Beschluss vom 08.02.2008 -
BVerwG 2 B 123.07ECLI:DE:BVerwG:2008:080208B2B123.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.02.2008 - 2 B 123.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:080208B2B123.07.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 123.07

  • Hamburgisches OVG - 21.08.2007 - AZ: OVG 11 Bf 79/07.F

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Februar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und Groepper
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. August 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet. Mit dem angegriffenen Urteil weicht das Berufungsgericht nicht von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab und verletzt auch nicht die verfahrensrechtliche Pflicht des Gerichts, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 69 BDG).

2 Die Klägerin macht geltend, das Berufungsgericht habe in der erneuten Berufungsverhandlung den Ermittlungsauftrag des Revisionsgerichts missachtet und bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme nicht zulasten der Beklagten berücksichtigt, dass die Beweisaufnahme die Behauptung der Beklagten nicht bestätigt habe, die Klägerin habe das der Beklagten zur Last gelegte Verhalten gekannt und gebilligt.

3 Mit diesen Ausführungen wendet sich die Klägerin gegen die Bewertung tatrichterlicher Feststellungen und die Überzeugungsbildung des Gerichts. Sie legt damit jedoch keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar.

4 1. Eine solche Divergenz liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung einer konkreten Norm des revisiblen Rechts einen tragenden abstrakten Rechtssatz aufstellt, der im Widerspruch zu einem zur selben Norm aufgestellten abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts steht. Das ist hier nicht der Fall.

5 Mit ihrer Rüge bezieht sich die Klägerin auf den im Beschluss des Senats vom 8. Februar 2007 - BVerwG 2 B 9.07 - enthaltenen Passus:
Hier allerdings drängte sich eine weitere Beweisaufnahme auf, auch ohne dass die Beklagte sie förmlich beantragen musste. Denn wie sich aus den Darlegungen auf S. 13 des Urteilsabdrucks ergibt, war dem Berufungsgericht klar, dass es einen wesentlichen Entlastungsgrund darstellen konnte, wenn sich die Behauptung der Beklagten als wahr erwiesen hätte, dass ihre Vorgesetzten von der von der Beklagten geübten Praxis Kenntnis und sie stillschweigend geduldet oder sogar ausdrücklich gebilligt hatten, zumal „es allem Anschein nach geduldet war, dass die in der Abteilung der Beklagten tätigen Beamten verschiedene Dinge, die sonst vernichtet worden wären, der unzustellbaren Post entnehmen durften ...“.

6 Diese Ausführungen sind kein abstrakter Rechtssatz im vorgenannten Sinne, sondern fallbezogene Ausführungen zur Anwendung eines anderen, den Umfang der aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden Aufklärungspflicht definierenden Rechtssatzes. Von jenem Satz und der fallbezogenen Konkretisierung in dem zitierten Beschluss ist das Berufungsgericht ersichtlich ausgegangen, indem es die entsprechende Beweisaufnahme durchgeführt hat. Ob es aus der Beweisaufnahme die zutreffenden oder die von der Klägerin für geboten erachteten Schlüsse gezogen hat, ist keine Frage einer möglichen Divergenz.

7 Soweit die Beschwerde möglicherweise auch die Rüge einer Abweichung des Berufungsurteils von den Urteilen des Senats vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.> und vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 C 25.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 („in einem ähnlich gelagerten Fall“) erheben will, entspricht die Rüge jedenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine Divergenz ist im Sinne dieser Vorschrift nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden, abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 28. Juli 2004 - BVerwG 1 B 22.04 - Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 65). Dem genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Damit wird eine „in sich schon falsche“ Verhältnismäßigkeitsprüfung beanstandet, bei der auch noch die „Schwere der Tat“ unberücksichtigt geblieben sei. Auf diese Weise greift die Beschwerde nur das Ergebnis der Anwendung von Rechtssätzen auf den vorliegenden Einzelfall als unrichtig an. In einem Revisionsverfahren nach Zulassung der Revision könnte die Klägerin damit möglicherweise gehört werden. Eine Darlegung divergierender Rechtssätze liegt darin hingegen nicht. Einen Rechtssatz, dass die Schwere des Dienstvergehens bei der gebotenen Gesamtwürdigung nicht zu berücksichtigen wäre, hat das Berufungsgericht auch keineswegs aufgestellt - das Gegenteil ist der Fall (vgl. S. 15 f. des angefochtenen Urteils).

8 2. Der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verankerte Überzeugungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, bei seiner freien Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zu berücksichtigen. Dies schließt es ein, auch das Ergebnis einer Beweisaufnahme zu würdigen und in die Überzeugungsbildung einzubeziehen. Ob das Gericht auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage entschieden hat, ist grundsätzlich eine dem materiellen Recht zuzuordnende Frage der Tatsachen- und Beweiswürdigung (vgl. hierzu Urteil vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 17.98 - BVerwGE 108, 84 <87>), auf die eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden kann. Ein Verfahrensverstoß kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen und wenn es deshalb seiner Überzeugungsbildung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, oder allenfalls noch bei einer von Willkür geprägten Beweiswürdigung (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209> und Beschluss vom 20. August 2003 - BVerwG 1 B 463.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 275). Für eine derart grobe und eindeutige Verletzung des Gebots der freien Beweiswürdigung lässt sich der Beschwerde nichts entnehmen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht seiner Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt und seiner Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten sowie den festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde gelegt hat. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass ein Gericht seine Pflicht zur richtigen und vollständigen Berücksichtigung des entscheidungserheblichen, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens geschöpften Tatsachenstoffs verletzt hat, kann ein Verstoß im Einzelfall festgestellt werden (vgl. entsprechend zur Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG etwa BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216 f.> m.w.N.). Lässt das Gericht in seiner Entscheidung gewichtige Tatsachen oder Tatsachenkomplexe, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt, unerwähnt, so spricht dies allerdings dafür, dass es sie entweder nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. Beschlüsse vom 20. August 2003 a.a.O. und vom 9. November 2006 - BVerwG 1 B 134.06 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 48). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Indem das Berufungsgericht es nach ausführlicher Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme letztlich hat dahinstehen lassen, ob der von der Beklagten geltend gemachte Milderungsgrund anzunehmen war, ist es erkennbar - zulasten der Beklagten - von dessen Unerweislichkeit ausgegangen. Es hat dabei nachvollziehbar dargelegt, dass es auch unter Berücksichtigung dieses die Beklagte nicht entlastenden Umstandes lediglich eine Kürzung des Ruhegehalts für angemessen gehalten hat, die wegen des Maßnahmeverbots des § 14 BDG jedoch nicht verhängt werden konnte. Dies ist revisionszulassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben (§ 78 Abs. 1 Satz 1 BDG).