Beschluss vom 09.02.2005 -
BVerwG 7 B 160.04ECLI:DE:BVerwG:2005:090205B7B160.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 160.04

  • Bayerischer VGH München - 07.10.2004 - AZ: VGH 22 A 03.40036

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Die Kläger wenden sich gegen die Teilgenehmigung zum Betrieb eines Forschungsreaktors mit 20 Megawatt thermischer Leistung - 3. Teilgenehmigung -. Ihre zuvor erhobenen Klagen gegen die ersten beiden Teilgenehmigungen, die den Bau der Anlage und die nicht-nukleare Inbetriebsetzung zum Gegenstand haben, blieben erfolglos; beide Genehmigungen sind bestandskräftig. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ihre Klage gegen die 3. Teilgenehmigung abgewiesen, weil sie durch diese Genehmigung nicht in ihren Rechten verletzt würden.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Es ist weder die gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erkennbar (1.), noch weist der Rechtsstreit die nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf (2.). Schließlich liegt auch der nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügte Verfahrensmangel nicht vor (3.).
1. Die Kläger berufen sich auf eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - (BVerwGE 106, 115 <127 f.>). Diese sehen sie darin, dass der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung sei, von einer Überprüfung der behördlichen Zuordnung bestimmter Szenarien (gezielter Flugzeugabsturz; terroristische Einwirkung durch sog. Innentäter) zum Restrisikobereich absehen zu können, wenn selbst bei einer - von der Behörde nicht vorgenommenen - hypothetischen Zuordnung der Szenarien zum Vorsorgebereich die Sicherheitsanforderungen nach § 7 des Atomgesetzes - AtG - gewahrt seien. Demgegenüber habe das Bundesverwaltungsgericht in dem herangezogenen Urteil entschieden, dass das Gericht die behördliche Risikoeinschätzung und -beurteilung, die im Vorsorgebereich grundlegend anders als im Risikobereich sei, gerade nicht antizipieren dürfe; es dürfe keine eigenen Bewertungen treffen, welche die Behörde selbst nicht getroffen habe.
Die geltend gemachte Abweichung rechtfertigt schon deswegen nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, weil das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs teilweise nicht auf der gerügten Divergenz beruht und im Übrigen diese Abweichung nicht besteht.
Wie der Beklagte und die Beigeladene zu Recht vortragen, hat der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung in erster Linie darauf gestützt, dass den von den Klägern gegen gezielte Flugzeugabstürze und terroristische Innentäter geforderten sicherheitstechnischen Maßnahmen die Bestandskraft der ersten und zweiten Teilgenehmigung entgegensteht. Insoweit kommt es für den Bestand des Urteils auf die hilfsweise angestellten Überlegungen zur Risikobewertung dieser Szenarien nicht an.
Soweit zur Abwehr sog. terroristischer Innentäter neben sicherheitstechnischen auch personell-organisatorische Maßnahmen in Betracht kommen, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass die Behörde entsprechende Vorkehrungen im Betriebsreglement getroffen, die Vorgaben der entsprechenden Regelwerke beachtet habe und insoweit Ermittlungs- und Bewertungsfehler nicht erkennbar seien. Die Behörde hat dieses Risiko, soweit es administrativ zu bewältigen ist, somit - anders als die Kläger mit ihrer Abweichungsrüge geltend machen - durchaus in ihr Schutzkonzept einbezogen und keineswegs in den Restrisikobereich verwiesen. Angesichts dessen ist die gerügte Abweichung nicht erkennbar. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der von den Klägern herangezogenen Entscheidung (a.a.O., S. 127 f.) den Rechtssatz aufgestellt, dass das Gericht nicht anstelle der die Risikoverantwortung tragenden Behörde die Ergebnisrelevanz eines festgestellten Ermittlungs- und Bewertungsdefizits beurteilen dürfe. Ein solches Defizit hat der Verwaltungsgerichtshof hier gerade verneint. Er hat im Gegenteil deutlich gemacht, dass er keine Zweifel an der Wirksamkeit der Schutzvorkehrungen gegen terroristische Innentäter habe. Angesichts dessen konnte er in der Tat offen lassen, ob ein solches Szenario dem Restrisikobereich zuzuordnen wäre.
