Beschluss vom 05.12.2016 -
BVerwG 6 B 17.16ECLI:DE:BVerwG:2016:051216B6B17.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.12.2016 - 6 B 17.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:051216B6B17.16.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 17.16

  • VG Hannover - 27.03.2013 - AZ: VG 6 A 4876/11
  • OVG Lüneburg - 15.12.2015 - AZ: OVG 2 LB 245/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Dezember 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. Tegethoff
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision, mit der der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensmängel geltend macht, hat keinen Erfolg.

2 1. Der Kläger besuchte die W.-Schule (Realschule) und erhielt am Ende des Schuljahres 2010/2011 ein Zeugnis über den Erwerb des Sekundarabschlusses I - Realschulabschluss. Das Abschlusszeugnis wies in den Fächern Englisch und Mathematik jeweils die Note "ausreichend" sowie in dem Fach Deutsch die Note "befriedigend" aus. Die Bewertungen aller Pflichtfächer und Wahlpflichtkurse ergaben einen rechnerischen Notendurchschnitt von 3,3.

3 Mit seinem Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Benotungen mit dem Ziel, ein Zeugnis über den Erwerb des Erweiterten Sekundarabschlusses I zu erhalten, das ihn zum Besuch des Gymnasiums berechtigt. Nach Durchführung einer Fachkonferenz wies die Landesschulbehörde den Widerspruch zurück. Hiergegen hat der Kläger Klage mit dem Ziel der Zuerkennung des Erweiterten Sekundarabschlusses I erhoben und Einwendungen gegen die Benotungen einzelner Fächer in dem Zeugnis, mangels Akteneinsicht nicht aber Einwendungen gegen die Benotungen der schriftlichen Arbeiten in den Fächern Deutsch, Englisch und Wahlpflichtkurs Deutsch vorgetragen.

4 Das Verwaltungsgericht hat seine Klage abgewiesen, da die Bewertungen in den Pflichtfächern Kunst und Sport rechtlich nicht zu beanstanden seien und eine Anhebung der Noten in den Fächern Deutsch (einschließlich Wahlpflichtkurs) und Englisch um mehr als eine Notenstufe angesichts der schriftlichen Leistungen ausgeschlossen sei. Das Berufungsgericht hat auf Antrag des Klägers die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen, da der Kläger auch die Bewertungen der schriftlichen Leistungen in den Fächern Deutsch (einschließlich Wahlpflichtkurs) und Englisch angegriffen habe und das Verwaltungsgericht deren Benotung seiner Entscheidung nicht als feststehend habe zugrunde legen dürfen.

5 Während des Berufungsverfahrens teilte die Beklagte mit, sämtliche schriftliche Arbeiten des Klägers sowie deren Bewertungen nicht vorlegen zu können, da sie bis auf die Prüfungsarbeiten in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik die schriftlichen Arbeiten vernichtet habe.

6 Das Berufungsgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Erteilung des Erweiterten Sekundarabschlusses I lägen nach dem insoweit maßgeblichen Abschlusszeugnis vom 1. Juli 2011 nicht vor. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Neubewertung der in dem Abschlusszeugnis benoteten Pflicht- und Wahlpflichtfächer noch stehe ihm ein Anspruch auf Zuerkennung des Erweiterten Sekundärabschlusses I unabhängig von einem solchen Neubewertungsanspruch - etwa unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung - zu.

7 Dem Anspruch auf Neubewertung der in dem Abschlusszeugnis benoteten Pflicht- und Wahlpflichtfächer stehe entgegen, dass es für eine Neubewertung der in diesen Fächern durch den Kläger erbrachten Leistungen an einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage fehle. Die schriftlichen Leistungen des Klägers mit Ausnahme der Prüfungsarbeiten seien von der Beklagten vernichtet worden und es lägen auch keine sonstigen Stellungnahmen der Lehrkräfte oder Aufzeichnungen zur Bewertung dieser Arbeiten vor. Gleiches gelte für die Neubewertung der Leistungen des Klägers im Fach Kunst, da die beiden vom Kläger angefertigten Bilder, deren Bewertung einen Hauptbestandteil der Zeugnisnote ausmache, nicht mehr auffindbar seien. Darüber hinaus ließen sich die in einzelnen Fächern allein maßgebenden mündlichen Leistungen und das sonstige beurteilungsrelevante Verhalten des Klägers im Unterricht aufgrund Zeitablaufs nicht mehr rekonstruieren. Voraussetzung für die neue Bewertung mündlicher oder sonstiger unterrichtspraktischer Leistungen sei, dass den Fachlehrern diese Leistungen im Zeitpunkt der Neubewertung noch in allen Einzelheiten präsent seien. Es reiche nicht aus, dass die Lehrer die mündlichen Leistungen des Klägers noch in groben Zügen in Erinnerung hätten. Da seit dem Abschluss des Schuljahres 2010/2011 inzwischen rund viereinhalb Jahre vergangen seien, die Fachlehrer eine Vielzahl anderer Schüler in unterschiedlichen Klassen unterrichtet hätten und nach allgemeiner Lebenserfahrung prinzipiell nicht mehr hinreichend gewährleistet sei, dass sich die Fachlehrer noch an sämtliche für die Bewertung der mündlichen Leistungen des Klägers maßgeblichen Einzelheiten erinnern könnten, sei eine Neubewertung der Leistungen unmöglich. Anhaltspunkte dafür, dass die Fachlehrer ausnahmsweise noch in der Lage wären, die mündlichen Leistungen des Klägers auch heute noch genau und differenziert bewerten zu können, seien nicht ersichtlich.

