rechnung gestellt wurde, dass die Z. für ihren eigenen Unternehmensanteil keine Pacht entrichten musste. Diese der Anwendung sachlichen Rechts zuzuordnende Bewertung verstößt auch nicht deshalb gegen den Überzeugungsgrundsatz, weil E. C. und W. F. in ihren Erklärungen davon ausgingen, dass ihnen ein Anspruch auf jeweils ein Viertel des Gesamtwertes der nach 1935 veräußerten Unternehmensanteile zustand. Bei der Verpachtung des Unternehmens und der Veräußerung von Unternehmensanteilen handelte es sich um getrennte Rechtsgeschäfte, deren wirtschaftlicher Ertrag nicht notwendigerweise nach rechnerisch gleichen Anteilen aufzuteilen war. Das Verwaltungsgericht hat die Erklärungen von E. C. und W. F. auch nicht ausgeblendet, sondern in seine Beweiswürdigung aufgenommen, sie jedoch als teilweise widersprüchlich bewertet. Entgegen der Rüge des Klägers war es nicht zirkelschlüssig, dass das Gericht die Verteilung der Pachteinnahmen als ein in den Erklärungen enthaltenes Detail auf dem Hintergrund seiner Erkenntnisse aus anderen Dokumenten als zutreffend angesehen hat, der Darstellung von E. C. und W. F. zur Höhe ihres Unternehmensanteils dagegen nicht gefolgt ist.

11 e) Mit seiner Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Anteil der übereinstimmenden Aussagen in den Erklärungen von E. C., W. F. und K. C. verkannt, setzt der Kläger der in dem Urteil eingehend begründeten Bewertung des Tatsachengerichts zur Überzeugungskraft dieser Dokumente in sachlicher Hinsicht seine eigene Bewertung entgegen. Eine verfahrensfehlerhafte richterliche Überzeugungsbildung lässt sich daraus nicht ableiten.

12 f) Auch der Einwand, das Verwaltungsgericht habe seiner Überzeugungsbildung ein unangemessenes Beweismaß zugrunde gelegt und Erklärungen der Opfer der nationalsozialistischen Schädigungsmaßnahme gegenüber den Dokumenten von Personen, die an der rechtswidrigen Entziehung jüdischen Vermögens beteiligt gewesen seien, nicht ausreichend gewürdigt, greift nicht durch. Das Urteil stützt sich in seiner dem sachlichen Recht zuzuordnenden Beweiswürdigung maßgeblich auf Urkunden aus den Jahren 1924 und 1930 sowie damit übereinstimmend aus den Jahren 1934 und 1936, in denen die vom Gericht im Ergebnis angenommene Verteilung der Unternehmensanteile verzeichnet war. Es überspannt nicht die Anforderungen an eine Beweisführung des Klägers, wenn es hiermit nicht übereinstimmende Erklärungen der von der Schädigungsmaßnahme (des Zwangsverkaufs von Geschäftsanteilen) Betroffenen im Rahmen seiner Beweiswürdigung als nicht ausreichend ansieht, um die Unrichtigkeit der vorgenannten Dokumente zu belegen. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht eingehend begründet (UA S. 11 f.), warum es nicht von einer Fälschung der im Notariatsregister und bei verschiedenen Amtsgerichten geführten Unterlagen, welche für den im angegriffenen Bescheid angenommenen Unternehmensanteil von E. C. in Höhe von lediglich 12,5 % sprechen, ausgegangen ist. Das Urteil setzt sich auch mit den vom Kläger vorgetragenen Anhaltspunkten für eine nationalsozialistische Einstellung des Notars N. auseinander (UA S. 11). Es kann daher keine Rede davon sein, dass es vom Kläger unterbreitete Informationen hierzu - soweit sie Bezug zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt hatten - in selektiver Weise ausgeblendet hat.

13 g) Selbst wenn die Verfahrensrügen des Klägers durchgreifen würden, würde das Ergebnis des angegriffenen Urteils durch die Erwägung des Verwaltungsgerichts getragen, dass der Kläger nicht nachgewiesen hat, durch welche schädigende Maßnahme ein verfolgungsbedingter Verlust von weiteren Unternehmensanteilen von E. C. als Rechtsvorgängerin des Klägers herbeigeführt worden wäre (vgl. UA S. 13). In den notariellen Urkunden über die Veräußerung von Geschäftsanteilen von E. C. und W. F. im Jahre 1936 als der im Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2013 anerkannten Schädigungsmaßnahme sind diese Anteile im Nennwert aufgeführt und entsprechen einem prozentualen Anteil von 12,5 % am Stammkapital. Die Beschwerde macht keine Zulassungsgründe hinsichtlich der selbständig tragenden verwaltungsgerichtlichen Erwägung geltend, dass eine Entziehung etwaiger darüber hinausgehender Unternehmensanteile von E. C. nicht belegt sei.

14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil sie sich auch im Beschwerdeverfahren nicht geäußert hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.