Urteil vom 10.07.2002 -
BVerwG 2 WD 4.02ECLI:DE:BVerwG:2002:100702U2WD4.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 10.07.2002 - 2 WD 4.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:100702U2WD4.02.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 4.02

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 10. Juli 2002, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schwandt als Vorsitzender,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Vetter,
Oberleutnant Golda
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Sandbaumhüter
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., B.,
als Verteidiger,
Angestellte Kairies
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der ... Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 8. August 2001 aufgehoben.
  2. Der Soldat wird wegen eines Dienstvergehens zu einem Beförderungsverbot für die Dauer von vier Jahren und zur Kürzung seiner Dienstbezüge um ein Zehntel für die Dauer von drei Jahren verurteilt.
  3. Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug hat der Soldat zu tragen.
  4. Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

Der 33 Jahre alte Soldat durchlief nach der Grundschule neun Jahre das städtische Gymnasium in B., das er mit dem Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife vom 15. Juni 1988 verließ. Zum 4. Juli 1988 wurde er als Wehrpflichtiger zur .../Luftwaffenausbildungsregiment ... in E. einberufen und aufgrund seiner Bewerbung und Verpflichtung mit Wirkung vom 16. Januar 1989 als Gefreiter in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit übernommen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf sechs Monate und 15 Tage, sodann auf zwei, vier, acht und 15 Jahre festgesetzt; sie endet demnach planmäßig mit Ablauf des 30. Juni 2003.

Nach regelmäßigen Zwischenbeförderungen wurde der Soldat mit Wirkung vom 1. Oktober 1994 zum Leutnant und am 26. Mai 1997 zum Oberleutnant ernannt.

Nach seiner Grundausbildung wurde er zum 1. Oktober 1988 als Luftraumbeobachter zur Flugabwehrkanonenbatterie ... in W. und zum 1. September 1990 als Beobachtungsunteroffizier Artillerie zur .../Panzerartilleriebataillon ... in A. versetzt. Im Rahmen seiner Kommandierungen vom 7. Januar bis 1. März und vom 3. April bis 14. Juni 1991 absolvierte er beide Teile des Unteroffizierlehrgangs bei der .../Panzerartilleriebataillon ... in A. bzw. an der Artillerieschule in I.-O., jeweils mit der Note „bestanden“. In der Zeit vom 22. Oktober bis 19. Dezember 1991 durchlief er an der Heeresunteroffizierschule in M. den Feldwebellehrgang Teil 1 und wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1992 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes übernommen. Im Rahmen seiner Kommandierungen vom 9. März bis 27. August 1993 zur Offizierschule des Heeres in H. bestand er die Offizierprüfung mit der Note „befriedigend“ und in der Zeit vom 1. September bis 5. Dezember 1993 zur Artillerieschule in I.-O. den Zugführerlehrgang für Rohrartillerie mit der Note „gut“. Sodann wurde er zum 1. Oktober 1994 zur .../Panzerartilleriebataillon ... in A. versetzt und dort als Zugführer eines Geschützzuges eingesetzt. Zum 1. Oktober 1998 wechselte er auf den Dienstposten eines Beobachtungsoffiziers Artillerie und wurde zum 1. Juli 1999 zur Dienstleistung als Leiter des Familienbetreuungszentrums A. zum Stab Panzerbrigade ... kommandiert. Seit dem 18. August 2001 nimmt er unter Freistellung vom militärischen Dienst im Rahmen seiner Kommandierung zur Bundeswehrfachschule H. bis zum Dienstzeitende am 30. Juni 2003 an der Fachausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt teil.

In der Beurteilung seiner dienstlichen Leistungen vom 20. Januar 1995 erhielt der Soldat in der gebundenen Beschreibung einmal die Wertung „1“, elfmal die Wertung „2“ sowie dreimal die Wertung „3“ und in der freien Beschreibung für „Verantwortungsbewusstsein“, „Fähigkeit zur Einsatzführung/Betriebsfüh-rung“ sowie „Durchsetzungsvermögen“ jeweils den Ausprägungsgrad „B“. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, berufliches Selbstverständnis und ergänzende Aussagen“ wurde über ihn ausgeführt:

„Lt ... überzeugt durch sein hohes dienstliches Engagement und sein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Willensstärke und Durchsetzungsvermögen zeichnen Lt ... als leistungsstarken Offizier aus, der sich mit dem Soldatenberuf voll identifiziert. Die kontinuierlich verlaufende positive Entwicklung und das derzeitige Leistungsprofil von Lt ... lassen die Aussage zu, dass er uneingeschränkt förderungswürdig und die Eignung zum Batteriechef erkennbar ist. Setzt Lt ... weiterhin diese positive Gesamtentwicklung verstärkt fort, ist die Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufsoffiziers zu befürworten“.