8 Die Besonderheiten des vorliegenden Falles rechtfertigten es nicht, dem Kläger den Erweiterten Sekundarabschluss I unabhängig von einem Anspruch auf Neubewertung seiner Leistungen durch die Fachlehrer zuzuerkennen. Bestehe keine hinreichende tatsächliche Grundlage für eine Neubewertung, verstieße es gegen den Grundsatz der Chancengleichheit, wenn auf den Leistungsnachweis verzichtet und das begehrte Prüfungsergebnis zuerkannt werden würde. Vielmehr sei dem Prüfling grundsätzlich als geringstmöglichen Nachteil die Möglichkeit einer Korrektur der Bewertungsfehler durch Wiederholung des betreffenden Prüfungsteils einzuräumen.

9 Eine andere Bewertung folge nicht aus der Vernichtung der schriftlichen Arbeiten während des gerichtlichen Verfahrens. Die Beklagte habe damit zur Überzeugung des Gerichts fahrlässig wegen eines Kommunikationsdefizits zwischen ihr und ihrer Prozessbevollmächtigten den Tatbestand der Beweisvereitelung erfüllt. Dies reiche aus, um zugunsten des Klägers im gerichtlichen Verfahren zu unterstellen, dass die Benotungen der vernichteten Arbeiten prüfungsfehlerhaft zustande gekommen seien. Die von dem Kläger begehrte Zuerkennung des Erweiterten Sekundärabschlusses I komme indes nicht in Betracht. Selbst wenn ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten unterstellt werde, fehle es hierfür an einer rechtlichen Grundlage.

10 Ob es einer Ausnahme von diesen Grundsätzen bedürfe, wenn eine angezeigte Wiederholung der Prüfung eine unzumutbare Härte für den Prüfling darstelle, könne dahinstehen. Die Wiederholung der 10. Klasse stelle nach den Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung keine besondere Härte dar.

11 2. Die hiergegen gerichtete Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision ist zulässig. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Frist zur Begründung der Beschwerde versäumt (a)). Ihm ist jedoch Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren (b)).

12 a) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Beschwerde nicht gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils am 11. Januar 2016 begründet. Die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde endete damit nach § 57 Abs. 1 und 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 11. März 2016. Zu diesem wahrte die ab 23:47 Uhr per Telefax begonnene Übermittlung der Beschwerdebegründung die Anforderungen an die Schriftlichkeit noch nicht. Hierzu gehört die Unterschrift des Rechtsanwalts, die zum Ausdruck bringt, dass dieses Schriftstück willentlich in den Rechtsverkehr eingebracht werden soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 2 B 18.15 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2016:​290616B2B18.15.0] - juris Rn. 8). Die letzte Seite der Begründung mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist aber erst am 12. März 2016 um 00:01 Uhr beim Berufungsgericht eingegangen.

13 b) Dem Kläger ist jedoch Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist bei unverschuldeter Versäumung einer gesetzlichen Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Wiedereinsetzungsantrag ist bei Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde binnen eines Monats zu stellen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO). Innerhalb der Antragsfrist ist auch die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

14 Der Wiedereinsetzungsantrag ist am 11. April 2016 und damit fristgerecht eingegangen. Einer Nachholung der versäumten Rechtshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist bedurfte es vorliegend nicht, weil die vollständige und formgerechte Beschwerdebegründung bereits zuvor beim Berufungsgericht eingegangen ist. Der Prozessbevollmächtigte hat auch einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht. Er hat vorgetragen, die 13-seitige Begründung der Beschwerde am 11. März 2016 zunächst um 23:47 Uhr und sodann um 23:52 Uhr erneut an das Berufungsgericht gefaxt zu haben. In beiden Fällen sei die Übermittlung des Faxes auf Seite 4 aufgrund eines Kommunikationsfehlers abgebrochen worden. Die Leitungen seien weder um 23:47 Uhr noch um 23:52 Uhr belegt gewesen. Sodann habe er erneut um ca. 23:56 Uhr die Beschwerdebegründung von Seite 4 an gefaxt. Das Faxgerät habe die Verbindung aufgebaut und mit der Faxübertragung begonnen, die ausweislich des Geräts 7 Minuten und 33 Sekunden gedauert habe. Das Gerät habe stets einwandfrei funktioniert und er habe es ordnungsgemäß bedient. Dies werde dadurch belegt, dass er zuvor ohne Probleme mit dem Faxgerät den Tatbestandsberichtigungsantrag wie auch die Einlegung der Beschwerde mit nur einem Versuch beim Oberverwaltungsgericht eingereicht habe.

