Beschluss vom 06.10.2009 -
BVerwG 1 D 1.09ECLI:DE:BVerwG:2009:061009B1D1.09.0

Beschluss

BVerwG 1 D 1.09

  • VG Dresden - 25.01.2007 - AZ: VG D 10 K 1859/05

In dem Disziplinarverfahren hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Oktober 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:

  1. Auf die Berufung des Polizeimeisters a.D. ... wird das
  2. Urteil des Verwaltungsgerichts ... vom 25. Januar 2007 aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 In dem durch Verfügung des Präsidenten der Einleitungsbehörde vom 21. Mai 2001 eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren wird dem jetzt 45jährigen Ruhestandsbeamten mit der am 29. August 2005 beim Verwaltungsgericht ... eingegangenen Anschuldigungsschrift vom 19. August 2005 zur Last gelegt, schuldhaft seine dauernde Dienstunfähigkeit herbeigeführt zu haben. Im Einzelnen wird dem Ruhestandsbeamten vorgeworfen
„- nach einer Alkoholentwöhnungstherapie vom 19. April 1999 bis zum 19. August 1999 und einer Entgiftung vom 10. bis zum 24. September 1999 schuldhaft in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückgefallen zu sein mit der Folge, dass er wegen eines massiven Rückfalles am 4. August 2000 sowie eines weiteren massiven Rückfalles am 25. Dezember 2000 mit wenigen Unterbrechungen zur Dienstleistung unfähig gewesen ist, wobei in diese Phase der Dienstunfähigkeit auch zwei weitere Entgiftungen vom 20. bis zum 29. April 2001 und vom 3. bis zum 12. September 2001 sowie eine anschließende weitere Alkoholentwöhnungstherapie vom 12. September 2001 bis zum 27. Dezember 2001 gefallen sind,
- und nach einer ca. 6monatigen Abstinenzphase nach Abschluss der Ende 2001 absolvierten zweiten Entwöhnungstherapie im Juli 2002 erneut Alkohol konsumiert zu haben, was zu einer (zunächst) fünftägigen Dienstunfähigkeit führte, und seit dem 20. Januar 2003 erneut schuldhaft in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückgefallen zu sein mit der Folge, dass er wegen hierdurch bedingter dauernder Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 30. Juni 2004 vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde“.

2 Im Untersuchungsverfahren waren u.a. schriftliche Sachverständigengutachten der H. gGmbH, Fachkrankenhaus für Abhängigkeitskranke, Klinik X., vom 27. Juni 2002 und vom 29. April 2005 zur Frage eventuell erheblich verminderter Schuldfähigkeit zur Tatzeit (§§ 20, 21 StGB analog) sowie zum Erfolg der Alkoholentwöhnungsbehandlung von Herbst 2001 eingeholt worden.

3 Der vor dem Verwaltungsgericht nicht durch einen Verteidiger vertretene Ruhestandsbeamte äußerte sich zur Anschuldigungsschrift nicht.

4 Aufgrund der am 25. Januar 2007 von 11.15 Uhr bis 11.50 Uhr dauernden öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu der der ordnungsgemäß geladene Ruhestandsbeamte nicht erschienen war, hat ihm das Verwaltungsgericht ... durch Urteil vom selben Tag das Ruhegehalt aberkannt; die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags werde nicht ausgeschlossen. Bei seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht u.a. die beiden im Untersuchungsverfahren eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachten verwertet.

5 Entsprechend dem Wortlaut der den Urteilsgründen beigefügten Rechtsmittelbelehrung hat der Ruhestandsbeamte gegen das ihm am 14. Februar 2007 zugestellte Urteil durch seinen Verteidiger am 14. März 2007 beim Verwaltungsgericht ... Berufung zum ... Oberverwaltungsgericht eingelegt, die - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Vorsitzenden des Disziplinarsenats - mit Schriftsatz vom 2. Mai 2007 näher begründet worden ist; das erstinstanzliche Urteil wird in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht angegriffen.

6 Nachdem das ... Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Oktober 2008 dem Ruhestandsbeamten für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht antragsgemäß Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt G. aus Y. beigeordnet hatte, hat es durch Beschluss vom 3. April 2009 anstelle von Rechtsanwalt G. dem Ruhestandsbeamten Rechtsanwalt L. aus Z. beigeordnet.

7 Nach Anhörung der Beteiligten hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. Juli 2009 das Berufungsverfahren dem gemäß § 85 BDG in Verbindung mit der Bundesdisziplinarordnung (BDO) zuständigen Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II

8 Die Berufung hat insoweit Erfolg, als das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht ... zurückzuverweisen ist.

