Beschluss vom 08.02.2007 -
BVerwG 5 B 100.06ECLI:DE:BVerwG:2007:080207B5B100.06.0

Beschluss

BVerwG 5 B 100.06

  • VGH Baden-Württemberg - 01.08.2006 - AZ: VGH 9 S 2479/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Februar 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. August 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1 245,58 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde, mit der die Klägerin geltend macht, der Verwaltungsgerichtshof habe ihr für den Zeitraum vom 30. März bis 11. April 1999 zu Unrecht den Kostenerstattungsanspruch nicht zugesprochen, bleibt ohne Erfolg.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin beimisst.

3 Dem Grund nach geht es der Klägerin entscheidend um die Frage,
„ob mit der Feststellung, dass kein weiterer Bedarf nach dem SGB VIII mehr besteht, Hilfen sofort rechtswidrig werden, oder dem Jugendhilfeträger angemessene Zeiträume verbleiben, um der gewonnenen Erkenntnis folgend, die Voraussetzungen für eine Beendigung der Hilfe zu schaffen und zu realisieren."

4 Im Anschluss an das Urteil des Senats vom 29. Juni 2006 - BVerwG 5 C 24.05 - zum Gebot der Gesetzeskonformität aufgewendeter Kosten (§ 89f Abs. 1 SGB VIII) macht sie geltend, dass die Entscheidung, ob ihr Kostenerstattungsanspruch auch für den Zeitraum vom 30. März bis 11. April 1999 bestehe, von der Klärung folgender Rechtsfragen abhänge:
„Endet die Inobhutnahme eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings zum Zeitpunkt des zwischen Jugendamt und Personensorgeberechtigten einvernehmlich festgestellten Wegfalls weiteren jugendhilferechtlichen Bedarfs auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt (noch) keine Übergabe des Jugendlichen an den Personensorgeberechtigten erfolgt?
Darf eine Inobhutnahme, wenn der Minderjährige nicht zwischenzeitlich gefahrlos an seine Personensorgeberechtigten übergeben werden kann, beendet werden, bevor eine Überleitung in eine andere Hilfeform tatsächlich erfolgt ist?
Ist diese Frage zu verneinen, macht es dann einen Unterschied, ob die anschließende Unterbringung des Jugendlichen auf der Grundlage eines Leistungsgesetzes des Sozialgesetzbuches oder auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes beruht?
Ist die tatsächlich fortgeführte Inobhutnahme bis zur Realisierung einer Lebensform außerhalb von Jugendhilfe rechtswidrig?

5 Diese Fragen rechtfertigten die Zulassung der Revision nicht, weil sie sich - soweit nach dem Urteil des Senats vom 12. August 2004 - BVerwG 5 C 51.03 -, durch welches der Senat den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen hatte, noch ein Klärungsbedarf bestehen sollte - nach den von dem Berufungsgericht getroffenen, mangels Durchgreifens der Verfahrensrüge für den Senat bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen nicht als für den Rechtsstreit entscheidungserheblich stellten.

6 1.1 Die auf die tatsächliche Beendigung einer Inobhutnahme bezogenen Fragen vernachlässigen, dass für den im Streit stehenden Kostenerstattungsanspruch nicht hinreichend ist, dass die von der Klägerin am 18. Dezember 1998 verfügte Inobhutnahme des ausländischen Jugendlichen S.Q. tatsächlich über den 29. März 1999 hinaus bis zum 11. April 1999 angedauert hat. Nach § 89f Abs. 1 SGB VIII sind die aufgewendeten Kosten einer tatsächlich fortgesetzten Maßnahme vielmehr nur zu erstatten, „soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften dieses Buches entspricht“.

7 An dieser Voraussetzung ändert nichts - wovon zutreffend auch das Berufungsgericht ausgegangen ist -, dass nach der rechtlichen Beurteilung des Senats in seinem Urteil vom 12. August 2004 - BVerwG 5 C 51.03 -, welches das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen hatte (§ 144 Abs. 6 VwGO) und gelegt hat, „die gerichtliche Kontrolle der Gesetzeskonformität aufgewendeter Jugendhilfekosten im Rahmen der Prüfung des Umfangs der Kostenerstattung gemäß § 89f SGB VIII (...) in der hier vorliegenden besonderen Fallgestaltung in Obhut genommener unbegleitet eingereister ausländischer Jugendlicher (§ 89d SGB VIII) in einer Einrichtung, welche bei materieller Betrachtung bereits eine grundsätzlich bedarfsgeeignete Hilfe erbringt, im Hinblick auf den kostenerstattungsrechtlichen Interessenwahrungsgrundsatz darauf beschränkt (ist), ob die in der Erstversorgungseinrichtung gewährte Hilfe - wegen Ungeeignetheit oder weggefallenen Hilfebedarfs - nicht mehr geboten war oder ob die Klägerin Anlass hatte, diese Hilfe bereits früher in eine weniger kostenintensive Hilfeform zu überführen“. Dabei ist in der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 8. Juli 2004 - BVerwG 5 C 63.03 - Buchholz 436.511 § 89d KJHG/SGB VIII Nr. 2 und vom 12. August 2004 - BVerwG 5 C 51.03 -) auch geklärt, dass „das Jugendamt, das sich mit der Inobhutnahme in einer besonderen Pflichtenstellung gegenüber den betroffenen Jugendlichen befindet und dabei in der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung zusätzlich die Rolle des Vormunds übernimmt, die es gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einzelnen seiner Beamten oder Angestellten überträgt, (...) jugendhilferechtlich verpflichtet (bleibt), im Zusammenwirken mit dem die Vormundschaft ausübenden Beamten die Art des jugendhilferechtlichen Bedarfs zu klären und eine Entscheidung über die gebotene Hilfe herbeizuführen. Es hat dafür Sorge zu tragen, dass die Verfahren in der gebotenen zügigen Weise mit dem Ziel einer Krisenklärung (entweder - bei andauerndem erzieherischen Bedarf - Überleitung der Inobhutnahme in eine Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 30, 34 SGB VIII oder - bei Wegfall eines jugendhilferechtlichen Bedarfs - Beendigung der Inobhutnahme) abgewickelt werden“. Hieraus folgt, ohne dass es neuerlicher oder weiterer revisionsgerichtlicher Klärung bedarf, dass bei einer Verletzung des Gebotes zügiger Krisenklärung die Kosten einer objektiv unnötigen und erkennbar ohne fortbestehenden jugendhilferechtlichen Bedarf fortgesetzten Inobhutnahme nicht i.S.d. § 89f Abs. 1 SGB VIII durch eine gesetzeskonforme Maßnahme entstanden und daher auch nicht zu erstatten sind.

