Beschluss vom 07.10.2004 -
BVerwG 3 B 62.04ECLI:DE:BVerwG:2004:071004B3B62.04.0

Beschluss

BVerwG 3 B 62.04

  • VG Dresden - 21.10.2003 - AZ: VG 11 K 342/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Oktober 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 21. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Der Kläger, der 1958 an der H.-Universität in B. den akademischen Grad eines Diplomarchivars erwarb, begehrt seine Rehabilitierung nach den Regelungen des Beruflichen bzw. Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG bzw. VwRehaG), da er aus politischen Gründen im Jahre 1969 durch das Staatsarchiv D. und 1980 durch das Verkehrsmuseum D. entlassen worden sei.
1. Die Verfahrensrüge ist nicht berechtigt.
Die Beschwerde wirft dem Verwaltungsgericht vor, gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör und faires Verfahren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 1 und 2 VwGO) sowie gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen zu haben.
a) Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) rügt, weil die Beteiligten vor Erlass des Beschlusses zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter (§ 6 VwGO) nicht angehört worden seien, kann der darin liegende Mangel (vgl. Urteil vom 10. November 1999 - BVerwG 6 C 30.98 - BVerwGE 110, 40 <45> = Buchholz 448.0 § 3 WPflG Nr. 21 S. 1 <3 f.>) im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden. Denn die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist immer dann unberechtigt, wenn der Beteiligte es unterlassen hat, sich durch geeignete Anträge ausreichend rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. Urteil vom 3. Juli 1992 - BVerwG 8 C 58.90 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 248 S. 96 <99> und Beschluss vom 8. März 1999 - BVerwG 8 B 252.98 - VIZ 1999, 601 <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 428 § 18 VermG Nr. 7> sowie BVerfGE 74, 220 <225> m.w.N.). Der Kläger hätte daher nach Bekanntgabe des Übertragungsbeschlusses, spätestens in der Verhandlung vor dem Einzelrichter die fehlende Anhörung rügen müssen, zumal er anwaltlich vertreten war. Stattdessen hat er sich ausweislich der Sitzungsniederschrift rügelos auf die mündliche Verhandlung vor dem Einzelrichter eingelassen. Dies ist auch nicht etwa deswegen unschädlich, weil die einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO für die Rückübertragung des Rechtsstreits auf die Kammer nicht vorgelegen hätten und deswegen eine Rüge von vornherein aussichtslos gewesen wäre. Denn diese Vorschrift ist im Falle eines Gehörsverstoßes verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Rückübertragung auch dann möglich ist, wenn der Einzelrichter aufgrund der nachgeholten Anhörung zum Ergebnis gelangt, dass die Rechtssache entgegen der ursprünglichen Annahme der Kammer doch grundsätzliche Bedeutung hat oder besondere Schwierigkeiten aufweist. Anderenfalls zwänge man den Einzelrichter, sehenden Auges eine unter dem Makel der Gehörsverletzung stehende Entscheidung zu erlassen (Urteil vom 10. November 1999 - BVerwG 6 C 30.98 - a.a.O. S. 45 f. bzw. S. 4).
Die weitere Rüge, die Übertragung auf den Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 VwGO sei unzulässig gewesen, da die Angelegenheit sowohl besondere rechtliche als auch tatsächliche Schwierigkeiten aufweise, stellt keinen revisionsrechtlich zu beachtenden Verstoß dar. Der Beschluss vom 12. Mai 2000, durch welchen die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO dem Einzelrichter übertragen hat, ist nämlich gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 VwGO unanfechtbar. Ein derartiger unanfechtbarer Beschluss entzieht sich grundsätzlich der Überprüfung durch das Revisionsgericht (§ 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO) und kann daher auch nicht zur Zulassung der Revision führen.
b) Auch die Rüge, das Verwaltungsgericht habe das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, da es den "Kläger während der mündlichen Verhandlung oder durch andere prozessleitende Verfügungen hätte darauf hinweisen müssen, dass die Darstellung der Beklagten überzeugt, nicht aber die Darstellung des Klägers". So sei mit diesem Ausgang des Rechtsstreits nicht zu rechnen gewesen. Eine (unzulässige) Überraschungsentscheidung liegt im vorliegenden Fall indessen nicht vor. Das setzte voraus, dass das Urteil auf neue Gesichtspunkte abstellte, mit denen ein verständiger Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Verlaufs des Verfahrens nicht rechnen konnte und musste (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51). Nachdem in dem angefochtenen Bescheid wie im Widerspruchsbescheid angenommen wurde, dass eine politische Verfolgung des Klägers nicht anzunehmen sei, ist nicht nachzuvollziehen, aus welchem Grunde es für den Kläger überraschend gewesen sein soll, dass auch das Verwaltungsgericht dem gefolgt ist. Zudem ist das Gericht zu einer vorherigen Mitteilung der beabsichtigten Würdigung des Prozessstoffs nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht verpflichtet, zumal sich diese regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (Beschluss vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - a.a.O. m.w.N.). Außerdem hätte zur Begründung der Verfahrensrüge als Zulassungsgrund jedenfalls der substantiierte Vortrag gehört, welche Tatsachen bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wären und dass diese Tatsachen zur Klärung der Rechtslage im Sinne der Partei geeignet gewesen wären (vgl. Beschluss vom 31. Juli 1985 - BVerwG 9 B 71.85 - NJW 1986, 3221). Diesen Vortrag lässt die Beschwerdebegründung vermissen.