9 Nach § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO kann der Senat im Rahmen einer zulässigen Berufung durch Beschluss das Urteil aufheben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn er weitere Aufklärungen für erforderlich hält oder wenn schwere Mängel des Verfahrens vorliegen; diese Vorschrift ist hier anwendbar (1.). Ihre Voraussetzungen sind gegeben (2.). Der Senat macht von seiner gesetzlich eröffneten Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch (3.). Der Verteidiger des Ruhestandsbeamten hat im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 85 Abs. 2 BDO erklärt, er halte eine Zurückverweisung für zweckmäßig. Die Einleitungsbehörde hat im Hinblick auf die vom Senat mitgeteilten Erwägungen, die für eine solche Verfahrensweise sprächen, ausdrücklich von einer Stellungnahme abgesehen.

10 1. Das durch Verfügung vom 21. Mai 2001 nach § 33 BDO eingeleitete förmliche Disziplinarverfahren ist gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG auch nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 nach bisherigem Recht, d.h. nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung, gegebenenfalls in Verbindung mit der Strafprozessordnung (vgl. § 25 BDO), fortzuführen (stRspr, z.B. Urteil vom 23. Februar 2005 - BVerwG 1 D 13.04 - BVerwGE 123, 75 <76> = Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 8, jeweils m.w.N.; Vorschriften des Bundesdisziplinargesetzes können in solchen Altfällen ausnahmsweise nur dann Anwendung finden, soweit diese den beschuldigten Beamten materiellrechtlich besserstellen). Für die Anschuldigung und die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens gilt ebenfalls das bisherige Recht (§ 85 Abs. 3 Satz 2 BDG), wobei anstelle des aufgelösten Bundesdisziplinargerichts das zuständige Verwaltungsgericht tritt (vgl. § 85 Abs. 7 BDG). Dies führt im vorliegenden Fall u.a. zur Anwendbarkeit der Vorschriften über die Zuständigkeit und das Verfahren der Berufung gemäß §§ 80 ff. BDO. Danach hat hier das Bundesverwaltungsgericht über die Zulässigkeit und Begründetheit der Berufung des Ruhestandsbeamten und damit auch über die Frage zu entscheiden, ob eine Zurückverweisung der Sache gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO in Betracht kommt.

11 Gegen die Zulässigkeit der in vollem Umfang, d.h. unbeschränkt eingelegten Berufung bestehen keine Bedenken. Zwar schreiben § 80 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 81, 82 BDO vor, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen und in der Berufungsschrift anzugeben ist, inwieweit es angefochten wird und welche Änderungen beantragt werden; die Anträge sind zu begründen. Daraus folgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. Beschluss vom 22. Januar 1987 - BVerwG 1 DB 2.87 - DokBerB 1987, 83; Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl. 1994, § 80 Rn. 5, § 82 Rn. 1 m.w.N.), dass die Berufung innerhalb der Monatsfrist einzulegen und zu begründen ist; die Monatsfrist kann nicht verlängert werden. Die Nichtbeachtung dieser Vorschriften ist hier jedoch unschädlich, da dem erstinstanzlichen Urteil eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung - Berufung zum ... Oberverwaltungsgericht - beigefügt war, sodass gemäß § 24 Abs. 2 BDO für die Einlegung der Berufung die Jahresfrist lief; diese Frist ist eingehalten.

12 2. Das nach bisherigem Recht durchzuführende Verfahren leidet an schweren, aber behebbaren Verfahrensmängeln. Zugleich besteht weiterer Aufklärungsbedarf. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO.

13 Entgegen den genannten Übergangsvorschriften des § 85 BDG hat das Verwaltungsgericht das gemäß § 33 BDO eingeleitete förmliche Disziplinarverfahren nicht nach den Regeln und Grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung, sondern nach den davon wesentlich abweichenden Regeln des Bundesdisziplinargesetzes fortgeführt; dies stellt einen schweren Verfahrensmangel dar.

14 Obwohl in der bei Gericht am 29. August 2005 eingegangenen und ausdrücklich so bezeichneten „Anschuldigungsschrift“ unter anderem darauf hingewiesen wird, dass gegen den Ruhestandsbeamten mit Verfügung vom 21. Mai 2001 nach der seinerzeit geltenden Bundesdisziplinarordnung das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist und „Einleitungsbehörde (unter gleichzeitiger Wahrnehmung der Aufgaben des inzwischen aufgelösten Bundesdisziplinaranwalts)“ der Präsident der Einleitungsbehörde ist, hat die Kammer die Sache als „Disziplinarklage“ (Bund) nach den entsprechenden Vorschriften des Bundesdisziplinargesetzes (§ 52 Abs. 1, § 54 f.) behandelt und über sie gemäß § 60 BDG aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung entschieden. Im Urteil hat das Verwaltungsgericht die Gewährung des Unterhaltsbeitrags unter Hinweis auf § 12 Abs. 2 Satz 2, § 10 Abs. 3 Satz 2 BDG nicht ausgeschlossen. In der Rechtsmittelbelehrung ist ausgeführt, dass den Beteiligten die Berufung an den Disziplinarsenat des ... Oberverwaltungsgerichts zustehe (§ 64 BDG).

