Beschluss vom 05.05.2003 -
BVerwG 1 B 239.02ECLI:DE:BVerwG:2003:050503B1B239.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.05.2003 - 1 B 239.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:050503B1B239.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 239.02

  • OVG Rheinland-Pfalz - 08.05.2002 - AZ: OVG 10 A 10231/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Mai 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Mai 2002 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie beruft sich auf einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht und eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), legt die geltend gemachten Verfahrensmängel aber nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Die Beschwerde trägt zur Begründung ihrer Gehörsrüge vor, das Berufungsgericht habe dem Kläger das behauptete Verfolgungsschicksal vor seiner Ausreise aus Sierra Leone nicht geglaubt und sich dabei auf angebliche Widersprüche und Ungereimtheiten in der Anhörung vor dem Bundesamt gestützt, die zuvor weder vom Bundesamt noch vom Verwaltungsgericht geltend gemacht worden seien. Das Berufungsgericht hätte deshalb spätestens mit der Mitteilung zum Verfahren nach § 130 a VwGO auf diese neuen Gesichtspunkte hinweisen müssen. Der Kläger hätte dann darlegen können, dass die vom Berufungsgericht angenommene entscheidende Änderung seines Vorbringens zu seinem Verhalten und Vorgehen in der RUF gar nicht vorliege und aus seinen protokollierten Äußerungen nicht entnommen werden könne. Außerdem hätte er das vom Berufungsgericht vermisste Vorbringen zu den Umständen seiner Ausreise näher präzisieren können.
Mit diesem Vorbringen, mit dem die Beschwerde sinngemäß eine Gehörsverletzung durch eine so genannte Überraschungsentscheidung rügt, ist der behauptete Verfahrensmangel nicht aufgezeigt. So fehlt es bereits an der erforderlichen Darlegung dessen, was auf den vermissten Hinweis des Berufungsgerichts im Einzelnen noch vorgetragen worden wäre, um die vom Berufungsgericht angenommenen Ungereimtheiten des Vorbringens des Klägers auszuräumen. Unabhängig davon lässt sich der Beschwerde auch nicht entnehmen, warum das Gericht zu dem von ihr vermissten Hinweis verpflichtet gewesen sein soll. Grundsätzlich ist es Sache des Asylsuchenden, sein Verfolgungsschicksal von sich aus in sich stimmig und widerspruchsfrei zu schildern (stRspr, vgl. etwa Urteil des Senats vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 und Beschluss vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz a.a.O. Nr. 51). Das Gericht ist deshalb grundsätzlich nicht verpflichtet, den Asylsuchenden - zumal, wenn er wie hier anwaltlich vertreten ist - auf Widersprüche in seinem Vortrag hinzuweisen. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Berufungsurteil sich ohne einen solchen Hinweis als unzulässige Überraschungsentscheidung darstellen würde, weil das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 25. April 2001 - BVerwG 4 B 31.01 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 47 = NVwZ-RR 2001, 798 und vom 11. Mai 1999 - BVerwG 9 B 1076.98 - <juris> m.w.N.). Dass derartige Umstände hier vorliegen, zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Bundesamt hat in seinem ablehnenden Bescheid die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal bereits als pauschal, oberflächlich und unkonkretisiert bezeichnet und verschiedene Ungereimtheiten aufgezeigt. Zusammenfassend hat es ausgeführt, all diese Ungereimtheiten ließen zusammen mit dem unsubstantiierten Vortrag nur den Schluss zu, dass die angeblichen Aktivitäten des Klägers frei erfunden seien, um irgendein Verfolgungsschicksal zu konstruieren. Nachdem das Verwaltungsgericht die Klage wegen der Verbesserung der politischen Verhältnisse in Sierra Leone ohne Würdigung des individuellen Asylvorbringens des Klägers abgewiesen und das Berufungsgericht ebenfalls eine für den Kläger negative Entscheidung angekündigt hatte, musste der Kläger durchaus damit rechnen, dass das Berufungsgericht sein Verfolgungsvorbringen nicht für ausreichend hält, und hätte es deshalb von sich aus soweit wie möglich vervollständigen oder plausibel machen müssen. Bei den vom Berufungsgericht nunmehr zusätzlich aufgeführten Mängeln des Vortrags handelt es sich auch nicht um grundsätzlich neue Gesichtspunkte, die dem Rechtsstreit eine andere Wendung gegeben haben, sondern vielmehr um zusätzliche Beispiele für die bereits vom Bundesamt betonte mangelnde Substantiierung und Unzulänglichkeit des Vorbringens (BA S. 7 f.). In Wahrheit wendet sich die Beschwerde mit ihrer Rüge gegen die ihrer Ansicht nach unrichtige Würdigung des Asylvorbringens des Klägers durch das Berufungsgericht. Damit kann ein Verfahrensmangel aber nicht begründet werden.
Die Beschwerde macht ferner geltend, das Berufungsgericht hätte den im Berufungsverfahren gestellten schriftsätzlichen Beweisanträgen auf Einholung einer aktuellen Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von amnesty international zum Vorliegen einer extremen Gefahr für Leib und Leben im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone nachgehen müssen. Diese Anträge hätten sich nicht nur auf die tatsächliche wirtschaftliche und soziale Situation in Sierra Leone, sondern auch auf die besondere Gefährdung des Klägers wegen der von ihm dargestellten Aktivitäten für die RUF bezogen und hätten deshalb vom Berufungsgericht nicht als "ins Blaue hinein" gestellte Beweisanträge bewertet und abgelehnt werden dürfen.
Diese Aufklärungs- und Gehörsrüge kann schon deshalb nicht durchgreifen, weil sie in erster Linie auf die Gefahren an Leib und Leben für ehemalige RUF-Kämpfer abhebt. Bei dem Kläger ist aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die - wie soeben ausgeführt - nicht erfolgreich mit Verfahrensrügen angegriffen worden sind, mangels Glaubhaftigkeit seiner Angaben nicht davon auszugehen, dass er ehemaliger RUF-Kämpfer ist. Infolge dessen brauchte das Berufungsgericht diesbezüglichen Beweisanträgen zu einer Gefährdung unter dem Gesichtspunkt des § 53 Abs. 6 AuslG mangels Entscheidungserheblichkeit nicht nachzugehen. Soweit die Beweisanträge sich auf die allgemeine schlechte wirtschaftliche und soziale Situation in Sierra Leone beziehen, macht die Beschwerde selbst nicht geltend und ist es auch sonst nicht ersichtlich, dass die vom Berufungsgericht herangezogenen Erkenntnisquellen für eine sachkundige Beurteilung des Bestehens einer extremen Gefahrenlage nicht ausreichten.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.