Verfahrensinformation



Der Kläger, der als gemeinnützig anerkannte eingetragene Verein „Ärzte ohne Grenzen“, begehrt die teilweise Rückzahlung (insgesamt etwa 35 400 €) der von ihm in den Jahren 2010 und 2011 entrichteten schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe.


Er beschäftigt Mitarbeiter sowohl in Deutschland als auch in projektbezogenen Auslandseinsätzen. Die Auslandseinsätze dauern in der Regel bis zu neun Monate. Die in das Ausland entsandten Mitarbeiter werden für den Kläger im Rahmen befristeter Anstellungsverträge tätig und erhalten eine monatliche Aufwandsentschädigung. Des Weiteren übernimmt der Kläger die Reisekosten sowie die Kosten für Unterkunft und Verpflegung vor Ort. Im März 2011 und April 2012 reichte der Kläger bei der für ihn zuständigen Agentur für Arbeit unter Verwendung der entsprechenden Formblätter eine Übersicht der besetzten Arbeitsplätze sowie der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen ein. Bei den besetzten Arbeitsplätzen gab er auch die Stellen der in das Ausland entsandten Mitarbeiter an. Die von ihm vorgelegten Zahlen ergaben eine Ausgleichsabgabe von etwa 25 400 € für das Jahr 2010 und etwa 29 600 € für das Jahr 2011, die der Kläger an den Beklagten zahlte. Ende Juni 2012 stellte der Kläger beim Beklagten den Antrag auf Überprüfung der gezahlten Ausgleichsabgabe, da bei deren Berechnung die Arbeitsplätze im Ausland nicht hätten einbezogen werden dürfen. Die humanitäre Hilfe im Rahmen der Auslandseinsätze falle unter den gesetzlichen Ausnahmetatbestand des § 73 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch - (SBG IX). Danach gälten Stellen, auf denen Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb diene, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt sei, nicht als Arbeitsplätze. Das treffe auf die in das Ausland entsandten Mitarbeiter zu. Ihr Einsatz sei nicht auf den Erwerb ausgerichtet, sondern durch den inneren Antrieb bestimmt, medizinisches Wissen zur Hilfe notleidender Menschen in Krisenregionen einzusetzen. Zudem seien bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe nur inländische Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Der Beklagte teilte diese Rechtsauffassung nicht und lehnte eine Teilerstattung der gezahlten Ausgleichsabgabe ab. Die Klage war vor dem Verwaltungsgericht Berlin und dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erfolglos.


Im Revisionsverfahren wird insbesondere zu klären sein, ob bei der Berechnung der Zahl der unbesetzten Plätze für Schwerbehinderte die Arbeitsplätze im Ausland zu berücksichtigen sind.


Pressemitteilung Nr. 64/2016 vom 01.07.2016

Verpflichtung zur Leistung der schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe durch den Verein „Ärzte ohne Grenzen“?

Arbeitgeber, die nicht die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Menschen beschäftigen, müssen für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe entrichten. Bei der Berechnung dieser Abgabe sind kraft Gesetzes Stellen nicht zu berücksichtigen, auf denen Personen beschäftigt werden, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt ist. Danach ist nicht auszuschließen, dass sich der Kläger, der Verein „Ärzte ohne Grenzen", die im Rahmen von Hilfseinsätzen im Ausland besetzten Stellen nicht anrechnen lassen muss. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.


Der Kläger begehrt die Rückzahlung eines Teils (insgesamt etwa 35 400 €) der von ihm in den Jahren 2010 und 2011 entrichteten Ausgleichsabgabe. Er beschäftigt Mitarbeiter sowohl in Deutschland als auch im Ausland, um entsprechend seiner Satzung Menschen in Not, Opfern von natürlich verursachten oder von Menschen geschaffenen Katastrophen und bewaffneten Konflikten zu helfen. Mit den für die Hilfseinsätze im Ausland rekrutierten Freiwilligen schließt er im Inland befristete Anstellungsverträge und zahlt ihnen eine monatliche Aufwandsentschädigung, die bei Personen seinerzeit ohne Vorerfahrung 925 € betrug. Zudem übernimmt er die Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung vor Ort. Die Hilfseinsätze im Ausland dauern in der Regel bis zu neun Monaten. Bei der von dem Kläger für die Jahre 2010 und 2011 der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilten Anzahl der Arbeitsplätze wurden diese Auslandsstellen zunächst mitgezählt. In der Folgezeit machte der Kläger geltend, die Stellen dürften nicht berücksichtigt werden. Dies lehnte der Beklagte ab. Die Klage ist vor dem Verwaltungsgericht Berlin und dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erfolglos geblieben.


Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen. Soweit der Ausnahmetatbestand eine nicht in erster Linie dem Erwerb dienende Beschäftigung voraussetzt, ist eine objektivierte stellenbezogene Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände erforderlich. Es kommt nicht darauf an, ob für die Beschäftigung überhaupt eine Gegenleistung erbracht wird, sondern darauf, ob die gewährten Zuwendungen nicht schwerpunktmäßig der Gewinnerzielung dienen. Die insoweit in Bezug auf die betroffenen Stellen gebotenen tatsächlichen Feststellungen fehlen. Daher war das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Solche Feststellungen sind notwendig, weil die Beschäftigung auf diesen Stellen vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt war und damit die weitere Voraussetzung des Ausnahmetatbestandes erfüllt ist.


BVerwG 5 C 1.15 - Urteil vom 30. Juni 2016

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 6 B 10.14 - Urteil vom 19. November 2014 -

VG Berlin, 37 K 209.13 - Urteil vom 24. Februar 2014 -


Beschluss vom 06.08.2014 -
BVerwG 6 B 10.14ECLI:DE:BVerwG:2014:060814B6B10.14.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.08.2014 - 6 B 10.14 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:060814B6B10.14.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 10.14

  • VG Ansbach - 26.01.2012 - AZ: VG AN 5 K 11.01169
  • VGH München - 19.12.2013 - AZ: VGH 5 BV 12.721

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. August 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich und Dr. Möller
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 19. Dezember 2013 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren sowie für das Revisionsverfahren - insoweit vorläufig - auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Das Revisionsverfahren kann dem Senat Gelegenheit geben, die Rechtsfrage zu klären, ob der in § 12 Abs. 1 Satz 1 MRRG aufgestellte bundesrechtliche Grundsatz „ein Einwohner, eine Hauptwohnung“ auch für einen minderjährigen Einwohner nach § 12 Abs. 2 Satz 3 MRRG gilt, wenn die getrennt lebenden Eltern das paritätische Wechselmodell praktizieren und der Minderjährige dementsprechend die Wohnungen beider Eltern jeweils gleichviel benutzt.

2 Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG; die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 C 38.14 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.