Beschluss vom 06.11.2008 -
BVerwG 20 F 4.08ECLI:DE:BVerwG:2008:061108B20F4.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.11.2008 - 20 F 4.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:061108B20F4.08.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 4.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 6. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:

  1. Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller ist Kläger des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit dem Aktenzeichen - VG Köln 20 K 274/07 -. Nachdem ihm die Antragsgegnerin mit einem als „Bescheid“ bezeichneten Schreiben vom 5. Dezember 2006 mitgeteilt hatte, dass keine Daten zu seiner Person beim Bundesamt für Verfassungsschutz erfasst seien, erhob der Antragsteller am 25. Januar 2007 Klage und beantragte, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides zu verurteilen, ihm Auskunft über sämtliche zu seiner Person gespeicherten Daten und Informationen beim Bundesamt für Verfassungsschutz zu erteilen, einschließlich der Daten und Informationen, die bisher gespeichert waren oder an eine andere Behörde weiter gegeben worden sind. Den auf seinen Widerspruch hin ergangenen förmlichen Bescheid vom 6. Februar 2007 bezog er in seine Klage ein. Im Zuge des Klageverfahrens teilte die Antragsgegnerin mit, dass aufgrund einer aufwändigen, durch eine Anfrage des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit veranlassten Recherche Aktenstücke in einer bei ihr geführten Sachakte gefunden worden seien, in denen neben anderen Personen auch der Antragsteller namentlich erwähnt werde. Auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 1. April 2008, die recherchierten Aktenstücke vorzulegen, legte der Beigeladene mit Schriftsatz vom 10. Juni 2008 einige mit Seitenzahlen versehene Blätter, z.T. ohne Einschränkung, z.T. geschwärzt vor und verweigerte im Übrigen unter Abgabe einer Sperrerklärung die Vorlage (59 Blätter sowie vier Blatt teilweise geschwärzt). Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2008 hat der Antragsteller die Feststellung durch den Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO beantragt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage gemäß der Sperrerklärung vom 10. Juni 2008 rechtswidrig ist.

II

2 Der Antrag ist unbegründet. Die Weigerung der Antragsgegnerin, dem Verwaltungsgericht die von ihm geforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig.

3 1. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des betroffenen Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 und vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 -).

4 Gemäß § 15 Abs. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 20. Dezember 1990 (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG -, BGBl I S. 2954, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Januar 2007, BGBl I S. 2) erteilt das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Zweck dieser Regelung ist es u.a., der Gefahr der Ausforschung zu begegnen (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2000 - 1 BvR 586/90, 1 BvR 673/90 - DVBl 2001, 275). Der Auskunftsanspruch des § 15 BVerfSchG ist allerdings nur beschränkt gewährleistet. Er setzt voraus, dass dem Antrag keine legitimen Belange entgegenstehen, die das Recht des Antragstellers auf Kenntnisgewähr überwiegen. Ist ein solcher Fall gegeben, muss die Behörde dem Antragsteller die Gründe der völligen oder teilweisen Auskunftsverweigerung darlegen. Dabei darf sie Belange der Geheimhaltung berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2000 a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 21. März 1986 - BVerwG 7 C 71.83 - BVerwGE 74, 115 <120>). Im Falle einer nur eingeschränkten Begründung der Auskunftsablehnung muss jedoch dargelegt werden, dass deren Voraussetzungen vorliegen, weil sonst eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht möglich wäre.

5 2. Grundsätzlich setzt die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage (Sperrerklärung) bei Geheimhaltungsbedarf eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO voraus. Der Fachsenat hat insoweit nur zu überprüfen, ob die Entscheidung den an die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestellten Anforderungen genügt.

6 Durch die Ermessenseinräumung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird der obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben (Beschlüsse vom 19. August 1964 - BVerwG 6 B 15.62 - BVerwGE 19, 179 <186>, vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 8.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 34, vom 13. Juni 2006 - BVerwG 20 F 5.05 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 42 und vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 -). § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsgericht, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Gesetz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde, lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht (Beschluss vom 13. Juni 2006 a.a.O.).

7 Soweit die Aktenvorlage auch Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist, sind die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Diese Gründe können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Da die Sperrerklärung als Erklärung des Prozessrechts auf die Prozesslage abgestimmt sein muss, in der sie abgegeben wird, genügt es grundsätzlich nicht, in ihr lediglich auf die die Sachentscheidung tragenden Gründe des - je nach Fachgesetz im Einzelnen normierten - Geheimnisschutzes zu verweisen. Die oberste Aufsichtsbehörde ist vielmehr im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert, in besonderer Weise in den Blick zu nehmen, welche rechtsschutzverkürzende Wirkung die Verweigerung der Aktenvorlage im Prozess für den Betroffenen haben kann. Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Verfahrensbestimmung. Dementsprechend ist der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt (Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 5 und vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F 2.07 - NVwZ 2008, 554 = DVBl 2008, 655 = DÖV 2008, 510 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Maßstab ist dabei neben dem privaten Interesse an effektivem Rechtsschutz und dem - je nach Fallkonstellation - öffentlichen oder privaten Interesse an Geheimnisschutz auch das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 - BVerfGE 115, 205 <241>). Die oberste Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass sie gemessen an diesem Maßstab die Folgen der Verweigerung mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet hat.

