Urteil vom 11.03.2003 -
BVerwG 1 D 22.02ECLI:DE:BVerwG:2003:110303U1D22.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 11.03.2003 - 1 D 22.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:110303U1D22.02.0]

Urteil

BVerwG 1 D 22.02

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 11. März 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H. M ü l l e r ,
Hauptlokomotivführer Michael S c h m i t t
und Zollhauptsekretärin Heike D ü r i n g
als ehrenamtliche Richter
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts gegen das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer VII - ... -, vom 14. Mai 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem Polizeiobermeister im Bundesgrenzschutz ... hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

I


1. In dem ordnungsgemäß eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren hat der Bundesdisziplinaranwalt den am ... in ... geborenen Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
am 22. Februar 2000 gegen 17.45 Uhr an Bord des Schiffes "..." nach dem Abstempeln der Landgangsscheine der Besatzung des Schiffes vom Kapitän eine Stange unversteuerte und unverzollte Zigaretten im Marktwert von 50 DM angenommen und für sich behalten hat.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat das Disziplinarverfahren durch Urteil vom 14. Mai 2002 eingestellt. Es hat seiner Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO folgende tatsächliche Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts ... vom 30. Oktober 2000, mit dem der Beamte wegen Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Vorteilsnahme zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 80 DM verurteilt worden war, zugrunde gelegt:
"Die Angeklagten (D. und der Beamte, erg.) führten am 22. Februar 2000 gemeinsam eine Schiffseingangskontrolle des griechischen Getreideschiffes "..." durch, vorschriftsmäßig mit je einer Schusswaffe bewaffnet. Der Angeklagte ... war als Hospitant in der Dienststelle des Angeklagten D. tätig. In der Kapitänskajüte stellte der Angeklagte D. in Anwesenheit des gesondert verfolgten Kapitäns K. und eines weiteren Besatzungsmitgliedes die notwendigen 19 Landgangsausweise für die visumspflichtigen philippinischen Besatzungsmitglieder aus, als der Zeuge H. um 17.45 Uhr hinzutrat, um als Zollbeamter die Zollabfertigung durchzuführen. Nachdem der Angeklagte D. um 18.10 Uhr dem Kapitän K. die Landgangsscheine übergeben hatte, übergab der Kapitän K. jedem der Angeklagten eine Stange unversteuerte und unverzollte Zigaretten der Marke "Marlboro". Beide Angeklagten zeigten dies nicht ihrem Dienstgruppenleiter B. an. Beiden Angeklagten war auch bewusst, dass sie die Zigaretten versteuern mussten. Gleichwohl taten sie dies nicht und verkürzten dadurch insgesamt Steuern in Höhe von 49,99 DM pro Stange."