15 Eine eidesstattliche Versicherung dieser Angaben hat der Prozessbevollmächtigte zwar nicht abgegeben, sondern nur angeboten. Dennoch ist dem Erfordernis der Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes genügt, weil er vorliegend für den Senat glaubhaft erkennbar ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. März 1983 - 9 C 226.82 - DVBl. 1983, 995 <996> bei Wiedereinsetzung von Amts wegen sowie vom 11. Mai 1973 - 4 C 3.73 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 73). Es ergibt sich aus der Gerichtsakte, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits um 23:47 Uhr wie auch um 23:52 Uhr versucht hat, die Beschwerdebegründung zu faxen und die Übertragung mitten im Übermittlungsvorgang während des Ausdrucks der Seite 4 unterbrochen worden ist. Ebenso ist für den Senat erkennbar, dass der zweite Teil der Beschwerdebegründung von Seite 4 bis 13 im Zeitraum von 23:56 Uhr bis 00:01 Uhr über das Faxgerät nunmehr störungsfrei beim Berufungsgericht eingegangen ist. Schließlich lassen sich aus der Gerichtsakte auch die Angaben des Prozessbevollmächtigten bestätigen, wonach bei der Übermittlung der Beschwerdeeinlegung wie auch des Tatbestandsberichtigungsantrags per Telefax an das Berufungsgericht derartige Störungen nicht aufgetreten sind.

16 Angesichts dieses Sachverhalts kann dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Verschulden bei der Versäumung der Begründungsfrist nicht vorgeworfen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein "Verschulden" im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 2 B 18.15 - juris Rn. 11 m.w.N.). Bei dem Einsatz eines Telefaxgerätes als einem anerkannten und für die Zusendung fristwahrender Schriftsätze an das Gericht eröffneten Übermittlungsmedium hat der Nutzer mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 24:00 Uhr zu rechnen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 1996 - 1 BvR 121/95 - NJW 1996, 2857 <2858>; BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 2 B 18.15 - juris Rn. 13). Dabei ist zu berücksichtigen, dass häufig gerade die Abend- und Nachtstunden wegen günstigerer Tarife oder wegen drohenden Fristablaufs genutzt werden, um Schriftstücke noch fristwahrend per Telefax zu übermitteln. Dem ist vom Rechtsuchenden gegebenenfalls durch einen zeitlichen "Sicherheitszuschlag" Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2001 - 1 BvR 436/01 - NJW 2001, 3473 <3474>; BVerwG, Beschlüsse vom 1. September 2014 - 2 B 93.13 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 274 Rn. 13 und vom 29. Juni 2016 - 2 B 18.15 - juris Rn. 13).

17 In der Rechtsprechung sind diese Anforderungen als erfüllt angesehen worden bei einer Faxübermittlung 15 Minuten vor Ablauf der Frist bei einem 18-seitigen Schriftsatz, wenn zuvor ein 22-seitiger Schriftsatz in rund elf Minuten übersandt werden konnte und bei Nichtzustandekommen der Verbindung noch die Übermittlung des Schriftsatzes auf anderem Wege möglich gewesen wäre (BGH, Urteil vom 25. November 2004 - VII ZR 320/03 - NJW 2005, 678 <679>). Auch ein Empfangsbeginn acht Minuten vor Fristablauf durch das Faxgerät des Gerichts bei einem 13-seitigen Schriftsatz wurde noch als ausreichend angesehen, wenn der Absender über Erfahrungswerte verfügte, dass frühere Sendungen an das Gericht in einer Zeitspanne erfolgten, die bei einem 13-seitigen Schriftsatz unter acht Minuten gelegen hätte (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - VIII ZB 15/12 - NJW-RR 2012, 1341 <1342>).

18 Vor diesem Hintergrund ist es nicht fahrlässig, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers 13 Minuten vor Fristablauf mit der Übermittlung des 13-seitigen Schriftsatzes beginnt, dessen Übermittlung insgesamt nach den Empfangsdaten des Berufungsgerichts insgesamt ungefähr sieben Minuten benötigt und frühere Übermittlungen per Telefax an das Berufungsgericht störungsfrei und ohne zeitliche Verzögerung vorgenommen werden konnten.

19 3. Die Beschwerde ist unbegründet. Weder liegen die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (a)) noch einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (b)) vor.

20 a) Der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem die Entscheidung beruhen kann, ist nicht gegeben.

21 aa) Der Kläger rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil das Berufungsgericht mit dem von ihm angewandten Erfahrungssatz unberücksichtigt gelassen habe, ob im Streitfall Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Fachlehrer ausnahmsweise in der Lage seien, die mündlichen Leistungen auch heute noch differenziert bewerten zu können. Bei den von ihm zum Gegenstand von Beweisanträgen gemachten Tatsachen ginge es nicht um Beurteilungsfehler, sondern um die Zugrundelegung sachwidriger Erwägungen, die von den Fachlehrern abgestritten würden. Die vom Berufungsgericht als wahr unterstellten Tatsachen stellten Anhaltspunkte für eine mögliche Neubewertung dar.

22 Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Beteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es das gesamte Vorbringen in den Urteilsgründen behandeln muss. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO; stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209 f.>; Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 25).

23 Anhand dieses Maßstabes hat der Kläger mit seinem Vorbringen eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht aufgezeigt. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen des Klägers und den Inhalt der Beweisanträge zur Kenntnis genommen, sich damit in seiner Entscheidung auseinander gesetzt und auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung als nicht entscheidungserheblich gewertet. Denn es hat seiner Entscheidung den Erfahrungssatz zugrunde gelegt, dass sich die Fachlehrer rund viereinhalb Jahre nach Abschluss des Schuljahres 2010/2011 nicht mehr an sämtliche für die Bewertung der mündlichen Leistungen des Klägers maßgebliche Einzelheiten erinnern könnten. Anhaltspunkte dafür, dass die Fachlehrer ausnahmsweise in der Lage wären, die mündlichen Leistungen auch heute noch genau und differenziert zu bewerten, seien nicht ersichtlich. Denn für die vom Kläger offenbar angestrebte Neubewertung aufgrund etwaiger in einzelnen Fächern noch vorhandener Leistungsfragmente fehle es angesichts der aufgezeigten rechtlichen Vorgaben an jeglicher Grundlage. Eine Neubewertung der Prüfung sei daher aus Rechtsgründen unmöglich. Die Hilfsbeweisanträge zielten auf den Nachweis prüfungsfehlerhafter Bewertung einzelner Bestandteile der jeweiligen Endnote ab. Sie seien wegen der Unmöglichkeit der Neubewertung nicht entscheidungserheblich und könnten als wahr unterstellt werden.

24 bb) Der Vorwurf des Klägers, das Berufungsgericht habe seinen Vortrag zur Frage einer vorsätzlichen Beweisvereitelung übergangen, rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme einer Gehörsverletzung. Dass das Berufungsgericht den Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zeigt sich an seiner Hilfserwägung, dass auch bei einer vorsätzlichen Beweisvereitelung eine Zuerkennung des Erweiterten Sekundarabschlusses I nicht in Betracht komme.

25 Die in diesem Zusammenhang vom Kläger geltend gemachte Verletzung der in § 86 Abs. 1 VwGO normierten Aufklärungspflicht, weil das Berufungsgericht seine Anforderung der Kommunikation zwischen der Beklagten und ihrer Prozessbevollmächtigten als rechtswidrigen Ausforschungsbeweis angesehen habe, ist bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Der Kläger zeigt eine Entscheidungserheblichkeit der geltend gemachten Aufklärungspflichtverletzung mit Blick auf die Hilfserwägung nicht auf.

26 cc) Die weitere Rüge des Klägers, das Berufungsgericht habe die Art und Schwere der Beurteilungsfehler, insbesondere die sachwidrige Berücksichtigung der entschuldigten Fehlzeiten, bei der Prüfung der Frage außer Acht gelassen, ob sie zu einer Unzumutbarkeit der Wiederholung des Schuljahres und zur Zuerkennung des Abschlusses auch ohne Neubewertung führen könnten, genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Denn das Berufungsgericht hat zum einen ausgeführt, dass Prüfungsfehler grundsätzlich nur zu einer Neubewertung der Prüfungen führen können und nur dann eine Wiederholung zulässig ist, wenn die Neubewertung unmöglich ist. Zum anderen hat es eine unzumutbare Härte für den Kläger angesichts seiner Bereitschaft, nach wie vor die Schule besuchen zu wollen, abgelehnt. Die Rüge lässt insoweit die gebotene Auseinandersetzung mit dem Berufungsurteil nicht erkennen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 2012 - 2 B 120.11 - juris Rn. 6).

27 b) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Rechtsfragen, auf deren Prüfung der Senat nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, erfüllen die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nicht. Soweit sie nicht bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind, können sie aufgrund dieser Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden oder sind nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits.

28 aa) Der Kläger erachtet die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob es für die Neubewertung der mündlichen Leistungen im Unterricht eines Schul- bzw. Halbjahres erforderlich ist, dass den Lehrern die bewertenden Leistungen noch in allen Einzelheiten präsent sind, oder es vielmehr ausreichend ist, dass den Lehrern der Gesamteindruck der Lern- und Leistungsentwicklung vor Augen ist.

