Beschluss vom 10.02.2011 -
BVerwG 4 BN 3.11ECLI:DE:BVerwG:2011:100211B4BN3.11.0

Beschluss

BVerwG 4 BN 3.11

  • Niedersächsisches OVG - 25.10.2010 - AZ: OVG 1 KN 266/08

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Februar 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Petz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Mit den Fragen,
in welchem Abstand ein Logistikzentrum in einer derartigen Dimension mit einer Hallenhöhe von bis zu 14 m ohne Einschränkung der gewerblichen Nutzung und in einer Größenordnung von 80 ha entfernt von einem Dorf und einem landwirtschaftlichen Betrieb mit Hofladen und Wohnhaus gebaut werden darf, insbesondere unter Berücksichtigung von Brand- und Störfällen, und inwieweit die Planfeststellungsbehörde diese Umstände in ihre Abwägung einzubeziehen hat, insbesondere welche Gutachten sie einholen muss und welche Anforderungen sie an ein solches Logistikzentrum in unmittelbarer Dorf- und Betriebsnähe zu stellen hat,
in welchem Umfang die Planfeststellungsbehörde die öffentlichen bzw. wirtschaftlichen Interessen und die Interessen eines angrenzenden Dorfes und landwirtschaftlicher Betriebe abzuwägen hat, insbesondere im Hinblick auf das Gefährdungspotenzials eines derartig überdimensionierten Logistikzentrums und dessen Lage,
lässt sich die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht erreichen. Ungeachtet ihrer allgemein gehaltenen Formulierung erschöpfen sich die Fragen in einer auf den Einzelfall zugeschnittenen Kritik am Ergebnis der vorinstanzlichen Abwägungskontrolle, ohne einen nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verbleibenden Klärungsbedarf aufzuzeigen.

3 2. Die Revision kann auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Der Antragsteller zeigt nicht auf, dass die vorinstanzliche Entscheidung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 13.08 - (NVwZ 2010, 1295) abweicht.

4 Der Revisionszulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712; stRspr). Das ist hier nicht der Fall. Das Oberverwaltungsgericht hat die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts, zur Klärung der Frage, ob ein landwirtschaftlicher Betrieb infolge des planfestzustellenden Vorhabens in seiner Existenz gefährdet werde oder gar vernichtet zu werden drohe, würden Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde regelmäßig einer Begutachtung des Betriebs durch einen landwirtschaftlichen Sachverständigen bedürfen, nicht als unrichtig verworfen, sondern hat auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet, weil es einen Flächenverlust zu Lasten des Antragstellers in einer Größenordnung angenommen hat, die auch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu einer Begutachtung durch einen landwirtschaftlichen Sachverständigen nötigt. Ob die Annahme zutrifft, ist ohne Belang. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor, wenn die Vorinstanz - wie vom Antragsteller geltend gemacht - einen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328; stRspr).

5 3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen Verfahrensmängeln zuzulassen. Zu Unrecht macht der Antragsteller geltend, das Oberverwaltungsgericht habe unter Missachtung seiner sich aus § 86 Abs. 1 VwGO ergebenden Pflicht den Sachverhalt in verschiedener Hinsicht nicht hinreichend geklärt.

6 Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1987 a.a.O.; stRspr); denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Beteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu ersetzen (vgl. z.B. Urteil vom 23. Mai 1986 - BVerwG 8 C 10.84 - BVerwGE 74, 222 <223 f.>). Diesen Anforderungen entspricht das Beschwerdevorbringen nicht.