15 Richtigerweise hätte die Kammer aufgrund nichtöffentlicher Hauptverhandlung gemäß §§ 73 ff. BDO entscheiden müssen. § 75 Abs. 2 Satz 1 BDO bestimmt auch, dass die im Disziplinarverfahren oder in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren erhobenen Beweise der Urteilsfindung (nur) zugrunde gelegt werden können, soweit sie Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Deshalb schreibt § 74 Abs. 1 Satz 3 BDO ausdrücklich vor, dass Niederschriften über Beweiserhebungen aus dem Disziplinarverfahren oder einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren nur durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden können. Gemäß dem Protokoll der 35minütigen öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2007 hat eine solche Verlesung nicht stattgefunden. In der Niederschrift ist insoweit lediglich vermerkt:
„Die in der Ladung genannten Akten werden zum Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Der Vorsitzende trägt den wesentlichen Inhalt der Akten vor.
Die Disziplinarrechtssache wird tatsächlich und rechtlich erörtert.
Die Bevollmächtigte der Einleitungsbehörde erklärt, das Ruhegehalt des Beamten müsse aufgrund des schweren Dienstvergehens aberkannt werden. Der Beamte sei disziplinar vorbelastet. Er sei schuldhaft in die ‚nasse Phase’ der Alkoholabhängigkeit zurückgefallen.“

16 Der Bundesdisziplinarhof hatte schon mit Beschluss vom 27. Mai 1964 - II D 49/63 - (BDHE 6, 25 ff.) ausgeführt, die im Disziplinarverfahren oder einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren erhobenen Beweise würden nur dann Gegenstand der Hauptverhandlung und damit für die Urteilsfindung verwertbar, wenn die Niederschriften über die Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung verlesen worden seien. Der Vortrag ihres wesentlichen Inhalts durch den Berichterstatter genüge hierzu nicht. Einem auf diese Weise - ohne Verlesen - zustande gekommenen Urteil fehle jede ausreichende Grundlage, sodass es keinen Bestand haben könne (vgl. dazu auch Beschluss vom 27. Januar 2005 - BVerwG 1 D 16.04 - juris).

17 Verfahrensfehlerhaft ist es auch, dass es die Kammer in ihrer Entscheidung unterlassen hat, gemäß § 77 BDO ausdrücklich über die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags zu befinden und dem Urteil eine gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 80 ff. BDO ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung - Berufung zum Bundesverwaltungsgericht - beizufügen.

18 Als besonders schwerer Verfahrensmangel kommt hier hinzu, dass das Verwaltungsgericht die disziplinarische Höchstmaßnahme ausgesprochen hat, ohne diesen Schuldspruch auf eine ordnungsgemäße Sachaufklärung und Beweiserhebung zu stützen. Das angefochtene Urteil verwertet u.a. die beiden im Untersuchungsverfahren eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachten der H. gGmbH, Fachkrankenhaus für Abhängigkeitskranke, Klinik X., vom 27. Juni 2002 und vom 29. April 2005 (UA S. 8, 9, 11, 13). Die ärztlichen Sachverständigen, die schon im Untersuchungsverfahren (vgl. dazu §§ 58, 61 BDO) nicht mündlich angehört worden waren, sind auch in der Hauptverhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht angehört worden (vgl. dazu § 74 Abs. 2 BDO), obwohl wegen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme die Verwertung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 244 Abs. 2, § 250 StPO in Verbindung mit § 25 BDO im Regelfall eine mündliche Anhörung voraussetzt. Eine Verlesung - auch eine solche hat gemäß Protokoll vom 25. Januar 2007 nicht stattgefunden - wäre nur gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 25 BDO, d.h. bei Gutachten öffentlicher Behörden zulässig gewesen (vgl. dazu insgesamt zuletzt Urteil vom 19. Juni 2008 - BVerwG 1 D 2.07 - Buchholz 235 § 25 BDO Nr. 5). Solche Gutachten liegen hier aber nicht vor, da das Krankenhaus in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH betrieben wird (vgl. zur GmbH: BGH, Urteil vom 3. Juni 1987 - 2 StR 180/87 - juris, zitiert von Pfeiffer/Miebach, NStZ 1988, 19). Die gemeinnützige GmbH ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die gemeinnützige Zwecke verfolgt und der deshalb besondere Steuervergünstigungen gewährt werden. Sie stellt keine eigene Gesellschaftsform dar, sondern unterliegt den Vorschriften des GmbH-Gesetzes sowie des Handelsgesetzbuches (vgl. dazu Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 1 Rn. 10).

