Beschluss vom 11.02.2005 -
BVerwG 5 B 12.05ECLI:DE:BVerwG:2005:110205B5B12.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.02.2005 - 5 B 12.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:110205B5B12.05.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 12.05

  • VGH Baden-Württemberg - 15.11.2004 - AZ: VGH 7 S 1128/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. November 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
1.1 Einer Zulassung der Revision wegen der zu § 2 Abs. 1 AsylbLG bezeichneten Frage,
"ob sich der letzte Halbsatz des § 2 Abs. 1 AsylbLG sowohl auf die Möglichkeit der Ausreise als auch auf die Vollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen bezieht",
steht bereits entgegen, dass es sich um ausgelaufenes Recht handelt. Durch Art. 8 Nr. 3 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) ist zum 1. Januar 2005 § 2 Abs. 1 AsylVfG geändert und die von §§ 3 bis 7 abweichende entsprechende Anwendung der Bestimmungen des Sozialhilferechts (bis 31. Dezember 2004: Bundessozialhilfegesetz; ab 1. Januar 2005: Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch) nunmehr für diejenigen Leistungsberechtigten angeordnet worden, "die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben". Nach dem neu gefassten Gesetzeswortlaut kommt es auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise und die mit der Grundsatzrüge als klärungsbedürftig bezeichnete Frage nicht mehr an, so dass die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage sich nicht mehr in gleicher Weise stellt (vgl. dazu z.B. Beschluss des Senats vom 27. Februar 1997 - BVerwG 5 B 155.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 15). Es ist auch nichts dafür dargetan, dass das ausgelaufene Recht noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in unabsehbarer Zukunft von Bedeutung sein könnte (vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - <Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9> m.w.N.; Beschluss vom 23. Februar 1999 - BVerwG 2 B 11.99 - <juris>); für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Beschwerdeführer darlegungspflichtig (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995, a.a.O., m.w.N.).
1.2 Davon abgesehen ist die Revision auf die vom Beklagten bezeichnete Frage auch deswegen nicht zuzulassen, weil diese sich für das vom Berufungsgericht gefundene Ergebnis nicht entscheidungserheblich stellt. Das Berufungsgericht ist entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht davon ausgegangen, dass die im letzten Halbsatz des § 2 Abs. 1 AsylbLG (in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) genannten Gründe sich auch darauf beziehen, dass "die Ausreise nicht erfolgen kann", sondern hat - insoweit im Einklang mit dem Verwaltungsgericht (zu prüfen ist, "ob eine freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist", UA S. 10) - darauf abgestellt, dass unabhängig davon, ob wegen dieser Gründe aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, erheblich ist, dass "den Klägern im fraglichen Zeitraum eine freiwillige Rückkehr in das Kosovo nicht zumutbar war, weshalb die Ausreise im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht erfolgen konnte" (Berufungsurteil S. 9).
In der Rechtsprechung ist nicht umstritten und bedarf daher keiner revisionsgerichtlichen Klärung, dass eine (freiwillige) Ausreise im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG auch dann nicht erfolgen kann, wenn ein Verlassen des Bundesgebietes zwar rein tatsächlich (und sei es unter Verstoß gegen Pass- oder Aufenthaltsbestimmungen) möglich wäre, die (freiwillige) Ausreise indes nicht zumutbar ist; dabei kann diese Unzumutbarkeit aus zielstaatsbezogenen Umständen oder Gefahren folgen, die vorliegen, wenn am Zielort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben besteht. Der Beklagte selbst stellt dies nicht in Frage, wenn er unter Hinweis auf den Wortlaut auch des § 30 Abs. 3 AuslG geltend macht, "dass bei dem Tatbestandsmerkmal 'wenn die Ausreise nicht erfolgen kann' nur zu prüfen ist, ob eine freiwillige Ausreise ... in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist". Sein Vorbringen, dass entgegen der tatsächlichen Beurteilung des Berufungsgerichts eine freiwillige Ausreise der Kläger möglich und zumutbar gewesen sei, und zwar sowohl in das Kosovo als auch - erst recht - nach Serbien oder Montenegro (Abschnitt III. der Beschwerdebegründung), ist dabei als Frage der Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland der Kläger nicht geeignet, eine grundsätzlicher Klärung zugängliche Frage revisiblen Rechts zu bezeichnen.