Hierzu nahm der Bataillonskommandeur Oberstleutnant W. wie folgt Stellung:

„Mit der sehr treffenden Beurteilung einverstanden. Lt ... ist ein überaus engagierter, einsatzwilliger Offizier, der keine Verantwortung scheut und die Herausforderung sucht. Erteilte Aufträge erfüllt er mit Beharrlichkeit, Initiative und Schwung und beeindruckt durch Willensstärke und Durchsetzungsvermögen. Ehrgeizig und selbstbewusst in Haltung und Auftreten sollte er sich zukünftig bemühen, auch gegenläufige Ansichten zu respektieren, Untergebene in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen und sie nicht durch seine gelegentlich kantige und schroffe Art zu brüskieren. Weniger ein Freund geistiger Durchdringung gestellter Probleme erweist er sich als ausgesprochener Praktiker, der keine Mehrbelastung scheut. Eine Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufsoffiziers ist nachhaltig zu befürworten, wenn er mit zunehmender Erfahrung in der Verwendung das notwendige situative Gespür, Einfühlungsvermögen und geistige Reife nachweist, um auch in seinem Persönlichkeitsprofil die Erwartungen an einen zukünftigen Disziplinarvorgesetzten zu genügen“.

In der Beurteilung vom 28. Januar 1997 erhielt der Soldat in der gebundenen Beschreibung zweimal die Wertung „1“, siebenmal die Wertung „2“, sechsmal die Wertung „3“ und in der freien Beschreibung für „Fähigkeit zur Einsatzführung/Betriebsführung“ und „Durchsetzungsvermögen“ jeweils den Ausprägungsgrad „B“. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, berufliches Selbstverständnis und ergänzende Aussagen“ wurde über ihn u.a. ausgeführt:

„Lt. ... ist ein militärischer Führer, der durch zwei extrem gegenläufige Verhaltensmerkmale geprägt ist, sehr gute fachliche Kompetenz einerseits und z.T. nicht zu übersehbare Probleme im Umgang mit Soldaten andererseits. Im zurückliegenden Beurteilungszeitraum wurde Lt. ... mehrfach auf diese Dissonanzen hingewiesen. Die Reaktion zeigte sich zunächst nur in befriedigender Weise...“

Sein Bataillonskommandeur Oberstleutnant P. nahm hierzu wie folgt Stellung:

„... Die in der Menschenführung beschriebenen Defizite halte ich für überbrückbar, wenn er sich seiner Vorbildfunktion in Auftreten und Erscheinungsbild mehr bewusst wird, seine manchmal etwas schroffe Art ablegt und Untergebene stärker in die Entscheidungsfindung mit einbezieht ....“

In der Beurteilung vom 12. März 1999 wurden seine Leistungen jeweils dreimal mit „6“ und „5“, sechsmal mit „4“ und viermal mit „3“ bewertet. Unter „Eignung und Befähigung“ wurden ihm für „Verantwortungsbewusstsein“ die Wertung „c“, für „Geistige Befähigung“ und „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ je die Wertung „b“ sowie für „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Wertung „d“ zuerkannt. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde über ihn ausgeführt:

„OLt ... ist ein Offizier, der von Gegensätzen charakterisiert wird. Auf der einen Seite überzeugt er in jeder Hinsicht durch sein hohes fachliches Können, auf der anderen Seite muss er in seinem Auftreten und Verhalten an sich arbeiten, um seiner Vorbildfunktion als Vorgesetzter und Offizier umfassend gerecht zu werden. Im Wesentlichen gilt es für OLt ..., mehr Gespür für die Situation im Umgang mit Kameraden, insbesondere mit Untergebenen zu entwickeln ....“

Hierzu vermerkte derselbe Bataillonskommandeur:

„... Seit seiner letzten Beurteilung hat er sein Persönlichkeitsbild bezüglich einem toleranteren Verhalten gegenüber anderen verbessern können. Hier ist er auf dem richtigen Weg...“

Der Soldat ist seit dem 15. Dezember 1994 Träger des - dreimal erteilten -Leistungsabzeichens in Gold.

Das Zentralregister und das Disziplinarbuch enthalten keine Eintragungen über den Soldaten.

Die Dienstbezüge des Soldaten berechnen sich aus der 6. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 10 des Bundesbesoldungsgesetzes und betragen 2.616,28 € brutto, 2.059,76 € netto; unter Abzug von 110,06 € werden ihm tatsächlich 1.949,70 € ausgezahlt. Ein für den Erwerb von Wohnungseigentum aufgenommenes Darlehen tilgt der Soldat mit monatlichen Raten in Höhe von 347,68 € und zahlt an seine beiden Kinder 424,37 € Unterhalt. Seine finanziellen Verhältnisse sind nach seinen Angaben geordnet.

Die am 11. Oktober 1991 geschlossene Ehe des Soldaten wurde durch Urteil des Amtsgerichts B. vom 18. September 1997, rechtskräftig seit dem selben Tage, geschieden. Aus der Ehe sind zwei Kinder im Alter von zehn und acht Jahren hervorgegangen.

II

III