Beschluss vom 09.04.2002 -
BVerwG 9 B 24.02ECLI:DE:BVerwG:2002:090402B9B24.02.0

Beschluss

BVerwG 9 B 24.02

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 19.12.2001 - AZ: OVG 2 L 76/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. April 2002
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
V a l l e n d a r und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 123 248,77 € festgesetzt.

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde hat in der von der Beschwerde bezeichneten Richtung keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
"ob die kumulative Bestimmung von Grundstückseigentümern und Abfallbesitzern als Gebührenschuldner auf § 6 Abs. 5 KAG gestützt werden kann",
beantwortet sich ausschließlich nach Landesrecht. Sie ist somit in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie nicht revisibles Recht betrifft (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO).
b) Die weitere Frage,
"ob der Senat von Amts wegen verpflichtet gewesen wäre, zu prüfen, ob der Gebührenbescheid in Form des Widerspruchsbescheides im Wege der Umdeutung auf Basis einer Rechtsgrundlage rechtswirksam sein könnte",
macht eine fallübergreifende Bedeutung nicht erkennbar. Letztlich handelt es sich um einen in Frageform gekleideten Angriff gegen die Rechtsanwendung der Vorinstanz. Eine Grundsatzrüge kann aber nicht allein mit einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen durch die Vorinstanz begründet werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26, S. 14).
c) Die schließlich von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
"ob vor dem Hintergrund des bundesrechtlichen Grundsatzes von Treu und Glauben das Gericht vorliegend nicht zum Festhalten an seiner zuvor geäußerten Rechtsauffassung in gleicher Sache, bei gleichem Sachverhalt und gleicher Rechtsfrage verpflichtet gewesen wäre",
würde sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen. Der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangene Beschluss der Vorinstanz vom 27. Juni 1994 - 2 M 38/94 - befasst sich mit der Frage, ob i.S.v. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der dort streitigen Gebührenerhebung bestehen. Dabei hat die Vorinstanz Ausführungen zur Auslegung von § 6 Abs. 5 KAG gemacht, um den Einwand des Gebührenschuldners zu entkräften, er habe nicht mit einer rückwirkenden Satzungsänderung rechnen müssen. In dem angefochtenen Urteil stellt die Vorinstanz auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht mehr tragend ab, sondern kommt bereits in Auslegung von § 6 Abs. 5 KAG zu dem Ergebnis, dass der Eigentümer eines zu gewerblichen Zwecken verpachteten Grundstücks in einer Abfallgebührensatzung nicht zum Gebührenschuldner bestimmt werden dürfe, wenn ihm keine Abwälzung der Gebühr auf den Pächter möglich sei. Bei diesem Sachverhalt kommt eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben offensichtlich nicht in Betracht. Es braucht aus diesem Grunde auch nicht in einem Revisionsverfahren geklärt zu werden, ob es andere Fallgestaltungen geben mag, in denen der genannte Grundsatz einem Gericht entgegengehalten werden könnte.
2. Die Beschwerde kann auch nicht mit den von ihr erhobenen Verfahrensrügen durchdringen.
a) Die Beschwerde rügt zunächst eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG). Die Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, dass die Vorinstanz in ihrer Entscheidung auf eine Auslegung des § 6 Abs. 5 KAG abstellen würde, die von der im Beschluss vom 27. Juni 1994 verlautbarten Rechtsauffassung abweiche. Insofern liege ein Überraschungsurteil vor.
Mit dieser Rüge stellt die Beschwerde überspannte Anforderungen an die Hinweispflichten der Vorinstanz. Das rechtliche Gehör wird erst dann verletzt, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Beschluss vom 13. Oktober 1994 - 2 BvR 126/94 - DVBl 1995, 34 f.). Was die rechtliche Würdigung des Sachverhalts angeht, ist das Gericht aber nicht verpflichtet, die Beteiligten schon vorab darauf hinzuweisen, auf welche von mehreren denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten es seine Entscheidung stützen und wie es sie im Einzelnen begründen will (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 1987 - BVerwG 2 B 85.87 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 20 m.w.N.). Das Gericht darf seine Entscheidung lediglich nicht auf neue Gesichtspunkte stützen, ohne dass die Beteiligten damit rechnen konnten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 1994 - BVerwG 6 B 87.93 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 335; Beschluss vom 29. Februar 2000 - BVerwG 4 B 13.00 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 29). Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz dem Rechtsstreit indes nicht eine in diesem Sinne unvorhersehbare Wendung gegeben.
Zwischen den Prozessbeteiligten war von Anfang an auch die Frage streitig, ob die satzungsgemäße Gebührenpflicht des Grundstückseigentümers auf § 6 Abs. 5 KAG gestützt werden konnte. Nach summarischer Prüfung (UA S. 8) war die Vorinstanz im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu der Erkenntnis gelangt, dass die Anwendbarkeit dieser Vorschrift unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keinen ernsthaften Zweifeln unterliegt. Die Beklagte konnte jedoch nicht davon ausgehen, dass die abschließende rechtliche Prüfung in einem Hauptsacheverfahren der Vorinstanz nicht Anlass geben würde, in eine vertiefte Prüfung dieser Vorschrift einzutreten, die weiterführende Überlegungen zur Folge haben konnte. Ein solcher Anlass war für die Vorinstanz ersichtlich gegeben (UA S. 10), nachdem in der Zwischenzeit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91, 315/99 - (DVBl 2000, 1275, 1278 f.) aus Art. 14 Abs. 1 GG eine Beschränkung der Altlastenhaftung des Grundstückseigentümers hergeleitet hatte. Es bestand für die Vorinstanz keine Pflicht, auf diese neue Entscheidung, die veröffentlicht vorlag und in juristischen Fachkreisen allgemein bekannt war, ausdrücklich aufmerksam zu machen. Die sich aus dieser Entscheidung ergebenden Parallelen zum vorliegenden Sachverhalt mussten sich der Beklagten ebenfalls ohne einen Hinweis des Gerichts aufdrängen. Insofern ist die Behauptung der Beschwerde, die Beklagte habe nicht mehr damit rechnen müssen, dass nach dem Beschluss vom 27. Juni 1994 die Zulässigkeit der Gebührenerhebung nach § 6 Abs. 5 KAG "noch einmal Thema" der Vorinstanz werden könne, nicht nachvollziehbar.
b) Soweit die Beschwerde rügt, dass die Vorinstanz nicht die Möglichkeit einer Umdeutung geprüft habe, wird nicht deutlich, welche Verfahrensvorschrift sie insoweit als verletzt ansieht. Ein Verfahrensmangel ist insoweit nicht i.S.v. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 13 Abs. 2, § 14 GKG.