Beschluss vom 08.06.2006 -
BVerwG 1 B 60.05ECLI:DE:BVerwG:2006:080606B1B60.05.0

Beschluss

BVerwG 1 B 60.05

  • Bayerischer VGH München - 12.04.2005 - AZ: VGH 24 B 04.1658

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juni 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Richter
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. April 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

2 1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen.

3 a) Die Beschwerde hält folgende Fragen für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig:
(1) „Ist Art. 13 ARB 1/80 so zu bewerten, dass unter den Begriff der Einführung ‚neuer Beschränkungen’ nur gesetzl. Neuregelungen (bzw. ggf. auch Regelungen durch eine Rechtsverordnung) zu verstehen sind, oder ist insoweit ein allg. Verschlechterungsverbot für die betr. Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen in der Vorschrift beinhaltet, das auch für den Kreis der Begünstigten eine Verschärfung beispielsweise auch der Kriterien für die Ausweisung durch Behörden- und Gerichtsentscheidungen ausschließt?“
(2) „Ist Art. 13 ARB 1/80 so zu beurteilen, dass nicht nur die Einführung von Verschlechterungen in Gesetz und Rechtsprechung (sowie der Verwaltungspraxis), sondern auch der Wegfall von Vergünstigungen erfasst wird?“
(3) „Ist in der Systematik der rechtl. Überprüfung einer Ausweisungsentscheidung bezügl. eines durch den ARB 1/80 privilegierten türk. Staatsangehörigen ein etwaiger Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 im Rahmen der Überprüfung auf der Basis des innerstaatl. Rechts vorzunehmen?“

4 Die Beschwerde macht geltend, der Inhalt des Art. 13 ARB 1/80 bedeute nicht nur eine Strukturfestlegung im Ausweisungsbereich auf die alleinige Möglichkeit einer Ermessensentscheidung, wie sie hier ergangen sei. Vielmehr bedeute das allgemeine Verbot von Verschlechterungen der Rechtssituation der betroffenen türkischen Staatsangehörigen, dass auch eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die unter Beibehaltung der rechtlichen Vorschriften, d.h. also in Ermessensentscheidungen im Einzelfall, zunehmend die Ausweisungspraxis für die betreffenden türkischen Staatsangehörigen verschlechtere, als Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 zu bewerten wäre.

5 Damit und mit ihrem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO entsprechenden Weise auf.

6 Hinsichtlich der ersten beiden Fragen fehlt es an der erforderlichen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, inwiefern seit Wirksamwerden des ARB 1/80 im Jahre 1980 (d.h. zur Zeit der Geltung des Ausländergesetzes 1965) - im vorliegenden Fall erhebliche - „neue Beschränkungen“ im Sinne von Art. 13 ARB 1/80 in anderer Form als durch gesetzliche Neuregelungen oder durch den „Wegfall von Vergünstigungen“ entstanden sein sollen (vgl. zu den Voraussetzungen neuer Beschränkungen im Sinne des ähnlich gefassten Art. 41 Zusatzprotokoll Urteil vom 26. Februar 2002 - BVerwG 1 C 21.00 - BVerwGE 116, 55 <60 ff., 66> mit Hinweis auf die Übertragbarkeit auf Art. 13 ARB 1/80). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sich - etwa aufgrund einer neuen Verwaltungspraxis - eine „Verschlechterung“ der Situation des Klägers ergeben hat, obwohl er seinem eigenen Vorbringen zufolge - ebenso wie es nach § 10 AuslG 1965 der Fall gewesen wäre - aufgrund einer Ermessensentscheidung ausgewiesen worden ist. Soweit die Beschwerde geltend macht, der Kläger hätte nach den Regelungen des Ausländergesetzes 1990 in der ursprünglichen Fassung nicht ausgewiesen werden dürfen, beruft sich die Beschwerde gerade nicht auf eine Änderung in anderer als gesetzlicher Form, sondern sucht die angebliche Unzulässigkeit der Ausweisung aus einer späteren Gesetzesänderung herzuleiten (vgl. Beschwerdebegründung S. 2, 3. Abs.). Diese - mithin nicht erheblichen - Darlegungen sind im Übrigen auch im Hinblick auf die behauptete Verschlechterung der Gesetzeslage verfehlt. Sie berücksichtigen nicht die nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, denen zufolge von dem Kläger eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht und eine positive Prognose zu keinem Zeitpunkt gestellt werden konnte. Schließlich legt die Beschwerde auch nicht - wie erforderlich - substantiiert dar, aus welchen Gründen die aufgeworfene dritte Frage der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf.

7 b) Die Beschwerde hält darüber hinaus die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob für die Berechnung der Fünfjahresfrist des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, der wortgleich in § 53 Nr. 1 AufenthG übernommen wurde, vom Zeitpunkt der Rechtskraft der jeweiligen Verurteilung auszugehen ist oder von anderen Zeitpunkten.

8 Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, da sie sich ohne weiteres beantworten lässt, ohne dass es dazu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. Nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG (jetzt § 53 Nr. 1 AufenthG) ist ein Ausländer u.a. auszuweisen, wenn er wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren r e c h t s k r ä f t i g verurteilt worden ist. Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich also, dass für die Berechnung der Fünfjahresfrist auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Urteile abzustellen ist (vgl. BU S. 6). Für diese Auslegung sprechen auch Gründe der Rechtssicherheit und Praktikabilität, da der Tag der Rechtskraft einer strafrechtlichen Verurteilung eindeutig und zweifelsfrei feststellbar ist. Dies gilt hingegen - je nach Fallkonstellation - nicht notwendig für den Tatzeitpunkt, auf den die Beschwerde abstellen will. Eine solche Auslegung wäre vor allem mit dem Wortlaut der Vorschrift ebenso wenig vereinbar wie ein Abstellen auf den Zeitpunkt der strafrechtlichen Erstverurteilung.

9 2. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde weiter einen Verfahrensmangel. Sie macht geltend, im Berufungsverfahren habe die Vorsitzende Richterin ihre Hinweispflicht gemäß § 86 Abs. 3 VwGO und die Erörterungspflicht gemäß § 104 Abs. 1 VwGO verletzt. Es sei, ohne dass den Beteiligten hierüber auch nur eine Andeutung gemacht worden sei, davon ausgegangen worden, „dass die Frage des Vorliegens und der Anwendung des Art. 13 ARB 1/80 - offenkundig, wie sich der Entscheidung nun entnehmen lässt, deshalb, weil durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2004 ohnehin nunmehr eine Ausweisung nach Ermessen in Betracht kam - keine Bedeutung mehr für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits haben sollte“. Damit und mit ihren weiteren Ausführungen zeigt die Beschwerde nicht in einer den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entsprechenden Weise das Vorliegen eines Verfahrensmangels auf. Insbesondere macht die Beschwerde nicht ersichtlich, dass das Berufungsurteil - angesichts der auch von der Beschwerde angenommenen Ermessensentscheidung über die Ausweisung - auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (vgl. auch oben 1.a).

10 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG.