Beschluss vom 11.01.2006 -
BVerwG 7 B 70.05ECLI:DE:BVerwG:2006:110106B7B70.05.0

Beschluss

BVerwG 7 B 70.05

  • VG Berlin - 19.04.2005 - AZ: VG 22 A 359.99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Januar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht N e u m a n n und
G u t t e n b e r g e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. April 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin wendet sich gegen die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks an die Beigeladene mit der Begründung, die Beigeladene habe ihren Rückübertragungsanspruch nicht wirksam angemeldet, jedenfalls sei der Anspruch verwirkt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch den angefochtenen Gerichtsbescheid abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

2 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

3 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

4 a) Die Klägerin möchte geklärt wissen, ob ein fristwahrender Antrag der nach § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG zuständigen Organisation vorliegt.

5 Insoweit stellt sich jedoch keine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Eine solche wird von der Klägerin nicht herausgearbeitet. Sie setzt sich vielmehr nach Art einer Berufungsschrift mit der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Verwaltungsgerichts auseinander.

6 Dass die Ausschlussfrist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG nur gewahrt ist, wenn innerhalb dieser Frist der Berechtigte oder eine für ihn vertretungsberechtigte Person den zurückbegehrten Vermögenswert beim Vermögensamt angemeldet hat, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und bedarf deshalb keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Ebenso wenig bedarf einer Klärung in einem Revisionsverfahren, dass von der hier nicht in Rede stehenden Möglichkeit der Übertragung ihrer Rechte nach § 2 Abs. 1a Satz 1 VermG abgesehen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG allein die Conference on Jewish Material Claims against Germany, Inc. (also die Beigeladene) Berechtigte ist, wenn Ansprüche von jüdischen Berechtigten im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG oder deren Rechtsnachfolgern nicht geltend gemacht werden. Davon geht im rechtlichen Ansatz auch das Verwaltungsgericht aus. Es hat nicht die Auffassung vertreten, auch andere Vereinigungen mit ähnlich klingendem Namen seien Berechtigte oder sonst in der Lage, vermögensrechtliche Ansprüche nach jüdischen Geschädigten wirksam anzumelden. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr in tatsächlicher Hinsicht angenommen, dass die hier vorliegende Anmeldung vom 2. Dezember 1992 unmittelbar der Berechtigten nach § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG (also der Beigeladenen) zuzurechnen sei. Die Klägerin hält diese Würdigung des Sachverhalts zwar für unzutreffend, jedenfalls nicht für hinreichend belegt. Damit wird aber keine Rechtsfrage, sondern nur eine Tatfrage aufgeworfen. Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, dass sich im Zusammenhang mit der Zurechnung der Anmeldung auf die Beigeladene Rechtsfragen stellen, die eine Antwort erheischen, die über den Einzelfall hinaus weist und der Rechtssache deshalb grundsätzliche Bedeutung verleihen könnte.

7 b) Die Klägerin möchte ferner geklärt wissen, ob die Beigeladene bei der Anmeldung des Vermögenswertes durch ihre jetzige Prozessbevollmächtigte ordnungsgemäß vertreten wurde. Auch insoweit stellt sich indes keine Rechtsfrage. Die Klägerin bestreitet lediglich in tatsächlicher Hinsicht, dass ein Organ oder eine Person, die für die Beigeladene vertretungsberechtigt war, eine Vollmacht für die jetzige Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen zur Anmeldung des Vermögenswertes ausgestellt hat. Aus den Ausführungen der Klägerin ergibt sich wiederum nicht, dass zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung Rechtsfragen mit fallübergreifender Bedeutung zu beantworten sind. Das gilt auch für die ergänzende Begründung vom 30. Juni 2005, die erst nach Ablauf der Begründungsfrist eingegangen ist. Auch sie wirft allenfalls tatsächliche Fragen auf.

8 c) Die Klägerin hält ferner für klärungsbedürftig, ob der Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks verwirkt ist. Insoweit wirft indes die Rechtssache nur Fragen auf, die schon in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet sind oder deren Beantwortung unmittelbar auf der Hand liegt.

9 Die Voraussetzungen einer Verwirkung sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit langem geklärt. Die Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben. Er hat für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit. Die Verwirkung bildet einen Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens. Ein Recht darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde, der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde, und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 - NVwZ-RR 2004, 314).