2. a) Aus den vorstehenden Ausführungen zu 1. ergibt sich zugleich, dass die von den Klägern als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
ob ein Gericht von der Überprüfung der behördlichen Zuordnung eines bestimmten Geschehensablaufs zum Restrisikobereich absehen könne, weil es der Auffassung sei, dass auch bei einer hypothetischen Zuordnung zum Vorsorgebereich die Sicherheitsanforderungen nach § 7 AtG erfüllt seien,
sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde.
b) Auch die im Anschluss daran aufgeworfene Frage der Kläger,
ob das Gericht die Entscheidung der Behörde, Gründe für eine Rücknahme oder einen Widerruf der vorausgegangenen Teilgenehmigungen lägen nicht vor, so dass auch die letzte Teilgenehmigung ergehen könne, völlig ungeprüft übernehmen und seiner Entscheidung zugrunde legen dürfe, oder ob es wenigstens eine Evidenzkontrolle der behördlichen Entscheidung vornehmen müsse,
führt nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; denn sie ist - wie die Kläger selbst ausführen - bereits geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht
hat mit Urteil vom 22. Januar 1997 - BVerwG 11 C 7.95 - (BVerwGE 104, 36 <42>) dargelegt, dass es nicht zulässig ist, Widerrufs- oder Rücknahmegründe, die frühere Teilgenehmigungen betreffen, einredeweise im Anfechtungsprozess gegen eine neue Teilgenehmigung anzuführen, weil anderenfalls die gesetzlich angeordnete Trennung von Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren beseitigt wäre. Für eine inhaltliche Überprüfung der im aufsichtlichen Verfahren getroffenen Entscheidung über solche Widerrufs- oder Rücknahmegründe ist demnach im Anfechtungsprozess gegen die neue Teilgenehmigung kein Raum.
Zu Unrecht sehen die Kläger durch diese Rechtsprechung die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verletzt; denn der notwendige Rechtsschutz wird dadurch gewährleistet, dass sie Rücknahme- oder Widerrufsgründe hinsichtlich früherer Teilgenehmigungen im Wege der Verpflichtungsklage durchsetzen und damit neuen Teilgenehmigungen die Grundlage entziehen können.
c) Die weitere von den Klägern formulierte Frage,
ob es mit dem vom Bundesverfassungsgericht im Kalkar-Urteil geprägten Begriff des Restrisikos vereinbar sei, innerhalb des Restrisikos einen Bereich zu konstruieren, in dem die Verwaltung zwar risikominimierende Maßnahmen verlangen könne, ein Drittschutz aber nicht bestehe,
würde sich wiederum in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil die Zuweisung bestimmter Szenarien zum Bereich des Restrisikos - wie dargelegt - nicht entscheidungserheblich war. Abgesehen davon ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass restrisikominimierende Maßnahmen nicht dem Drittschutz unterliegen (vgl. BVerwG, a.a.O. S. 44 ff.).
d) Die abschließende Frage der Kläger,
ob sich die Behörde bei der Zuordnung bestimmter Szenarien vom Restrisiko- oder vom Vorsorgebereich auf eine reine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung beschränken darf, oder ob sie das Maß des hinzunehmenden Restrisikos durch eine umfassende Abwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden Umstände ermitteln muss,
wäre ebenfalls in einem Revisionsverfahren nicht zu beantworten. Auch hier gilt, dass die Klage in erster Linie wegen der Bestandskraft der ersten und zweiten Teilgenehmigungen abgewiesen worden ist sowie deswegen, weil die Schutzvorkehrungen gegen terroristische Innentäter ein Ermittlungs- und Bewertungsdefizit nicht haben erkennen lassen.
3. Schließlich ist auch der gerügte Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht feststellbar. Die Kläger sehen eine Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO darin, dass der Verwaltungsgerichtshof kein Sachverständigengutachten darüber eingeholt hat, ob der genehmigte Reaktor "von seiner tatsächlichen Konzeption her sicher genug" sei. Soweit diese Rüge die technische Sicherheit des Forschungsreaktors betrifft, vernachlässigt sie wiederum, dass die Abweisung der Klage insofern durch die Bestandskraft der ersten und zweiten Teilgenehmigung getragen wird. Soweit die Rüge auf die Beherrschbarkeit von Sabotageszenarien zielt, haben die Kläger ausweislich des angegriffenen Urteils weder substantiierte Bedenken gegen das administrativ-organisatorische Sicherungskonzept des Beklagten vorgetragen noch ein rechtserhebliches Defizit aufgezeigt. Schon deshalb bestand aus der materiellrechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichtshofs keine Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1
und § 72 Nr. 1 GKG.