Beschluss vom 08.06.2004 -
BVerwG 4 BN 19.04ECLI:DE:BVerwG:2004:080604B4BN19.04.0

Beschluss

BVerwG 4 BN 19.04

  • Thüringer OVG - 02.12.2003 - AZ: OVG 1 N 290/99

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juni 2004
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a ,
Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Divergenzrüge greift nicht durch. Sie genügt nicht den formellen Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz sich in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch gesetzt hat. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzung hier erfüllt ist.
In dem von der Antragsgegnerin zitierten Beschluss vom 9. Februar 1989 - BVerwG 4 B 234.88 - hat der Senat in Anknüpfung an ältere Rechtsprechung den Rechtssatz aufgestellt, dass nur die einem planfestgestellten Straßenbauvorhaben benachbarten Grundstücke vor nachteiligen Wirkungen im Sinne des § 17 Abs. 4 FStrG a.F. geschützt sind. Diese Rechtsansicht hat das Normenkontrollgericht nicht in Zweifel gezogen. Durch § 17 Abs. 4 FStrG a.F. wurden Fragen der straßenrechtlichen Planfeststellung geregelt. Die Vorschrift ist inzwischen aufgehoben worden. An ihre Stelle ist § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG getreten, der eine nahezu wortgleiche, inhaltlich identische Regelung enthält. Im Bereich der Bauleitplanung gibt es eine vergleichbare Bestimmung nicht. Für Lärmbeeinträchtigungen trifft der Gesetzgeber freilich in den §§ 41 und 42 BImSchG eine Sonderregelung, die auch beim Bau einer öffentlichen Straße auf der Grundlage eines Bebauungsplans gilt. Das Normenkontrollgericht hat sich indes nicht auf diese Vorschriften gestützt. Es hat vielmehr in Anwendung des § 1 Abs. 6 BauGB, der im Planfeststellungsrecht eine Entsprechung in § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG findet, aus dem Abwägungsgebot abgeleitet, dass der angegriffene Bebauungsplan unter Lärmschutzgesichtspunkten an einem Mangel leidet. Unter diesem Blickwinkel hat der Senat im Beschluss vom 9. Februar 1989 keine Erwägungen angestellt, über die sich das Normenkontrollgericht hätte hinwegsetzen können.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsgegnerin beilegt. Die Frage, "ob und in welchem Umfang auch Auswirkungen des jeweiligen Vorhabens auf die weitere Umgebung in die Abwägung einzustellen sind", rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Antragsgegnerin zeigt insoweit keinen Klärungsbedarf auf.
Es entspricht seit der Grundsatzentscheidung vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78 u.a. - (BVerwGE 59, 87) ständiger Rechtsprechung des Senats, dass bei der nach § 1 Abs. 6 BauGB gebotenen Abwägung alle Belange zu berücksichtigen sind, denen städtebauliche Relevanz zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215). Zum Kreis dieser abwägungserheblichen Belange gehört auch das Interesse, vor vermehrten Verkehrslärmimmissionen bewahrt zu bleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1999 - BVerwG 4 CN 6.98 - Buchholz 406.11 § 214 BauGB Nr. 14). Der Gesetzgeber bewertet dieses Interesse nicht bloß im Immissionsschutzrecht (vgl. §§ 3, 40 ff. BImSchG) als schutzbedürftig. Auch im Bauplanungsrecht verhält er sich den Belangen des Verkehrslärmschutzes gegenüber nicht neutral (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 Nrn. 1 und 7, § 5 Abs. 2 Nr. 6 und § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB). Als Abwägungsposten beachtlich ist das Lärmschutzinteresse nicht erst, wenn die Geräuschbeeinträchtigungen im Sinne des § 41 Abs. 1 BImSchG als schädliche Umwelteinwirkungen zu qualifizieren sind, die einen Kompensationsanspruch nach sich ziehen, oder gar die Schwelle der Gesundheitsgefährdung überschreiten, die eine absolute Planungssperre markiert. Auch Verkehrslärm, der nicht aufgrund der Wertungen des einfachen oder des Verfassungsrechts als unzumutbar einzustufen ist, kann im Rahmen der Abwägungsentscheidung den Ausschlag geben. In die Abwägung braucht er nur dann nicht eingestellt zu werden, wenn das Interesse, vor ihm bewahrt zu bleiben, nicht schutzwürdig ist oder mit so geringem Gewicht zu Buche schlägt, dass es als planungsrechtlich vernachlässigenswerte Größe außer Betracht bleiben kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Februar 1992 - BVerwG 4 NB 11.91 - und vom 18. März 1994 - BVerwG 4 NB 24. 93 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nrn. 47 und 88). Dies hängt nicht davon ab, ob das lärmbetroffene Grundstück innerhalb oder außerhalb des überplanten Gebiets liegt. Erzeugt die Planung jenseits der Grenzen des festgesetzten Baugebiets abwägungsrelevante Lärmschutzkonflikte, so darf sich die Gemeinde der Bewältigung der hierdurch ausgelösten Probleme nicht allein mit der Bemerkung entziehen, den Geltungsbereich des Bebauungsplans aus guten Gründen auf einen engeren Raum beschränkt zu haben (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1989 - BVerwG 4 NB 18.88 - und vom 18. Mai 1994 - BVerwG 4 NB 15.94 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nrn. 42 und 73). Ist ein mit vermehrten Lärmimmissionen verbundenes erhöhtes Verkehrsaufkommen in der Umgebung des Plangebiets nicht das Ergebnis einer allgemeinen Veränderung der Verkehrslage, sondern - entfernungsunabhängig - eine planbedingte Folge, so ist das Lärmschutzinteresse der Betroffenen, sofern es in abwägungserheblicher Weise zu Buche schlägt, als Teil des Abwägungsmaterials bei der Planungsentscheidung zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 1998 - BVerwG 4 CN 1.97 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 126; Beschluss vom 28. November 1995 - BVerwG 4 NB 38.94 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 109).
Das Normenkontrollgericht hat einen Ursachenzusammenhang zwischen der von den Antragstellern angegriffenen Straßenplanung und der Zunahme des Verkehrslärms im Bereich der Binderslebener Landstraße angenommen und die Abwägungsrelevanz der Lärmmehrbelastung bejaht. Die Antragsgegnerin zieht dies in Zweifel. Ob ihre Einwände berechtigt sind, kann dahinstehen. Sie verleihen der Rechtssache jedenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob Lärmschutzinteressen die Qualität eines Abwägungsbelangs haben, ist ebenso wie die Frage, mit welchem Gewicht sie sich ggf. in der Konkurrenz mit anderen Belangen behaupten, nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise über den anhängigen Rechtsstreit hinaus klärungsfähig. Sie richtet sich vielmehr nach den konkreten Gegebenheiten der jeweiligen Planungssituation.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.