10 Maßgeblich ist danach ein Verhalten des Berechtigten, das für den Verpflichteten eine Vertrauensgrundlage geschaffen hat. Inhaberin des Anspruchs auf vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks ist die Beigeladene als Berechtigte. Sie hat sich nicht widersprüchlich verhalten. Sie hat ihren Anspruch innerhalb der Ausschlussfrist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG angemeldet. Für die Durchsetzung des Anspruchs war und ist sie auf das Tätigwerden der zuständigen Vermögensämter angewiesen. Deren nachlässiges oder widersprüchliches Verhalten ist nicht im Stande, den (begründeten) Anspruch der Beigeladenen zum Erlöschen zu bringen. Nur um ein (angeblich) pflichtwidriges Verhalten des seinerzeit zuständigen Vermögensamts geht es aber nach dem Vortrag der Klägerin.

11 d) Letztlich aus vergleichbaren Überlegungen liegt ohne weiteres auf der Hand, dass die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks den Verfügungsberechtigten nicht in seinem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt, wenn - wie die Klägerin hier behauptet - das zuständige Vermögensamt dem Verfügungsberechtigten zuvor auf dessen Anfrage mitgeteilt hat, es liege kein Restitutionsantrag vor, und der Verfügungsberechtigte im Vertrauen auf diese Mitteilung unter Aufnahme erheblicher Kredite in das Grundstück investiert hat. Ein solches Verhalten des Vermögensamts berührt den Rückübertragungsanspruch des Berechtigten nicht. Soweit dem Verfügungsberechtigten in Folge einer rechtswidrig fehlerhaften Auskunft des Vermögensamts Nachteile verbleiben, die durch die vermögensrechtlichen Abwicklungsvorschriften (beispielsweise § 3 Abs. 3 VermG und § 16 VermG, insbesondere dessen Abs. 10) nicht berücksichtigt werden, kommt als Ausgleich hierfür nur ein Amtshaftungsanspruch gegen den Rechtsträger des Vermögensamts in Betracht.

12 2. Der angefochtene Gerichtsbescheid weicht nicht im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab. Eine solche Abweichung liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung mit einem sie tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen die Entscheidung tragenden Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht. Hingegen sind die Voraussetzungen einer Zulassung wegen Divergenz nicht erfüllt, wenn das Verwaltungsgericht einen abstrakten Rechtssatz, den das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, auf den Einzelfall nicht oder fehlerhaft anwendet.

13 a) Die Klägerin entnimmt dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 1999 - BVerwG 7 C 20.98 - (BVerwGE 109, 169 = ZOV 1999, 305) den abstrakten Rechtssatz, eine wirksame Anmeldung könne nur vom Berechtigten selbst oder von einem ordnungsgemäß bevollmächtigten Vertreter ausgehen; die Genehmigung einer vollmachtlos erklärten Anmeldung sei nach dem Ende der Anmeldefrist nicht mehr möglich. Dem angefochtenen Urteil liegt weder ausdrücklich noch der Sache nach ein hiervon abweichender abstrakter Rechtssatz zu Grunde. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr davon ausgegangen, die vor Ablauf der Anmeldefrist abgegebene Anmeldung sei der berechtigen Beigeladenen unmittelbar zuzurechnen. Selbst wenn - wie die Klägerin behauptet - dies in tatsächlicher Hinsicht nicht zutreffen sollte, läge darin kein Rechtssatzwiderspruch im Sinne einer Abweichung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

14 b) Die Klägerin entnimmt dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. März 1997 - BVerwG 7 B 39.97 - (Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 3 = ZOV 1997, 201) den abstrakten Rechtssatz, die Ausschlussfrist des § 30a VermG sei nur dann gewahrt, wenn die Person des Berechtigten in der Anmeldung konkret bezeichnet sei. Das Verwaltungsgericht hat keinen hiervon abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Es ist der Sache nach davon ausgegangen, dass die Beigeladene mit der Anmeldung vom 2. Dezember 1992 konkret bezeichnet ist. Ob dies zutrifft, ist nur eine Frage der Anwendung des als solchen nicht in Zweifel gezogenen Rechtssatzes auf den Einzelfall.

15 3. Die Revision kann nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der behaupteten Verfahrensmängel zugelassen werden.