8 3. Nach diesen Grundsätzen ist die Verweigerung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden.

9 Wie sich aus der Sperrerklärung vom 10. Juni 2008 ergibt, hat der Beigeladene die verschiedenen Geheimhaltungsinteressen i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO sachlich unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes, des Schutzes der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter und des Quellenschutzes geordnet. Jeweils bezogen auf die mit Blattzahl bezeichneten Aktenstücke (Deckblatt und Anlagen) hat sie begründet, aus welchen Gründen die Vorlage in dem aufgezeigten Umfang verweigert wird. Maßgeblich waren dabei neben dem Inhalt als formale Merkmale Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Bezeichnung des Verwaltungsvorgangs, Verfügungen, schriftliche Randbemerkungen, Unterstreichungen, Angaben zur Herkunft der Informationen, namentliche Hinweise auf Bearbeiter einschließlich telefonischer Erreichbarkeit sowie Namen Dritter. Hinsichtlich der Anlagen zu den Deckblattmeldungen hat die Beigeladene mit Blick auf deren Einstufung als „offen“ ebenfalls unter Zugrundelegung der aufgezeigten Kriterien dargelegt, aus welchen Gründen eine ungeschwärzte bzw. vollständige Vorlage gleichwohl nicht in Betracht komme.

10 Die von dem Beigeladenen als geheimhaltungsbedürftig bezeichneten Aktenbestandteile sind im Falle ihrer Offenlegung grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren und Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung zu ermöglichen. Sie lassen Rückschlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen der Sicherheitsbehörde auch in Sachfragen zu (vgl. Beschlüsse vom 1. August 2006 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 7 und vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347). Aktenseiten mit Blick auf Namen, die sich auf natürliche Personen zurückführen lassen, zurückzuhalten, rechtfertigt sich aus Gründen der persönlichen Sicherheit dieser Personen (vgl. dazu Beschluss vom 4. Mai 2006 - BVerwG 20 F 2.05 - juris Rn. 4) oder ist deshalb erforderlich, um die beruflich gebotene Anonymität der Personen zu schützen. Die Offenbarung einer Quelle ließe Rückschlüsse auf die Art und Weise der Zusammenarbeit verschiedener Sicherheitsbehörden und deren Beobachtungsfelder zu und würde eine erhebliche Gefahr für die Quelle bedeuten, die nicht selten aus dem Beobachtungsfeld stammt.

11 Der Senat hat die von dem Beigeladenen vorgelegten, uneingeschränkt lesbaren Aktenstücke im Einzelnen durchgesehen. Unter Berücksichtigung der Verpflichtung zur Geheimhaltung gemäß § 99 Abs. 2 Satz 10 Halbs. 2 VwGO einerseits und der Pflicht zur Begründung gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 VwGO andererseits ist festzuhalten, dass der Beigeladene keine Eintragung geschwärzt (Bl. 4a, 15a, 28a, 28b) und keine Aktenseite vollständig von der Vorlage ausgenommen hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Bei den gesperrten Aktenseiten handelt es sich um als vertraulich eingestufte Verschlusssachen, die neben Sachverhaltsschilderungen der Quelle auf sogenannten Deckblättern zahlreiche Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Verfügungen, Randbemerkungen, Unterstreichungen und namentliche Hinweise enthalten. Auch die den Deckblättern beigefügten, als „offen“ eingestuften Anlagen enthalten entsprechende Angaben. Die Überprüfung durch den Senat hat keine Beanstandungen ergeben.

12 Der Beigeladene hat auch das ihm durch § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eröffnete Ermessen erkannt und zutreffend geprüft, ob überwiegende Interessen an der unbeschränkten Offenlegung der Aktenstücke trotz ihres geheimen Inhalts gegeben sind. Er hat sich nicht darauf beschränkt, Gründe für die Verweigerung aufzuzeigen, sondern hat die aufgezeigten Geheimhaltungsinteressen sowohl gegen das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Hauptsachegericht als auch gegen das private Interesse des Antragstellers an der Durchsetzung seines Auskunftsanspruchs abgewogen. Soweit der Kläger beanstandet, bei der Ermessensausübung hätte die Rechtswidrigkeit der gegen ihn gerichteten Maßnahmen berücksichtigt werden müssen, verkennt er, dass Maßstab für die Rechtmäßigkeit der Verweigerung nicht das materielle Recht ist, über das das Hauptsachegericht zu entscheiden hat, sondern die am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Interessengewichtung, die hier ohne Ermessensfehler vorgenommen worden ist (vgl. Beschluss vom 21. Februar 2008 a.a.O. Rn. 27).

13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.