Beschluss vom 06.05.2009 -
BVerwG 6 B 102.08ECLI:DE:BVerwG:2009:060509B6B102.08.0

Beschluss

BVerwG 6 B 102.08

  • VG Freiburg i. Br. - 03.09.2008 - AZ: VG 6 K 745/08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Mai 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Graulich und Dr. Möller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 3. September 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz liegt nur dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung einen inhaltlich bestimmten, sie tragenden abstrakten Rechtssatz enthält, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Eine Abweichung in diesem Sinne ist in der Beschwerdebegründung darzulegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von höchstrichterlich aufgestellten Rechtssätzen genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 S. 14). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt hiernach nicht die Revisionszulassung.

3 a) Die Beklagte macht geltend, das verwaltungsgerichtliche Urteil weiche in der Auslegung der Begriffe der besonderen Härte in § 11 Abs. 4 Satz 1 ZDG sowie der unzumutbaren Härte in § 13 Abs. 1 Satz 3 ZDG von der zu diesen Vorschriften und zu den inhaltsgleichen Bestimmungen des § 12 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 2 WPflG ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab.

4 Im Hinblick auf den Begriff der besonderen Härte führt die Beklagte unter Verweis auf im einzelnen bezeichnete Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus, das Verwaltungsgericht habe die danach zu beachtenden strengen Anforderungen in den Fällen, in denen sich ein Wehrpflichtiger oder anerkannter Kriegsdienstverweigerer auf einen drohenden Arbeitsplatzverlust berufe, nicht geprüft und zu Unrecht eine hinreichende Gewissheit dafür angenommen, dass der Kläger durch die Einberufung zum Zivildienst seine Arbeitsstelle in der Schweiz verliere. Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, welchen abstrakten Rechtssatz das angefochtene Urteil in Widerspruch zu den Maßstäben, die die Beklagte den angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts entnimmt, aufgestellt haben soll. Vielmehr wendet sich die Beklagte der Sache nach gegen die Tatsachenwürdigung und die Rechtsanwendung durch die Vorinstanz in dem entschiedenen, durch mehrere Besonderheiten gekennzeichneten Einzelfall. Damit kann die Abweichungsrüge nicht begründet werden.

5 Weiter ist das Verwaltungsgericht entgegen dem Vorbringen der Beklagten bei der Auslegung des Begriffs der unzumutbaren Härte in § 13 Abs. 1 Satz 3 ZDG von den Grundsätzen der in der Beschwerdeschrift herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht dadurch abgewichen, dass es sinngemäß einen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt hätte, die Annahme einer unzumutbaren Härte setze nicht kumulativ eine Steigerung der Härtelage sowohl dem Grade als auch den Anforderungen an ihre Vermeidbarkeit nach voraus, sondern sei bereits bei einer Unvermeidbarkeit der Härtesituation zu bejahen. Im Gegenteil ist das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 3. April 2000 - BVerwG 6 B 9.00 - (juris Rn. 5) ausdrücklich davon ausgegangen, dass eine unzumutbare Härte gegenüber der besonderen Härte eine Steigerung der Härtelage sowohl dem Grade als auch den Anforderungen an ihre Vermeidbarkeit nach bedeute (UA S. 9). Diese Grundsätze hat es auch im Rahmen der Einzelfallwürdigung nicht aus dem Auge verloren. Es hat den gesteigerten Grad der Härtelage für den Kläger durch den Verweis auf den Verlust einer sicheren unbefristeten Arbeitsstelle im Ausland und die Gefahr, nach Ableistung des Zivildienstes zunächst für einige Zeit arbeitssuchend und danach mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine Arbeitsstelle zu ungünstigeren Bedingungen in Gestalt einer Tätigkeit bei einem Zeitarbeitsunternehmen verwiesen zu sein, begründet (UA S. 9). Soweit das Verwaltungsgericht im Weiteren ausgeführt hat, dass diese von ihm angenommene schwere Härte - für sich allein - noch keine unzumutbare Härte darstelle (UA S. 9), und sodann geprüft hat, wie es zu der Härtesituation gekommen ist (UA S. 10), hat es die gesteigerte Härtelage nicht etwa - wie die Beklagte meint - verneint, sondern in Übereinstimmung mit dem vorangestellten Obersatz in einem zweiten Schritt die Anforderungen an ihre Vermeidbarkeit untersucht.