16 a) Soweit die Klägerin geltend macht, es habe an einem Vorverfahren gefehlt, ist nicht erkennbar, welchen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sie damit darlegen will. Als Verfahrensfehler im Sinne dieser Vorschrift kommen nur Mängel des gerichtlichen Verfahrens der Vorinstanz in Betracht, hier also Verfahrensfehler, die dem Verwaltungsgericht unterlaufen sein sollen. Mängel des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens sind hingegen keine Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Eine fehlerhafte Beurteilung verwaltungsverfahrensrechtlicher Fragen durch das Verwaltungsgericht stellt vielmehr einen Fehler bei der Anwendung des maßgeblichen materiellen Rechts dar.

17 Davon abgesehen treffen die Ausführungen der Klägerin in der Sache nicht zu. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war der Anspruch der Beigeladenen auf vermögensrechtliche Rückübertragung eines bestimmten Grundstücks. Dieser Anspruch bestand nur, wenn er rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht worden war. Das war hier nach Auffassung des Verwaltungsgerichts durch die Anmeldung vom 2. Dezember 1992 geschehen. Unerheblich ist, dass das seinerzeit zuständige Vermögensamt bei Erlass des Restitutionsbescheids von einer Globalanmeldung der Beigeladenen vom 28. Dezember 1992 und deren nachträglicher Präzisierung ausgegangen ist. Soweit sie dasselbe Grundstück betreffen, führen die individuelle Anmeldung vom 2. Dezember 1992 und die spätere Globalanmeldung vom 28. Dezember 1992 nicht zu zwei verschiedenen Verfahrensgegen-ständen, mit der Folge, dass das Verwaltungsgericht die Anmeldung vom 2. Dezember 1992 nicht hätte heranziehen dürfen, um die Rechtzeitigkeit der Anmeldung und damit die Rechtmäßigkeit des Restitutionsbescheids zu beurteilen.

18 b) Die Klägerin kann nicht als Verfahrensmangel geltend machen, dass das Verwaltungsgericht nicht durch Gerichtsbescheid hätte entscheiden dürfen, weil die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorgelegen hätten. Die Klägerin ist gehindert, diesen angeblichen Verfahrensmangel mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen. Sie hätte vielmehr stattdessen gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 4 VwGO mündliche Verhandlung beantragen müssen, wenn sie meint, über die Streitsache hätte nicht durch Gerichtsbescheid, sondern nur auf Grund mündlicher Verhandlung entschieden werden dürfen (Beschluss vom 21. Oktober 1999 - BVerwG 8 B 307.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 24).

19 c) Soweit die Klägerin dem Verwaltungsgericht vorwirft, es habe seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen verletzt (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist ihre Rüge bereits unzulässig.

20 Hat das Verwaltungsgericht durch Gerichtsbescheid entschieden, können die Beteiligten zwar nach § 84 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wählen, ob sie Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder mündliche Verhandlung beantragen. Entscheiden sie sich für eine Nichtzulassungsbeschwerde, müssen sie sich aber auf die vom Verwaltungsgericht festgestellte Tatsachengrundlage einlassen. Sie können mit der Nichtzulassungsbeschwerde keine Verfahrensrügen erheben, die sich gegen die Richtigkeit der festgestellten Tatsachen richten. Das folgt aus der Aufgabenverteilung zwischen Revisionsgericht und Tatsachengericht. Soweit es um behebbare Mängel der Tatsachenfeststellung geht, ist das Verwaltungsgericht das sachnähere Gericht. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist der gegebene Rechtsbehelf, um insoweit unterlaufene Verfahrensfehler durch das sachnähere Gericht zu beheben. Dieselbe Wertung liegt dem § 134 Abs. 4 VwGO zu Grunde. Auch bei der Sprungrevision können die Beteiligten zwischen Rechtsmitteln wählen, welche die Sache an das Revisionsgericht oder an das Berufungsgericht als weiterer Tatsacheninstanz bringen. Entscheiden sie sich für die Revision, müssen sie sich mit der festgestellten Tatsachengrundlage abfinden. Mängel der Tatsachenfeststellung können nur im Berufungsverfahren behoben werden (Beschluss vom 17. Juli 2003 - BVerwG 7 B 62.03 - Buchholz 310 § 135 VwGO Nr. 4).

21 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und Abs. 4 GKG.