7 Der Antragsteller wirft dem Oberverwaltungsgericht als Versäumnis vor, die Frage der Sicherheit der Wohnbevölkerung und seiner Person vor Gefahren durch die Pipeline Stade-Teutschenthal nicht geklärt zu haben. Da der Antragsteller keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, könnte seine Rüge nur Erfolg haben, wenn sich dem Oberverwaltungsgericht eine Klärung hätte aufdrängen müssen. Das ist nicht der Fall. Das Oberverwaltungsgericht durfte die Sicherheit der Leitung als gewährleistet ansehen, nachdem die Antragsgegnerin der Behauptung des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung, parallel zur Bundesautobahn A 1 verlaufe eine Chemieleitung, die tiefer gelegt werden müsse, mit dem Hinweis entgegengetreten ist, die Leitung werde baulich ausreichend armiert/gesichert (Protokoll S. 6), und der Antragsteller dem nicht widersprochen hat. Der Brandschutzthematik hat sich die Beklagte nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts ausreichend gewidmet (UA S. 30 f.). Dass der Antragsteller dies anders sieht, verhilft der Aufklärungsrüge nicht zum Erfolg. Sollte der vorinstanzliche Befund, die Brandschutzfragen seien hinreichend abgewogen worden, unrichtig sein, läge darin kein Verfahrensmangel, sondern ein materiell-rechtlicher Fehler. Mit dem Thema des Störfallschutzes bei der Planung von Anlagen, die unter die Störfall-Verordnung (12. BImSchV) fallen, hat sich das Oberverwaltungsgericht nicht näher befasst. Geplant sei ein Gewerbegebiet, das seinem Zuschnitt nach für ein Logistik-Center genutzt werden solle. Das lege von sich aus noch keineswegs nahe, dass in einzelnen Gebäuden Stoffe vorhanden seien, welche die in § 1 der Störfall-Verordnung genannten Mengenschwellenwerte erreichten oder überschritten. Dem Oberverwaltungsgericht musste sich eine Ermittlung der Störfallpotenziale nicht deshalb aufdrängen, weil der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung auf das Urteil des OVG Münster vom 3. September 2009 - 10 D 121/07.NE - (DVBl 2009, 1385) zum Kraftwerk Datteln verwiesen hat. Es liegt auf der Hand, dass ein Kohlekraftwerk (mit einer elektrischen Netto-Leistung von 1055 MW) und ein Gewerbegebiet für ein Logistik-Zentrum aus Sicht des Immissionsschutzrechts nicht miteinander vergleichbar sind. Dem Oberverwaltungsgericht musste sich schließlich nicht aufdrängen, zur Frage einer existenzgefährdenden Wirkung der Planung auf den Betrieb des Antragstellers ein Sachverständigengutachten einzuholen. Wenn der Betrieb des Antragstellers als Obstbaubetrieb - wie geltend gemacht - ein „Sonderbetrieb“ ist, auf den die üblichen Kriterien zur Prognostizierung einer Existenzgefährdung nicht anwendbar sind, und der Antragsteller dem Oberverwaltungsgericht die erforderliche Sachkunde abspricht, hätte er in der mündlichen Verhandlung die Durchführung einer Beweisaufnahme beantragen müssen.

8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, obwohl die Beigeladene beantragt hat, die Beschwerde zurückzuweisen. Im Regelfall - ein solcher ist hier gegeben - ist es nämlich nicht erforderlich, dass ein vorinstanzlich erfolgreicher Beteiligter wie hier alsbald nach Eingang einer Beschwerde und ohne Kenntnis der Beschwerdebegründung durch einen Rechtsanwalt die Zurückweisung der Beschwerde beantragt (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2006 - BVerwG 4 B 41.06 - juris Rn. 4; stRspr).

9 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327), an dessen Vorschläge sich der Senat im Interesse der Einheitlichkeit und Berechenbarkeit von Streitwertentscheidungen zu halten pflegt, sieht in Nr. 9.8.1. für Normenkontrollklagen Privater gegen einen Bebauungsplan einen Rahmen von 7 500 € bis 60 000 € vor. Wegen der vom Antragsteller geltend gemachten Auswirkungen des Vollzugs des angefochtenen Bebauungsplans auf seinen Betrieb ist der Höchstwert angemessen. Von einer Änderung des vorinstanzlichen Streitwertbeschlusses, die nach § 63 Abs. 3 GKG zulässig wäre, sieht der Senat ab, weil die Beteiligten gegen den vom Oberverwaltungsgericht festgesetzten Streitwert in Höhe von 120 000 € in der mündlichen Verhandlung keine Einwände erhoben haben (Protokoll S. 8).