Beschluss vom 05.01.2007 -
BVerwG 1 B 121.06ECLI:DE:BVerwG:2007:050107B1B121.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.01.2007 - 1 B 121.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:050107B1B121.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 121.06

  • Hessischer VGH - 18.05.2006 - AZ: VGH 3 UE 176/04.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Januar 2007
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Gunther Specht, 35037 Marburg, beigeordnet.
  2. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff., 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

2 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

3 1. Die Beschwerde rügt eine Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 1997 - BVerwG 9 C 43.96 - (BVerwGE 105, 204 <211 f.>), ohne allerdings aus dem längeren Zitat der Entscheidungsgründe einen einzelnen Rechtssatz präzise zu benennen oder herauszuarbeiten und ihm einen entgegengesetzten, sich in einen rechtsgrundsätzlichen Widerspruch hierzu setzenden Rechtssatz in der Entscheidung des Berufungsgerichts gegenüberzustellen. Insoweit fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Darlegung der behaupteten Divergenz nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

4 a) Die Beschwerde wendet sich mit ihrer Rüge zunächst dagegen (Beschwerdebegründung S. 1 und S. 2), dass das Berufungsgericht es habe dahinstehen lassen, ob der Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise eine inländische Fluchtalternative gehabt haben könnte, da er heute eine solche Ausweichmöglichkeit im Endeffekt nicht hätte. Sie macht hierzu geltend, die Frage der Vorverfolgung könne nur dann offengelassen werden, wenn für die Gegenwart eine beachtliche Wahrscheinlichkeit landesweiter Verfolgung oder aber eine beachtlich wahrscheinliche regionale Verfolgung ohne zumutbare inländische Fluchtalternative anzunehmen sei. Damit zeigt die Beschwerde lediglich eine ihrer Ansicht nach fehlerhafte Rechtsanwendung auf, aber keinen Rechtssatzwiderspruch wie für die Divergenzrüge erforderlich. Das gilt in gleicher Weise, soweit sie in diesem Zusammenhang ferner rügt, es entspreche auch „nicht den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts, regionale und örtlich begrenzte Gruppenverfolgung, so wie es das Berufungsgericht ganz offensichtlich tut, gleichzusetzen“ (Beschwerdebegründung S. 2 am Ende).

5 Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerkt der Senat hierzu allerdings, dass das Berufungsurteil insoweit tatsächlich unklar ist und die Prüfung einer inländischen Fluchtalternative für den Fall der Rückkehr des Klägers an sich im Widerspruch zur Annahme des Verwaltungsgerichtshofs steht, der Kläger sei als Tschetschene in Tschetschenien einer (dann wohl lediglich „örtlich begrenzten“) Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen und bis heute ausgesetzt (UA S. 14/15), während der Verwaltungsgerichtshof an anderer Stelle dagegen von einer „regionalen“ Gruppenverfolgung aller ethnischen Tschetschenen in Tschetschenien auszugehen (UA S. 17 Abs. 1) oder beides gleichzusetzen (UA S. 11 Abs. 2) scheint (vgl. hierzu auch den Beschluss des Senats vom 4. Januar 2007 - BVerwG 1 B 47.06 -). Darin mag zwar ein Rechtsfehler liegen, eine ausdrückliche oder konkludente Abweichung von der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung selbst ausdrücklich zugrunde gelegt hat (UA S. 11), ist indessen von der Beschwerde jedenfalls nicht dargetan.

6 b) Soweit die Beschwerde eine weitere Abweichung von der (angeführten) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geltend macht, weil das Berufungsgericht angenommen habe, eine inländische Fluchtalternative setze den legalen Zugang zum Arbeitsmarkt und diversen Sozialleistungen wie Bildungseinrichtungen voraus (Beschwerdebegründung S. 4), ist nicht dargetan, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann. Das Berufungsgericht hat nämlich eine inländische Fluchtalternative an allen anderen Orten der Russischen Föderation zusätzlich mit der Erwägung ausgeschlossen (UA S. 35), dass der Kläger nach derzeit geltender Rechtslage gezwungen wäre, sich vor einer Ansiedlung am Ort der inländischen Fluchtalternative vorübergehend nach Tschetschenien zu begeben, um dort einen gültigen Auslandspass zu beantragen, der Voraussetzung nicht nur für eine Registrierung am Ort der inländischen Fluchtalternative sei, sondern „auch im Übrigen für einen zumutbaren Aufenthalt dort, da Tschetschenen ohne gültige Ausweispapiere verstärkt damit rechnen müssen, anlässlich stattfindender Polizeikontrollen verhaftet und ggf. in asylrelevanter Weise behandelt zu werden“. Hierauf geht die Beschwerde im vorliegenden Zusammenhang nicht - wie für die ordnungsgemäße Darlegung einer entscheidungserheblichen Divergenz erforderlich - ein.

7 c) Die Beschwerde konstruiert eine Abweichung schließlich noch daraus, dass das Berufungsgericht angenommen habe, es sei dem Kläger angesichts der fortbestehenden Gefahrenlage in Tschetschenien nicht zumutbar, auch nur für wenige Tage dorthin zwecks der Ausstellung eines Inlandspasses zurückzukehren. Dadurch offenbare es einen Grundsatz zur hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung, der nicht im Einklang mit der (zitierten) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Maßstab der hinreichenden Sicherheit stehe.

8 Mit dieser Rüge wendet sich die Beschwerde letztlich lediglich im Gewande der Divergenzrüge gegen die dem Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, ohne die behauptete Maßstabsabweichung darzutun. Die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, dass dem Kläger nicht zugemutet werden kann, auch nur vorübergehend zur Ausstellung eines Inlandspasses nach Tschetschenien zurückzukehren, „da nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden kann, dass er dort keinen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein“ werde (UA S. 36 f.), lassen einen grundsätzlichen Maßstabswiderspruch im Hinblick auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Übrigen auch nicht erkennen.

9 2. Soweit die Beschwerde ferner eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin sehen will (Beschwerdebegründung S. 5/6), „ob oder unter welchen grundsätzlichen Voraussetzungen eine auch nur kurzzeitige Rückkehr ins Verfolgungsgebiet im Hinblick auf das Kriterium der notwendigen Sicherheit vor Verfolgung im Rahmen einer anzunehmenden inländischen Fluchtalternative ‚unzumutbar’ sein könnte“, wird eine erneute oder weiterführende Klärungsbedürftigkeit des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs der hinreichenden Sicherheit nicht aufgezeigt. Auch insoweit wendet sich die Beschwerde letztlich lediglich im Gewande der Grundsatzrüge gegen die von ihr als falsch bekämpfte tatrichterliche Gefahrenprognose.

10 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.