19 3. Zwar könnte der Senat bei der hier unbeschränkt eingelegten Berufung im Rahmen der Anschuldigung gegebenenfalls eigene Tat- und Schuldfeststellungen treffen, diese disziplinarrechtlich würdigen und die sich daraus ergebenden Folgerungen ziehen. Eine solche Verfahrensweise würde dem Beschleunigungsgebot (vgl. jetzt § 4 BDG) Rechnung tragen, aber dem Anspruch des Ruhestandsbeamten zuwiderlaufen, dass über den gegen ihn erhobenen Vorwurf im Rahmen der Anschuldigung in zwei Instanzen ordnungsgemäß verhandelt und entschieden wird. Wurde eine Sachverhaltsaufklärung erstinstanzlich gar nicht erst begonnen oder war sie weitgehend unzulänglich, ist in aller Regel auch in Ansehung des Beschleunigungsgebotes eine Zurückverweisung durch das Berufungsgericht geboten (vgl. dazu auch Beschluss vom 13. März 2006 - BVerwG 1 D 3.06 - Buchholz 235 § 67 BDO Nr. 1). Es ist nach den Regelungen der Bundesdisziplinarordnung nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, anstelle des dazu gemäß § 85 BDG berufenen Verwaltungsgerichts notwendige gerichtliche Feststellungen einschließlich der erforderlichen Beweiswürdigung zum entscheidungserheblichen Sachverhalt erstmals zu treffen (vgl. zur Wehrdisziplinarordnung z.B. Beschluss vom 30. Oktober 2007 - BVerwG 2 WD 22.06 - Buchholz 450.2 § 120 WDO 2002 Nr. 1). Der beschuldigte Ruhestandsbeamte hat zudem einen Anspruch darauf, dass bereits im ersten Rechtszug nach Maßgabe der einschlägigen prozessrechtlichen Vorschriften alle erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung der Sach- und Rechtslage ordnungsgemäß getroffen werden. Dies entspricht auch seinem Recht auf ein faires disziplinargerichtliches Verfahren (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni 2000 - 2 BvR 993/94 - ZBR 2001, 208), zumal es hier um die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme geht.

20 Nach alledem macht der Senat - nach Anhörung der Beteiligten - von seinem ihm in § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO eingeräumten Ermessen Gebrauch, hebt das erstinstanzliche Urteil auf und verweist die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht ... zurück.

21 4. Die Kostenentscheidung ist dem Verwaltungsgericht auch für das Berufungsverfahren vorzubehalten, weil erst seine erneute Entscheidung zeigen wird, ob und gegebenenfalls inwieweit die Berufung des Ruhestandsbeamten in der Sache Erfolg hat.

22 Hinsichtlich des für das Berufungsverfahren gestellten Antrags des Ruhestandsbeamten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten bemerkt der Senat Folgendes:

23 Für die Entscheidung über einen solchen Antrag ist an sich das Bundesverwaltungsgericht als Berufungsgericht zuständig. In Altverfahren nach der Bundesdisziplinarordnung hat der Senat in ständiger Rechtsprechung bislang aber weder Prozesskostenhilfe bewilligt noch gemäß § 140 Abs. 2 StPO, § 25 BDO eine Pflichtverteidigerbestellung vorgenommen (vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Mai 1997 - BVerwG 1 D 44.97 - BVerwGE 113, 92 ff. = Buchholz 235 § 111 BDO Nr. 1, vom 5. Oktober 2001 - BVerwG 1 D 12.01 <1 Dis PKH 2.01> - und vom 23. März 2006 - BVerwG 1 D-PKH 3.05 -, jeweils m.w.N.). Allerdings entfalten die Beschlüsse des unzuständigen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2008 und vom 3. April 2009 grundsätzlich Bindungswirkung, weil es sich bei dem Berufungsverfahren, das der Ruhestandsbeamte dort aufgrund der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts anhängig gemacht hat, vor und nach der Abgabe an den Senat um einen einheitlichen Rechtszug im Sinne von § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO handelt (vgl. Beschluss vom 23. März 2006 - BVerwG 1 D-PKH 3.05 - m.w.N.). Da die Bewilligung der Prozesskostenhilfe gemäß § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO aber für jeden Rechtszug besonders erfolgt, gilt eine Prozesskostenhilfe-Bewilligung durch das zurückverweisende Rechtsmittelgericht nicht für das Verfahren nach Zurückverweisung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1982 - VI ZR 175/80 - NJW 1983, 944; Motzer, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 119 Rn. 32).