29 Er macht geltend, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Möglichkeit einer Neubewertung überspannt und damit den Grundsatz der Chancengleichheit verletzt, weil die Neubewertung anhand des vom Berufungsgericht aufgestellten Maßstabs auf einer weiteren Grundlage als die ursprüngliche Bewertung während des noch laufenden Schuljahres erfolgen müsse. Darin liege eine Ungleichbehandlung gegenüber den Schülern, die am Ende des Schuljahres beurteilungsfehlerfrei bewertet worden seien. Zudem schmälere dieser Maßstab den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in unangemessenem Umfang. Wäre das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass nicht alle Einzelheiten präsent sein müssen, hätte es entweder aufgrund der als wahr unterstellten Beurteilungsfehler der Berufung stattgeben oder aber zumindest den gestellten Beweisanträgen nachgehen müssen. Allein die Neubewertung der mündlichen Leistungen und der vorhandenen schriftlichen Leistungen hätte zur Erteilung des Erweiterten Sekundarabschlusses I führen müssen.

30 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der das Prüfungsrecht beherrschende und verfassungsrechtlich in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Chancengleichheit es nicht gestattet, im Wege der Neubewertung über eine Prüfungsleistung zu entscheiden, wenn eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung der Frage, ob die an eine erfolgreiche Prüfung zu stellenden Mindestanforderungen erfüllt sind, nicht oder nicht mehr vorhanden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 1996 - 6 B 13.96 - NVwZ 1997, 502). Die Neubewertung setzt voraus, dass eine hinreichende Grundlage für eine zutreffende materielle Beurteilung der Prüfungsleistung vorhanden und den Prüfern noch verfügbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1999 - 2 C 30.98 - Buchholz 237.5 § 22 HeLBG Nr. 1 S. 4). Auch die verfahrensfehlerhaft zustande gekommene oder inhaltlich fehlerhaft bewertete Prüfung muss daher ganz oder teilweise wiederholt werden, wenn und soweit auf andere Weise eine zuverlässige Bewertungsgrundlage für die erneut zu treffende Prüfungsentscheidung nicht zu erlangen ist. Darüber hinaus würde der normativ festgelegte Zweck der Prüfung vereitelt, wenn sie aufgrund einer Neubewertung für bestanden erklärt würde, obwohl es an einer hinreichend zuverlässigen Beurteilungsgrundlage für die Eignungs- und Leistungsbewertung fehlte (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 11. April 1996 - 6 B 13.96 - NVwZ 1997, 502 s. auch BVerwG, Beschluss vom 8. Oktober 2013 - 6 PKH 7.13 , 6 B 48.13 - HRZ 2014, 71 <74>). Hinsichtlich der Frage, welche Anforderungen an das Vorliegen einer zuverlässigen Bewertungsgrundlage zu stellen sind, ist zu berücksichtigen, dass nach der ständigen Rechtsprechung die Zuordnung der Prüfungsleistung zu einer Note das Ergebnis einer Vielzahl fachlicher und prüfungsspezifischer Wertungen und deren komplexer Gewichtung aufgrund der aufgabenbezogenen Bewertungsmaßstäbe des jeweiligen Prüfers ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2016 - 6 B 1.16 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2016:​190516B6B1.16.0] - juris Rn. 24 m.w.N.).

31 Hiernach kann die Frage des Klägers ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden. Der Neubewertung schulischer Leistungen im gesamten Schuljahr bzw. Schulhalbjahr liegen ebenfalls eine Vielzahl prüfungsspezifischer Wertungen und komplexer Gewichtungen zugrunde. Dies folgt aus den bindenden und nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach die Endnoten in dem Abschlusszeugnis gemäß dem einschlägigen Runderlass auf Beobachtungen im Unterricht sowie den mündlichen, schriftlichen und anderen fachspezifischen Lernkontrollen beruhen und sie sich auf dieser Grundlage in prozentualen Anteilen vor allem aus der Bewertung mündlicher und schriftlicher Leistungen sowie fachspezifischer Lernkontrollen zusammensetzen. Angesichts dieser Verwaltungspraxis ist es mit dem Gebot der Chancengleichheit vereinbar, wenn das Berufungsgericht für die Möglichkeit der Neubewertung fordert, dass die "erforderliche breite Basis für eine Leistungsbewertung" noch besteht bzw. dass dem Prüfer die nach dem Runderlass für die Festlegung der Endnote zu bewertenden Leistungen des Schülers noch "in allen Einzelheiten", respektive ihm sämtliche "maßgeblichen Einzelheiten" (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 11. April 1996 - 6 B 13.96 - NVwZ 1997, 502 <503>) präsent sind. Ob eine verlässliche Beurteilungsgrundlage noch vorhanden ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und ist einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich.