6 b) Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich ferner nicht, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts im Widerspruch zu dem von der Beschwerde dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 1978 - BVerwG 8 C 1.77 - (Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 120) entnommenen Rechtssatz stünde, demzufolge befristete Zurückstellungen vom Wehrdienst die Regel, dauernde Zurückstellungen dagegen die Ausnahme darstellten. Mit ihrem hierzu angebrachten Vortrag, das Verwaltungsgericht habe die Zurückstellung des Klägers nicht vom Fortbestand des die Zurückstellung begründenden Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht und das hinsichtlich der Zurückstellungsfrist gegebene behördliche Ermessen nicht beachtet, wendet sich die Beklagte wiederum nur gegen die Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts in dem entschiedenen Einzelfall.

7 2. Die Verfahrensrüge greift ebenfalls nicht durch.

8 Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann ordnungsgemäß bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. S. 14 f.; Beschluss vom 23. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 31.06 - Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 207 S. 7). Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung der Beklagten nicht.

9 a) Die Beklagte trägt vor, das Verwaltungsgericht habe den schweizerischen Arbeitgeber des Klägers (weiter) dazu befragen müssen, ob der Kläger seinen Arbeitsplatz verlieren werde, wenn er den Zivildienst ableiste, und sich nicht mit dem von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schreiben seines Arbeitgebers vom 17. Juni 2008 (Blatt 57 der Gerichtsakte) begnügen dürfen, dem überdies eine entsprechende Aussage nicht definitiv zu entnehmen sei. Der Arbeitgeber des Klägers führe zwar in dem Schreiben aus, dass er unmöglich auf die Mitarbeit des Klägers verzichten und eine Vakanz auf Grund des Zivildiensteinsatzes des Klägers nicht akzeptieren könne, dies sei jedoch nicht gleichbedeutend mit der Androhung einer Entlassung für den Fall der Einberufung. Es sei auch möglich, dass der Arbeitgeber zu dem Schluss komme, dass er auf einen guten Mitarbeiter eher für neun Monate als für immer verzichten könne.

10 Durch dieses Vorbringen misst die Beklagte dem Schreiben des ausländischen Arbeitgebers des Klägers einen Sinn zu, den das Schreiben nach seiner objektiven Erklärungsbedeutung nicht hat. Denn der Arbeitgeber des Klägers verweist in dem Schreiben weiter darauf, dass er eine beständige und konstante Betreuung seiner Klientel sicherzustellen habe. Vor diesem Hintergrund bestand kein Anlass zu der Annahme, der Arbeitgeber des Klägers könne gegebenenfalls die befristete Einstellung einer Ersatzkraft für die Zivildienstzeit des Klägers in Betracht ziehen, um dem seinerseits erst ab dem 1. Mai 2008 unbefristet angestellten Kläger den Arbeitsplatz zu erhalten. Aus dem Vorbringen der Beklagten, die zu dem Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Vertreter entsandt und dementsprechend in keiner Weise an der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung mitgewirkt hat, ergibt sich deshalb nicht, dass sich die von ihr nunmehr vermisste Aufklärungsmaßnahme dem Gericht aufdrängen musste.

11 b) Die Beklagte macht weiter geltend, dem Verwaltungsgericht habe sich aufdrängen müssen, dass es sich hinsichtlich der Frage, ob der Kläger nach Ableistung des Zivildienstes arbeitslos sein bzw. nur eine Arbeitsstelle bei einer Zeitarbeitsfirma finden werde, nicht auf die eingeholte entsprechende Auskunft einer einzigen Agentur für Arbeit habe verlassen dürfen. Schon durch eine kurze Internetrecherche hätte das Gericht feststellen können, dass geeignete Arbeitsstellen auch außerhalb der Zeitarbeitsfirmen zu finden seien. Die Beklagte beruft sich hierzu auf zwei von ihr durch eine Internetrecherche vom 5. November 2008 festgestellte Arbeitsangebote für Heilerziehungspfleger.

12 Mit diesem Vortrag lässt die Beklage unberücksichtigt, dass die von dem Verwaltungsgericht eingeholte schriftliche Auskunft der Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit V. - vom 27. August 2008 eine mit statistischen Angaben unterlegte allgemeine fachliche Einschätzung der Chancen eines ausgebildeten Heilerziehungspflegers auf dem Arbeitsmarkt enthält (Blatt 49 ff. der Gerichtsakte). Weshalb sich dem Gericht die Einschätzung hätte aufdrängen sollen, es könne durch eigenes Suchen im Internet weitergehende Erkenntnisse erlangen, wird aus der Einlassung der Beklagten nicht deutlich.

13 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.