8 Das Berufungsgericht ist auf dieser rechtlichen Grundlage zu der Bewertung gelangt, dass nach dem Vortrag der Klägerin am 29.März 1999 festgestanden habe, dass ein jugendhilferechtlicher Bedarf nicht (mehr) bestanden habe (Urteilsausdruck S. 12). Hat nach diesen Feststellungen die Klägerin nach den ihr zur Verfügung stehenden Informationen die Rechtswidrigkeit einer über den 29. März 1999 hinausreichenden Inobhutnahme erkennen können und diese beenden müssen, kann für den streitbefangenen Zeitraum die Gesetzeskonformität der Inobhutnahme auch nicht im Anschluss an das Urteil des Senats vom 29. Juni 2006 - BVerwG 5 C 24.05 - daraus hergeleitet werden, dass die Klägerin als der Kostenerstattung begehrende Jugendhilfeträger vernünftigerweise nicht anders als tatsächlich geschehen handeln konnte und dies auch für den auf Erstattung in Anspruch genommenen Jugendhilfeträger gilt. Soweit die Klägerin mit dem Bezug auf das Urteil des Senats vom 29. Juni 2006 - BVerwG 5 C 24.05 - der Sache nach auch den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO hätte geltend machen wollen, könnte auch dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, zumal nicht einmal im Ansatz erkennbar ist, dass, wie es erforderlich ist (Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712), das Berufungsgericht mit einem tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in dem herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht.

9 1.2 Dass es in Bezug auf ein nach § 89f Abs. 1 SGB VIII gestütztes Begehren auf Erstattung der aufgewendeten Kosten „einen Unterschied (macht), ob die anschließende Unterbringung des Jugendlichen auf der Grundlage eines Leistungsgesetzes des Sozialgesetzbuches oder auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes beruht“, ergibt sich jedenfalls für Fälle, in denen - wie hier nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts - für den maßgeblichen Zeitraum kein jugendhilferechtlicher Hilfebedarf besteht, unmittelbar aus dem Gesetz und ist in dem Urteil des Senats vom 12. August 2004 - BVerwG 5 C 51.03 - vorausgesetzt.

10 2. Die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung scheidet in Bezug auf die zu § 42 SGB VIII aufgeworfenen Fragen auch deswegen aus, weil diese Regelung durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz - KICK - vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729) umgestaltet worden ist. Rechtsfragen, die ausgelaufenes oder auslaufendes Recht betreffen, kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu (vgl. z.B.- m.w.N. - Beschluss vom 20. Dezember 2005 - BVerwG 5 B 84.05 -; s.a. Beschlüsse vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 und vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9); es ist nichts dafür dargetan, dass das ausgelaufene Recht noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in unabsehbarer Zukunft von Bedeutung sein könnte (vgl. u.a. Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 m.w.N., vom 23. Februar 1999 - BVerwG 2 B 11.99 - juris und vom 11. Februar 2005 - BVerwG 5 B 12.05 -).

11 3. Die Verfahrensrüge, mit welcher die Klägerin geltend macht, der Verwaltungsgerichtshof habe der Zurückweisung der Berufung für die Zeit nach dem 29. März 1999 einen unvollständigen und zugleich aktenwidrigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, greift nicht durch. Die Klägerin macht insoweit geltend, da ausweislich der Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (Urteilsausdruck S. 2/3) der Vormund des Jugendlichen S.Q. erst am 1. April 1999 dem vom Jugendamt vorgeschlagenen Vorgehen (Unterbringung des Jugendlichen in einer Jugendpension) zugestimmt habe, hätte der Verwaltungsgerichtshof die Feststellung, dass kein jugendhilferechtlicher Bedarf mehr bestanden habe, erst für diesen Tag treffen dürfen. Damit macht die Klägerin der Sache nach eine fehlerhafte Rechtsanwendung, aber nicht einen Verfahrensmangel geltend.

12 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskostenfreiheit besteht nach § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO (in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987) nicht. Diese Fassung des Gesetzes ist nach § 194 Abs. 5 VwGO anzuwenden, weil das Beschwerdeverfahren erst nach dem 1. Januar 2002 bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängig geworden ist (Beschluss vom 5. Mai 2004 - BVerwG 5 KSt 1.04 -); der insoweit entgegenstehenden Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, welche die Klägerin nicht beschwert, ist nicht zu folgen.

13 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718) und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Begehren auf Erstattung von in der Zeit vom 25. Februar bis 11. April 1999 entstandenen Jugendhilfekosten in Höhe von 3 858,60 € vor dem Berufungsgericht lediglich für die Zeit ab dem 30. März 1999 (= 13 Tage) unterlegen ist, was bei dem in Rechnung gestellten Tagessatz von 164,04 DM einen Betrag von 2 132,78 DM bzw. 1 254,58 € ergibt.