Beschluss vom 11.06.2003 -
BVerwG 9 B 18.03ECLI:DE:BVerwG:2003:110603B9B18.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.06.2003 - 9 B 18.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:110603B9B18.03.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 18.03

  • Bayerischer VGH München - 28.11.2002 - AZ: VGH 23 B 02.2078

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juni 2003
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht Dr. S t o r o s t und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. November 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 21 910,15 € festgesetzt.

Die auf die Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfahrensmangel) und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Als Verfahrensmangel macht die Beschwerde geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe entgegen seiner Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht ermittelt, ob die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass nach § 227 Abs. 1 Abgabenordnung aus Gründen sachlicher bzw. persönlicher Unbilligkeit vorliegen. Diese Rüge greift nicht durch. Bei der Prüfung, ob dem Vordergericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von seiner eigenen materiellrechtlichen Rechtsauffassung auszugehen, unabhängig davon, ob diese einer Überprüfung standhält (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 4 m.w.N.). Für die Beurteilung der Gültigkeit des notariellen Vertrages vom 28. September 1981, dessen Regelungen nach Auffassung der Klägerin die Rechtswidrigkeit der von ihr angefochtenen Gebührenbescheide begründen, hat es der Verwaltungsgerichtshof als allein maßgeblich angesehen, ob den darin der Klägerin eingeräumten Sondertarifen eine angemessene Gegenleistung gegenüberstand. Auf Gründe der persönlichen oder sachlichen Billigkeit kommt es - wie auch die Beschwerde einräumt - insoweit nicht an. Entgegen der Auffassung der Beschwerde kann dem Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs auf ein anderes Urteil desselben Gerichts, dem die Beschwerde die Entscheidungserheblichkeit des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass entnehmen will, keine andere oder weitergehende Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs entnommen werden, die auf den zu ermittelnden Sachverhalt von Einfluss sein könnte. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit diesem Zitat nicht undifferenziert sämtliche Rechtssätze jener Entscheidung zu Eigen gemacht, sondern es allein zum Beleg seiner erwähnten eigenen Rechtsauffassung verwendet. Wenn die Beschwerde auf dieser Grundlage die fehlende Ermittlung der Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses bemängelt, rügt sie in Wahrheit keinen Verfahrensmangel, sondern die fehlerhafte bzw. unterbliebene Anwendung materiellen (und im Übrigen gemäß § 137 Abs. 1 VwGO irrevisiblen Landes-)Rechts, die einen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO jedoch nicht begründen kann.
Dasselbe gilt, soweit die Beschwerde unterlassene Ermittlungen im Hinblick auf den Erlassgrund des - allerdings bundesrechtlichen - § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB rügt.
Liegt insoweit ein Verfahrensmangel nicht vor, kann sich aus der unterbliebenen Zurückverweisung der Sache nach § 130 Abs. 2 VwGO an das Verwaltungsgericht, die die Beschwerde wegen der nach ihrer Auffassung noch erforderlichen Sachverhaltsermittlung rügt, ebenfalls kein Verfahrensmangel und mithin kein Revisionszulassungsgrund ergeben.
Als grundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde die Frage auf,
ob § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB, wonach ein Billigkeitserlass im Einzelfall auch "im öffentlichen Interesse" erfolgen kann, einen allgemeinen Rechtssatz darstellt, der nicht nur bezüglich der Erhebung von Erschließungsbeiträgen zur Anwendung gelangt, sondern darüber hinaus auch bezüglich der Anforderung kommunaler Beiträge nach dem KAG, hier gemäß Art. 5 BayKAG i.V.m. gemeindlichem Satzungsrecht (BGS-WAS bzw. BGS-EWS).
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Einen Zusammenhang mit der zwar revisiblen, aber ersichtlich hier nicht unmittelbar anwendbaren und mithin entscheidungsunerheblichen Norm des § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB stellt die Beschwerde mit ihrer Frage selbst nicht her. Vielmehr bezieht sich ihre Frage auf die Geltung eines "allgemeinen Rechtssatzes". Sollte damit ein das hier einschlägige kommunale Abgabenrecht ergänzender allgemeiner Rechtsgrundsatz gemeint sein, so ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher, zur Ergänzung des nicht revisiblen Rechts herangezogener Grundsatz revisionsrechtlich ebenfalls dem irrevisiblen Recht zuzurechnen ist und eine Zulassung der Revision nicht begründen kann (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2000 - BVerwG 1 B 51.00 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 69 S. 5 m.w.N.). Für die Annahme, dass das Bundesverfassungsrecht einen Erlassgrund des "öffentlichen Wohls" im kommunalen Abgabenrecht fordern könnte, fehlt es nicht nur an einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Darlegung der Beschwerde, sondern auch sonst an jedem Anhaltspunkt.
Auch der weiteren Frage der Beschwerde,
ob bei der Angemessenheit der Gegenleistung die Tatsache Berücksichtigung finden kann, dass die Finanzkraft einer Gemeinde durch Gewerbesteuereinnahmen infolge Ansiedlung eines Industrieunternehmens gestärkt wird,
kommt grundsätzliche Bedeutung nicht zu, weil es an der Entscheidungserheblichkeit fehlt. Wie die Beschwerde selbst darlegt, hat der Verwaltungsgerichtshof auch unter Einbeziehung des "Arbeitsplatzarguments" das Vorliegen einer angemessenen Gegenleistung verneint (UA S. 14 unten). Dass insoweit nicht nur auf die vom Verwaltungsgerichtshof in Ansatz gebrachte Verpflichtung zur Errichtung eines Schlacht- und Zerlegebetriebes, dessen Aufrechterhaltung über eine gewisse Zeit sowie den in der Schaffung einer bestimmten Zahl von Arbeitsplätzen liegenden immateriellen Wert oder den seit Jahren obsolet gewordenen eventuellen Schadensersatz im Falle einer Betriebsstilllegung oder einer Reduzierung auf weniger als 20 Vollarbeitsplätze abzustellen ist, sondern darüber hinaus auf die im Gesamtzeitraum aufgewendeten Personalkosten bzw. ihren "finanzverfassungsrechtlichen Effekt auf die finanzielle Situation der Beklagten", wird die Beschwerde nicht ernsthaft behaupten wollen und ist - ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte - jedenfalls zu verneinen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 2, § 14 GKG.