32 Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht das Gebot der Chancengleichheit verletzt hat, weil es für die Neubewertung einen strengeren Maßstab als für die erstmalige Festlegung der Zeugnisnoten ansetzt, hat der Kläger mit der Beschwerdebegründung im Übrigen nicht aufgezeigt und sind dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen. Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich daher die als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage als nicht klärungsbedürftig, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Ungeachtet dessen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass das Gebot der Chancengleichheit im Prüfungsrecht verbietet, aus Anlass einer Neu- oder Nachbewertung einer Prüfungsleistung das bisherige aufgabenbezogene Bewertungssystem und den darauf beruhenden Leistungsvergleich zu ändern (stRspr, s. im Zusammenhang mit der Nachbewertung durch die bisherigen Prüfer BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2016 - 6 B 1.16 - juris Rn. 19 m.w.N.).

33 bb) Die Frage, ob für einen Neubewertungsanspruch erforderlich ist, dass sämtliche Leistungen neu bewertet werden müssen, d.h. auch die schuldhaft vernichteten Arbeiten, sodass in diesem Fall eine Neubewertung regelmäßig ausscheidet oder dass die mit einem Prüfungsmangel behafteten - schuldhaft vernichteten - Leistungen nach dem Grundsatz des geringstmöglichen Nachteils mit ihrer ursprünglichen Bewertung im Rahmen der Neubewertung zugrunde gelegt werden können, würde sich in einem Revisionsverfahren ebenfalls nicht stellen. Denn nach den Ausführungen im Berufungsurteil ist die verlässliche Beurteilungsgrundlage nicht nur in denjenigen Fächern entfallen, in denen schriftliche Arbeiten anzufertigen waren, sondern in sämtlichen Fächern, weil auch die mündlichen und unterrichtspraktischen Leistungen im Zeitpunkt einer Neubewertung nicht mehr rekonstruierbar sind. Demzufolge stünde für ein Revisionsverfahren in Ermangelung durchgreifender Verfahrensrügen bindend fest, dass ein Neubewertungsanspruch insgesamt nicht anzuerkennen ist.

34 cc) Die weitere Frage, ob im Falle einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Beweisvereitelung ein Abschluss unabhängig von einem Anspruch auf Neubewertungen der Leistungen zuerkannt werden kann, lässt sich ebenfalls ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

35 Eine solche Zuerkennung eines Abschlusses würde nach der aufgezeigten Rechtsprechung dem Zweck der schulischen Abschlussprüfung widersprechen und wäre mit dem prüfungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit unvereinbar. Schulische Abschlussprüfungen sind regelmäßig dazu bestimmt festzustellen, ob die Prüflinge über bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die zum Besuch einer weiterführenden Schule, zur Aufnahme einer Berufsausbildung oder zur Ausübung eines Berufs erforderlich sind. Aus diesem Prüfungszweck folgt, dass der Prüfungserfolg davon abhängt, ob und in welchem Maß bestimmte allgemein gültige Leistungsanforderungen erfüllt werden. Gelingt dieser Nachweis nicht, ist die Prüfung nicht bestanden, ohne dass es auf die Gründe ankommt. Dementsprechend werden die Prüfungsleistungen nach einem Maßstab bewertet, der keine Rücksicht darauf nimmt, aus welchen Gründen allgemein geltende Leistungsanforderungen nicht erfüllt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 2015 - 6 C 35.14 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​290715U6C35.14.0] - BVerwGE 152, 330 Rn. 21).

36 Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Falle eines schuldhaften Verlustes von schriftlichen Arbeiten, deren Bewertungen in die Endnoten auf dem Abschlusszeugnis eingeflossen sind, nicht anzuerkennen. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein schuldhafter Verlust einer bereits bewerteten Prüfungsarbeit nicht ohne weiteres zu einer Bewertung der Prüfungsarbeit führen kann, die das Bestehen der (Gesamt)Prüfung ermöglicht. Das Vorliegen eines Bewertungsfehlers kann jedoch nicht mit dem Vorliegen ausreichender Prüfungsleistungen gleichgesetzt werden. Vielmehr sind Bewertungsfehler grundsätzlich in der Weise zu korrigieren, dass die Prüfungsleistung von dem zuständigen Prüfer neu bewertet wird; sofern allerdings eine verlässliche Grundlage für die Beantwortung der Frage, ob die an eine erfolgreiche Prüfung zu stellenden Mindestanforderungen erfüllt sind, nicht oder nicht mehr vorhanden ist, entfällt der Anspruch des Prüflings auf Neubewertung mit der Folge, dass die Prüfung ohne Anrechnung auf die Zahl der allgemein zulässigen Wiederholungsprüfungen erneut abgelegt werden kann und muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2003 - 6 B 10.03 - juris Rn. 7 f. m.w.N.; in diesem Sinne auch BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2016 - 6 B 1.16 - juris Rn. 24 f.). Für den vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten.