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Beamte vorgetragen, er habe bei der fraglichen Aktion keine eigenen Amtshandlungen vornehmen können. Er sei nur als Hospitant anwesend gewesen. Die Situation sei für ihn vollkommen neu und die Umstände zur Annahme von Zigaretten ausgesprochen überraschend gewesen. Er sei passionierter Nichtraucher und habe die Zigaretten mit Blick auf die Dominanz seines Streifenführers angenommen. Er habe als Gast und Hospitant hier nicht als Besserwisser auftreten wollen. Auch habe sich das Geschehen unter den Augen des zuständigen Zollbeamten abgespielt. Später habe er seinen Dienstgruppenleiter nicht unterrichtet, da er sich in einem Gewissenskonflikt befunden habe. Durch die Bekanntgabe des Sachverhalts hätte er zugleich seinen Streifenführer "anschwärzen" müssen. Deshalb habe er die Zigaretten "in geeigneter Form entsorgt".
Das Bundesdisziplinargericht hat die Handlungsweise des Beamten als Verstoß gegen die sich aus § 70 BBG ergebende Pflicht, Belohnungen und Geschenke in Bezug auf sein Amt nur mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde anzunehmen, verstoßen. Hierdurch habe er zugleich die Pflichten aus § 54 Satz 2 und 3 BBG verletzt. Er habe vorsätzlich ein Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das grundsätzlich schwer wiege. Aufgrund vorliegender Milderungsgründe wäre jedoch nur eine Gehaltskürzung in Betracht gekommen, deren Verhängung § 14 BDO entgegengestanden habe.
3. Gegen dieses Urteil hat der Bundesdisziplinaranwalt rechtzeitig eine auf das Disziplinarmaß beschränkte Berufung eingelegt und beantragt, den Beamten unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in das Amt eines Polizeimeisters der Besoldungsgruppe A 7 zu versetzen. Das Rechtsmittel wird im Wesentlichen wie folgt begründet:
Das Bundesdisziplinargericht verkenne, dass der Beamte zusammen mit seinem Kollegen in amtlicher Eigenschaft Landgangsscheine der Schiffsbesatzung abzustempeln gehabt habe, um der Mannschaft die Möglichkeit zu geben, an Land zu gehen. Hierbei handele es sich um eine Tätigkeit, die zu der mit hoheitlichen Machtmitteln ausgestatteten speziellen Aufgabenstellung des Beamten gehöre. Gerade hier komme es im besonderen Maße auf eine unparteiische, gerechte und uneigennützige Amtsführung an, um auch nur den Anschein zu vermeiden, als wäre er in seiner dienstlichen Tätigkeit durch Gefälligkeiten beeinflussbar oder verfolge bei seiner Amtsführung persönliche Interessen. Der Missbrauch einer solchen Amtsstellung habe auch erschwerende Auswirkungen auf die disziplinare Einstufung des Dienstvergehens.
In seiner Berufungserwiderung trägt der Beamte vor, er sei dienstlich sonst mit seemännisch/nautischen Aufgaben auf einem Polizeiboot betraut. Im Tatzeitraum sei er lediglich zur Hospitation dem Bundesgrenzschutzamt ... zugewiesen worden, damit er dort im Rahmen einer internen Fortbildung die Aufgaben der benachbarten Behörde kennen lernen könne. Er sei zu keinem Zeitpunkt berechtigt gewesen, dienstliche Handlungen vorzunehmen oder diese eigenverantwortlich anzuordnen.