2. Die Revision kann auch nicht wegen Divergenz zugelassen werden (Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht (vgl. Beschluss des Senats vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 68.91 - <Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302>; stRspr); für die Darlegung (§ 133 Abs. 3 VwGO) ist die Gegenüberstellung der voneinander abweichenden Rechtssätze unverzichtbar (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - <NVwZ-RR 1996, 712>). Eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall rechtfertigt eine Divergenzzulassung nicht (stRspr des BVerwG, vgl. Beschluss vom 5. Januar 2001 - BVerwG 4 B 57.00 - <NVwZ-RR 2001, 442>).
Zu Unrecht rügt die Beschwerde eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der bei Klagen auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz auf die Lage in dem jeweiligen Leistungsabschnitt abzustellen sei (Urteil vom 30. November 1966 - BVerwG 5 C 29.66 - BVerwGE 25, 307 <308>), es bei der gerichtlichen Nachprüfung von Sozialhilfesachen regelmäßig auf den Zeitpunkt des letzten behördlichen Bescheids ankomme (Urteil vom 29. September 1971 - BVerwG 5 C 110.70 - BVerwGE 38, 299), Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung der letzte einem Vorverfahren zugeführte Bescheid und lediglich die Zeit bis zum Erlass des Bescheides sei (Urteil vom 19. Januar 1972 - BVerwG 5 C 10.71 - BVerwGE 39, 261 <264 f.>), nur eine zeitabschnittsweise Gewährung in Betracht komme (Urteil vom 13. Januar 1983 - BVerwG 5 C 114.81 - BVerwGE 66, 342 <344>) und der Anspruch auf Sozialhilfe grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemacht werden könne, in dem der Träger der Sozialhilfe den Hilfefall geregelt habe, d.h. bis zur letzten behördlichen Entscheidung (Urteil vom 30. April 1992 - BVerwG 5 C 1.88 - NVwZ 1993, 995).
Das Berufungsgericht hat den Beklagten nach der Entscheidungsformel des angegriffenen Urteils zu Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juli 2000 bis zum 7. März 2001 und damit nicht für einen Zeitabschnitt nach Erlass des unter dem letztgenannten Datum ergangenen Widerspruchsbescheides verpflichtet; es hat damit keinen divergenzfähigen abstrakten Rechtssatz zum Streitgegenstand oder zur maßgeblichen Sach- oder Rechtslage gebildet, welcher der vom Beklagten herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht. Das Berufungsgericht ist auch nicht dadurch von der von dem Beklagten bezeichneten Rechtsprechung abgewichen, dass es "Tatsachen gewürdigt [hat], die der Beklagte in seinem Bescheid vom 21. Juni 2000 und dem Widerspruchsbescheid vom 7. März 2001 nicht berücksichtigen konnte". Denn die von dem Beklagten bezeichneten Rechtssätze aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beziehen sich nicht auf die Frage, ob für die Beurteilung, ob in dem entscheidungserheblichen Zeitraum (objektiv) eine Situation bestanden hat, in der die Kläger bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben gekommen wären, die Entwicklung in der Folgezeit - hier insbesondere die Ereignisse im Kosovo im März 2004 - berücksichtigt werden durfte. Sie stehen dem vom Berufungsgericht gewählten Ansatz zur Überprüfung der nach dessen insoweit maßgeblicher Rechtsansicht von dem Beklagten zu treffenden Prognose weder ausdrücklich noch sinngemäß entgegen. Die von dem Berufungsgericht bejahte Frage, ob bereits in dem hier entscheidungserheblichen Zeitraum bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides den Klägern eine Rückkehr wegen (objektiv) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender Gefahren für Leib oder Leben tatsächlich unzumutbar gewesen ist, ist von der von dem Berufungsgericht offen gelassenen Erkenntnisfrage zu trennen, ob bereits vor den Ereignissen im März 2004 gewichtige Gründe im Sinne einer konkreten Gefahrenlage gegen eine Abschiebung bzw. Rückführung von Ashkali in das Kosovo ersichtlich waren. Für die Divergenzrüge ist dabei unerheblich, ob die von dem Berufungsgericht aus den Ereignissen im März 2004 gezogenen Rückschlüsse auf die (objektiven) tatsächlichen Verhältnisse im entscheidungserheblichen Zeitraum zutreffend sind.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).