Beschluss vom 11.09.2009 -
BVerwG 2 B 92.08ECLI:DE:BVerwG:2009:110909B2B92.08.0

Beschluss

BVerwG 2 B 92.08

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 01.10.2008 - AZ: OVG 1 A 4543/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. September 2009
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper, Dr. Burmeister
und Dr. Maidowski
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

2 Der Kläger möchte die Feststellung erreichen, dass die Beklagte ihm gegenüber mehrfach die ihr obliegende Fürsorgepflicht verletzt habe, weil sie dem Vorwurf, der Kläger habe weibliche Beschäftigte sexuell belästigt, nicht hinreichend entgegengetreten sei, beleidigende Äußerungen ihm gegenüber nicht sanktioniert und in fehlerhafter Weise ein förmliches Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet habe.

3 1. Die von dem Kläger erhobenen Grundsatzrügen greifen nicht durch.

4 Die Frage,
„ob und inwieweit bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Klage der Behörde Unklarheiten über den Rechtsweg zum Vorteil gereichen dürfen, wenn sie diese Unklarheiten bewusst herbeigeführt hat“,
bezieht sich auf die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die erhobene Feststellungsklage sei wegen Fehlens des nach § 126 Abs. 3 BRRG erforderlichen Vorverfahrens unzulässig; der an den Kläger gerichtete Bescheid vom 21. März 2005 sei trotz fehlender Rechtsbehelfsbelehrung nicht als Widerspruchsbescheid zu verstehen.

5 Die aufgeworfene Rechtsfrage würde sich jedoch in einem Revisionsverfahren nicht stellen, da das Berufungsgericht nicht festgestellt hat und sich auch sonst aus dem Inhalt der Akten nichts dafür ergibt, dass die Beklagte Unklarheiten über den Rechtsweg absichtlich herbeigeführt haben könnte. Aus dem bloßen Umstand, dass die Beklagte den Bescheiden vom 22. Januar 2003 und 21. März 2005 keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt hat, lässt sich eine derartige Absicht nicht ableiten. Auch der von der Beschwerde aufgegriffene Hinweis der Beklagten, dies sei geschehen, um eine Eskalation in der Sache zu vermeiden (Schriftsatz vom 7. Juli 2005), erlaubt nicht die Annahme, die Beklagte habe die Rechtslage willentlich verunklaren wollen.

6 Auch die weitere Frage,
„inwieweit die Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zur Nachholung des Vorverfahrens zu entsprechen, wenn beide Parteien die Aussetzung (zumindest hilfsweise) beantragen und die Klage andernfalls als unzulässig abgewiesen werden müsste“,
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn auch mit dieser Frage bezieht sich der Kläger nach seiner Beschwerdebegründung auf den - nicht vorliegenden und vom Berufungsgericht auch nicht festgestellten - Fall einer von der Behörde bewusst herbeigeführten verfahrensmäßigen oder prozessualen Unklarheit. Die Möglichkeit - und bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen ggf. die Pflicht - einer Aussetzung des Verfahrens zur Nachholung des Vorverfahrens entspricht im Übrigen ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 20. Januar 1966 - BVerwG 1 C 24.63 - BVerwGE 23, 135 = Buchholz 310 § 75 VwGO Nr. 2 und vom 11. Oktober 1984 - BVerwG 5 C 144.83 - BVerwGE 70, 196 = Buchholz 436.0 § 114 BSHG Nr. 6), ohne dass die Beschwerde hierzu zusätzlichen Klärungsbedarf aufzeigt. Auch übersieht die Beschwerde, dass keiner der Beteiligten den in erster Instanz als Hilfsantrag lediglich angekündigten Aussetzungsantrag in mündlicher Verhandlung erster Instanz aufrechterhalten bzw. in zweiter Instanz gestellt hat, sodass weder das Verwaltungsgericht noch das Berufungsgericht über eine Aussetzung zu entscheiden hatte. Zudem entsprachen die beiden angekündigten (Hilfs-)Anträge einander nicht, weil der Kläger ihn für den Fall einer negativen, die Beklagte hingegen für den Fall einer positiven Entscheidung über das Hauptbegehren des Klägers gestellt hatte.

7 Soweit der Kläger schließlich geklärt haben möchte,
„inwieweit das für das Feststellungsinteresse erforderliche Rehabilitationsinteresse bei einer Feststellungsklage vorliegt, wenn der Beamte seinen Dienstherrn erfolglos aufgefordert hat, Verleumdungen und ehrverletzende Äußerungen von Amtsträgern richtig zu stellen“,
ist diese Frage - soweit sie im Hinblick auf die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage auf Rücknahme ehrverletzender Äußerungen überhaupt klärungsbedürftig sein kann - einer abstrakten Beantwortung nicht zugänglich. Denn es hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, in welcher Weise der Dienstherr zum Schutz eines Beamten vor Verleumdungen und ehrverletzenden Äußerungen einzuschreiten hat und unter welchen Voraussetzungen die pflichtwidrige Untätigkeit des Dienstherrn ein Rehabilitationsinteresse des betroffenen Beamten und damit ein Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Fürsorgepflichtverletzung auslöst.

8 2. Für den Fall, dass der Vortrag der Beschwerde auch als Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) verstanden werden könnte, führt auch dies nicht zur Zulassung der Revision.