c) Das Verwaltungsgericht hat das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), auch nicht dadurch verletzt, dass es wesentliches Vorbringen bei der Urteilsfindung übergangen hätte. Die Versagung rechtlichen Gehörs umfasst zwar auch den Fall, dass wesentliches Vorbringen eines Beteiligten bei der Urteilsfindung übergangen wird (vgl. Urteil vom 24. Januar 1985 - BVerwG 2 C 4.83 - Buchholz 237.8 § 53 LBG Rheinland-Pfalz Nr. 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte sind aber nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Nur die wesentlichen der Rechtsverteidigung und -verfolgung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Dezember 1994 - 2 BvR 168/94 - NVwZ 1995, 1096 m.w.N.).
Gemessen an diesen Kriterien, ist eine Gehörsverletzung von der Beschwerde nicht dargetan.
d) Die Beschwerde rügt ferner, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, auch nur einen der 23 vom Kläger benannten Zeugen zu vernehmen, darunter etwa Ministerpräsident a.D. K. B., Justizminister a.D. S. H. sowie den Enkel von R. W., W. W. Diese Rüge mangelhafter Sachaufklärung durch das Verwaltungsgericht (§ 86 VwGO) scheitert schon daran, dass von einer anwaltlich vertretenen Partei im Allgemeinen - so auch hier - erwartet werden kann, dass eine von ihr für notwendig erachtete Sachaufklärung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt wird. Wenn der Anwalt dies versäumt hat, kann sein Mandant eine mangelnde Sachaufklärung nicht mehr erfolgreich rügen (vgl. z.B. Urteil vom 27. Juli 1983 - BVerwG 9 C 541.82 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146). Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der klägerische Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung am 21. Oktober 2003 keine Beweisanträge gestellt. Ein behaupteter Verstoß gegen die Aufklärungspflicht muss im Übrigen substantiiert dargelegt werden, wozu namentlich auch die Angabe erforderlich ist, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Auch daran fehlt es hier. In Wirklichkeit strebt der Kläger nur eine ihm günstigere Würdigung an. Hierzu ist die Aufklärungsrüge nicht das geeignete Mittel.
2. Das Beschwerdevorbringen ergibt auch nicht das Vorliegen des von der Beschwerde geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn für die angegriffene Entscheidung eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Um das i.S. des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen, muss eine solche Rechtsfrage bezeichnet und ein Hinweis auf den Grund gegeben werden, der die Anerkennung ihrer grundsätzlichen, d.h. allgemeinen Bedeutung rechtfertigen soll (vgl. statt vieler, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG VIII B 78.61 - BVerwGE 13, 90, 91 f.). Diese Erfordernisse erfüllt die Beschwerdebegründung nicht, wie auch die Beschwerde erkennt, indem sie einräumt, dass "der Fall des Klägers prima facie kaum über den Einzelfall hinausgeht". Grundsätzliche Bedeutung erhält die vorliegende Rechtssache aber auch nicht dadurch, dass der Kläger "im Rahmen der Grundsatzzulassung einen Anspruch auf Einzelfallgerechtigkeit unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidung der 1. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 8. Januar 2004 (NJW 2004, 1371 ff.) geltend macht, weil der Kläger unter grober Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes und seiner Würde über Jahrzehnte hinweg drangsaliert, gedemütigt und von der Ausübung seines Berufs - mit entsprechenden materiellen Nachteilen auf Lebenszeit - ferngehalten wurde".
Das Verwaltungsgericht hat entscheidungstragend angenommen, im vorliegenden Fall stellten die von dem Kläger vorgetragenen Kündigungen jedenfalls keine hoheitlichen Maßnahmen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerRehaG i.V.m. § 1 VwRehaG dar, weil auch der Staatliche Arbeitgeber insoweit nicht mit Mitteln des Verwaltungshandelns, sondern mit arbeitsrechtlichen Mitteln agiere. Auch eine staatliche Verfolgung i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG liege nicht vor, da eine individuelle politische Verfolgung des Täters nicht festgestellt werden könne. Angesichts dessen wäre es - um dem Darlegungsgebot des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zu genügen - erforderlich gewesen, in der Beschwerdebegründung herauszuarbeiten, welche noch klärungsbedürftige Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist und warum das zutreffen soll. Angaben dieser Art lässt die Beschwerde vermissen. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Begründung ihrer Ansicht, das angegriffene Urteil leide an Rechtsfehlern. Das rechtfertigt keine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. i.V.m. § 72 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I 718).