II


Die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts hat keinen Erfolg. Das Bundesdisziplinargericht hat zu Recht das Verfahren gemäß § 76 Abs. 3, § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 14 BDO eingestellt.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes nach den Verfahrensregeln und –grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat ist deshalb an die Tat- und Schuldfeststellungen des Bundesdisziplinargerichts sowie an die vorgenommene disziplinarrechtliche Würdigung der festgestellten Pflichtverletzung als innerdienstliches Dienstvergehen gebunden. Er hat nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zur unerlaubten Geschenkannahme ist die selbstlose, uneigennützige, auf keinen Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte eine der wesentlichen Grundlagen des Berufsbeamtentums. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Integrität trägt entscheidend zur Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens bei. Ein Beamter, der in Bezug auf sein Amt Belohnungen oder Geschenke annimmt, setzt das Ansehen der Beamtenschaft herab und gefährdet das Vertrauen seiner Behörde und der Allgemeinheit in seine Zuverlässigkeit. Er erweckt hierdurch gleichzeitig den Verdacht, für Amtshandlungen allgemein käuflich zu sein und sich bei seinen Dienstgeschäften nicht an sachlichen Erwägungen zu orientieren, sondern sich auch von der Rücksicht auf den ihm zugesagten, gewährten oder geforderten Vorteil leiten zu lassen. Dies kann im Interesse einer geordneten und sachlich orientierten Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Rechtsstaatsbewusstseins im demokratischen Gemeinwesen nicht hingenommen werden.
Im Falle der Annahme von Belohnungen oder Geschenken in Bezug auf das Amt bestimmt sich die Einstufung des Dienstvergehens nach den Umständen des Einzelfalls. Die Verhängung der Höchstmaßnahme kommt in der Regel dann in Betracht, wenn der Beamte die ihm als Äquivalent des angebotenen, geforderten oder gewährten Vorteils angesonnene pflichtwidrige Amtshandlung tatsächlich vorgenommen oder wenn er bares Geld angenommen hat und durchgreifende Milderungsgründe fehlen (vgl. zu allem Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - a.a.O. und insoweit auch Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 = DÖD 2002, 280). Die strafrechtliche Qualifikation solchen Verhaltens als Vorteilsannahme (§ 331 StGB) oder Bestechlichkeit (§ 332 StGB) ist hierbei nicht maßgeblich (Urteil vom 24. November 1993 - BVerwG 1 D 61.92 - DokBer B 1994, 93). Es kann deshalb offen bleiben, ob der Beamte entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ... überhaupt eine Vorteilsannahme begehen konnte. Als Hospitant hat er keine Handlungen vorgenommen, die zu seinen dienstlichen Obliegenheiten gehörten und seine amtliche Eigenschaft betrafen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., Rn. 7 zu § 331). Der Bundesdisziplinaranwalt ist für seine mit der Berufungsschrift vorgetragene gegenteilige Behauptung, die den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts ... widerspricht, jeglichen Beweis schuldig geblieben.
Nach der Rechtsprechung des Senats erforderliche erschwerende Momente, die eine Entfernung aus dem Dienst oder wenigstens eine Degradierung als angemessen erscheinen lassen, liegen nicht vor. Der Beamte hat weder Bargeld angenommen, noch eine pflichtwidrige Amtshandlung als Äquivalent für die Stange Zigaretten vorgenommen. Dem Beamten ist im Gegenteil in Übereinstimmung mit der Bewertung des Bundesdisziplinargerichts bei der Annahme der einen Stange Zigaretten zugute zu halten, dass er mit der Situation plötzlich konfrontiert wurde. Ihm ist auch abzunehmen, dass er sich in einem Gewissenskonflikt befand und gegenüber dem zuständigen Streifenführer und der gastgebenden Dienststelle nicht als Denunziant auftreten wollte. Es handelt sich daher um eine einmalige und persönlichkeitsfremde Tat des Beamten. Darüber hinaus ist der Wert des angenommenen Geschenks äußerst gering. Das Dienstvergehen des Beamten hätte höchstens die Verhängung einer Gehaltskürzung erforderlich gemacht. Von der Verhängung einer Degradierung ist das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen weit entfernt. Auch wenn grundsätzlich bei der Bekämpfung der Korruption bereits den Anfängen zu wehren ist, muss jedes Fehlverhalten nach individuellen Maßstäben und darf nicht nach präventiven Gesichtspunkten geahndet werden.
Der Verhängung einer Gehaltskürzung steht jedoch die Vorschrift des § 14 BDO entgegen. Nach dieser Vorschrift darf wegen desselben Sachverhalts, der Grundlage der Verhängung einer gerichtlichen Strafe war, eine Gehaltskürzung nur ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Beamtentums zu wahren. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.
Zur Pflichtenmahnung ist die Verhängung einer zusätzlichen Disziplinarmaßnahme nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Verfehlung zu der Befürchtung Anlass gibt, dass der Beamte trotz der bereits gegen ihn verhängten Sanktion erneut gegen seine Dienstpflichten verstoßen werde. Voraussetzung ist damit die konkrete Befürchtung, der Beamte werde sich auch künftig nicht seinen Pflichten entsprechend verhalten. Eine solche Prognose macht eine Beurteilung der Person des Beamten, seines bisherigen Werdeganges und seines dabei gezeigten Verhaltens im Beamtenverhältnis erforderlich (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 1 D 31.98 -). Vorliegend gibt es keinerlei Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer zusätzlichen Pflichtenmahnung. Der Beamte ist nicht einschlägig vorbelastet. Es handelte sich um eine persönlichkeitsfremde Tat. Dies kommt insbesondere auch in seiner außergewöhnlich positiven dienstlichen Beurteilung zum Ausdruck. Es ist auch nicht angezeigt, durch eine nicht gerechtfertigte Berufungseinlegung faktisch den Wirkungen einer Degradierung aufgrund der sich aus § 9 Abs. 3 Satz 1 BDO ergebenden Beförderungssperre nahe zu kommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 2, § 115 Abs. 3 Satz 1 BDO.