Beschluss vom 11.12.2002 -
BVerwG 9 B 70.02ECLI:DE:BVerwG:2002:111202B9B70.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.12.2002 - 9 B 70.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:111202B9B70.02.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 70.02

  • Sächsisches OVG - 03.09.2002 - AZ: OVG F 7 D 54/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Dezember 2002
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S t o r o s t und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (Flurbereinigungsgericht) vom 3. September 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2. Die übrigen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1 425,38 € festgesetzt.

Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 3 VwGO i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Grundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde der Frage bei, welchen Inhalt der Begriff "ländlicher Grundbesitz" im Sinne des § 1 FlurbG besitzt. Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision jedoch nicht, denn sie ist, soweit ihr ein über den Einzelfall hinausreichender, verallgemeinerungsfähiger rechtlicher Gehalt zukommt, bereits höchstrichterlich geklärt. Dabei hat sich das Bundesverwaltungsgericht entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht auf die Aussage beschränkt, es sei insoweit nicht darauf abzustellen, ob der Grundbesitz landwirtschaftlich genutzt wird (BVerwGE 105, 128 <134>). Es hat vielmehr darüber hinaus festgestellt, dass es nicht der durch § 3 LwAnpG präzisierten gesetzlichen Zielstellung dient, wenn von den Instrumentarien der Bodenneuordnung in einem nicht ländlich, sondern städtisch geprägten Bereich Gebrauch gemacht würde (vgl. BVerwG, a.a.O.). Diese Grundsätze hat das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt. Die Zuordnung zu den danach maßgeblichen Kriterien, auf die sich die materiellrechtliche Kritik der Beschwerde an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Kern bezieht, hängt dagegen von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles ab und ist einer generellen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich.
Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen, weil es sich in seinem Urteil auf Tatsachen, nämlich das Vorhandensein von zwei landwirtschaftlich geprägten Gärtnereien gestützt habe, die nicht Gegenstand der Niederschrift des Augenscheinstermins vom 3. September 2002 seien. Das trifft nicht zu. Die sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebende Pflicht des Gerichts, nach seiner aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, verletzt das Gericht dann, wenn es seiner Entscheidung den ermittelten Sachverhalt unrichtig oder unvollständig zugrunde legt (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 m.w.N.). Davon ist aber nicht schon dann auszugehen, wenn sich ein Gericht auf Tatsachen stützt, die in der Niederschrift einer Augenscheinseinnahme nicht festgestellt worden sind. Denn zum einen ist ein Gericht durch § 173 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 5 ZPO nicht verpflichtet, jede Einzelheit in die Niederschrift aufzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 1. April 1997 - BVerwG 4 B 11.97 - NVwZ 1997, 899). Zum anderen schließt diese Vorschrift die Verwendung von auf andere Weise festgestellten Tatsachen nicht aus. Unabhängig davon ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die Niederschrift vom 3. September 2002 entgegen der Darstellung der Beschwerde ausdrücklich auf westlich des Flurstücks 1769/2 sich anschließende "gärtnerisch genutzte Grundstücke" hinweist (Sitzungsniederschrift S. 3). Die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der im Urteil insoweit zugrunde gelegten tatsächlichen Feststellung gärtnerisch genutzter Grundstücke macht die Beschwerde ohnehin nicht geltend.
Einen weiteren Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz sieht die Beschwerde darin, dass das Oberverwaltungsgericht den vom Beklagten zu den Gerichtsakten gereichten Flächennutzungsplan vom 29. März 2000 nicht berücksichtigt habe. Die Beschwerde will hiermit offenbar nicht geltend machen, das Oberverwaltungsgericht habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Eine solche Rüge müsste ohnehin ohne Erfolg bleiben, weil insoweit kein Vorbringen der Kläger in Rede steht. Wenn die Beschwerde dagegen rügen will, das Oberverwaltungsgericht hätte aufgrund der Festlegungen des Flächennutzungsplans zu einem anderen materiellrechtlichen Ergebnis gelangen müssen, ist darauf hinzuweisen, dass es von der materiellrechtlichen Sicht des Gerichts abhängt, auf welche Tatsachen es im Einzelnen ankommt (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31). Da das Oberverwaltungsgericht für die Beurteilung der "ländlichen Lage" des Bodenordnungsgebiets - zutreffend - auf den tatsächlichen Charakter des maßgeblichen Bereichs zum Zeitpunkt der angegriffenen Verfahrensanordnung bzw. der Entscheidung durch das Gericht abgestellt hat, konnten hierfür aus dem Flächennutzungsplan, der lediglich die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung, nicht aber den Ist-Zustand wiedergibt (vgl. § 5 Abs. 1 BauGB), keine Erkenntnisse gewonnen werden.
Auch der gerügte Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Die Beschwerde macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, weil es entgegen seinem Hinweis im Augenscheinstermin für die Beurteilung der Frage, ob das Bodenordnungsgebiet städtisch oder ländlich gelegen sei, nicht lediglich auf die Bebauung der Johann-Thomas-Straße, sondern auch auf die Umgebung abgestellt habe, für die es im Augenscheinstermin keine Feststellungen getroffen habe. Das trifft jedoch nicht zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich eine Entscheidung als unzulässiges "Überraschungsurteil" dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 80.91 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Hinweis des Vorsitzenden im Augenscheinstermin war ausdrücklich als vorläufige Würdigung gekennzeichnet. Die Beteiligten erhielten anschließend Gelegenheit zur Stellungnahme und machten hiervon auch Gebrauch. Die - zumal anwaltlich vertretenen - Kläger konnten deswegen nicht davon ausgehen, dass die endgültige Bewertung des Spruchkörpers im Urteil dem Hinweis des Vorsitzenden entsprechen würde. Auch konnte es nicht zweifelhaft sein, dass es andernfalls auf die weitere Umgebung der Bebauung entlang der Johann-Thomas-Straße ankommen würde. Hierzu enthält die Niederschrift des Augenscheinstermins bereits Feststellungen, die - wie dargelegt - auch die gärtnerisch genutzten Grundstücke betreffen. Im Übrigen hat die Beschwerde entgegen den erwähnten Substantiierungsanforderungen (vgl. näher BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 m.w.N.) nicht dargelegt, was die Kläger bei der von ihnen vermissten weitergehenden Gehörsgewährung noch vorgetragen hätten und inwiefern ihr weiterer Vortrag zur Klärung ihres Klageanspruchs geeignet gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO sowie § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.