37 dd) Die vorstehend dargestellte Rechtsprechung ist auch maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob im Falle sachwidriger Erwägungen bei der Bewertung schulischer Leistungen und deren Leugnung im gerichtlichen Verfahren der Abschluss unabhängig von einer Neubewertung zuzuerkennen ist. Eine Zuerkennung eines Abschlusses ohne Bewertung der ihm zugrundeliegenden Leistungen verletzt den Grundsatz der Chancengleichheit auch bei einem Bestreiten von Bewertungsfehlern und sachwidriger Erwägungen im Verfahren. Solange die Prüfer nicht voreingenommen sind, folgt zudem aus dem prüfungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit, dass die bisherigen Prüfer nicht nur für das Überdenken ihrer Bewertung aufgrund von Einwendungen des Prüflings, sondern vorrangig auch für eine Nachbewertung heranzuziehen sind, die erforderlich wird, weil Prüfungsbehörde oder Verwaltungsgericht Rechtsfehler bei der Leistungsbewertung festgestellt haben (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2016 - 6 B 1.16 - juris Rn. 19 m.w.N.).

38 Dass sich die für rechtsgrundsätzlich erachtete Frage unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Verkürzung des Rechtsschutzes in einem Revisionsverfahren stellen würde, hat der Kläger angesichts dieser Rechtsprechung nicht hinreichend dargelegt.

39 Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass der Kläger nicht rechtsschutzlos gestellt gewesen ist.

40 Schon während des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Handelslehranstalt H. mit dem Ziel ihrer Verpflichtung angestrengt, den Kläger vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens in der Klasse 11 des Beruflichen Gymnasiums zu beschulen. Das Verfahren hatte keinen Erfolg. In der Beschwerdeinstanz führte das Gericht aus, das Beschwerdevorbringen rechtfertige nicht die Annahme, der Kläger werde den begehrten Schulabschluss erhalten. Die vorgetragenen Einwände gegen die Endnoten in den Fächern Deutsch, Englisch, Kunst, Sport und Deutsch (Wahlpflichtkurs) griffen nicht durch.

41 Sodann beantragte der Kläger im März 2012 in einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung der beklagten Schule, ihn bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Unterricht in der Klasse 11 eines beruflichen Gymnasiums zuzulassen, hilfsweise ihn so zu stellen, als habe er den Erweiterten Sekundarabschluss I erreicht. Dieser Antrag blieb ebenfalls erfolglos, weil die Erteilung des begehrten Schulabschlusses nicht überwiegend wahrscheinlich sei. Die gegen die Endnoten in Kunst, Sport und Deutsch vorgebrachten Einwendungen seien nicht begründet. Einen Anspruch auf Neubewertung in den Fächern Deutsch, Englisch und Wahlpflichtkurs Deutsch sei ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Selbst bei einer unterstellten und vom Kläger als rechtmäßig angesehenen Anhebung um jeweils eine Notenstufe in diesen drei Fächern könnte dem Kläger der begehrte Abschluss nicht zuerkannt werden. Denn der hierfür erforderliche Notendurchschnitt würde auch in diesem Fall nicht erreicht werden. Die anschließende Beschwerde, die sich erneut mit den Einwänden des Klägers gegen die Benotungen auseinandersetzte, blieb ebenfalls erfolglos.

42 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Beschluss vom 03.03.2017 -
BVerwG 6 B 1.17ECLI:DE:BVerwG:2017:030317B6B1.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 03.03.2017 - 6 B 1.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:030317B6B1.17.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 1.17

  • VG Hannover - 27.03.2013 - AZ: VG 6 A 4876/11
  • OVG Lüneburg - 15.12.2015 - AZ: OVG 2 LB 245/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. März 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. Tegethoff
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 5. Dezember 2016 - BVerwG 6 B 17.16 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1 Der Senat hat mit Beschluss vom 5. Dezember 2016 - BVerwG 6 B 17.16 - die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2015, mit der er Verfahrensmängel und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht hatte, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Anhörungsrüge des Klägers.

2 Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, deren Verletzung nach § 152a VwGO gerügt werden kann, verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Verfahrensbeteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Der Gehörsanspruch verlangt jedoch nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten in den Gründen einer Entscheidung wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen hat. Vielmehr sind in der Entscheidung nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht nicht auf sämtliche Begründungselemente des Beteiligtenvorbringens eingegangen ist, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht berücksichtigt, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209 f.> und Beschluss vom 21. Juni 2007 - 2 B 28.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 3 Rn. 6). Dies gilt erst recht für Entscheidungen über die Nichtzulassung der Revision, die nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO auch im Falle der Ablehnung der Zulassung nur kurz begründet werden sollen.

