Beschluss vom 09.07.2012 -
BVerwG 8 B 48.12ECLI:DE:BVerwG:2012:090712B8B48.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.07.2012 - 8 B 48.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:090712B8B48.12.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 48.12

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Juli 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen den Beschluss des Senats vom 7. Mai 2012 - BVerwG 8 B 15.12 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge der Klägerin mit dem Antrag, das Verfahren in die Lage vor Erlass des Beschlusses des Senats vom 7. Mai 2012 - BVerwG 8 B 15.12 - zurückzuversetzen und die Revision zuzulassen, ist unbegründet. Der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt.

2 Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, die Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind (BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392 f.> m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 m.w.N. und vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267). Eine Verletzung des Anspruchs ist allerdings nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 - 2 BvR 1086/74 - BVerfGE 40, 101 <104 f.>). Dazu muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1976 - 2 BvR 558/75 - BVerfGE 42, 364 <373>). Nur der wesentliche Kern des Tatsachenvorbringens einer Partei, der nach der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist, muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden (Urteil vom 20. November 1995 a.a.O.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist dann festzustellen und gegeben, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, Beschlüsse vom 1. Februar 1978 - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <187 f.> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>). Solche Umstände sind vorliegend nicht erkennbar.

3 Die Klägerin meint, der Senat habe den Kernvortrag der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung nicht zur Kenntnis genommen und/oder nicht in Erwägung gezogen, weil er sich in seinem Beschluss mit der zentralen Argumentation der Beschwerde zu den Voraussetzungen, wann ein Enteignungsverbot der sowjetischen Besatzungsmacht als aufgehoben anzusehen sei (Befehlsform im förmlichen Sinne, verbindliche Enteignungsanweisung durch maßgebliche Organe oder zumindest maßgebliche Angehörige der sowjetischen Besatzungsmacht), nicht konkret auseinander gesetzt habe. Dazu habe insbesondere deshalb Veranlassung bestanden, weil dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. März 2007 (BVerwG 8 C 28.05 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 36) zu entnehmen sei, dass die Besonderheiten des Falles einer Rückgabeanordnung der Besatzungsmacht „nur ausnahmsweise“ den Charakter eines den besatzungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang unterbrechenden Enteignungsverbotes nehmen könnten.

4 Der Senat hat diesen Vortrag durchaus zur Kenntnis genommen. Er hat darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen durchweg die Voraussetzungen betreffen, unter denen angenommen werden kann, dass die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) das in Ziff. 5 ihres Befehls Nr. 64 vom 18. April 1948 allgemein verfügte Enteignungsverbot im Einzelfall wieder außer Kraft gesetzt oder durchbrochen hat mit der Wirkung, dass eine daraufhin von deutschen Stellen verfügte Enteignung im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgte. Er hat klargestellt, dass eine solche Durchbrechung auf eine nach außen erkennbare Willensäußerung oder ein sonstiges aktives Handeln der Besatzungsmacht zurückgehen muss, hat der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin jedoch nichts dafür entnehmen können, dass der vorliegende Einzelfall Veranlassung zu weiterer grundsätzlicher Klärung bietet.

5 Das gilt namentlich für die Auffassung der Klägerin, es bedürfe grundsätzlicher Klärung, ob eine Durchbrechung des allgemeinen Enteignungsverbots im Wege einer singulären Enteignungsanweisung nur unter erhöhten Beweisanforderungen angenommen werden könne. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 7. Mai 2012 darauf verwiesen, dass in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist, dass insofern kein rechtlicher Grund für vom Üblichen abweichende - verschärfte oder ermäßigte - Anforderungen vorliegt. Richtig ist, dass dies in den zum Beleg angeführten Urteilen vom 24. September 2003 - BVerwG 8 C 27.02 - (BVerwGE 119, 82 <86 f.> = Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 25) und vom 8. Oktober 2003 - BVerwG 8 C 28.02 - (ZOV 2004, 38) nur für den Fall eines (singulären) sowjetischen Enteignungsverbots ausgesprochen wurde. Es ist aber nicht ersichtlich, weshalb für den umgekehrten Fall einer (singulären) sowjetischen Enteignungsanweisung anderes gelten sollte. Auch die Nichtzulassungsbeschwerde und die Anhörungsrüge lassen insofern keinen zusätzlichen Klärungsbedarf erkennen.

6 Hierfür ergibt sich insbesondere nichts aus dem Urteil des Senats vom 7. März 2007 a.a.O. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall war von einer Rückgabeanordnung der sowjetischen Besatzungsmacht (in Gestalt einer von ihr bestätigten oder selbst erstellten „Liste B“) auszugehen, die der Senat als Enteignungsverbot gewürdigt hatte. Dabei hatte der Senat Zweifel der Vorinstanz an der Wirksamkeit dieses Enteignungsverbots, die mit noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen der deutschen Stellen zur Person des Enteigneten begründet waren, für unerheblich gehalten, weil es allein auf den Willen der sowjetischen und nicht auf Bedenken der deutschen Stellen ankomme. In diesem Zusammenhang hatte der Senat ausgeführt, dass Besonderheiten des Falles „nur ausnahmsweise“ einer Rückgabeanordnung der sowjetischen Besatzungsmacht den Charakter eines Enteignungsverbots nehmen könnten (Beschluss vom 7. März 2007 a.a.O. <Rn. 23>). Richtig ist, dass der Senat diese Passage in seinem Beschluss vom 7. Mai 2012 unvollständig und missverständlich wiedergegeben hat. Das ändert aber nichts daran, dass sich dem Urteil vom 7. März 2007 keine Aussage über - verschärfte oder ermäßigte - Anforderungen an den Nachweis einer singulären Enteignungsanweisung der sowjetischen Besatzungsmacht entnehmen lässt. Im Übrigen verhält sich das Urteil nicht zu der im vorliegenden Rechtsstreit als maßgeblich dargestellten Frage, unter welchen Voraussetzungen angenommen werden kann, dass ein sowjetisches Enteignungsverbot von einer singulären Enteignungsanweisung der sowjetischen Stellen durchbrochen wurde; dort hatte sich der Senat vielmehr mit der Annahme der Vorinstanz auseinanderzusetzen, dass ein sowjetisches Enteignungsverbot (bzw. Rückgabegebot) infolge von Bedenken und fortdauernden Ermittlungen der deutschen Stellen seiner Wirksamkeit beraubt worden sei.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 163 Abs. 2 VwGO.