9 Hinsichtlich der geltend gemachten Abweichung von einer in der Juris-Datenbank publizierten Entscheidung des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 1972 genügt die Rüge ohne Nennung eines Aktenzeichens bereits nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), da insgesamt sieben Entscheidungen den von der Beschwerde genannten Kriterien entsprechen; es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, nach einer Durchsicht aller in Frage kommender Judikate diejenige Entscheidung herauszusuchen, die von der Beschwerde gemeint sein könnte (vgl. Beschluss vom 13. Juli 1999 - BVerwG 8 B 166.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9). Sollte die Rüge des Klägers auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 1972 - BVerwG 7 C 80.70 - zielen, so wäre sie im Übrigen unbegründet. Denn das Berufungsgericht hat dort keinen abstrakten und seine Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt, der von dem in dieser Entscheidung aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in jener Entscheidung ausgeführt, Unklarheiten über die Auslegung eines amtlichen Schreibens gingen zu Lasten der Behörde, wenn der Adressat im Vertrauen auf das Schreiben eine Klageerhebung unterlasse. Die Beschwerde benennt keinen hiervon abweichenden Rechtssatz, auf dem das Berufungsurteil beruht, sondern wendet sich vielmehr gegen die Subsumtion durch das Berufungsgericht und meint, dieses habe die erwähnte Entscheidung bei seiner Entscheidung nicht hinreichend beachtet; dies genügt zur Darlegung einer Divergenz nicht.

10 Soweit die Beschwerde eine Abweichung des angegriffenen Urteils von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 1991 - BVerwG 1 WB 42.91 - (BVerwGE 93, 186) geltend macht, ist die Divergenzrüge unbegründet. Denn das Berufungsgericht ist von dem in dieser Entscheidung aufgestellten Rechtssatz, dass Äußerungen von Vorgesetzten Untergebene in ihren Rechten verletzen können, nicht abgewichen. Es hat seiner Entscheidung vielmehr ausdrücklich den Rechtssatz zu Grunde gelegt, dass ein Rehabilitationsinteresse und damit ein Feststellungsinteresse gemäß § 43 VwGO bei vorangegangenen Verletzungen des Persönlichkeitsrechts insbesondere durch diskriminierendes und ehrverletzendes Verwaltungshandeln anzunehmen sein kann (UA S. 25). Es hat lediglich in dem zu entscheidenden Fall die Voraussetzungen für das Vorliegen des Feststellungsinteresses nicht für gegeben erachtet.

11 3. Auch die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision.

12 Die Rüge, das Berufungsgericht habe seine Entscheidung in verfahrensfehlerhafter Weise darauf gestützt, dass das nach § 126 Abs. 3 BRRG erforderliche Vorverfahren gefehlt habe, ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Schreiben des Klägers vom 19. Dezember 2004 und der Beklagten vom 21. März 2005 - insoweit für den Senat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO) - als Antrag und (bestandskräftig gewordenen) Ausgangsbescheid ausgelegt. Demgegenüber meint die Beschwerde, beide Schreiben erfüllten alle Anforderungen, die an einen Widerspruch im Vorverfahren zu stellen seien; dies genüge für die Zulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage. Mit dieser Rüge ist ein Verfahrensfehler nicht dargetan. Denn letztlich richtet sich der Angriff der Beschwerde gegen die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Die tatrichterliche Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist aber vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob Beweiswürdigungsgrundsätze wie etwa Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB), gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind (stRspr; vgl. Urteile vom 6. Februar 1975 - BVerwG 2 C 68.73 - BVerwGE 47, 330 <361> = Buchholz 232 § 7 BBG Nr. 3 S. 29 und vom 27. November 1980 - BVerwG 2 C 38.79 - BVerwGE 61, 176 <188> = Buchholz 237.1 Art. 9 BayBG Nr. 2 S. 39 f.). Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur dann vor, wenn eine Schlussfolgerung aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann. Es reicht nicht aus, dass das Gericht - wie hier - andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen.

13 Die Beschwerde rügt weiter die Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil das Berufungsgericht sich nicht mit dem Begehren der Beteiligten auseinandergesetzt habe, das Verfahren auszusetzen, um Gelegenheit zu geben, das Vorverfahren nachzuholen. Auch diese Rüge ist unbegründet. Zwar haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte unmittelbar nach Klageerhebung auf den gerichtlichen Hinweis zum Fehlen des Vorverfahrens ihre Absicht angekündigt, jeweils hilfsweise zu ihren widerstreitenden Sachanträgen die Aussetzung des Verfahrens zu beantragen. Nach eingehender schriftsätzlicher Auseinandersetzung mit dieser Frage sind jedoch Aussetzungsanträge in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt worden. Auch in der Berufungsinstanz hat der Kläger einen Aussetzungsantrag nicht gestellt, sodass das Berufungsgericht keinen Anlass hatte, sich mit der Frage einer Aussetzung zu befassen.

14 Soweit der Kläger schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, ihm fehle das erforderliche Feststellungsinteresse, als verfahrensfehlerhaft rügt, führt auch dies nicht zu einer Zulassung der Revision. Zwar spricht einiges dafür, dass das Berufungsgericht unter Verletzung von Bundesrecht die Anforderungen an das nach § 43 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse überspannt hat (vgl. Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <71> = Buchholz 451.09 IHKG Nr. 15; zum Verhältnis von Feststellungsinteresse und Klagebefugnis: Urteil vom 29. Juni 1995 - BVerwG 2 C 32.94 - BVerwGE 99, 64 = Buchholz 237.6 § 74 NdsLBG Nr. 1; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 43 Rn. 73). Gleichwohl ist die Revision weder unter dem Gesichtspunkt des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch der Nr. 2 zuzulassen, weil das Berufungsgericht die Berufung aus drei selbstständig tragenden Gründen zurückgewiesen hat - Fehlen des Feststellungsinteresses, des erforderlichen Vorverfahrens sowie der Klagebefugnis - und in diesem Fall hinsichtlich sämtlicher Gründe ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen muss. Hinsichtlich der übrigen Rügen greift hier jedoch kein Zulassungsgrund durch (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4).

15 Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 52 Abs. 1 GKG.