3 Danach hat die Anhörungsrüge keinen Erfolg. Das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist nicht fortzuführen, weil der Kläger nicht dargelegt hat, dass der Nichtzulassungsbeschluss vom 5. Dezember 2016 auf einem Gehörsverstoß beruht (§ 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger wendet sich in der Sache gegen die Würdigung seines Beschwerdevorbringens durch den Senat. Er will erreichen, dass der Senat seine Entscheidung, dass die vom Kläger geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen, einer erneuten Überprüfung unterzieht. Es ist jedoch nicht der Zweck der Anhörungsrüge, das abgeschlossene Verfahren wiederaufzugreifen, um die verfahrensabschließende Entscheidung des Gerichts auf materielle Richtigkeit zu prüfen. Erst recht ist die Anhörungsrüge nicht dazu bestimmt, das Vorbringen in dem abgeschlossenen Verfahren zu ergänzen oder gar zu erweitern. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren sind Revisionszulassungsgründe innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO darzulegen; das Bundesverwaltungsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die fristgerecht geltend gemachten Revisionszulassungsgründe vorliegen.

4 Der Senat hat die Gesichtspunkte, auf die der Kläger seine Verfahrens- und Grundsatzrügen in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gestützt hat, zur Kenntnis genommen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er die Rügen in den Gründen des Nichtzulassungsbeschlusses vom 5. Dezember 2016 einzeln aufgeführt und abgehandelt hat. Der Senat hat dargestellt, aus welchen Gründen er die Rügen für unbegründet gehalten hat. Damit ist dem rechtlichen Gehör Genüge getan. Der Gehörsanspruch verpflichtet das Gericht nicht, den Begründungsgang des Beteiligtenvorbringens zugrunde zu legen oder auf einzelne Argumente gesondert einzugehen. Demgegenüber wiederholt und ergänzt der Kläger mit der Anhörungsrüge in weiten Teilen sein Beschwerdevorbringen. Er hält die rechtliche Würdigung seiner Verfahrens- und Grundsatzrügen durch den Senat für fehlerhaft - weil missverstanden - und will in der Sache eine Wiederholung der Zulassungsprüfung erreichen.

5 Lediglich ergänzend ist zu den einzelnen Rügen anzumerken: Der Senat hat unter Randnummer 23 seines Beschlusses vom 5. Dezember 2016 die Ausführungen des Berufungsgerichts entgegen dem Vortrag des Klägers nicht nur wiedergegeben. Er hat vielmehr zugleich ausgeführt, dass damit seiner Auffassung nach das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz zur Kenntnis genommen und sich damit in seiner Entscheidung auseinandergesetzt sowie auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung als nicht entscheidungserheblich gewertet hat, sodass der mit der Beschwerde des Klägers geltend gemachte Gehörsverstoß nicht gegeben ist. Damit hat der Senat die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht lediglich wiederholt, sondern unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass das Berufungsgericht die vom Kläger aufgezeigten Anhaltspunkte dafür, dass die Fachlehrer auch noch in der Lage wären, die mündlichen Leistungen heute noch differenziert bewerten zu können, anders als der Kläger gewürdigt hat und dieses einen Gehörsverstoß nicht begründet. Die Wiederholung des abweichenden klägerischen Standpunkts in der Anhörungsrüge ist nicht geeignet, nunmehr einen Gehörsverstoß des Senats aufzuzeigen.

6 Soweit der Kläger rügt, der Senat habe sein Vorbringen zur Unzumutbarkeit der Wiederholung des Schuljahres nicht erwogen, übersieht er, dass der Senat angesichts der Ausführungen im berufungsgerichtlichen Urteil dem im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Gehörsverstoß bereits wegen mangelnder Darlegung aufgrund nicht hinreichender Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil die Anerkennung versagt hat. Hierzu verhält sich das Vorbringen in der Anhörungsrüge nicht. Stattdessen greift der Kläger unter Wiederholung seines Beschwerdevorbringens die Würdigung des Berufungsgerichts an, die Wiederholung des Schuljahres sei für ihn zumutbar.

7 Der Senat hat in seinem Beschluss in dem gebotenen Umfang aufgezeigt, dass sich weder am Maßstab des in Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG verankerten prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit noch am Maßstab des Gebots effektiven Rechtsschutzes die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachteten Fragen stellen. Gleiches gilt für die vom Kläger im Zusammenhang mit der schuldhaften Vernichtung der Arbeiten aufgeworfenen Fragen, die sich nach Auffassung des Senats auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung beantworten lassen. Dass der Kläger hier eine andere Auffassung vertritt und diese auch seiner Anhörungsrüge zugrunde legt, rechtfertigt nicht die Annahme eines Gehörsverstoßes.

8 Soweit schließlich der Kläger behauptet, der Senat habe seine Darlegungen in Bezug auf die Zuerkennung eines Abschlusses bei Leugnung erwiesener Beurteilungsfehler durch die Lehrkräfte nicht zur Kenntnis genommen und erwogen, widerspricht dieses den Ausführungen des Senats unter Randnummer 37 des Beschlusses vom 5. Dezember 2016. Wie eingangs ausgeführt ist der Senat nicht gehalten, in der Begründung seines Beschlusses das gesamte Vorbringen des Klägers wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen.

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.